Arizona und die Air Raid Offense - Sieht so die NFL-Revolution aus?

Von Adrian Franke
02. Juli 201909:35
Kliff Kingsbury und die Arizona Cardinals könnten eine neue Offense-Ära in der NFL einleiten.getty
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Steht die NFL vor einer Offense-Revolution? Über die vergangenen Jahre haben Air-Raid-Elemente zunehmend Einzug in die NFL erhalten, vorläufig gekrönt durch die herausragende Saison von Patrick Mahomes. Die Arizona Cardinals könnten diese Entwicklung noch einen Schritt weiter vorantreiben - und womöglich die Air Raid Offense endgültig in der NFL salonfähig machen. Aber was genau bedeutet das eigentlich?

Die Cardinals haben seit dem Ende der vergangenen Saison zwei gravierende Entscheidungen getroffen, die für sich betrachtet, aber ganz besonders in der Kombination, eine neue offensive Denkweise in der NFL signifikant vorantreiben könnten - die Air Raid Offense ist drauf und dran, in der NFL salonfähig zu werden; eine Aussage, die vor zehn Jahren nahezu undenkbar schien.

Die erste Entscheidung war die für Kliff Kingsbury. Die Cardinals hatten Steve Wilks - ein defensiv geprägter Coach, der seinen Offensive Coordinator Mike McCoy bereits während der Saison gefeuert hatte - nach nur einem Jahr entlassen und wollten den anderen Weg gehen; sie wollten eine 180-Grad-Drehung hinlegen und ihr Glück bei der Suche nach dem nächsten jungen Offensiv-Coach versuchen.

Dieser Offensiv-Coach war Kliff Kingsbury, der einige Monate zuvor bei Texas Tech entlassen worden war und was NFL-Vorerfahrung angeht ein relativ unbeschriebenes Blatt ist. Die New York Jets waren ebenfalls interessiert, das Medienecho nach der Verpflichtung war durchaus gespalten. Nicht wenige fragen sich, ob Arizona mit Kingsbury, der Tech mit einer negativen Bilanz verlassen hatte, nicht zu sehr ins Extrem gegangen sei.

Doch waren die Cardinals noch nicht fertig: Mit dem ersten Pick im Draft wählte Arizona Kyler Murray; der kleinste Quarterback, der jemals mit dem First-Overall-Pick ausgewählt wurde und der vor vier Monaten noch scheinbar seine Entscheidung für den Profi-Baseball und gegen die NFL getroffen hatte. Und für den man Josh Rosen aufgeben und zum Discount-Preis nach Miami traden musste.

Es ist auch der Wunsch-Quarterback von Kingsbury, der tief in der Air Raid Offense verwurzelt ist und Murray bereits vor Jahren aus der High School rekrutieren wollte. Und es wirft die Frage auf: Ist Arizona bei dem bereits jetzt radikalen Versuch, sich an die Spitze des offensiven Trends zu setzen, ein zu hohes Risiko eingegangen? Oder könnten die Cardinals die Speerspitze einer neuen offensiven Denkweise in der NFL werden?

Was ist die Air Raid Offense?

Der Name verrät bereits, was Air-Raid-Coaches vorhaben: In der Air Raid geht es vor allem darum, den Ball zu werfen. 60 bis teilweise 80 (!) Prozent der Offense-Plays sind Pässe und der Quarterback hat zudem vergleichsweise große Freiheiten an der Line of Scrimmage, um Play-Calls zu verändern.

Der Quarterback steht meist in der Shotgun-Formation - also einige Yards hinter dem Center beim Snap - mit vier Wide Receivern (je nach Coach auch häufiger drei Receiver und ein Tight End) in einer bevorzugt breit angelegten Formation. Der Running Back bewegt sich nicht selten ebenfalls noch in eine Receiver-Position, um "5-Wide"-Formationen zu kreieren. Ergänzt werden diese Spread-Formationen gerne mit einem No-Huddle-Ansatz, um der Defense das Reagieren noch zu erschweren und die Reads des Quarterbacks zu vereinfachen.

In der Summe soll die Defense in die Breite und in die Länge gezogen werden; horizontale Route-Kombinationen sind gewissermaßen der Kern der Offense ("Throw the Ball short to People who can score"), mit meist aber zumindest einer vertikalen Komponente mit eingebaut. Die Defense soll gezwungen werden, möglichst das gesamte Feld verteidigen zu müssen.

