So ziemlich jeder NFL-Fan hat bei der Kombination aus Kyle Shanahan und Super Bowl die gleiche Zahlenkombination im Kopf: 28:3.
Mit 28:3 führten die Atlanta Falcons in Super Bowl 51 gegen die New England Patriots im dritten Viertel, die Vince Lombardi Trophy vermeintlich schon auf dem Weg nach Georgia. Noch nie zuvor hatte ein Team in einem Super Bowl mehr als zehn Punkte Rückstand noch aufgeholt, und selbst ein 10-Punkte-Comeback hatte es lediglich drei Mal zuvor gegeben. Die Falcons-Führung über 25 Punkte schien weit mehr als nur die halbe Miete zu sein.
Der Rest der Geschichte ist bestens bekannt, und das nicht nur Falcons-Fans, die den Artikel an diesem Punkt vermutlich bereits geschlossen haben. Die Patriots packten 25 Punkte in Folge aufs Scoreboard und gewannen mit dem ersten Drive in Overtime im mit Abstand größten Super-Bowl-Comeback aller Zeiten.
Shanahans Offense im Mittelpunkt der Kritik
Danach entwickelte sich eine eigenartige Dynamik: Nicht die Tatsache, dass Atlantas Defense unter (dem defensiv geprägten) Head Coach Dan Quinn eine 25-Punkte-Führung nicht hielt, war die primäre Storyline - es war der Umgang der Offense von Kyle Shanahan mit der eigenen Führung, der primär diskutiert wurde.
Und sicher, man kann anmerken, dass nach Atlantas Touchdown zu Beginn des dritten Viertels noch vier Drives folgten - keiner davon dauerte länger als zweieinhalb Minuten, keiner endete in Punkten.
Als die Falcons vier Minuten vor dem Ende, noch mit acht Punkten in Führung, schon in Field-Goal-Reichweite waren, ging Shanahan per Pass auf das mögliche First Down, statt per Run mehr auf Sicherheit zu setzen und zu versuchen, die Führung auf elf Punkte auszubauen. Ein Sack sowie eine Strafe später musste Atlanta punten, im Gegenzug glichen die Pats aus.
Shanahan: "Einen Super Bowl zu verlieren ist extrem hart"
Wie Atlanta überhaupt an diesen Punkt gekommen war - nicht nur mit Blick auf die ersten 40 Spielminuten in jener Partie, sondern auch auf die gesamte Saison betrachtet, mit Matt Ryan als MVP und einer historischen Offense auf dem Weg in den Super Bowl - geriet dabei fast in Vergessenheit. Außer bei Falcons-Fans, die seither der Shanahan-Offense hinterhertrauern.
Shanahan selbst wurde am Tag nach dem Super Bowl als neuer Head Coach der San Francisco 49ers vorgestellt; jetzt ist er zurück auf der ganz großen Bühne. Und natürlich war der Super Bowl mit den Falcons auch in den vergangenen Tagen ein Thema. Mehrfach wurde Shanahan auf Pressekonferenzen darauf angesprochen. War es eine Lektion für ihn? Wie häufig denkt er noch darüber nach?
"Nicht so häufig, um ehrlich zu sein", verriet Shanahan, fügte aber hinzu: "Die Tage direkt danach waren wirklich hart. Einen Super Bowl zu verlieren, umso mehr nachdem man 28:3 geführt hat, ist extrem hart. Was die Kritik an mir persönlich anging, damit bin ich vielleicht etwas anders umgegangen als die Leute erwarten würden. Sicher, es gab Momente, die ich rückblickend gerne anders gestalten würde. Aber diese Storyline, dass wir gewonnen hätten, wenn ich einfach Runs angesagt hätte - ich weiß, dass das nicht stimmt."
Er wisse weiter, "was in dem Spiel alles passiert ist und was alles eine Rolle gespielt hat. Diese Vorwürfe haben mich also nicht gestört. Man muss damit umgehen können. Aber trotzdem war es schön, direkt hier her (nach San Francisco, d. Red.) zu kommen und einfach weiter zu arbeiten. Und jetzt freue ich mich, dass ich noch einmal die Chance bekomme."
Die San Francisco 49ers rennen durch die Playoffs
Mit ein wenig Zynismus könnte man jetzt sagen: Den (vermeintlichen) Fehler, nicht auf den Run zu setzen, wird Shanahan wohl kaum wiederholen.
