Man mag von all dem Drama halten, was man will. Der Weg, den Bell für die Saison 2018 eingeschlagen hat, ist ein höchstinteressanter. Der Running Back wollte zum bestbezahlten Spieler auf seiner Position in der gesamten Liga aufsteigen und vor allen Dingen einen langfristigen Vertrag mit vielen Garantien erhalten. Eine sehr gute Offerte der Steelers lehnte er in Erwartung eines noch besseren Deals sogar ab.
Dann statteten die Los Angeles Rams in der vergangenen Offseason Todd Gurley mit einem Wahnsinns-Kontrakt aus und die Augen sowie die Forderungen Bells und die seines Beraters, Adisa Bakari, wurden nur noch größer. Die Steelers und der Running Back konnten sich nicht auf Zahlen einigen, die den Wünschen der beiden Parteien annähernd entsprachen und so wollte das Team Bell via Franchise Tag für ein weiteres Jahr teuer binden.
Der Running Back jedoch weigerte sich, den Kontrakt zu unterschreiben - und nahm dafür finanzielle Einbußen in zweistelliger Millionenhöhe in Kauf. In Zahlen waren es stattliche 14,5 Millionen Dollar, die Bell schlussendlich auf dem Tisch hat liegen lassen. Zu groß war das Verletzungs- und Abnutzungsrisiko als einer der am häufigsten verwendeten Backs der Liga. "Es stinkt, nicht Football spielen zu können", sagte Bell im Oktober. "Aber ich muss das jetzt durchziehen. Ich kenne meinen Wert und weiß, dass ich mich jederzeit verletzen könnte."
Nun, nach 13 Monaten ohne auf dem Football-Feld gestanden zu haben und mit zahlreichen Schlagzeilen und Social-Media-Auftritten, die Team-Besitzer abschrecken könnten, ist er für Verhandlungen mit 31 Teams, verteilt über das gesamte Land, bereit. Bereit für ein Angebot, welches man ihm in Pittsburgh nicht machen wollte. Doch wird es ihm überhaupt ein anderes Team machen?
Le'Veon Bell: Effizient trotz hoher Nutzungsrate
Es fiel leicht, sich vom Spiel Bells in all seinen Jahren seiner NFL-Karriere begeistern zu lassen. Ein physisch überragend gebauter Back mit hervorragenden Receiving-Fähigkeiten, großartigen Bewegungen auf engem Raum und einer tollen Endgeschwindigkeit. Bell produzierte Highlights durch physische Plays, genau wie durch seine Technik. Und die Steelers ließen ihn gerne arbeiten, nutzten ihren Running Back in Raten wie kaum ein anderes Team.
Jahr für Jahr stimmten die Statistiken des vielseitigen Backs. In drei der vier Spielzeiten, in denen Bell mindestens 12 Spiele absolvierte, lief er für mindestens 4,0 Yards pro Laufversuch und schloss dabei stets in den Top 5 nach Football Outsiders' Defense-adjusted Yards Above Replacement ab. Er war einer der wenigen Running Backs, die in den Spielzeiten 2016 und 2017 trotz ihrer hohen Einsatzrate effizient produzieren konnten und belegte in diesem Zeitraum Platz 7 nach Expected Points added per Target.
Bell wusste seinen Laufstil schon früh an die Gegebenheiten in Pittsburghs Gap-Run-Scheme anzupassen und entwickelte einen teils aufreizend geduldigen Ansatz. Er verzichtete nach dem Handoff nahezu komplett auf Tempo, um solange auf den Moment zu warten, in dem er die ideale Lücke erkannte, um dann explosiv in die zweite Ebene zu gelangen.
Sowie Bells Spiel hinter kaum einer anderen Offensive Line derartig hätte florieren können wie in Pittsburgh, so sind die Details in seinem Spiel der ideale Weg gewesen, diese zu ergänzen und zu nutzen. Bells Instinkte und seine Auffassungsgabe haben es ihm in fünf Jahren bei den Steelers erlaubt, zumeist die richtigen Entscheidungen zu treffen, um sich in die Ausgangslagen zu setzen, in der seine physischen Voraussetzungen und sein Talent ihn dann zu einem Elite-Level-Spieler auf seiner Position machten.
Jet Ski, Rap Album und Gewichtsprobleme: Bell stets in den Schlagzeilen
Wie so häufig ist es aber nicht ausschließlich das sportliche Bild, welches einen Skill-Position-Spieler in der NFL definiert. Neben verpassten Spielen aufgrund von schwereren Verletzungen wie einem Innenbandriss und anhaltenden Leistenproblemen wurde Bell schon zweimal von der NFL gesperrt. Einmal wegen Marijuana-Besitz und einmal wegen Fahrens unter Einfluss verbotener Substanzen.
Bell liebt es, seinen Superstar-Status in der Öffentlichkeit auszuleben und nutzt die Kommunikationsmöglichkeiten der sozialen Medien in Maßen wie kaum ein anderer Spieler. Zum Leidwesen der Steelers auch gerne in extrem forscher Manier und für Aussagen, die in Zeiten der vereinsgesteuerten Medienkommunikation für gehörige Bauchschmerzen sorgten. So nahm er auch in der Vorsaison kein Blatt vor den Mund, als er Gerüchte über mögliche Zukunftsdestinationen gerne kommentierte, obwohl er eigentlich noch an Pittsburgh gebunden war.
Fotos, die Bell beim Jet-Ski fahren oder anderweitigen nicht unriskanten Aktivitäten zeigten, die Veröffentlichung eines Rap-Albums oder Gerüchte um eine Gewichtszunahme von über 15 Kilogramm. Der Superstar schaffte es auch in einer footballfreien Saison, sich im Wochentakt prominent in den Medien zu platzieren. Ob Bell sich damit einen Gefallen getan hat?