Hal Mumme, die Air Raid und ihre Verbreitung

Wie so viele neue Ideen in der NFL entstand auch die Air Raid Offense in gewisser Weise aus dem Mut der Verzweiflung.

In den späten 80er Jahren fand sich Hal Mumme nach seiner Entlassung als Offensive Coordinator bei UTEP plötzlich auf dem High-School-Level in Texas wieder. High School Football in Texas ist ein umkämpftes Terrain, und bei Copperas Cove hatte Mumme nicht ansatzweise die Mittel, um mit den Top-Athleten anderer High Schools in seiner Region mithalten zu können.

Also machte er sich auf die Suche nach Alternativen - und er fand sie im Passing Game. Stark geprägt durch BYU-Coach LaVell Edwards entwarf Mumme in einer Zeit, in der gemeinhin das Run Game dominierte, eine Offense, die auf das Passing Game setzte. Mumme sah hier die Möglichkeit für mehr Kreativität, um den physischen Nachteil seines Teams auszugleichen, und auch wenn die Ergebnisse längst nicht nur positiv waren: seine radikale Vorgehensweise blieb nicht unbemerkt.

Mumme war schnell zurück im College Football und wurde immer aggressiver mit seiner Philosophie, die heute als "Air Raid" bezeichnet wird. Anfang der 90er Jahre führte er Iowa Wesleyan zur ersten Playoff-Teilnahme der Schule, seine drei Teams bei Iowa Wesleyan waren allesamt in der Top-3 was Passing-Offense angeht.

Mike Leach: Die Air Raid als Philosophie

Mumme gelang es auf der größeren College-Bühne sportlich nie, nachhaltig erfolgreich zu sein. Doch seine Ideen für das Passspiel scheinen mit der Zeit nur prägender zu werden und sich weiter zu verbreiten, weiterentwickelt durch seine ehemaligen Schüler und von ihm beeinflusste Coaches: Sonny Dykes bei Cal und jetzt bei SMU, Art Briles bis zu seiner skandalösen Entlassung bei Baylor, Dana Holgorsen bei West Virginia - und allen voran Mike Leach, inzwischen bei Washington State.

Leach war ein früher Wegbegleiter von Mumme und lernte bereits bei Iowa Wesleyan unter ihm. Er führte - nachdem er in Kentucky mit seiner Offense Tim Couch zum Nummer-1-Overall-Pick gemacht hatte - die Air Raid bei Texas Tech ein, um mit den großen Schulen von Texas und Oklahoma, die im Recruiting von High-School-Spielern gegenüber Texas Tech klar im Vorteil sind, mithalten zu können.

Und seine beiden heute wohl bekanntesten Schüler - Kingsbury sowie Oklahomas Head Coach Lincoln Riley - könnten zwei der prägenden Figuren in der weiteren Geschichte der Air Raid sein.

Mike Leachs Run-Pass-Ratio bei Washington State:

Jahr2012201320142015201620172018
Pass Play Percentage (in Prozent)74,176,677,173,565,671,770,3
College-Rang Passing-Anteil1111111

Natürlich gibt es einige zentrale Plays der Air Raid Offense; Plays, die man immer wieder sieht, wenn man sich mit der Air Raid beschäftigt. Im Kern aber ist die Air Raid eine generelle Herangehensweise.

Graham Harrell, der unter Leach bei Texas Tech spielte und jüngst den Offensive Coordinator Posten bei USC übernahm, den Kingsbury nach sehr kurzer Zeit für die NFL-Chance wieder geräumt hatte, betonte jüngst, dass "die Air Raid Offense mehr eine Philosophie als die tatsächlichen Play Designs" beschreibt.

Kingsbury und Riley selbst bestätigen das. Beide setzen auf einige zentrale Elemente der Air Raid wie Spread-Formationen, klare Reads für den Quarterback, Tempo und zumindest im Fall von Kingsbury auch eine Passlastigkeit; Riley ist hier bei Oklahoma schon deutlich ausbalancierter.

Die Basis Plays der Air Raid Offense: Four Verts

Aber welches wären die Plays der Air Raid, die man in diesen Offenses immer wieder entdeckt? Eine Handvoll Plays fallen auch in den verschiedenen Auslegungen und Varianten immer wieder auf.

Eines der Plays, das am intensivsten mit der Air Raid Offense in Verbindung gebracht wird, ist "Four Verticals".

