Ein Aufbruch ins Ungewisse; so könnte man nahezu jedes Spiel und jede Situation der 32-NFL-Teams an diesem Wochenende umschreiben, schließlich ist es genau das. Durch Corona und die ausgefallene "echte" Offseason startet wahrlich jeder bei null. Noch niemand weiß, wie konkurrenzfähig er wirklich ist, schließlich gab es noch keine Vergleiche außerhalb der teaminternen Trainings-Spiele.
Ein Team, das jedoch in eine besonders ungewisse Saison startet, sind die Atlanta Falcons. Sie treten nicht nur gegen eines der mutmaßlichen Topteams der gesamten NFC an, sie müssen auch direkt eine auf mehreren Schlüsselpositionen neu formierte Truppe ins kalte Wasser werfen.
Gerade die Defense dürfte direkt im Mittelpunkt stehen gegen Seattle. An der Front gilt es, effizienter in Sachen Pass Rush zu werden. Im Vorjahr gelangen ganze 28 Sacks - die zweitwenigsten der Liga. Hier stehen Neuzugang Dante Fowler Jr. und der 2017er Erstrundenpick Takk McKinley in der Pflicht. Während Fowler im Vorjahr einen Karrierebestwert in Diensten der Los Angeles Rams aufstellte (11,5 Sacks), legte McKinley im dritten Jahr in der Liga seine bislang schlechteste Saison hin (3,5 Sacks in 14 Spielen). Folglich wurde auch seine Option für ein fünftes Vertragsjahr nicht gezogen, sodass er bereits in diesem Jahr um einen neuen Vertrag spielt - in Atlanta oder anderswo.
Das ist aber nur ein Teil der Geschichte, denn neu formiert kommen auch die Cornerbacks daher. Desmond Trufant fiel der Salary-Cap-Situation zum Opfer, zudem wurde auch Jamar Taylor entlassen. Die neue Besetzung sieht nun vor, dass Isaiah Oliver nach seinem Leistungssprung im Vorjahr nun als Starter in die Saison geht. Ihm gegenüber wird der diesjährige Erstrundenpick A.J. Terrell auflaufen, so er denn rechtzeitig fit wird. Ihn plagt derzeit eine Oberschenkelverletzung. Ebenfalls fest für die Rotation auf dieser Position ist indes Vorjahres-Rookie Kendall Sheffield eingeplant, doch jener fällt mit einer Fußverletzung aus.
Falcons: Angespannte Personallage in der Secondary
Direkt zum Start also droht das ohnehin unerprobte Gebilde in sich zusammenzufallen. Und da dahinter eigentlich nur noch Darqueze Dennard, ebenfalls neu im Team, als Ersatz wartet, mutiert die Secondary wohl direkt mal zu einer klaren Schwachstelle.
Spannend wäre dann, wie die Seahawks darauf reagieren werden. Hier kommt wieder das Thema dieser Offseason zur Sprache: Lässt man Quarterback Russell Wilson schon vom Start weg das komplette Playbook nutzen und aggressiv ins Passspiel gehen? Oder bleibt es beim konservativen Ansatz mit viel Laufspiel und wenig Risiko zu Beginn? Das wiederum würde den Falcons wohl sogar in die Karten spielen, besonders bei der aktuell schwierigen Personallage.
Allerdings werden auch die Seahawks voraussichtlich nicht in Bestbesetzung anreisen. Während die Fußverletzung von Wide Receiver Phillip Dorsett angesichts des ohnehin üppig besetzten Receiving Corps zu kompensieren ist, droht der Ausfall der kompletten linken Seite der Offensive Line. Auf Left Tackle werden sowohl Duane Brown als auch Cedric Ogbuehi im Injury Report als "fraglich" - 50 Prozent Chance auf einen Einsatz - gelistet. Sollten tatsächlich beide fehlen, wären Umbauarbeiten an der Front notwendig, da außer Right Tackle Brandon Shell kein anderer Tackle mehr im Kader steht.
Gleichzeitig wäre diese Seite der O-Line ein idealer Ansatzpunkt für die Falcons und Fowler, um Druck auf Wilson auszuüben.
Ein weiterer Grund, gegen die üblichen Tendenzen - und das gilt für beide Seiten - zu gehen, wäre indes die Familiarität, die beide Coaching Staffs miteinander haben. Falcons-Coach Dan Quinn war schließlich einige Jahre der Defensive Coordinator der Seahawks unter Peter Carroll. "Wir haben diese Jungs schon häufiger gesehen", sagte Carroll. "Wir kennen deren Staff und sie kennen uns auch." Darüber hinaus treffen beide Teams nun schon in der fünften Saison nacheinander aufeinander.
Falcons vs. Seahawks: Man kennt sich
Beide Seiten haben also eine ziemlich gute Vorstellung, was die Gegenseite in bestimmten Situationen am wahrscheinlichsten machen wird - im Normalfall.
Erschwerend hinzu kommt für beide Seiten die Tatsache, dass es im Mercedes-Benz Stadium keine Zuschauer geben wird. "Es wird definitiv anders sein als sonst", sagte Falcons-Quarterback Matt Ryan unter der Woche. "Ich denke aber, dass die Intensität hoch sein wird." Zudem betonte er: "Wenn Sie auf andere Sportarten schauen - was im Basketball, Eishockey und Baseballl vor sich geht -, dann war die Qualität des Spiels wirklich gut. Und die Intensität war auch immer da."
Es wird anders sein, doch zeigte schon das Auftaktspiel zwischen den Chiefs und Texans am Donnerstag, dass die Spielqualität nicht unbedingt unter der veränderten Kulisse leiden muss.
Bleibt das auch am Sonntag in Atlanta so, erwartet die TV-Zuschauer immerhin ein interessantes Duell, in dem zumindest mal beide Offensivreihen namhaft besetzt sind. Während die Falcons allen voran auf die Wide Receiver Julio Jones und Calvin Ridley sowie den neuen Tight End Hayden Hurst setzen werden, warten aufseiten der Seahawks Top-Receiver wie Tyler Lockett und D.K. Metcalf, der seine starke Rookie-Saison bestätigen will. Munition für ein Feuerwerk ist vorhanden, es muss nur noch jemand entfachen.