Wenn man vor dem Super Bowl schon ein übergreifendes Fazit für diese NFL-Saison ziehen will, dann wäre es für die meisten wohl dieses: Die Saison war geprägt von offensivem Football, und ganz konkret vom Passing Game.
Die meisten Yards pro Play (5,6), die zweitmeisten Punkte pro Spiel (46,7) und das im Schnitt höchste Passer Rating in der NFL-Geschichte stand am Ende zu Buche, garniert durch den neuen Regular-Season-Rekord von 1.371 Touchdowns.
Es ist eine neue Zeit in der NFL, und die Rams gehören zu den Teams, die an der Spitze der aktuellen Entwicklung stehen - zumindest was die Radikalität angeht, mit der Coaches und Coordinator ihre Offenses adressieren, um ihren Stil umzusetzen. Der Stil der Rams? Erfolg durch eine Einfachheit, die der gegnerischen Defense die Arbeit erschwert; und die so ganz anders funktioniert, als die Offenses etwa der Chiefs und Saints, die unzählige Formationen und Elemente der Ablenkung eingebaut haben.
Die Offense der Rams basiert auf einigen wenigen Säulen, die im Zusammenspiel aber ein tolles Fundament bilden.
Die Rams-Offense: fast immer 3 Wide Receiver
Für jeden, der sich mit der Rams-Offense befasst, wird eine Sache schnell ein offensichtlicher Fakt: Die Offense von Coach Sean McVay funktioniert aus 11-Personnel (ein Running Back, ein Tight End, drei Wide Receiver), und zwar fast ausschließlich. Die Rams spielen 89 Prozent ihrer Snaps aus 11-Personnel, der mit Abstand höchste Wert; der Liga-Schnitt lag dieses Jahr bei 65 Prozent, kein anderes Team war bei über 77 Prozent (Packers). Der große Unterschied? Die Rams sind hieraus sehr ausgeglichen und schwer zu lesen.
Aus 11-Personnel gibt es in "nur" 59 Prozent der Snaps einen Pass, das wiederum liegt deutlich unter dem Liga-Schnitt für die Pass-Quote aus 11-Personnel (67 Prozent). Und die Rams sind im Run Game hieraus effizient: 5,3 Yards pro Run gelingen aus 11-Personnel, nur fünf Teams sind hier besser und der Liga-Schnitt (4,9) liegt fast ein halbes Yard dahinter.
Eine Veränderung, die hier vor allem mit C.J. Anderson auf dem Feld aufgefallen ist: L.A. hat mehr 12-Personnel, also Formationen mit zwei Tight Ends, gespielt - und hatte damit durchaus ebenfalls Erfolg.
Das fällt generell auf. Die Rams werfen insgesamt in nur 56 Prozent der Snaps, nur sieben Teams werfen weniger. Auch bei First Down sind sie extrem konservativ, mit einer Pass-Quote von nur 46 Prozent, der siebtniedrigste Wert. Und dennoch sind sie daraus effizient: 5,1 Yards pro Run bei First Down sind mehr als ein halbes Yard mehr, als der Liga-Schnitt bei First Down (4,5).
Play Action und First Down Running: Outside Zone
Der Grund dafür liegt im Passspiel, das Play Action Passspiel öffnet die Räume für die (First-Down-)Runs: Von allen Running Backs mit mindestens 150 Carries läuft keiner auch nur ansatzweise gegen so wenige defensive Fronts mit acht oder mehr Spielern in der Box wie Gurley (8,2 Prozent) - keiner in der Kategorie kommt auf weniger als 12,1 Prozent (Frank Gore), gefolgt von Chicagos Jordan Howard (14 Prozent).
Wieso funktioniert das so gut? Wieso können die Rams bei First Down deutlich über Liga-Schnitt laufen und noch viel klarer über Liga-Schnitt werfen? Wenn Goff bei First Down wirft, erreicht er im Schnitt 9,3 Yards pro Pass - der Durchschnitt in dieser Saison lag bei 7,7 Yards für First-Down-Passing. Die Antwort liegt in den Formationen, aber auch im Blocking-Scheme, und wie die Rams darauf ihr Playbook aufbauen.