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Jeder Madden-Spieler kennt das Konzept - vor allem um eine Defense tief anzugreifen, und das auch gerne mal ein wenig häufiger. Das ist auch das primäre Ziel des Plays, doch hat das Play deutlich mehr Nuancen, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Am besten hat das wohl Chris Brown von SmartFootball mal beschrieben: Four Verts bedeutet nicht, dass man einfach vertikal Richtung Endzone läuft - es bedeutet, dass man zwar in seiner vertikalen Bahn bleibt, darin aber jede Gelegenheit suchen und nutzen soll, um sich frei zu laufen. Deshalb können aus einem "Four Verticals"-Play-Call häufig Pässe in der Mid-Range entstehen, falls der Cornerback oder Safety primär den tiefen Pass verhindern will.

So lässt auch Leach das Play spielen. Jeder Receiver erhält gewisse Benchmarks, also Bereiche auf dem Feld, die er in einer gewissen Zeit erreichen soll. Welchen dieser Spots der Receiver aber nutzt, um sich frei zu laufen und vielleicht zu stoppen und sich zum Quarterback zurück zu drehen, ist flexibel und letztlich ihm selbst überlassen.

Die Basis Plays der Air Raid Offense: Mesh

Vielleicht noch vor "Four Verticals" steht ein anderes Konzept wie wohl kein anderes für die Air Raid Offense: Das "Mesh"-Konzept.

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Wenn man das Ziel hat, aus verschiedenen Formationen das gleiche Play umzusetzen, Defenses dabei in die Breite zu ziehen, den Ball schnell aus der Hand des Quarterbacks zu bekommen und Yards nach dem Catch zu kreieren (wer hier unweigerlich an die Patriots denkt, ist auf dem exakt richtigen Weg), der ist bei "Mesh" bestens aufgehoben.

Football-Historiker sehen im Mesh-Play eine Art Hybrid aus der Air Raid und der West Coast Offense, mit den Elementen "Timing" und "Kurzpassspiel" aus Bill Walshs West Coast Offense, kombiniert mit dem Wunsch der Air-Raid-Coaches, einfache Play-Designs zu entwerfen, die dennoch nachhaltig schwer zu verteidigen sind, die eine Defense in die Breite ziehen und dem Quarterback die Arbeit erleichtern.

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Das Beispiel hier stammt direkt aus dem Sooners-Playbook der vergangenen Saison. Kyler Murray erkennt dabei die Man Coverage und weiß genau, wo der Rub-Effekt funktionieren wird. Weil im Mesh-Konzept zwei Receiver Underneath aufeinander zu- und dann nur um wenige Zentimeter aneinander vorbeilaufen, müssen Verteidiger in Man Coverage um einen Mitspieler herum navigieren. Das reicht meist schon, um das Passfenster zu öffnen.

42 Mal spielte Oklahoma in der vergangenen Saison eine Variante des Mesh-Konzepts, es war mit Abstand der am häufigsten eingesetzte Dropback-Pass der Sooners. Murray brachte 68 Prozent dieser Pässe für elf Yards pro Pass an, insbesondere bei Third Down - wie auch im Clip hier - ging Coach Lincoln Riley gerne zu einem seiner Basis-Plays.

Und das beschreibt "Mesh" wohl am besten: Es ist eines der Basis-Plays in der Air Raid Offense. Ob Mike Leach, Lincoln Riley - oder eben auch Kliff Kingsbury. Sie alle nutzen dieses Konzept in diversen Varianten mit großer Vorliebe.

Die Basis Plays der Air Raid Offense: X-Shallow

Ein drittes Konzept, das ebenfalls verschiedene Air-Raid-Auslegungen vereint, sind diverse Varianten aufbauend auf "Shallow"-Routes.

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Eine "Shallow"-Route beschreibt zunächst einmal einfach eine Route, bei der der Receiver einen Schritt nach vorne macht und dann horizontal das Feld überquert; auf der Suche nach einer Lücke in der Coverage gegen Zone oder mit dem Ziel, seinen Gegenspieler abzuschütteln, gegen Man.

Im Schaubild wäre das also der "X"-Receiver (deshalb: "X-Shallow"), das hier abgebildete Play Design ist seit Jahren ein zentrales Play in Leachs Offense bei Washington State.

Dabei sind mehrere vertikale Optionen genauso im Play Design, wie eine tiefere Crossing Route. So soll die Defense vertikal und horizontal in die Länge gezogen werden, bis sich im Idealfall Lücken auftun. Mit diesem Play gelingen Washington State immer wieder Big Plays.