Die 49ers waren in dieser Saison in neutralen Spielsituationen eines der Run-lastigeren Teams der Liga. Ganz platt in Total Stats ausgedrückt lief nur Baltimore in der Regular Season häufiger als San Francisco, während die Niners im NFC Championsihp Game gegen Green Bay ganze acht- und in der Divisional Runde gegen die Vikings nur 19-mal den Ball geworfen hatten. Kombiniert man beide Partien, kommen die Niners dagegen auf fast 90 Runs.
Das wiederum lässt ganz andere Fragen die Debatten vor dem Super Bowl regieren: Ist Jimmy Garoppolo gut genug? Kann er die Offense notfalls tragen? Kann San Francisco überhaupt mithalten, sollten die Chiefs das Run Game halbwegs in den Griff bekommen?
49ers-Offense: Die Basics
- Die NFL ist eine 11-Personnel-Liga geworden - bedeutet: Fast alle Teams spielen über die Hälfte ihrer offensiven Snaps mit einem Running Back, einem Tight End und drei Wide Receivern auf dem Feld. Die 49ers sind eine der wenigen Ausnahmen: San Francisco spielt in dieser Saison nur 40 Prozent seiner Snaps in 11-Personnel (Liga-Schnitt: 60 Prozent) und hat im Gegenzug mit weitem Abstand die höchste 21-Personnel-Quote: 28 Prozent der Niners-Offense findet mit zwei Running Backs, beziehungsweise einem Running Back und einem Fullback gleichzeitig auf dem Feld statt.
- Und was machen die 49ers daraus? San Francisco ist zwar - eine generell zutreffende Aussage - auch aus 21-Personnel verglichen mit dem Liga-Schnitt Run-lastig und läuft in 61 Prozent der Fälle aus 21. Aber: Wenn die Niners hier ins Passspiel gehen, sind sie deutlich gefährlicher als der Rest der Liga: Im Durchschnitt werfen Teams bei Pässen aus 21-Personnel für 7,7 Yards - die Niners sind hierbei in ihrem Durchschnitt zwei volle Yards darüber! Play Action ist dabei fraglos eine Erklärung.
- Das ist auch gleich ein alles durchziehendes Thema: Play Action. In der laufenden Saison hat, Playoffs mit eingerechnet, nur Jared Goff (32,8 Prozent) mehr seiner Pässe via Play Action geworfen als Garoppolo (32,6 Prozent). Allerdings warfen nur Ryan Tannehill und Jameis Winston mehr Yards pro Play Action Pass als Garoppolo (10,4), der zudem die sechstmeisten Play-Action-Touchdowns (10) aufgelegt hat.
- Das Run Game der 49ers ist extrem explosiv: Allein in der Regular Season verzeichnete San Francisco 20 Runs über mindestens 20 Yards, nur Baltimore (28) war hier noch gefährlicher. In den Playoffs kamen bereits vier weitere dazu.
- Raheem Mostert hat in der laufenden Saison 31 Runs über mindestens zehn Yards auf dem Konto - unter Running Backs mit unter 200 Runs (Mostert: 178) hat sonst nur Buffalos Devin Singletary (26) mehr als 22 solcher Runs.
- Die Basis der Niners-Offense ist das Outside Zone Run Blocking Scheme. Hierauf basiert das Run Game und hierauf basieren auch viele elementare Aspekte von dem, was San Francisco im Passspiel macht.
- Keine Offense produziert ansatzweise so viele Yards nach dem Catch wie die 49ers. Garoppolo steht bei 6,6 Yards nach dem Catch pro Completion, kein anderer Quarterback kommt überhaupt auf mehr als 6,2. Vor allem Deebo Samuel und George Kittle sind hier ganz vorne mit dabei, in dieser Saison stehen sie unter allen Wide Receivern und Tight Ends (mindestens 50 Targets) auf Platz 2 (Samuel/8,5 Yards nach dem Catch pro Reception) beziehungsweise 4 (Kittle/7,3) was Yards nach dem Catch angeht.
- Es ist nicht der Ansatz der 49ers, von Garoppolo regelmäßig tiefe Shots zu erwarten - im Gegenteil: Garoppolo hat in der Regular Season 6,5 Prozent seiner Pässe 20 Yards oder weiter das Feld runter geworfen, mit weitem Abstand der niedrigste Wert ligaweit.