2020 wird für die Raiders zu einem wegweisenden Jahr. Im Vordergrund steht der Umzug nach Las Vegas und die Eröffnung des imposanten Allegiant Stadiums, auch wenn in der anstehenden Spielzeit noch keine Fans dabei sein werden. Für einen Spieler im Besonderen steht jedoch mehr als nur der Erfolg der kommenden Saison auf dem Spiel: Quarterback Derek Carr.
Carr geht in seine bereits siebte NFL-Saison bei den Raiders und steht mächtig unter Druck. Der einstige Zweitrundenpick, der sein Team bislang nur zu einer einzigen Saison mit positiver Bilanz geführt hat, muss jetzt beweisen, dass er auch der QB der Zukunft für die Las Vegas Raiders sein kann.
Die Rahmenbedingungen scheinen klar: Im kommenden Jahr könnten ihn die Raiders für überschaubare 2,5 Millionen Dollar an Dead Money günstig entlassen und würden damit auch noch 18 Millionen Dollar an Cap Space einsparen. Zudem haben die Raiders einen namhaften Backup-Quarterback in Marcus Mariota geholt, der mit garantierten 7,5 Millionen Dollar auch noch sehr ordentlich bezahlt wird.
Mariota hofft nun, das zu tun, was ihm durch Ryan Tannehill im Vorjahr in Tennessee selbst widerfahren ist - er will den etablierten QB des Teams entthronen und selbst die Zügel übernehmen.
Derek Carr: Solide Zahlen 2019
Was dabei aber vergessen wird, ist, dass Carr eigentlich gar nicht so schlecht gespielt hat in der vergangenen Saison. Schaut man sich die nackten Zahlen an, kommt er auf sehr solide Werte in Sachen Total QBR (62,2, Rang 10), DYAR (1064, Rang 6) und DVOA (18,7 Prozent, Rang 8) und lag damit vor Star-Quarterbacks wie Aaron Rodgers, Matt Ryan oder Tom Brady.
Zudem stellte Carr eine neue persönliche Bestmarke mit einer Passquote von 70,4 Prozent auf. Allerdings liegt der Teufel hier im Detail: Kaum jemand hat kürzere Pässe geworfen als eben jener Carr. Seine 6,3 Average Intended Air Yards sind die zweitwenigsten in der NFL, die 4,9 Average Completed Air Yards wiederum sind die fünftwenigsten der NFL in der Saison 2019.
Damit aber sind wir genau beim Thema: Carr wirkt immer eher unterdurchschnittlich, bei genauerem Hinschauen wird das Bild dann besser, ein detaillierter Blick jedoch bringt doch wieder den Originaleindruck zum Vorschein. Carr ist ein Spieler, der viel von seinen Nebenleuten abhängig ist. Wirft er kurze Pässe, müssen seine Playmaker eben Yards nach dem Catch nachlegen, um Erfolg in dieser Offense zu haben. Doch immerhin bringt Carr den Ball äußerst präzise an den Mann, oder?
Nicht ganz: Wie Next Gen Stats besagen, lag Carrs Completion Percentage over Expectation bei 2,4 Prozent. Das war der siebthöchste Wert der NFL im Vorjahr und bedeutet, dass seine Passquote letztlich 2,4 Prozent besser war, als sie eigentlich hätte sein sollen, was in erster Linie an guten Mitspielern gelegen haben dürfte, aber auch an simplem Glück. Es ist daher zumindest zu befürchten, dass dieser Wert im kommenden Jahr vielleicht zurückgehen könnte - Glück lässt sich in der Regel schwer reproduzieren.
Derek Carr: Raiders rüsten Offense weiter auf
Gut also aus Sicht von Carr, dass die Raiders ihm nochmal bessere Anspielstationen zur Verfügung stellten für die kommende Saison. Allen voran sind hier Erstrundenpick Henry Ruggs III und Drittrundenpick Bryan Edwards zu nennen. Ersterer ist ein pfeilschneller Deep Threat, der womöglich auch Carr zu längeren Pässen verleiten wird, während Letzterer einer ist, der auch in Traffic sehr sichere Hände hat und als Yards-after-Catch-Spezialist gilt. Er passt damit gut in das, was die Raiders bislang gespielt haben. Abgesehen davon dürfte sich Carr auch über Running Back Lynn Bowden Jr. (3. Draft-Runde) freuen, der ein fähiger Receiver aus dem Backfield sein kann und damit ebenfalls für die kurzen Pässe zu haben ist.
