Der zweite Tank Bowl der Saison steht an: Seit der Niederlage ihrer Dolphins gegen die Washington Redskins in Woche fünf dürften die meisten Fans in Miami zumindest mit einem halben Auge auf ihr Matchup mit den Cincinnati Bengals an diesem Wochenende geschielt haben. Die Dolphins waren als Favorit auf den Nummer-eins-Pick im Draft 2020 in die Saison gestartet, nach 14 absolvierten Spielen ist dieser Status an Cincinnati übergegangen. Die beiden Teams waren die einzigen, die die ersten acht Wochen der Saison ohne Sieg blieben.
Der Tank Bowl, oder auch Burrow Bowl (ehemals Tua Bowl), mag ein wenig von seiner Relevanz eingebüßt haben, schließlich sind die Bengals laut ESPN mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80 Prozent mittlerweile die klaren Favoriten auf den ersten Pick im kommenden Draft, Miami kommt nur noch auf etwas über sechs Prozent. Cincinnati hätte auch im Falle eines Sieges am Wochenende nach wie vor die schlechteste Bilanz der NFL vorzuweisen und den Nummer-eins-Pick bei einer Niederlage in Woche 17 somit auch in diesem Fall noch sicher.
Und doch: Die Dolphins könnten mit einer Niederlage auf den zweiten Platz in der Draft-Reihenfolge springen, sich einen Top-drei-Pick garantieren und ihre Chancen auf den höchsten Pick am Leben erhalten - schließlich haben sie mit den New England Patriots zum Saisonabschluss einen deutlich stärkeren Gegner vor der Brust als die Bengals mit den arg wackelnden Cleveland Browns. Das direkte Aufeinandertreffen in Woche 16 bleibt somit ein Spiel mit großen Implikationen für den kommenden Draft - und der Begriff des Tank Bowls somit durchaus gerechtfertigt.
Dolphins vs. Bengals: Kein Team will verlieren
Trotz dieser möglichen Auswirkungen will von einer absichtlichen Pleite selbstverständlich keiner der beteiligten Akteure etwas wissen. "Wir haben noch zwei Spiele und wollen diese beide gewinnen", betont Bengals-Quarterback Andy Dalton. "Egal, gegen wen wir spielen, wir werden tun, was wir können, um zu gewinnen."
Doch auch wenn Coaches und Spieler sich voll auf die Gegenwart konzentrieren mögen und am Sonntag vermutlich tatsächlich versuchen werden, einen Sieg davon zu tragen, so dürfte der Blick im Management sowie in den Fanlagern der beiden Teams angesichts dieses Duells doch in Richtung Zukunft gehen.
Die Bengals und Dolphins gehören nicht rein zufällig oder aufgrund von Verletzungspech zu den schlechtesten Teams der NFL. Beide Franchises werden in den kommenden Monaten und Jahren einen gehörigen Berg Arbeit vor sich haben und viele gute Entscheidungen treffen müssen, um wieder Anschluss an die konkurrenzfähigen Teams der NFL zu finden.
Miami Dolphins: Gewaltige Menge an Draft Picks
Miami befindet sich zu Beginn dieses Unterfangens allerdings in der besseren Ausgangsposition: Das schwache Abschneiden in dieser Spielzeit kam keineswegs überraschend und war zumindest zu einem bestimmten Grad vermutlich sogar in den Plänen des Managements einkalkuliert. Die Dolphins gaben über den Sommer und den Herbst zahlreiche der eigenen Leistungsträger wie Laremy Tunsil, Minkah Fitzpatrick, Ryan Tannehill und Kenyan Drake ab, um sich zusätzliche Draft-Picks für den Aufbau der Franchise in der Zukunft zu sichern.
In der Folge verfügen die Dolphins (wahrscheinliche Compensatory Picks mit eingerechnet) im kommenden Draft über 14 Picks, davon drei in der ersten Runde und fünf innerhalb der ersten beiden Runden. Über die nächsten zwei Drafts wird Miami nach aktuellem Stand sogar fünf Mal in der ersten und neun Mal in den ersten beiden Runden draften dürfen. In der Geschichte der NFL verfügte kaum ein Team jemals über eine derartige Menge an hohen Draft-Picks.
Darüber hinaus verfügen die Dolphins im Sommer über knapp 114 Millionen Dollar Cap Space. Miami hat somit zweifelsohne die Mittel, um in der Offseason so manchen namhaften Free Agent Richtung Florida zu locken. Zu Saisonbeginn geäußerte Zweifel, dass viele Spieler sich aufgrund einer "losing culture" weigern könnten für die Dolphins zu spielen, scheinen Stand heute unbegründet zu sein. Head Coach Brian Flores wurde über die vergangenen Wochen und Monate mehrfach für seine Gameplans sowie die Disziplin innerhalb seines Teams gelobt. Zudem verlängerte General Manager Chris Grier während der Saison bereits die Verträge mit Spielern wie Jesse Davis, Allen Hurns, Jakeem Grant, Eric Rowe und DeVante Parker.
Miami Dolphins: DeVante Parker und Xavien Howard langfristig unter Vertrag
Das Talent-Level im Team ist zwar zweifelsohne nach wie vor sehr niedrig, andernfalls hätten sich die Verantwortlichen ihren Rebuilding-Kurs schließlich sparen können, die Darstellung, dass Miami zuletzt all seine Spieler mit Potenzial abgegeben habe, ist allerdings auch überspitzt. Parker gelang unter Flores endlich der lange erwartete Durchbruch und wurde langfristig vom Team unter Vertrag genommen, Xavien Howard zählte in der vergangenen Saison zu den besseren Cornerbacks der NFL und steht ebenfalls noch mehrere Jahre unter Vertrag, dies zudem zu relativ teamfreundlichen Konditionen. Auch Raekwon McMillan, Zweitrundenpick im Jahr 2017, präsentierte sich bislang zumindest als starker Run-Blocker.
Für ein abschließendes Urteil ist eine (nicht mal komplett) absolvierte Rookie-Saison zwar noch nicht ausreichend, dennoch lässt sich festhalten, dass Erstrundenpick Christian Wilkins in seinem Rookie-Jahr durchaus einige gute Ansätze zeigte. Mit Wide Receiver Preston Williams und Cornerback Nik Needham könnten die Dolphins obendrein zwei echte Talente als Undrafted Free Agents gefunden haben.
All das reicht noch lange nicht aus, um den Dolphins eine rosige Zukunft prophezeien zu können. Mit den vorhandenen Draft-Picks müssen zunächst die richtigen Entscheidungen getroffen werden - man werfe nur einen Blick nach Oakland -, der vorhandene Cap Space überlegt genutzt werden - man werfe nur einen Blick nach New York - und das vorhandene Spielermaterial gut untereinander sowie mit dem Coaching-Staff harmonieren - man werfe nur einen Blick nach Cleveland.
Und doch scheint ein erstes Fundament für einen erfolgreichen Rebuild in Miami gelegt worden zu sein. Die ersten Schritte des Aufbaus muten durchaus vielversprechend an, die entscheidende Phase liegt allerdings erst noch vor Grier, Flores und Co.