Die vergangenen Tage dürften keine allzu angenehmen für Adam Gase und Gregg Williams gewesen sein. Am 25. Juli mussten der Head Coach der Jets und sein Defensive Coordinator erst Safety Jamal Adams nach Seattle ziehen lassen, nur um wenige Tage später zu erfahren, dass Linebacker C.J. Mosley von seinem Opt-Out-Recht Gebrauch machen und auf die kommende Saison verzichten wird.
Innerhalb von einer Woche verloren die Jets, die ohnehin nicht zu den mit dem meisten Talent gesegneten Teams der NFL zählten, somit ihre beiden wohl besten Spieler. Rund einen Monat vor Beginn der Saison 2020 stellt sich die Frage, wer der beste Spieler im Kader ist. Le'Veon Bell? Marcus Maye? Jamison Crowder? Brian Poole? Wie auch immer man die Frage zu beantworten gedenkt, beeindruckend wird eine solche Antwort nicht ausfallen.
Gase gerät durch die Ereignisse der vergangenen Tage in eine wenig beneidenswerte Situation. Nach sieben Siegen in der Vorsaison sowie einer negativen Bilanz in seiner Zeit in Miami steht der 42-Jährige unter Druck. Er muss beweisen, dass er die Jets in eine erfolgreiche Zukunft führen kann. 2020 gilt als entscheidendes Jahr für den einst als Offensivgenie gefeierten Coach.
New York Jets mit mehr Schwachstellen als Stärken
New York in der kommenden Saison zu einer positiven Bilanz zu führen oder zumindest lange im Playoff-Rennen zu halten, darf spätestens nach den Abgang von Adams und dem Opt-Out von Mosley als Mammutaufgabe bezeichnet werden. Aktuell weist der Kader des Teams deutlich mehr Schwachstellen als Stärken auf.
In der Secondary ist Brian Poole zwar ein guter Slot Cornerback und Pierre Desir, im Vorjahr bei den Colts auf die Bank verbannt, soll im Press-Man-Scheme von Williams wieder zu alter Stärke finden, der zweite Outside-Corner-Spot ist jedoch noch offen. Quincy Wilson wäre hier ebenso ein Kandidat wie Arthur Maulet oder auch Rookie Bryce Hall - allzu viel Respekt dürfte diese Cornerback-Gruppe ihren Gegnern in keiner Konstellation einflößen.
Der Front Seven mangelt es, sofern Quinnen Williams in seinem zweiten Jahr keinen großen Schritt nach vorne macht, nach wie vor an Pass-Rushing-Qualitäten. Henry Anderson enttäuschte nach seiner durchaus kostspieligen Vertragsverlängerung im Vorjahr. Dass Jordan Jenkins seine guten Zahlen (acht Sacks) aus der Vorsaison bestätigen kann, darf bezweifelt werden.
In der Offense bringen zwar viele Neuzugänge frisches Blut ins Team, gestandene Starter sucht man hier allerdings auch eher vergebens. Breshad Perriman deutete sein Potenzial im Vorjahr zwar an, ist aber kein Nummer-eins-Receiver. Rookie Denzel Mims, der bei Baylor nur einen sehr limitierten Route Tree lief, könnte derweil noch Zeit brauchen. Slot-Receiver Jamison Crowder und Tight End Chris Herndon sind solide Waffen, werden die Offense aber auch nicht tragen können.
Die Offensive Line wiederum wurde auf vier von fünf Positionen neu besetzt. Connor McGovern und Greg van Roten könnten mit ihrer Athletik gut in Gases Offensiv-System passen, die physisch beeindruckenden, technisch aber eher rohen Offensive Tackles Mekhi Becton und George Fant müssen ihre Starter-Qualitäten allerdings erstmal unter Beweis stellen.
New York Jets: Auch Darnold steht unter Druck
Sam Darnold geht somit in seinem dritten Jahr zum dritten Mal unter widrigen Umständen in die Saison. Von der Unterstützung, die Lamar Jackson in Baltimore, Josh Allen in Buffalo und Baker Mayfield in Cleveland an ihre Seite gestellt bekommen haben, kann der einstige USC-Star bislang nur träumen.