Four Verts, diverse Screen-Designs, Slants, Mesh, Shallow Cross: Das sind die primären Konzepte, die - in unterschiedlichen Variationen - auch verschiedene Auslegungen der Air Raid vereinen. Auffällig: Auch wenn Big-Play-Möglichkeiten in die meisten Play-Designs integriert sind, ist der Fokus doch häufig eher auf schnelle Pässe ausgelegt. Und das dürfte auch das Rückgrat von Kingsburys Offense in Arizona werden.

Was zeichnet Kingsburys Air Raid Variante aus?

Mike Leach ist die prägende Figur in der Air Raid Offense, wie man sie heute kennt - und war eine der prägenden Figuren für Lincoln Riley und Kliff Kingsbury was die grundlegende Philosophie und die offensive Denkweise angeht.

Doch Kingsbury selbst hat anderswo einen womöglich noch größeren Einfluss aufgefasst, vielleicht am ehesten zu beschreiben mit seiner Interpretation der Leach-Air-Raid: Insgesamt ein Jahr lang verbrachte er als Sechstrunden-Pick und Brady-Backup 2003 bei den New England Patriots; diese beiden Herangehensweisen zu vereinen ist so etwas wie das offensive Idealbild, das Kingsbury vorschweben dürfte.

Was heißt das im Detail? Kingsburys Air-Raid-Prägung macht sich im Kern seiner Offense, also was die gerade thematisierten Basis-Konzepte angeht, überdeutlich bemerkbar. Er setzt primär auf Shotgun-Formationen und gerne auf Empty Sets, er will mit Bunch-Formations, Jet Motion und dergleichen die Defense permanent auch mental herausfordern - und er bevorzugt den Pass.

In all den Jahren bei Texas Tech hatte Kingsbury nur einen wirklich dominanten Running Back in Deandre Washington, der dementsprechend eingeplant wurde und in aufeinanderfolgenden Jahren über 1.100 Rushing-Yards produzierte. Er war Kingsburys einziger 1.000-Yard-Rusher bei Tech.

Kliff Kingsburys Run-Pass-Ratio im College:

Jahr2012201320142015201620172018
Pass Play Percentage49,3%64,5%61,8%57,6%62,8%55,9%57,7%
College-Rang Passing-Anteil59434294

Anmerkung: 2012 war Kingsbury Offensive Coordinator bei Texas A&M; ab 2013 Head Coach bei Texas Tech.

Aber Kingsburys Air-Raid-Variante ist komplexer als die von Leach, weil sich die Plays von Woche zu Woche verändern. Kingsburys ideale Vorstellung sieht dabei in etwa so aus: Im Frühjahr und dann im Training Camp geht es darum, die Basis-Plays zu installieren; also seine Mesh-Konzepte, seine Screen-Pakete, seine Four-Verticals-Interpretationen, und so weiter.

In der Saison aber werden gegnerabhängige Anpassungen vorgenommen, um Schwachstellen zu attackieren, vorteilhafte Matchups auszunutzen, Plays leicht abzuändern um nicht vorhersehbar zu werden; kurzum: Kingsbury will die Vorteile der Basis-Plays der Air Raid Offense mit dem wöchentlichen Game-Plan-Prozess in der NFL kombinieren, um im Idealfall das beste aus beiden Bereichen zu nutzen.

"Er ist wirklich clever", verriet Kingsbury-Schüler und der amtierende MVP Patrick Mahomes im Gespräch mit Bleacher Report. "Er macht viele der Dinge, die wir hier (in Kansas City, Anm. d. Red.) ebenfalls machen was das Entwerfen neuer Plays Woche für Woche und das Anpassen anderer Plays angeht."

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Neben den Basis-Plays stößt man bei Kingsbury dabei auch auf einige andere wiederkehrende Muster:

