Die Patriots hatten eine wacklige zweite Saisonhälfte und gehen mit einigen Fragezeichen in die Playoffs: welche Version von Rob Gronkowski wird es geben? Kann die Defense standhalten? Und markiert dieses Jahr schließlich doch den Anfang eines ungewissen Umbruchs in Foxborough? Oder marschiert New England am Ende doch wieder durch die Playoffs?
Nach den üblichen Startschwierigkeiten - zwei Pleiten aus den ersten drei Spielen - stabilisierte sich die Truppe von Head Coach Bill Belichick wieder und gewann anschließend sechs Spiele in Serie. Über diesen Zeitraum standen auch Siege gegen die imposanten Chiefs, die Packers sowie ein Achtungserfolg in Chicago.
Was folgte, war jedoch eine bedenkliche zweite Halbserie, die mit drei Niederlagen, darunter zwei höchst seltene nacheinander im Dezember, zu Buche stand. Es gab eine Klatsche in Tennessee (10:34), den Last-Second-Kollaps in Miami (33:34) sowie das 10:17 in Pittsburgh. Alles Ergebnisse, die so weder eingeplant, noch charakteristisch für die Patriots in dieser Phase der Saison sind.
In den letzten zwei Partien der Saison jedoch verlief alles wieder normal: 24:12 gegen die Bills, 38:3 gegen die Jets. Die Welt war wieder in Ordnung, oder?
Mitnichten. Die Patriots sicherten sich zwar zum neunten Mal in Serie eine Bye-Week in den Playoffs, doch legten sie zugleich ihre schwächste Saison seit 2009 (5 Niederlagen) hin. Mehr noch: Auswärts war die Bilanz letztlich 3-5 und somit negativ. Etwas, was ihnen auch schon länger nicht mehr widerfahren ist.
Die Suche nach Ursachen für diese Negativa fällt jedoch nicht wahnsinnig schwer. Da wäre die anfänglich wacklige Personalsituation in der Offensive. Nahezu jeder Running Back des Teams war zu irgendeinem Zeitpunkt der Saison angeschlagen oder richtig verletzt. Neuzugang Jeremy Hill landete noch vor Saisonbeginn auf Injured Reserve, Rex Burkhead verbrachte dort ebenfalls den Großteil der Saison. Und auch Sony Michel musste einige Spiele aussitzen.
New England Patriots: Angespannte Personallage im Receiving Corps
Gravierender jedoch war die Personallage im Receiving Corps. Schon in der Offseason wurden mit Kenny Britt und Jordan Matthews zwei hoffnungsvolle Veteranen verletzungsbedingt aussortiert. Hinzu kam die Entlassung vom einstigen Super-Bowl-Helden Malcolm Mitchell mit Knieproblemen. Und Julian Edelman verpasste die ersten vier Spiele mit einer Dopingsperre.
Ein weiterer Faktor war die Tatsache, dass Quarterback Tom Brady einen merklichen Schritt zurückgemacht hat nach seinen vorangegangenen drei herausragenden Jahren. Seine 11 Interceptions sind die meisten seit 2013 (11), wobei einige davon durchaus auf die Kappe seiner Kollegen gingen.
Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass Brady sich nicht immer wohlfühlte und vor allem nicht unbedingt jedem seiner Receiver vollends vertraute. Er wirkte mitunter unsicher und von "Geistern" verfolgt, wenn er so manch einen Pass scheinbar unnötig wegwarf. Die Fehler, die er etwa vor der Pause gegen die Dolphins oder am Ende gegen die Steelers fabrizierte, waren uncharakteristisch für ihn.
In der Red Zone in Miami schluckte er einen Sack, der die Uhr auslaufen ließ, anstatt den Ball wegzuwerfen für einen Field-Goal-Versuch. In Pittsburgh wiederum leistete er sich eine schlicht dumme Interception, weil er einen Ball blind wegwarf - genau in die Arme von Joe Haden, dem Cornerback der Steelers.
Doch auch wenn die Zahlen im Keller zu sein scheinen, sind sie so schlecht dann doch nicht. Brady belegt immer noch Platz 8 in Sachen DYAR, 7 nach DVOA und sogar 6 beim Total QBR.
