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Mit dem Ende der NFL-Saison steht der fließende Übergang in die Offseason bevor. Die Free Agency mit all ihren möglichen Szenarien wirft genauso ihre Schatten voraus wie der Draft, dessen erste Ausläufer - die allseits beliebten Mock Drafts - bereits zahlreich die Runde machen.
Doch für NFL-Coaches beginnt jetzt eine ganz andere Zeit des Jahres. Es geht darum, Playbooks anzupassen und mancherorts zu entwickeln. Darum, Trends richtig zu deuten und für sich abzuwägen, welche Aspekte langfristig nicht nur eine Zukunft haben, sondern genutzt und ausgebaut werden müssen.
Kurzum: Es geht darum, die vergangene Saison unter die Lupe zu nehmen. Welche Aspekte waren prägend und dominant? Welche grundsätzlichen Schemes bestimmen die Liga? Was lässt sich aus dem Super Bowl mitnehmen und was werden wir in der kommenden Saison noch häufiger zu sehen bekommen?
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt in der Saison-Abschluss-Kolumne auf seine Tape-Notizen, Statistiken und Trends der vergangenen Saison.
1. Play Action: Die Shanahan Offense und der McVay-Hype
Sean McVay ist ein außergewöhnlicher Coach, daran besteht kein Zweifel. Das betrifft ohne Frage seine Art der Team-Führung und der Kommunikation, die unisono in Los Angeles jeder herausstellt. McVay ist nicht einfach ein Taktiker, er ist ein Head Coach. Und auch wenn er im Super Bowl zum wiederholten Male keinen vernünftigen Plan B parat hatte, betrifft es natürlich auch seine taktischen Konzepte und seine Play-Designs.
Die Play-Action-Konzepte und Formationen der Rams sowie die daraus resultierende Effizienz sind einer der zentralen Takeaways dieser Saison. Von allen Quarterbacks mit mindestens 250 Dropbacks warf keiner prozentual so viele Play-Action-Pässe wie Jared Goff (34,6 Prozent), keiner hatte mehr Touchdowns via Play Action (13) und seine 2,5 Yards pro PA-Pass mehr verglichen mit seinen restlichen Pässen waren der fünftbeste Wert. Play Action macht dem Quarterback die Arbeit generell einfacher, hier dürften nach dieser Saison umso mehr einige Teams deutlich nach oben gehen.
Dabei lohnten sich für die Rams zwei Dinge ganz besonders: First-Down-Passing aus Play Action sowie die Formationen in McVays Offense. Kaum ein Quarterback war in der vergangenen Saison bei First Down gefährlicher als Jared Goff, der Grund dafür liegt im Play-Action-Passspiel. Defenses behandeln First Down noch immer häufiger als Run Down, man erhält hier also mehr Base-Formationen und Base-Personnel.
Die Rams straften das mit einem unheimlich effizienten First-Down-Passspiel, was umgekehrt Gurley mehr Runs gegen eine leichte Box (sieben oder weniger Spieler) bescherte, als irgendein anderer Starting-RB in der vergangenen Saison hatte. Defenses wussten schlicht nicht, was die Rams bei First Down machen. Deshalb hat Belichick im Super Bowl vor allem bei Early Downs seine Defense auf Cover-4 umgestellt, das verhinderte das vertikale Rams-Passing-Game bei First Down und öffnete den Weg für die Blitz-Pakete bei längeren Third Downs.
Der zweite Punkt, um schwer ausrechenbar zu bleiben, waren die Formationen. Die Rams-Offense funktionierte nahezu ausschließlich aus 11-Personnel mit engen Aufstellungen - woraus die Spielzüge dann für die Defense sehr ähnlich aussahen, vor, aber auch noch in den ersten Momenten nach dem Snap. Teams werden diese Rams-Elemente mutmaßlich nicht in dem Ausmaß übernehmen, wie die Rams sie genutzt haben - Teile davon werden aber 2019 fraglos auch anderswo zu beobachten sein.
Die McVay Prägung: Die West Coast Offense
Das führt zu McVays Prägung und einem zentralen Grund dafür, dass der erst 33-Jährige bereits einen beachtlichen Coaching-Tree vorweisen kann. McVay stammt aus der Offense von Mike und anschließend Kyle Shanahan. Eine West Coast Offense mit klarem Fokus auf das Zone Blocking, welches die Basis für das Play Action Game bildet.
Das ist das offensive Grund-Scheme, das viele Teams übernehmen wollen. Deshalb waren auch mehrere Assistenten von Kyle Shanahan begehrt, Shanahans bisheriger QB-Coach ist jetzt der Offensive Coordinator in Denver und anderen Assistenten verweigerten die Niners Interviews. Deshalb ist auch die Nachfrage nach den McVay-Assistenten so hoch.
Blickt man bei der Rams-Offense über das Play-Action-Element hinaus, dann bleibt vor allem eine Sache im Gedächtnis: McVay arbeitet wahnsinnig viel mit kurzen und mit tiefen Crossing-Routes, darunter einige Musterbeispiele für die West Coast Offense. Auch die Kansas City Chiefs unter Andy Reid haben hier ihre Basis.
