Seit über einem Jahrzehnt steht und fällt alles bei den Green Bay Packers mit Quarterback Aaron Rodgers. Sein Genie allein sorgte für zahlreiche Highlight-Reel-Plays; man denke an die Hail Marys oder das komplett improvisierte Play in den Playoffs 2016 gegen die Cowboys, als Rodgers letztlich Jared Cook für einen 25-Yard-Catch an der Seitenlinie fand.
Rodgers' Brillanz war es, die Green Bay über Jahre sportlich am Leben gehalten hat. Doch die Schattenseite dieser Höhepunkte war eben auch, dass sich die Tendenz bemerkbar machte, dass gerade Rodgers das Zutrauen in seinen Head Coach und dessen Game Plan verlor. Gerade in den letzten Jahren kam es nicht selten vor, dass Rodgers vielmehr Spielzüge vom Tisch wischte und "sein Ding" machte.
Häufig sah man Rodgers, wie er wild gestikulierend seine Receiver-Kollegen an die richtige Stelle lotste, um dann erst die Pässe zu werfen. Das sah spektakulär aus und ist sicherlich auch mal ganz hilfreich. Aus der Struktur auszubrechen ist schließlich für viele Quarterbacks gerade in der heutigen Zeit ein durchaus gern gesehenes Stilmittel, um einen Gegner zu überraschen. Zur Gewohnheit werden oder gar überhand nehmen sollte es jedoch nicht.
Und so wird es die Hauptaufgabe vom neuen Head Coach der Packers, Matt LaFleur, sein, wieder mehr Linie in diese Offense zu bringen. Mehr noch: Eine komplett neue Offense aufzubauen, hinter der Rodgers steht und die ihn organisch glänzen lässt. Und das, ohne dass er dafür weiterhin überwiegend "sein Ding" machen muss.
Green Bay Packers: Fokus liegt auf dem Laufspiel
Wie das gehen soll? LaFleur machte zumindest Andeutungen am Rande der Combine und zum Start der Offseason-Workouts. Wichtig sei ihm dabei vor allem eine Facette des Offensiv-Spiels: der Lauf!
"Ich denke, wir wollen unsere Offense wirklich durch das Laufspiel aufbauen. Das nimmt viel Druck vom Quarterback. Und wenn wir bei First und Second Down eine positive Balance erzielen können, wäre das ein Vorteil für die gesamte Offense. Also ist das, das was wir tun wollen."
Damit aber nicht genug, denn wie in anderen erfolgreichen Teams - nehmen wir die Patriots oder Rams, bei denen LaFleurs früherer Weggefährte Sean McVay das Heft in der Hand hat - setzt LaFleur auf identische Looks: "Wir wollen Plays haben, die anfangs genau gleich aussehen, dann aber komplett verschieden verlaufen. Das versuchen wir hier zu erreichen."
Für die Packers dürfte dabei allein schon der neue Fokus aufs Laufspiel ein Kulturschock sein, denn während Rodgers im Vorjahr 597 Mal den Ball warf - der zweithöchste Wert seiner Karriere - lief kein Team seltener als Green Bay. LaFleurs Titans-Offense hingegen lief prozentual häufiger als 30 andere Teams der Liga!
Die Offense der Packers: Das Gerüst steht
Positiv ist aus LaFleurs Sicht allerdings, dass die Grundvoraussetzungen für seine Wunsch-Offense bereits vorhanden sind. Die Offensive Line verfügt über etablierte und bewährte Starter, während mit Aaron Jones und Jamaal Williams zwei fähige Running Backs im Team stehen. Die Packers ihrerseits kamen als Team im Vorjahr im Schnitt auf 5 Yards pro Carry - zweitbester Wert der Liga. Und LaFleur und Offensive Line Coach Adam Stenavich werden überdies auf ein Zone-Blocking-Scheme setzen, das sich in der NFL schon vielerorts als effektiv erwiesen hat.
Will sagen: Oberflächlich betrachtet sind die Packers zumindest offensiv gut aufgestellt für bessere Zeiten. Insofern kann der Fokus im Draft vor allem auf die Defensive gelegt werden, die zuletzt schon via Free Agency namhaft ergänzt wurde. Eine variable aber bleibt noch bestehen: der Quarterback.
Auch wenn Daniel Jeremiah vom NFL Network in seinem letzten Mock Draft für viele überraschend Drew Lock zu den Cheeseheads manövriert hat, sollte Aaron Rodgers' Position keineswegs infrage stehen - man denke nur an seinen massiven Vertrag!
Aber wie wird er sich geben? Wird er den neuen Head Coach akzeptieren, nachdem er bereits dessen Vorgänger Mike McCarthy, der immerhin 13 Jahre meist erfolgreich im Amt war, essenziell mit in Richtung Tür manövriert hatte?
Die in den vergangenen Wochen aufgekommene Kritik an Rodgers und dessen Charakter in Form einiger bissiger Artikel und Zeitzeugenaussagen, wie die von Wide Receiver Greg Jennings, ließen tief blicken. Auch wenn Rodgers die Kritik als "Schmierattacken" abtat, dürfte zumindest ein Fünkchen Wahrheit vorhanden sein. Heißt: Rodgers könnte zum Problem werden. Für den neuen Coach. Für das gesamte Team.
Packers 2019: Nur Rodgers und Crosby vom Super Bowl übrig
Und so ist es obligatorisch, dass gerade Rodgers LaFleur trotz dessen mangelnder Erfahrung und Reputation eine Chance gibt und sich vielleicht sogar demonstrativ hinter ihn stellt. Tut er dies, werden die Kollegen sicher folgen. Rodgers ist schließlich das Alphatier in diesem Team, daran besteht kein Zweifel. Sind er und Kicker Mason Crosby doch die einzigen "Überlebenden" des jüngsten Super-Bowl-Erfolgs der Packers 2010.
Teampräsident Mark Murphy fasste es gut zusammen, als er kürzlich sagte: "Sei nicht das Problem", ohne jemanden direkt adressiert zu haben - oder zumindest nicht Rodgers öffentlich beim Namen nannte.
Der neue Weg der Packers mit einer aggressiveren Free-Agent-Politik, einem neuen, unverbrauchten Head Coach und dessen neuem System hat vor allem ein Motiv: Die letzten guten Jahre des vielleicht begabtesten Quarterbacks dieser Generation - Rodgers wird Ende des Jahres bereits 36 Jahre alt sein - bestmöglich zu maximieren und nochmal richtig anzugreifen.
Die zentrale Frage bei diesem Vorhaben wird aber sein: Wird eben jener da mitspielen, sein Ego in den Griff bekommen und sich dem großen und Ganzen unterordnen? Aaron Rodgers allein muss darauf die Antwort geben und zeigen, wo die Reise hingeht.