Patriots: das Verschwinden von Rob Gronkowski
Das aber wohl größte Problem in dieser Saison ist das sprichwörtliche Verschwinden von Tight End Rob Gronkowski. War er einst eine nicht zu stoppende Macht, ein Matchup-Albtraum und sicherlich der beste Spieler seiner Position - vielleicht jemals -, ist er mittlerweile ein träger Blocking-Tight-End geworden, der Probleme hat, sich von seinen Gegenspielern zu lösen und offen zu sein. Sein Blocking jedoch ist weiterhin überragend, was besonders im Laufspiel hilft.
Doch Defenses gelingt es immer häufiger, ihn aus dem Spiel zu nehmen, mit Double-Coverage etwa. Sie können dies, weil auch sonst kein Receiver in der Lage zu sein scheint, Seperation zu kreieren.
Dass "Gronk" dennoch noch Platz 6 in Sachen DYAR erreicht, zeigt nur, wie gut er immer noch sein kann, theoretisch. Laut DVOA belegt er nur noch Rang 12. Der Unterschied dieser Metriken? DYAR beschreibt den Gesamtwert eines Spielers, DVOA beschreibt den Wert pro Play. Trivial formuliert: Gronkowski spielte seine schlechteste Saison in der NFL.
Mittlerweile scheint sich jedoch das Team erholt zu haben. Von Verletzungssorgen - die Patriots sind aktuell wahrscheinlich so gesund wie lange nicht vorm Start der Postseason -, aber auch von etwaigen Nebenkriegsschauplätzen - Josh Gordon ist kein Thema mehr, obgleich sein Fehlen auf dem Platz nochmal bedeutend werden könnte.
Positiv ist vor allem, dass die Offensive Line zu den besten in dieser Saison zählt und die Liga gar in Adjusted Sack Rate (3,8 Prozent) anführt. Guard Shaq Mason ist sogar der am höchsten eingestufte Guard in dieser Saison laut Pro Football Focus.
Offensive Line der Patriots: Top 3 im Run Blocking
Doch auch in Sachen Run Blocking ragt die O-Line heraus: Sie brachte es auf 5,03 Adjusted Line Yards, Platz 3 in der NFL und nur von den Rams und Saints übertroffen. Dahinter legte das Running Back Trio aus Michel, Burkhead und James White eine richtig gute Saison hin. Das Laufspiel scheint der Schlüssel zu sein zu dieser Offense. Und das über die Saison hinaus: die Patriots haben ihre letzten 16 Spiele gewonnen, in denen sie mindestens 97 Yards auf dem Boden zustande brachten.
Umgekehrt heißt dies auch: In allen fünf Pleiten dieser Saison wurde diese Marke unterboten. Wer die Patriots stoppen will, muss den Lauf stoppen.
Im Passspiel hofft man derweil auch im Hinblick auf das Playoff-Spiel gegen die Chargers am Sonntag (ab 19.05 Uhr live auf DAZN) auf eine Leistungssteigerung von Brady, der sich mit vier Touchdowns in Week 17 gegen die Jets gewissermaßen zurückgemeldet hat. Die Bye-Week nutzte er zum Individualtraining mit Wurf-Coach Tom House, der ihn schon in der Vergangenheit nach schwächeren Jahren wieder in die Spur gebracht hat.
Zudem spielt die extra Zeit zwischen dem letzten und diesem Spiel zusätzlich in die Karten, wenn es darum geht, einen tragfähigen Gameplan zu konzipieren, speziell, wenn es darum geht, die Lücke zu schließen, die Gordons Abgang gerissen hat. Gegen die Jets bekam Chris Hogan wieder mehr Aufmerksamkeit, nachdem er über die Saison hinweg weitestgehend abgemeldet war. Und Philip Dorsett meldete sich mit Nachdruck mit einem Touchdown zurück.
Am Ende aber wird es wieder mal auf Edelman ankommen, der ebenfalls einen Touchdown und eine gute Leistung gegen New York lieferte.
New England: Laufverteidigung als große Schwachstelle
Defensiv wiederum scheinen die größten Probleme an der Line of Scrimmage verortet zu sein. Gerade die Laufverteidigung ist ein großes Problem. Im Schnitt lässt die Front Seven 4,67 Adjusted Line Yards zu, Platz 26 in der Liga. Im Passspiel wiederum gelingt es New England zu selten, Druck auf den QB aufzubauen. Ihre Adjusted Sack Rate von 5 Prozent entspricht Platz 30 der NFL.