Dabei dürfte die kommende Saison für Darnold ähnlich kritisch werden wie für Gase. Noch hat der 23-Jährige zwar Fürsprecher im Team und in den Medien, seine Leistungen in den ersten beiden Saisons waren allerdings äußerst inkonstant - wenn man es wohlwollend formulieren möchte.
In seinem dritten Jahr muss Darnold somit endlich Argumente für sich sammeln. Überzeugt er auch 2020 nicht, könnte seine Zeit in New York unter Umständen tatsächlich schon wieder vorüber sein. Mike Maccagnan, der GM, der ihn einst an dritter Stelle im Draft auswählte, ist bereits entlassen worden. Sollten die Jets im kommenden Draft einen hohen Pick erhalten, könnte Maccagnans Nachfolger Joe Douglas damit Darnolds Nachfolger draften.
New York Jets: Ein echter Neuanfang 2021?
Tatsächlich richtet sich der Blick bei Gang Green nach den Ereignissen der letzten Tage schon wieder mehr und mehr auf 2021. Zum einen, weil die Chancen 2020 eine erfolgreiche Saison zu spielen ohne Adams und Mosley nicht gerade größer geworden sind. Zum anderen aber auch, weil die Jets in diesem Jahr (mal wieder) einen echten Neuanfang starten könnten.
Durch den Trade von Adams zu den Seahawks verfügt die Franchise im Draft dann über gleich zwei Erstrundenpicks. Dies würde es dem Team erlauben, gleich zwei Top-Talente nach New York zu holen, gibt den Jets aber auch mehr Optionen für Trades, um im Draft weiter nach oben zu kommen oder für andere Spieler.
Darüber hinaus befinden sich die Jets im kommenden Jahr in einer sehr guten Cap-Situation - dafür hat Douglas in den vergangenen Tagen gesorgt. Der GM nutzte den durch Mosleys Opt-Out frei gewordenen Cap Space, um Wide Receiver Quincy Enunwa (über 11 Millionen Dollar an Dead Money 2020) zu entlassen, das Team verschob so einen Großteil der Cap-Belastungen aus dem Jahr 2021 auf die aktuelle Saison.
Während viele andere Teams im Falle einer Reduzierung des Caps 2021 große Schwierigkeiten bekämen, hätten die Jets das sechstmeiste Geld aller Teams zur freien Verfügung. Sollte New York im kommenden Jahr Henry Anderson und Le'Veon Bell entlassen, hätten die Jets sogar mehr Cap Space als alle anderen Teams mit Ausnahme der Indianapolis Colts.
New York Jets: Douglas will Team zurück zum Erfolg führen
Noch ist die kommende Saison für die Jets nicht verloren, keinesfalls. So gut Adams und Mosley als Spieler auch sein mögen, Strong Safety und Middle Linebacker sind in der modernen NFL keine Premium-Positionen mehr. Ihr Verlust kann also theoretisch aufgefangen werden.
Wenn sich junge Spieler wie Darnold, Williams, Herndon, Becton oder Mims in diesem Jahr gut entwickeln und einen merklichen Schritt nach vorne machen sollten, könnten die Jets trotz all der widrigen Umstände am Ende doch um den dritten Wildcard-Spot in der AFC mitspielen. Das allerdings ist ein großes "Wenn".
Douglas will die Jets nach nur einer Saison mit einer positiven Bilanz in den vergangenen neun Jahren endlich wieder in die Erfolgsspur lenken. Dabei geht der 44-Jährige kühl und pragmatisch vor, das hat nicht zuletzt der Umgang mit Adams gezeigt.
Douglas wird den Verlauf der anstehenden Spielzeit abwarten. Sollte diese allerdings nicht überzeugend verlaufen, würde er sicherlich nicht zögern, den Restart-Knopf zu drücken. Es wäre nicht das erste Mal in New York.