  • Plays sind darauf ausgelegt, Zone-Verteidiger via Isolation in Man-Coverage zu zwingen
  • Das ganze Feld soll, gerne auch wie beim hier abgebildeten Touchdown von Patrick Mahomes gegen Baylor mit 5-Wide-Formationen attackiert werden
  • Screen-Pässe in diversen Designs und Auslegungen spielen eine zentrale Rolle
  • Der Quarterback kann und soll Plays an der Line of Scrimmage ändern
  • Der Quarterback muss die Defense Pre- und Post-Snap lesen und verstehen, da viele Plays mit Option-Routes abhängig von der Coverage funktionieren. Ein hohes Maß an Spielverständnis ist letztlich unabdingbar, um Kingsburys Offense erfolgreich umzusetzen
  • Run Pass Options sollen dem Quarterback immer wieder auch einfachere Reads geben
  • Kingsbury hat seine Offense an die grundverschiedenen Quarterbacks, mit denen er zusammengearbeitet hat - ob Case Keenum, Johnny Manziel oder Patrick Mahomes - angepasst. Wenn er aber mobile Quarterbacks hatte, nutzte er das auch gezielt in seinem Playbook, um noch mehr Druck auf die Defense auszuüben. Mit Kyler Murray wird das definitiv auch ein Faktor sein

So dürfte es keine Überraschung sein, dass Arizona im Draft klar die Receiver-Position priorisierte - die Cardinals werden nächstes Jahr viele Wide Receiver gleichzeitig auf dem Feld haben - und dabei verschiedene Receiver-Typen holte. So könnten in 4-Receiver-Sets Fitzgerald und Christian Kirk etwa die beiden Inside-Spots übernehmen, mit Hakeem Butler und Andy Isabella außen.

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David Johnson wäre dabei zurück in seiner Rolle als X-Faktor, der als Running Back im Slot oder auch Outside aufgestellt werden kann und so Kingsburys bevorzugte 5-Wide-Formationen, mit denen das ganze Feld durch die Luft attackiert werden soll - ob vertikal oder horizontal -, ermöglicht.

"Wir werden das Spiel breiter spielen als es vermutlich die meisten anderen Teams in der NFL machen", bestätigte Kingsbury jüngst gegenüber NBC-Insider Peter King. "Wir werden das ganze Feld nutzen und Defenses zwingen, fünf Spieler zu decken und den Quarterback zu stoppen."

Und weiter verriet er, dass das System für Murray dem, was er aus dem College unter Riley gespielt hat, "sehr ähnlich" sein wird: "Wenn man aus einer Spread-Formation agiert, ist er auf verschiedene Weisen eine Waffe. Wenn er als Runner die Möglichkeit bekommt, ist es schwer, ihn einzuholen. Und wenn man ihn in der Pocket hält, kann er dich auch von da aus schlagen. Wir wollen das Feld in die Breite ziehen und mit Tempo spielen. Unter diesen Umständen kann er großen Erfolg haben."

Aber wie könnte das im Detail aussehen?

Welche von Murrays College-Plays sehen wir in Kingsburys Air Raid?

Lincoln Riley und die Oklahoma Sooners haben über die letzten beiden Jahre Bemerkenswertes erreicht: In aufeinanderfolgenden Jahren produzierten die Sooners den Nummer-1-Overall-Pick im Draft; und mit Baker Mayfield und Kyler Murray waren es zudem zwei Quarterbacks, die vor einigen Jahren noch durch sehr viele NFL-Raster, was physische Voraussetzungen auf der Quarterback-Position angeht, gefallen wären.

Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass sich die Sooners-Offense von Mayfield zu Murray schematisch veränderte. Mit Mayfield agierte Oklahoma gerne aus 21-Personnel, mit Tight End Mark Andrews und Fullback Dmitri Flowers als Matchup-Waffen auf dem Feld.

Darauf bauten die Sooners große Teile ihres Play-Action- und RPO-Spiels auf, um Mayfields große Stärke in der Mitte des Feldes möglichst häufig einzusetzen. 2018 hatte Riley einen anderen Plan.

Einerseits waren Andrews und Flowers in der NFL; andererseits aber war die Offensive Line noch einen Schritt weiter und das Speed-Level im gesamten Team - nicht nur auf der Quarterback-Position - war noch höher.

Riley nutzte das, um seine Spread-Formationen auszubauen. Er nutzte Murrays Athletik als zusätzliche Dimension im Run Game und er baute das Play-Action-Passspiel noch weiter aus. "Im Bootleg Play Action war Kyler extrem stark", bilanziert auch Noah Riley, der die Sooners-Offense im Detail auseinander genommen hat und den ich für diesen Artikel kontaktiert hatte.

Mit Murrays Gefahr als Runner als zusätzliche Dimension zu den Spread-Formationen, den RPOs und dem Play Action Game gelang es Riley, Murray klare Reads zu geben - und es gelang ihm, Defenses gezielt zu attackieren, beziehungsweise Schwachstellen in der Coverage durch seine Play-Designs zu forcieren.