L.A. ist ein Outside Zone Blocking Team. Das bedeutet in aller Kürze: die Offensive Line blockt unisono in eine Richtung (statt im Vorfeld zugeteilte Gegenspieler wie im Man Blocking). An der Backside des Plays - also die Seite der Formation, die der Running Back nicht anvisiert - sind ein Tight End oder Wide Receiver dafür zuständig, den Defensive End zumindest kurzzeitig aufzuhalten, damit sich das Play auf der anderen Seite entwickeln kann.
In der Mitte der Line versuchen die Rams dabei konstant, Double-Team-Blocks zu spielen: ein Guard und der Center sowie ein Guard und der Tackle bilden an der Line of Scrimmage 2-gegen-1-Blocks, wovon sich je einer der beiden Linemen schnellstmöglich löst, um dann auf das Linebacker-Level zu kommen. Es ist kein Zufall, dass die in der Offensive Line generell herausragend aufspielenden Rams laut Football Outsiders das beste "Second-Level-Blocking"-Team im Run Game sind.
Das Ziel im Outside Zone Blocking ist es, die defensive Front horizontal zu bewegen, um dann daraus eine Lücke zu schaffen. Die Bewegung der Linemen, genau wie die des Quarterbacks, ist dabei nahezu identisch mit den Bewegungen beim Bootleg Play Action Game, wenn der Quarterback die Ballübergabe mit dem Rücken zur Line antäuscht, und dann tief hinter der Line of Scrimmage in die andere Richtung läuft, um von dort aus zu werfen. Hier merkt man klar die Einflüsse von Mike und Kyle Shanahan auf McVay, der unter den Shanahans in Washington gearbeitet hat.
Genau das führt zur ersten großen Aufgabe, wenn man die Rams-Offense verteidigen will. Man muss in der Lage sein, Plays richtig zu lesen - und das ist extrem schwierig, so ähnlich sehen sich die Base-Runs und die Play Action Pässe. Dadurch ist beides effizient. Das Run Game selbst findet dabei zumeist Inside statt, durch Bend-Runs (Running Back arbeitet zurück zum Center) und durch Bang-Runs (Running Back visiert den Offensive Tackle auf seiner Seite an).
Beim klassischen Zone Run hat der Running Back zwei bis drei Optionen; die Faustregel besagt, dass er spätestens bei seinem dritten Schritt nach dem Snap anhand der Art und Weise, wie sich die Blocks entwickeln, sich entschieden haben sollte, wo er durch die Line of Scrimmage durchbrechen will. Von Gurleys 1.376 Rushing-Yards kamen 936 über Runs zustande, die zwischen der linken Schulter des Left Guards und der rechten des Right Guards stattfinden.
Jet Sweeps: Die zusätzliche Dimension
Doch selbst die Rams wollen sich nicht nur auf das Outside Run Game und die damit einhergehenden Play Action Pässe verlassen; stattdessen hat Coach McVay gezielt ein weiteres Element in die Offense eingebaut: den Jet Sweep und darauf aufbauende Motion-Elemente.
Grundsätzlich ist ein Jet Sweep ein Spielzug, bei dem sich ein außen postierter Spieler - meist ein Wide Receiver - vor dem Snap in Bewegung setzt und parallel zur Offensive Line sprintet. Wenn der Snap erfolgt, hat der Quarterback die Option, diesem bereits rennenden Spieler den Ball im Lauf zu übergeben. Die Chiefs mit Tyreek Hill und all ihren Motion-Sets sind schon seit einer Weile hieraus sehr gefährlich.
Kein Team nutzte den Jet Sweep dieses Jahr als Ablenkung häufiger, als die Rams und sie sind daraus unheimlich effizient. Generell bringt der angetäuschte Jet Sweep laut Sports Info Solutions einen klaren Anstieg der Yards vor erstem Gegnerkontakt (1,6 auf 2,2) genau wie der Yards pro Run (4,1 auf 4,9).