Was man dann darauf aufbauend macht, kann natürlich variieren. Ob man viel auf die Formationen selbst aufbaut wie McVay, oder viele Misdirection- und Ablenkungs-Elemente einbaut wie Reid, oder den Fullback als Matchup-Waffe nutzt wie Shanahan - diese Offenses können sehr unterschiedlich aussehen, die Basis aber ist sehr ähnlich.
Shanahan hat bereits in Atlanta seinen Fullback ungewöhnlich häufig und vielseitig eingesetzt, und wie bereits mehrfach in den vergangenen Jahren nutzten nur die Patriots 21-Personnel - also Formationen mit zwei Backs gleichzeitig auf dem Feld - ähnlich häufig wie Shanahan.
Die Vorteile hieraus sind vielseitig: Die Offense erhöht die Chance, eine Base-Defense als Antwort zu bekommen, was die Defense nicht nur vorhersehbarer, sondern auch die Reads für den Quarterback und das Forcieren von Matchups für die Offense insgesamt einfacher zu machen.
Umso mehr, wenn mit Motion und No-Huddle gearbeitet werden kann, so dass der Fullback tatsächlich als Matchup-Waffe eingesetzt werden kann. Dieser 50-Yard-Pass auf Kyle Juszczyk beim Saison-Auftakt in Minnesota zeigte das eindrucksvoll. Der Fullback ging via Motion nach außen, aus dem Play-Action-Fake heraus verlor die Secondary ihn in Coverage aus den Augen.
Hier hatte ich erwartet, dass wir schon dieses Jahr mehr Teams sehen würden, die dieses Mittel kopieren. Nach dem Erfolg der Patriots mit James Develin auf dem Feld in dieser Saison und insbesondere in den Playoffs sollte das nächstes Jahr ein größeres Thema werden.
2. Ablenkung ist Trumpf
Entfernt man sich etwas von übergreifenden Schemes und grundlegenden Strukturen, dann stechen mit Blick auf diese Saison die Play-Designs ins Auge. Ob Run Pass Options, Play Action, Jet Motion, angetäuschte Screens oder natürlich die Ravens, die mit Lamar Jackson von einem Tag auf den anderen zu einer Zone-Read-Offense wurden - Offenses haben in der vergangenen Saison gezeigt, wie sie Defenses das Leben schwer machen können.
Die Chiefs waren hier was Play-Designs angeht die Nummer eins. Ob Misdirection-Plays aus einem doppelt besetzten Backfield zu Tyreek Hill, um dessen Geschwindigkeit in den freien Raum zu bekommen, Triple Option Plays, eine Vielzahl an Motion-Paketen und Screen-Designs - die Chiefs hatten die Play-Designs mit den meisten eingebauten Ablenkungen und Fake-Elementen.
Und diese, das machte sie erst so richtig effizient, bauten häufig auch aufeinander auf. Wie hier im Spiel gegen die Rams beim Pass zu Tight End Travis Kelce über die Mitte. Die Chiefs haben dabei gleich zwei angetäuschte Screens eingebaut, und Defenses müssen die aufgrund des Designs und aufgrund der Gefahr, die insbesondere Tyreek Hill in diesen Plays ausstrahlt, respektieren.
Das öffnet die Mitte des Feldes komplett, und weil sich Kelce aus dem vermeintlichen Screen-Block löst und Richtung Mitte zieht, hat er hier mehrere Yards vor sich, ehe er überhaupt ersten Gegnerkontakt hat.
Diese und ähnliche Designs lassen sich auf jedem Chiefs-Tape finden, und auch hier werden sich Teams einige Designs abschauen. Insbesondere im Screen Game haben viele Teams noch Nachholbedarf.
Wo die Chiefs mit vielen sich bewegenden Elementen arbeiteten, waren die Saints vielseitiger als irgendein anderes Team, wenn es darum ging, der Defense möglichst viele verschiedene Formationen zu zeigen. In der Hinsicht war New Orleans gewissermaßen das Gegenteil zu den Rams - beide Wege können zum Erfolg führen.
Alle Top-Offenses der vergangenen Saison - die Rams, Saints, Patriots, Chiefs und Chargers - nutzten derweil den Jet Sweep, er war so etwas wie das ligaweit dominierende "neue" Stilmittel der vergangenen Saison.
Insbesondere die Rams waren hieraus im Run Game äußerst effizient, bauten aber auch ihr Play Action Game hierauf auf.
All das resultierte in offensiver Dominanz. 2016 warfen laut Next Gen Stats noch 17 Quarterbacks (Minimum: 150 Dropbacks) 20 Prozent oder mehr Pässe in enge Fenster, also wenn der Verteidiger maximal ein Yard entfernt ist. Die Zahl fiel bereits 2017 auf neun Quarterbacks - und vergangene Saison dann auf vier (Rosen, Driskel, Fitzpatrick und Winston).
Teams finden mehr und mehr Wege, um klar definierte Reads, offene Receiver und einfache Completions über das Scheme zu erreichen.