Hilfe, die er sicherlich nötig hat, die man ihm aber auch gerne gibt, wenn man die Aussagen der Raiders betrachtet. Head Coach Jon Gruden etwa fand auch in dieser Offseason wieder lobende Worte für seinen QB: "Ich denke, er ist ein wirklich guter Spieler", sagte Gruden gegenüber Raider Nation Radio 920 vor wenigen Tagen. "Ich denke, er hat eine Chance, ein großartiger Spieler zu werden, wenn wir die Mitspieler um ihn herum verbessern können und er gesund bleibt".
Entsprechend wurde im Raiders-Camp auch kein Wettbewerb um den Quarterback-Job ausgerufen. Was nicht viel heißen muss, sollte der Saisonstart verpatzt werden - Mariota selbst war auch 2019 zu Saisonbeginn der klare Starter, ehe die Wachablösung auch durch überschaubare Vorstellungen seinerseits eingeleitet wurde.
Carr hat jedoch den Vorteil, dass auch die Mitspieler zahlreich hinter ihm stehen. Über den Sommer versammelte er rund 30 Mitspieler zu privaten Workouts in einem Park in Las Vegas. Ein Fakt, der Gruden beeindruckte. "Al Davis sagte immer, dass Siegeswille das Wichtigste ist, was ein Mann haben kann. Und Derek hat diesen", sagte Gruden: "Er zeigte es dadurch, dass er diese Workouts organisiert, engagiert gearbeitet hat und Spieler davon überzeugte, hierherzukommen."
Derek Carr: Meiste Comebacks im vierten Viertel nach sechs Jahren
Jenen Siegeswillen kann man Carr indes auch nicht absprechen. Seine 18 Comebacks im vierten Viertel sind die meisten für einen Quarterback in den ersten sechs Jahren seiner Karriere in der Geschichte der NFL. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie wenige Siege die Raiders insgesamt in Carrs Zeit in Oakland eingefahren haben. Und das lag wahrlich nicht nur an Carr selbst.
Doch der Quarterback ist sich auch im Klaren darüber, dass mehr von ihm verlangt wird. In einer Zoom-Konferenz wurde er vor kurzem gefragt, ob er über einen Opt-Out wegen der Coronavirus-Pandemie nachgedacht habe: "Nein, habe ich nicht", war seine Antwort. "Ich muss mir selbst einiges beweisen. Ich muss meiner Organisation einiges beweisen. Und ich sage es ganz ehrlich: Ich bin es leid, nicht respektiert zu werden. Es war also keine Frage, dass ich dieses Jahr spielen werde."
Im Vorjahr stellten die Raiders die drittschlechteste Defense der NFL gemäß DVOA, was unterstreicht, dass beim Team von Gruden ohnehin eher der Schuh in der Defense drückt.
Am Ende aber hat eigentlich nur einer auf dem Platz die Möglichkeit, ein mittelmäßiges Team aufs nächste Level zu hieven in dieser NFL - der Quarterback. Will Carr jener sein, dann muss er das in ihn gesetzte Vertrauen langsam in großem Stil zurückzahlen. Die Rahmenbedingungen haben sich in Sachen Personal um ihn herum nochmal merklich verbessert. Ausreden gibt es somit keine mehr. Carr muss unter Beweis stellen, dass er der Quarterback der Zukunft ist in Las Vegas.
Andernfalls steht einer vorzeitigen Trennung nicht mehr viel im Wege.
Derek Carr: Statistiken in sechs Jahren in der NFL
Saison | Spiele | Bilanz | Passquote | Yards | Touchdowns | Interceptions |
2014 | 16 | 3-13 | 58,1 | 3270 | 21 | 12 |
2015 | 16 | 7-9 | 61,1 | 3987 | 32 | 13 |
2016 | 15 | 13-3 | 63,8 | 3937 | 28 | 6 |
2017 | 15 | 6-9 | 62,7 | 3496 | 22 | 13 |
2018 | 16 | 4-12 | 68,9 | 4049 | 19 | 10 |
2019 | 16 | 7-9 | 70,4 | 4054 | 21 | 8 |