Dass die Passverteidigung dennoch recht passabel daherkommt, liegt in erster Linie daran, dass das Team mit Stephon Gilmore einen echten Shutdown-Corner beschäftigt, der im Ranking von PFF Platz 1 belegt und ins All-Pro-Team gewählt wurde. Sein Gegenüber Jason McCourty schaffte es ebenfalls in die Top 10 des Rankings, während J.C. Jackson einer der am höchsten bewerteten Rookies im Defensive Backfield ist.
Gegen die zahlreichen guten Receiver der Chargers werden diese alle Hände voll zu tun haben, speziell mit einem Quarterback wie Philip Rivers, der ohne Druck nicht unbedingt zu Fehlern neigt.
Die Patriots, die zuhause ungeschlagen sind, treffen auf die Chargers, die auswärts ohne Niederlage sind. Ein Duell, das gerade dieser Tage auf Augenhöhe geführt werden wird. Die Chargers zeigten gegen Baltimore, dass sie durchaus in der Lage sind, den Lauf in Schach zu halten, sodass es einmal mehr Brady sein wird, der die Kohlen aus dem Feuer holen muss.
Angesichts des Gesamtkaders und der gezeigten Leistungen könnte jedoch auch erstmals seit 2010 ein Aus vor Championship Sunday Realität werden. Schließlich haben die Chargers eine Qualität, die Brady dieser Tage - und eigentlich jedem Quarterback per se - zu schaffen macht: Sie können Pressure erzeugen ohne zu blitzen, was Joey Bosa, Melvin Ingram und Co. gegen Baltimore eindrucksvoll demonstrierten.
Allerdings war das gegen Rookie-QB Lamar Jackson, dem man seine Nervosität im ersten Playoff-Auftritt merklich ansah. Eine Schwäche, die Brady in seinen bisherigen 37 Starts (27-10) eher selten an den Tag gelegt hat.
New England Patriots: Brady-Belichick-Ära geht weiter
Sieg oder Niederlage, eines steht schon jetzt fest: Die Ära Belichick-Brady wird in Foxborough auch über die Saison 2018 hinaus weitergehen. Belichick hat bisher in keiner Weise angedeutet, an ein baldiges Karriereende zu denken und Brady betont bei jeder Gelegenheit, dass er 2019 und darüber hinaus spielen wolle.
Als zusätzlichen Bonus muss man anführen, dass auch der für Brady so wichtige Offensive Coordinator Josh McDaniels mindestens 2019 noch dabei sein wird. Er hatte lediglich ein Vorstellungsgespräch für einen Head-Coach-Posten und Green Bay entschied sich gegen ihn und für Matt LaFleur von den Titans. Die einzig andere Anfrage - von den Cincinnati Bengals - lehnte McDaniels dagegen ab.
"Das Buch ist geschlossen", gab McDaniels auf Nachfrage nach seinen weiteren Head-Coach-Aspirationen in dieser kommenden Offseason zu Protokoll.
Für die Zukunft heißt dies, dass in der Offense weiter auf Konstanz gesetzt wird, was Scheme - wenn man das bei den sich stetig wandelnden Patriots überhaupt sagen kann - und Philosophie betrifft. Personell hingegen bleiben dennoch einige Fragezeichen.
Bereits in der letzten Offseason sollen die Patriots versucht haben, Gronkowski zu traden. Ein Schritt, den Belichick bei Star-Spielern immer dann geht, wenn er der Meinung ist, dass ein baldiger Leistungsabfall am Horizont erscheint. Basierend auf Gronks Jahr dürfte er auch dieses Mal Recht behalten haben.
Rob Gronkowski verhinderte Trade in der Offseason
Die geplante Abschiebung jedoch scheiterte letztlich daran, dass Gronkowski deutlich machte, mit keinem anderen Quarterback als Brady spielen zu wollen. Sprich: Tradet mich und ich trete zurück, war die Ansage, die sicherlich auch die Konkurrenz abschreckte.
