"Er ist noch kein Quarterback." So beschrieb Headcoach Vic Fangio die Entwicklung von Zweitrundenpick Drew Lock im Training Camp der Denver Broncos vor der vergangenen Saison.
Viele Experten vermuteten schon im Prozess vor dem NFL Draft 2019, dass dem Quarterback von der Missouri University ein ganzes Jahr auf der Bank gut würde, nach dem Vorbild von Patrick Mahomes bei den Divisionsrivalen Kansas City Chiefs. Kaum eine Beschreibung Locks kam ohne das Wort "roh" aus.
In Woche 13 der vergangenen Saison betrat der 23-Jährige das Feld jedoch bereits als Starting Quarterback in der Mile High City, unter anderem wegen einer Verletzung des Veteranen Joe Flacco. Einem knappen Sieg gegen die Los Angeles Chargers folgten drei weitere Siege und nur eine Niederlage.
Lock brachte 64,1 Prozent seiner Pässe an, legte sieben Touchdowns auf bei drei Interceptions und schien eine gute Verbindung zu Receiver Courtland Sutton zu haben, der gerade seinen Durchbruch als Nummer-1-Receiver feierte. Nicht schlecht für einen Rookie.
Herauszufinden, ob Andrew Stephen Lock mehr als "nicht schlecht" ist - das muss jetzt das oberste Ziel für die Franchise aus Colorado sein. Und das scheinen die Broncos auch so zu sehen.
NFL Draft: Broncos draften Jeudy und Hamler
Die Broncos haben in der als historisch tiefen geltenden Receiver-Klasse gleich zu Beginn des Drafts doppelt zugeschlagen, mit der Auswahl von Alabamas Jerry Jeudy an Pick Nummer 15 und Penn States KJ Hamler an 46. Stelle.
Jeudy und Hamler sind beide exzellent darin, sich konstant von ihren direkten Gegenspielern zu entfernen und dem Quarterback einfache Passoptionen anzubieten. Beide bringen Speed mit, beide bringen Kapazitäten nach dem Catch mit
Das passt zum einen als Ergänzung zu Sutton, der zwar auch die nötige Qualität als Route-Runner mitbringt, aber vor allem mit seiner Physis und Größe bei Luftduellen um den Ball dominiert. Zum anderen helfen Jeudy und Hamler mit ihren Kernkompetenzen ihrem neuen Quarterback bei zwei extrem wichtigen Punkten.
Passgenauigkeit und Entscheidungstreffung sind zwei der wichtigsten Qualitäten, die ein Quarterback haben muss. Inkonstanz in diesen beiden Bereichen, vor allem in der Entscheidungstreffung, waren auch zwei Gründe dafür, warum Lock im Vorjahr in die zweite Runde des Drafts gefallen ist.
Wenn Jeudy und Hamler in der NFL nur ansatzweise so viel Abstand zu ihren Verteidigern wie im College kreieren können, dann gibt das Lock den Spielraum, einen Pass auch mal einen halben Meter zu kurz oder zu weit werfen können, da kein direkter Gegenspieler in der Nähe der beiden sein wird.
Was für Lock noch viel wichtiger sein könnte, sind die klaren Bilder die Jeudy und Hamler entstehen lassen können. Häufig müssen Quarterbacks in der NFL den Ball werfen, bevor ein Receiver frei ist. Werfen sie den Pass erst, wenn der Passfänger schon frei ist, ist in den meisten Fällen wieder ein Defense-Spieler in der Nähe, wenn der Ball ankommt. Das Duo gibt Lock größere Fenster und damit mehr Zeit, das Feld zu lesen.
Denver Broncos: Mehr Hilfe durch Albert O und O-Liner
Die Broncos hielten auch im weiteren Verlauf des Drafts daran fest, die Umstände um Lock herum zu verbessern. In der dritten beziehungsweise sechsten Runde wählten die Broncos Center Lloyd Cushenberry von LSU und Guard Netane Muti von Fresno State aus. Die Stärke der beiden liegt dank ihrer körperlichen Power eher im Run Game, aber gerade gegenüber dem rechten Guard Elijah Wilkinson könnte einer der beiden schon früh ein Upgrade in der Pass Protection darstellen.
Eine klare Waffe im Passspiel ist dagegen wieder Tight End Albert "O" Okwuegbunam. Locks ehemaliger Mannschaftskollege bei den Missouri Tigers gibt ihm neben 2019-Erstrundenpick Noah Fant eine weitere große Anspieloption in der Mitte des Feldes. Der 22-Jährige gilt zwar eher als langfristiges Projekt, überzeugt aber im Idealfall mit Geschwindigkeit, Athletik und dadurch entstehenden Yards nach dem Catch.
NFL Draft 2020: Die Picks der Denver Broncos
Runde | Draft-Pick (insgesamt) | Spieler | Position | College |
1 | 15 | Jerry Jeudy | WR | Alabama |
2 | 46 | KJ Hamler | WR | Penn State |
3 | 77 | Michael Ojemudia | CB | Iowa |
3 | 83 | Lloyd Cushenberry | C | LSU |
3 | 95 | McTelvin Agim | DT | Arkansas |
4 | 118 | Albert Okwuegbunam | TE | Missouri |
5 | 178 | Justin Strnad | LB | Wake Forest |
6 | 181 | Netane Muti | OG | Fresno State |
7 | 252 | Tyrie Cleveland | WR | Florida |
7 | 254 | Derrek Tuzka | EDGE | NDSU |
Die Schnelligkeit der Broncos beschränkt sich nicht nur auf die neuen Rookies. Auch das Front Office ist in dem Unterfangen, ihren Quarterback mit Waffen auszustatten, dem gewöhnlichen Zeitplan voraus.