Welche Plays könnten das sein, die Kingsbury aus dem Sooners-Playbook übernimmt und die Murray im Herbst auch in der NFL umsetzen darf? Oklahomas Offense war die explosivste Offense im College Football, und einige Plays stechen dabei besonders heraus.

Oklahoma Sooners Plays: Dagger Mesh

Das führt gewissermaßen zurück zum Anfang und zum Mesh-Konzept, der Basis vieler Air Raid Offenses. Die Sooners hatten mehr als fünf grundlegende Mesh-Designs, keines aber nutzten sie häufiger (21 Mal) oder waren damit gefährlicher (13,7 Yards pro Pass, 70 Prozent angekommene Pässe) als mit "Dagger Mesh".

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Quelle: Breaking Down the 2018 Oklahoma Offense

Das Konzept spielt dabei sehr gut zusammen: Die beiden Shallow-Crossing-Routes Underneath sind naturgemäß Man-Beater, mit der Dig-Route dahinter (die Route des "H"-Receivers) wird zudem aber der Linebacker womöglich nach hinten gezogen. Der Receiver, der die Dig-Route läuft, hat zudem die Freiheit, einen Platz zwischen den Zones zu finden, sollte es Zone Coverage sein.

Die Seam-Route ("Y"-Receiver) ist einerseits die Big-Play-Option, andererseits aber auch der Field-Stretcher - also die Route, welche die Coverage in die Länge ziehen soll. Der Running Back aus dem Backfield kann auch als Protection-Hilfe fungieren, ist zudem aber auch eine weitere Option, um einen Verteidiger aus der Mitte zu ziehen.

Oklahoma Sooners Plays: Y Cross Double Cross

Wie bereits erwähnt legte Riley mit Murray noch größeren Wert auf das Play-Action-Passspiel, hier war Oklahoma unheimlich explosiv. Eines der bevorzugten Plays dabei war "Y-Cross Double Cross", eine Modifizierung des in der Air Raid ebenfalls omnipräsenten "Y-Cross"-Konzepts.

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Quelle: Breaking Down the 2018 Oklahoma Offense

Sieben Mal warf Murray den Pass aus diesem Konzept, alle sieben Pässe kamen für durchschnittlich 22 Yards und insgesamt zwei Touchdowns an. Das Play ist ähnlich aufgebaut wie die vielen "Y-Cross"-Variationen, die Oklahoma spielte; auch wenn hier tatsächlich der Inside-Slot-Spieler keine Crossing Route läuft.

Stattdessen baute Riley eine zweite Crossing-Route von weiter außen ein und ließ den "Y"-Receiver eine Flat-Route laufen.

Oklahoma Sooners Plays: Mills

Eines der gefährlichsten Plays im gesamten Sooners-Playbook und ein Konzept, das Kingsbury ohne Zweifel das eine oder andere Mal ansagen wird, ist das "Mills"-Konzept, welches Oklahoma aus Play Action heraus einsetzte.

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Quelle: Breaking Down the 2018 Oklahoma Offense

"Mills" ist kein komplexes Konzept, aber es kann verheerenden Schaden anrichten; Kyler Murray kann das aus erster Hand bestätigen. Fünf Mal warf er letztes Jahr einen Pass in diesem Play-Design, er holte damit 30,7 Yards pro Pass raus, und es hätten sogar noch mehr sein können. Auch Mayfield 2017 (3/5, 174 YDS, 2 TD) war hier gefährlich.

Schön am "Mills"-Konzept ist seine Einfachheit. Im Prinzip ist es schlicht ein 3-Level-Vertical-Stretch: Die Post-Route (hier: "Z") attackiert tief. Die Dig-Route von der anderen Seite greift auf dem mittleren Level an und eine Comeback- oder Shallow-Crossing-Route (hier: "Y") ist für kürzere Anspiele zuständig.

Der primäre vertikale Stretch - also wo die Defense gezielt auf mehreren Ebenen angegriffen wird - ist aber die Seam-Area, also gegen etwa Cover-3 exakt zwischen zwei Zones. Die Running Backs aus dem Backfield können entweder als zusätzliche Blocker agieren, wie Oklahoma es mehrfach machte, oder aber auch selbst Routes laufen und so die Defense noch mehr in die Breite ziehen.