Das Problem für Defenses dabei? Hat man keinen gezielt für den Jet-Sweep-Spieler abgestellten Verteidiger, können die Run-Gap-Zuteilungen der Front, insbesondere der Linebacker, durch die plötzlich veränderte Offensiv-Formation durcheinander geraten. Deshalb ist dadurch mehr Raum für Inside Runs vorhanden, und genau das nutzt L.A. aus.
Dabei bleibt McVay seinem grundsätzlichen Motto treu; schwer lesbar soll es sein. So erkennt man bei Rams-Tapes immer wieder ähnliche Formationen und Play-Strukturen: Die Jet Sweeps gehen oft einher mit einem Pull-Block durch den an der Line of Scrimmage postierten Tight End oder Wide Receiver, und den exakt gleichen Play-Aufbau sieht man auch, wenn die Rams aus den angetäuschten Jet Sweeps heraus ins Play Action Passspiel gehen.
Darüber hinaus nutzen die Rams die Aufmerksamkeit, die ein Pull-Block durch einen Tight End oder Wide Receiver aufgrund der Art und Weise wie sie in das Run Game eingebaut sind, erweckt ebenfalls, um mit dem Play Action Passspiel lange Raumgewinne zu erzielen.
Dabei immer wieder zu beobachten ist der Receiver, der dem Pull-Blocker "entgegen kommt" und scheinbar ebenfalls nach innen blockt, um einen Laufweg für den Running Back zu öffnen - stattdessen aber aus dieser Position dann wieder nach außen in seine Route startet. Das kombinieren die Rams gerne mit einer tiefen Crossing Route, um so hinter dem Linebacker-Level die Möglichkeit auf einen Downfield-Pass zu haben.
Die Rams als Play-Action-Könige der NFL
Das eine funktioniert nicht ohne das andere, die Formationen und die Entwicklung der Plays sind der Schlüssel. Das Zone Run Game klappt nur, weil Teams das Play Action Passspiel fürchten und das Play Action Passspiel klappt so unglaublich gut, weil Verteidiger die exakt gleichen Dinge lesen, die sie bei den Run Plays auf Tape und auf dem Feld sehen.
Die Folge? Unter allen Quarterbacks mit mindestens 90 Play-Action-Dropbacks wirft keiner so viele seiner Pässe aus Play Action heraus wie Goff (34,6 Prozent), der in der Regular Season auch die meisten Touchdowns aus Play Action heraus geworfen hat (13) und pro Play Action Pass im Schnitt 2,5 Yards mehr Raumgewinn erzielt, als im Standard-Passing - ein Top-5-Wert.
Und um derart stark auf das Play Action Passspiel setzen zu können, gehen die Rams auch anderweitig ins Extrem: Die Rams sind das Under-Center-lastigste Team der Liga. In einer Liga, in der die wenigsten Quarterbacks überhaupt noch 50 Prozent ihrer Snaps in der Under-Center-Formation erhalten, bekommt Jared Goff den Ball Under Center in 63 Prozent der Fälle - der mit Abstand höchste Wert, der Liga-Schnitt liegt bei 38 Prozent.
Stellt sich Goff Under Center auf, wirft er den Ball in 33 Prozent der Fälle, und nahezu immer ist es ein Play Action Pass. Aus der Shotgun-Formation (Quarterback einige Yards hinter dem Center, mit dem Running Back zu seiner Seite) dagegen läuft L.A. nahezu nie - nur fünf Prozent ihrer Runs kommen aus der Shotgun, der Liga-Schnitt liegt bei 23 Prozent.
Und generell ist die Shotgun-Formation eher eine Seltenheit: die Rams haben laut Sports Info Solutions 561 Snaps mit 11-Personnel und dem Quarterback Under Center gespielt; kein anderes Team ist hier bei über 200, in den meisten Fällen geht 11-Personnel in der NFL heute mit der Shotgun-Formation einher.