Pittsburgh Steelers: "Le'Veon wird Free Agent"
Die Steelers hatten schlussendlich jedenfalls genug und lassen die am 5. März ablaufende Frist für einen in den Medien gehandelten Transition Tag für Bell verstreichen. "Le'Veon ist ein großartiger Spieler", sagte Geschäftsführer Kevin Colbert am vergangenen Mittwoch gegenüber ESPN. "Wir können es uns nicht erlauben, eine andere Art Tag zu verwenden. Le'Veon wird zum Start der neuen Saison ein Unrestricted Free Agent."
Worte, die Bell seit Langem sehnlichst erwartete. Doch sollten für ihn nun erst recht schwierige Zeiten beginnen. Welches Team, das Bedarf auf der Running-Back-Position, genügend Cap-Space und ein passendes Run-Scheme vorzuweisen hat, ist dazu bereit, Bell den gewünscht hochdotierten Vertrag anzubieten? Welches Team ist dazu bereit, Bell, nach dessen fragwürdigem Verhalten in der Öffentlichkeit und gegenüber dem Team zu verpflichten? Und welchen Einfluss wird die fantastische Saison James Conners haben, der Bell nahezu nahtlos ersetzen zu können schien?
Letztere ist vielleicht die ausschlaggebende Frage. Die NFL reagiert oftmals auf Trends und Erkenntnisse aus aktuellen Entwicklungen. Und die Entwicklung um den eingangs erwähnten Todd Gurley dient vielleicht als Paradebeispiel, Bell eben nicht das gewünschte Salär zu bieten.
Welche Auswirkungen hat der Fall Todd Gurley?
Gurley erhielt in L.A. einen Rekordvertrag für einen Running Back in Höhe von 60 Millionen Dollar und Garantien von 45 Millionen, nachdem er in seinen ersten drei Jahren in der Liga genug produziert hatte, um die Rams von einem derartigen Investment zu überzeugen. Eine Marke, die Bell in seinen Verhandlungen mit den Steelers unbedingt überbieten wollte.
Nun könnte eben jener Vertrag gegen Bell verwendet werden. Nachdem Gurley nämlich über 15 Spiele weiter überragende Statistiken aufbot, holten die Rams einen leicht übergewichtigen C.J. Anderson von der Straße, um eine Verletzung Gurleys zu überbrücken. Anderson, der zuvor im Laufe der Saison von zwei Teams entlassen wurde, schockte die NFL, als er hinter einer überragend blockenden Offensive Line Zahlen auflegte, die Gurleys in nichts nachstanden.
In den Playoffs bestätigte Anderson seine Produktion und schien Gurley, dem anschließend weiterhin Probleme mit dem Knie nachgesagt wurden, sogar verdrängt zu haben. Wieder einmal war die große Debatte um den Wert der Running-Back-Position eröffnet. Diesmal allerdings war es zum Leidwesen des prominentesten aller möglichen Opfer: dem bestbezahlten Running Back der Liga.
Colts, Texans, Jets: Wo landet Bell?
Mehrere Teams werden als potenzielle Kandidaten für ein vorstellbares Angebot für Bell gehandelt. In erster Linie sind es diejenigen, deren Cap-Situation ein solches zunächst problemlos erlaubt. So würde Bell bei den Colts, mit denen er sich selbst in Verbindung brachte, direkt bei einem Playoff-Team landen. Indy hat den größten Cap Space aller Teams und mit Frank Reich einen Coach, der bewiesen hat, Backs auf verschiedene Art und Weise einsetzen zu können.
Auch die Texans sind einer der Kandidaten, bei denen Bell sofort um die Playoffs spielen würde. Auch Houston ist selbst bei einer Verlängerung mit Jadeveon Clowney noch in einer formidablen Cap-Situation, um sich Bell leisten zu können. Houston griff im Playcalling so häufig wie kaum ein anderes Team zu Bells Paradedisziplin, Outside Zone, zurück, doch hat das Team große Baustellen in der Offensive Line.
Weiterer Kandidat sind die New York Jets, die nach Over the Cap wie Indianapolis über 100 Millionen Dollar an Cap Space zur Verfügung haben. Es ist davon auszugehen, dass New York unter dem neuen Head Coach Adam Gase Wege schaffen will, um Sam Darnold nach dessen durchwachsener Rookie-Saison zu entlasten. Die Jets haben eigentlich jedoch genug andere Baustellen, bevor man in einen Back investieren sollte.
Packers und Ravens mit Außenseiterchancen
Auch die Green Bay Packers und die Baltimore Ravens haben genügend Beweggründe und ausreichend Cap Space, um einen Angriff auf Bell wagen zu können. Packers-Head-Coach Matt LaFleur könnte die Parallelen zu Gurley erkennen, welcher ein so großer Part der Rams-Offense gewesen ist, in der er unter Sean McVay arbeitete. Die Ravens hingegen haben sich zum Running Game bekannt und die Möglichkeit, zweimal im Jahr gegen Pittsburgh zu spielen, auf ihrer Seite.
Welches dieser Teams sich auch immer zu diesem Risiko-Investment hinreißen lässt, es muss sich mit all den sensiblen Fragen beschäftigen, die die Personalie Bell umgeben. Dass es mindestens ein Team gibt, welches zu große Chancen durch den Superstar-Status Bells erkennt, als dass es sich von eben jenen Fragen abhalten lässt, davon ist auszugehen.
Schlussendlich könnte sich Bell jedoch schnell als der Luxus herausstellen, dessen Vertrag für das Team schnell zu einer schwer überbrückbaren Barriere wird.