Bei Oklahoma lief der isolierte Receiver (hier: "X") nicht einfach eine Dig-Route, sondern hatte, nach seinem Cut nach innen, die Möglichkeit, auch wieder nach außen zurück zu ziehen; seine Aufgabe ist es einerseits, im Idealfall den Safety von der tiefen Post-Route weg zu ziehen, und andererseits ist es sein Job, sich auch nach dem Cut nach innen irgendwie frei zu laufen, sollte es nötig sein.

Wenn "Mills" funktioniert, ist es eines der Plays, das Zone-Verteidiger in Man Coverage zwingen und dem Receiver, der die tiefe, gefährliche Post-Route läuft, ein vorteilhaftes Matchup ohne tiefe Safety-Hilfe verpassen kann. Hier ist das Konzept im Spiel gegen West Virginia mit einem Big Play zu Marquise Brown:

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Oklahoma Sooners Plays: Shallow Sting

Vielleicht mit das effizienteste Konzept für die Sooners letztes Jahr war "Shallow Sting". Murray warf in diesem Konzept nur drei Pässe, alle drei kamen an - für 104 Yards und zwei Touchdowns.

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Quelle: Breaking Down the 2018 Oklahoma Offense

Was eine "Shallow"-Route ist, dürfte inzwischen klar sein; der Trick bei "Shallow Sting" ist, dass die Shallow-Route nur angetäuscht wird. Der "Y"-Receiver deutet zunächst eine Shallow-Crossing-Route wie etwa beim Mesh-Konzept an - der Effekt davon ist, dass der tiefe Safety auf der aus Sicht der Offense linken Seite oder der Outside Cornerback (je nach Zone- oder Man-Coverage) mit den beiden nach innen gerichteten, offensichtlich vertikalen Routes mitgeht.

Das erlaubt es dem "Shallow Sting"-Receiver, sich gewissermaßen im Rücken der Coverage davonzustehlen und plötzlich statt einer horizontalen eine vertikale Route zu laufen.

Hier ist einer der Touchdowns von Murray zu Tight End Grant Calcaterra gegen Kansas State.

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Fazit: Sehen wir eine Revolution in der NFL?

Die Air Raid genoss in der NFL lange keinen guten Ruf, so produktiv sie im College auch war. Viele scherten die verschiedenen Auslegungen der Air Raid über einen Kamm und sahen in allen Varianten zu Unrecht die simple Variante, die insbesondere Art Briles in Baylor installiert hatte; die Offense, aus der Robert Griffin III in die NFL kam.

Unbestreitbar war, dass mehrere Air-Raid-Quarterbacks - von Tim Couch über Brandon Weeden bis zu Johnny Manziel - in der NFL nicht ansatzweise an ihre Erfolge und großen Stats anknüpfen konnten, die sie in der Air Raid im College zuvor hatten; was womöglich eher ein Argument für die Qualitäten der Offense als irgendetwas anderes ist.

Doch der Wind dreht sich. Jared Goff kam aus der Air Raid bei Cal zu den Rams, wo er auf bestem Wege ist, unter Sean McVay ein guter NFL-Quarterback zu werden. Nick Foles spielte im College ebenfalls in der Air Raid, auf seinem Lebenslauf steht inzwischen ein Super-Bowl-MVP-Titel - in einer Eagles-Offense, die mehrere Air-Raid-Basics nutzte. Und Case Keenum, der unter Kingsbury in Houston gespielt hatte, legte vorletztes Jahr in Minnesota eine spektakuläre Saison hin. Ganz zu schweigen von Patrick Mahomes letztes Jahr.

Chiefs, Patriots, Eagles - die Air Raid in der NFL

Quarterbacks mit konkretem Air-Raid-Hintergrund hatten in den vergangenen zwei Jahren also durchaus Erfolg in der NFL, während die Basis-Play-Konzepte der Offense ebenfalls mehr und mehr in der NFL zu finden sind.

Die Chiefs mit Mahomes haben hierauf noch mehr Wert gelegt, "Mesh" ist hier längst ein Basis-Konzept geworden. Das gilt auch für die Patriots, die dieses Konzept seit Jahren erfolgreich nutzen; Eagles-Coach Doug Pederson hatte im Super Bowl gegen die Pats vier Mal "Mesh" angesagt, Foles brachte alle vier Pässe für 81 Yards an. Auch die Saints nutzen seit Jahren Air-Raid-Konzepte.

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Kingsburys Air Raid: Kommt die offensive Revolution?