Gronks Vertrag läuft bis Ende 2019 und er könnte günstig abgegeben werden. Unabhängig ob dies per Trade oder Cut passiere, die Patriots müssten lediglich 2 Millionen Dollar an Dead Money schlucken. Im Gegensatz dazu wären Einsparungen von fast 10 Millionen Dollar drin. Folglich könnte eine Trennung bereits in dieser Offseason passieren, zumal Gronks Party-Lifestyle sicherlich nicht ins Idealbild der Patriots passt - noch dazu, wenn die sportliche Leistung nachlässt.
Insgesamt könnte 2019 ohnehin den großen Umbruch bringen. Die Patriots haben Stand jetzt 21 Free Agents, davon lediglich drei, die "restricted" sind. Heißt, ein Massen-Exodus ist durchaus möglich, gerade, wenn es zur Frage nach der Bezahlung kommt. New England ist nicht unbedingt bekannt dafür, oder gewillt dazu, Marktpreise für den einzelnen Spieler zu berappen.
Eine Ausnahme könnte man etwa bei Defensive End Trey Flowers machen, der zu den besseren Pass Rushern der Liga zählt, auch wenn er nicht die wahnsinnig hohen Sack-Zahlen vorweist. Scheme-bedingt ist er etwas benachteiligt, da man in New England mehr Wert darauflegt, die Edge zu etablieren, anstatt gewissermaßen rücksichtslos auf QB-Jagd zu gehen.
Aufgrund seines Standings ist Flowers aber auch ein Kandidat für den Franchise Tag, den die Patriots fast schon traditionell nicht allzu gerne nutzen, die Beträge dafür sind in der Regel einfach zu hoch.
Patriots: Bekommt Tom Brady einen neuen Vertrag?
Fast genauso spannend ist indes die Personalie Brady. 2019 ist und bleibt er der Quarterback des Teams, doch es ist auch sein letztes Vertragsjahr. Nie zuvor in seiner Zeit in Foxboro (seit 2000) ging Brady in ein Lame-Duck-Jahr, sprich: Eine Vertragsverlängerung kam immer spätestens im Sommer davor. Auch dieses Jahr?
"Tom ist für nächste Saison unter Vertrag und ich denke und hoffe, dass die Leute gesehen haben, dass es zwischen uns allen ein echtes Verständnis darüber gibt, wie sich diese Situation in der Zukunft entwickeln wird", sagte Teampräsident Jonathan Kraft kürzlich gegenüber NBC Sports Boston. Was genau das heißen mag, ist allerdings noch offen.
Nach Lage der Dinge kann es aber nur heißen, dass man sich zu gegebener Zeit zusammensetzen und auf einen neuen Kontrakt einigen wird, denn Franchise-Quarterbacks wachsen weiterhin nicht auf Bäumen und zumindest die Draft-QB-Klasse von 2019 strotzt nicht gerade vor sicheren künftigen Top-Quarterbacks. Natürlich galt Jimmy Garoppolo 2014 auch nicht als solcher vor dem Draft - oder Brady 2000 - doch ein schneller Machtwechsel auf der QB-Position erscheint derzeit in Foxborough ausgeschlossen.
Nicht ausgeschlossen ist dagegen ein Abgang von Quasi-Defensive-Coordinator Brian Flores, der hoch geschätzt wird von Vorgesetzten wie Spielern. Er hatte Medienberichten zufolge gleich vier Head-Coach-Vorstellungsgespräche und soll besonders bei den Miami Dolphins hoch im Kurs stehen. Sein Abgang wäre allerdings eher zu kompensieren als einer von McDaniels, da sein Einfluss auf die Defense noch keineswegs so groß ist und vieles von Belichick gesteuert wird.
Die Patriots legten ihre schwächste Saison seit neun Jahren hin. Schaut man jedoch genauer hin, war nicht alles so schlecht wie auf den ersten Blick gedacht. Die Patriots sind zuhause weiterhin eine Macht, auch wenn die Wege zum Sieg derzeit vielleicht andere sind als gewohnt.
Was auch immer die nächsten Jahre bringen, die entscheidenden Figuren werden auf absehbare Zeit dieselben bleiben. Das Ende der großen Zeit der Patriots ist vielleicht in Sicht, doch greifbar noch nicht unbedingt.