Das wird beim Vergleich mit Teams wie den Los Angeles Rams vor ein paar Jahren oder den Buffalo Bills aktuell deutlich. Dabei sind beide Franchises Beispiele dafür, wie die Umstände um einen Quarterback unter einem Rookievertrag von Jahr zu Jahr verbessert werden sollten.
Denver Broncos: Schon in Jahr zwei stark?
Sowohl Jared Goff bei den Rams als auch Josh Allen bei den Bills zeigten deutliche Fortschritte von ihrer ersten zu ihrer zweiten Saison.
Goff spielte als Rookie phasenweise katastrophal in der ultrakonservativen Offensive von Head Coach Jeff Fisher und profitierte im Folgejahr stark vom Offensiv-Genie Sean McVay an der Seitenlinie, einer stark verbesserten Offensive Line und besseren Receivern. Auch vor Allens zweiter Saison wurde die Offensive Line und der Receiver Corps der Bills stark verbessert.
Goffs bisher beste Saison kam jedoch in seiner dritten Spielzeit. Die Offensive Line blieb größtenteils intakt und Brandin Cooks stellte ein Upgrade gegenüber Sammy Watkins dar. Auch die Umstände um Allen wurden vor seinem dritten Jahr in der NFL nochmal stark verbessert durch den Trade für Stefon Diggs.
Die Offensive der Broncos ist aktuell auf dem Papier schon besser als die der Bills oder Rams vor ihrer zweiten Saison, was den Broncos auch langfristig helfen könnte.
NFL: Das entscheidende dritte Jahr
Dass das dritte Jahr der jungen Quarterbacks als sogenanntes "make-or-break-year" gilt, ist kein Zufall. Hier sollte die Entwicklungskurve am deutlichsten erkennbar sein; und im Falle der Erstrundenpicks müssen ihre Franchises nach der dritten Saison des Quarterbacks entscheiden, ob sie die Option auf ein fünftes Vertragsjahr für den Spieler ziehen wollen.
Diese Option besteht bei Zweitrundenpick Lock nicht, jedoch müssen die Broncos nach seinem dritten Jahr vermutlich schon entscheiden, ob sie ihm eine langfristige Vertragsverlängerung anbieten wollen. Die zeitliche Dynamik bleibt dementsprechend ähnlich, eher noch gravierender.
Wie die negativen Folgen ausfallen können, wenn man als Team mit einem jungen Quarterback dem üblichen Zeitplan hinterher hinkt, könnte im Laufe der nächsten Jahre bei den New York Jets deutlich werden. Bisher hat das Team aus New York komplett versäumt, Sam Darnold auch nur in akzeptable Umstände zu platzieren.
Das sieht im bisherigen Draft deutlich besser aus, könnte aber zu spät sein. Mekhi Becton ist vor allem auf seiner Position Left Tackle erstmal eine schlaue Investition und Wide Receiver Denzel Mims am Ende der zweiten Runde könnte sich als einer der Steals des Drafts herausstellen. Beide galten jedoch vor allem wegen ihres hohen Potenzials als Erstrunden-Talente und könnten als Rookies noch etwas Zeit brauchen, bevor sie Darnolds Job einfacher machen können.
Falls die kommende Saison der Jets also ähnlich wie die beiden Vorjahre verlaufen sollte, haben die Jets effektiv immer noch kaum klare Anzeichen dafür, ob Darnold ein Franchise-Quarterback werden kann oder nicht. Sie müssten aber dennoch entscheiden, ob sie sich ein fünftes, im Vergleich zu den ersten vier Jahren teures Jahr an ihn binden wollen. Die Broncos dagegen sind auf einem guten Weg, nicht in dieses Dilemma zu gelangen. Je besser die Umstände, desto klarer sollte die Evaluierung ausfallen können.
Denver Broncos: John Elway hat es (endlich) richtig gemacht
Klar scheint: Die Fans der Denver Broncos können sich zum ersten Mal seit dem Rücktritt Peyton Mannings über den Quarterback der kommenden Saison freuen.
Das liegt weniger daran, dass General Manager John Elway von seinem Beuteschema abgekommen ist: Auch Lock ist wie Paxton Lynch, der grandios gescheiterte Erstrundenpick von 2016, ein großer Quarterback mit einer Rakete von einem Arm, der als unvollendetes Projekt in die NFL kam.
Elway scheint aber insofern aus seinen Fehlern gelernt zu haben, dass er aktuell Ressourcen einsetzt, um Lock zumindest eine Chance zu geben, sich als Denvers Quarterback der Zukunft zu beweisen. Jetzt ist Lock am Zug.
Falls die Rookies Jeudy, Hamler und Co. einschlagen, Fant, Sutton und die Offensive Line - die mit Graham Glasgow in der Free Agency ebenfalls verstärkt wurde - sich weiter entwickeln können und Lock trotzdem scheitert, können die Broncos zumindest fast mit Sicherheit sagen, dass sie einen neuen Quarterback brauchen.
Das ist in der NFL mehr wert, als es auf den ersten Blick scheint.