Es geht also gar nicht so sehr um revolutionäre Play-Designs, auch wenn die Mischung aus Kingsburys Offense und der Oklahoma-Offense spannend werden dürfte. Eher der übergreifende Ansatz könnte tatsächlich zu einer offensiven Revolution in der NFL führen.

Letztes Jahr überraschten die Rams die Liga mit rund 90 Prozent ihrer Plays aus 11-Personnel (ein Running Back, ein Tight End, drei Wide Receiver) und nur wenig verschiedenen Formationen.

11-Personnel ist die Standard-Aufstellung in der NFL heute; 65 Prozent der ligaweiten Offense-Snaps letztes Jahr kamen aus diesem Personnel-Grouping heraus. Insgesamt waren nur die 49ers bei unter 50 Prozent - San Francisco führte die Liga stattdessen mit weitem Abstand in 21-Personnel an (41 Prozent), da kein Coach den Fullback so vielseitig einsetzt wie Kyle Shanahan.

Dazu zunächst die Frage: Wie groß war der ligaweite NFL-Prozentsatz an Plays mit vier oder fünf Wide Receivern auf dem Feld?

Jahr10-Personnel: 4 WR01-Personnel: 4 WR5-WR-Sets
20182% (519 Total Plays)1% (210 Total Plays)>1% (97 Total Plays)
20172% (648 Total Plays)1% (361 Total Plays)>1% (131 Total Plays)
20163% (1.183 Total Plays)1% (489 Total Plays)1% (175 Total Plays)

Kingsbury könnte diese Zahlen deutlich übertreffen. Die Seahawks hatten letztes Jahr die meisten 10-Personnel Groupings (76 Total, 7 Prozent ihrer Plays) und wer sich Kingsburys Offense anschaut, kann sich nur schwer vorstellen, dass er diese Zahl nicht pulverisieren wird.

Und weiter noch: Die Steelers führten letztes Jahr die Liga mit 18 Prozent ihrer Plays aus Empty-Formations - also ohne einen Spieler abgesehen vom Quarterback im Backfield - an.

Kingsburys Offense will die Defense so weit es geht in die Breite ziehen und das Feld so öffnen, seine Play-Designs im College zeigen das immer wieder. Wenn wir davon ausgehen, dass er viel mit vier Wide Receivern und dann gemeinsam mit David Johnson aus "5-Wide"-Formationen agieren will: Könnte Kingsbury in puncto Personnel Groupings und generellen Formationen eine aggressivere, Pass-lastigere Denkweise in der NFL signifikant vorantreiben?

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Im Gegensatz zum College, wo Teams aufgrund deutlich unterschiedlicher Möglichkeiten, was die Physis und das Talent der eigenen Spieler angeht, drastische Unterschiede im Run Game aufweisen (die Schere bei den Teams auf dem höchsten College-Level geht von etwa 2 Yards pro Run bis 7 Yards pro Run), ist in der NFL das Run Game längst nicht mehr der entscheidende Faktor.

In der NFL gewinnt man mit dem Passing Game, weshalb Texas-Recruiting-Director Bryan Carrington auch zu Jahresbeginn bei Bleacher Report bereits betonte: "Wenn man sieht, wie sich die NFL in Richtung des Passing Games entwickelt, verstehe ich, warum Teams Kingsbury als dieses Einhorn sehen. Er ist einer der klügsten Offense-Köpfe des Landes und wenn ich mir die Rams, Chiefs, Bears oder Saints anschaue, sehe ich im Prinzip Big-12-Offenses."

Vielleicht ist Kingsburys Offense auch zu extrem für die NFL. Vielleicht gehen seine Personnel-Pläne aufgrund der deutlich strengeren Kader-Restriktionen nicht auf. Vielleicht gelingt ihm die Anpassung an die komplexesten Defenses der Welt nicht. All das ist ohne Frage möglich und darf hier nicht unerwähnt bleiben.

Vielleicht aber kommt Kingsbury auch zum exakt richtigen Zeitpunkt in die NFL und die Idee, sich mit einem der besten Passing-Offense-Designer aus dem College an die Spitze der NFL-Entwicklung zu setzen, geht voll auf.

Eines steht fest: Die Cardinals gehen mit Kingsbury und Murray immenses Risiko ein. Und wenn sonst nichts daraus entsteht, dann ist zumindest klar, dass die Umsetzung dieser Offense in der NFL Must-Watch-TV für NFL-Analysten sein wird. Es könnte sich um einen Meilenstein handeln.