Top 10: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 16 in der NFL

Von Adrian Franke
28. Dezember 202010:43
SPOX-Redakteur Adrian Franke bringt euch auf Stand - mit seinen Top-10-Takeaways zu Woche 16 in der NFL.getty
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Die Regular Season steht kurz vor dem Abschluss, Entscheidungen fallen, Teams werden eliminiert: Was hat Woche 16 gelehrt? Dass die Rams und Seahawks noch immer klar erkennbare Probleme haben. Dass es für Pittsburgh etwas Hoffnung gibt. Dass die Chiefs mit dem Feuer spielen. Wie geht es weiter in Arizona? Und gehen die Dolphins zu harsch mit Tua Tagovailoa um? SPOX-Redakteur Adrian Franke bringt Euch am Montag auf Stand mit seinen zehn wichtigsten Punkten und Einschätzungen zum vergangenen NFL-Sonntag, alle Recaps vom Sonntag gibt es hier.

Top 10 - die Takeaways zu Week 16 in der NFL

1. Die Dolphins: Playoffs um jeden Preis?

Schon zum zweiten Mal in seiner Rookie-Saison wurde Tua Tagovailoa am Samstag gegen die Raiders gebenched. Das erste Mal war gegen Denver, und einige Parallelen fielen auf: Er hielt den Ball sehr lange, er hatte sichtbare Probleme mit dem Tempo im Play und er wagte es kaum einmal, vertikal zu attackieren. Tagovailoa war schlecht, und das gegen eine zumeist äußerst wacklige Raiders-Defense.

Wie Ryan Fitzpatrick dann das Spiel für Miami rettete, war ein absoluter Wahnsinn und unterstreicht nur noch einmal, was für ein spektakulärer und unterhaltsamer Quarterback Fitzpatrick sein kann. Es unterstreicht aber auch, wie groß doch noch der Unterschied zwischen ihm und Tagovailoa ist. Fitzpatrick lässt die Offensive Line besser aussehen, weil der Ball schneller raus ist, er erkennt Coverages und Blitzer, die Tua überraschen, und er gibt seinen Receivern auch Downfield eine Chance.

Zu diesem Zeitpunkt würde man sich wünschen, dass die Lücke zwischen beiden nicht mehr ganz so groß ist, und dennoch ist es der erwartbare Rahmen. Tagovailoa ist noch jung, er wird lernen, er wird mit der Zeit besser mit dem Tempo zurechtkommen. Wird er ein Franchise-Quarterback? Komplett offen. Allzu viel hat er bislang nicht gezeigt, gerade im Vergleich mit den Rookie-Kollegen Burrow und Herbert.

Flores' Umgang mit seinem hoch gepickten Rookie-Quarterback ist in jedem Fall ungewöhnlich. Im Moment funktioniert er, weil die Defense exzellent ist und weil Miami auf Playoff-Kurs ist; weil Fitzpatrick der perfekte "Komplementär-Quarterback" dafür ist. Es funktioniert für das Team. Jetzt.

Miami: Brian Flores und das kritische Quarterback-Timing

Aber was macht es mit Tagovailoas Entwicklung? Wäre es für ihn nicht hilfreich, diese Spiele auch zu Ende zu spielen? Und was macht es mit der Dynamik im Team, sollte man - was die offensive Seite des Balls angeht - vor allem dank Fitzpatrick die Playoffs erreichen? Was, wenn der Rookie dann das Playoff-Spiel wegwirft - oder Fitzpatrick sie auch in der Postseason zum Sieg führt? Wie schnell kommen Rufe nach Fitzpatrick, falls Tua nächste Woche wieder wackelt? Oder dann eben in den Playoffs?

Oder, sofern die Dolphins den Routinier halten, nächstes Jahr?

Tua wird jetzt nicht plötzlich einen großen Sprung machen, und er hat genug auf Tape gepackt, um damit für die kommende Saison arbeiten zu können. Wäre es dann nicht jetzt sogar sinnvoller, den Rest der Saison mit Fitzpatrick zu spielen und dann das Zepter sauber an Tua zu übergeben, statt ihn jetzt nochmals nach drei schlechten Vierteln raus zu nehmen? An diesem Punkt der Saison sehe ich den Mehrwert für Tua nicht, ob er noch ein Spiel spielt oder nicht macht nicht den großen Unterschied, und mit Fitzpatrick hat Miami definitiv bessere Chancen auf Siege.

Ein Football-Team gerade mit Blick auf die Quarterback-Position kann ein sehr fragiles Gesamtwerk sein, und was jetzt richtig für das Team ist, könnte mittel- und langfristig eine Büchse der Pandora öffnen. Flores muss es schaffen, im richtigen Moment die Fitzmagic-Stützräder von seinem Tua-Fahrrad abzuschrauben und dem Youngster den Lenker in die Hand geben.

Es ist ein ungewöhnlicher Ansatz, der sich jetzt auszahlt. Doch Flores' ganz klar auf die Playoff-Teilnahme in diesem Jahr ausgerichtete Marschroute könnte für ihn und für Tagovailoa kommende Saison dann noch ganz anderweitig ein Thema werden.

2. Die Aufholjagd der Steelers macht Hoffnung

Vor zwei Wochen, nach der Niederlage gegen Buffalo, hatte ich die Alarmstufe Dunkelgelb für die Steelers ausgerufen - die Farbe war im Laufe der ersten Hälfte gegen die Colts ins dunkle Rot übergegangen. Das lag einmal mehr an einer komplett dysfunktionalen Offense, die gegen die Colts abermals ihr hässlichstes Gesicht zeigte. Zumindest für eine Hälfte

Es fing an mit dem ersten Drive - ein Three-and-Out mit drei Incompletions, alle kurz, alle in enge Fenster -, der eine Art Vorschau auf das gesamte Spiel werden sollte. Immer wieder waren es die gleichen Probleme: Roethlisberger wollte den Ball blitzartig loswerden und übersah dabei auch mal offene Receiver und versuchte, Würfe in engste Fenster zu erzwingen.

Mehrfach hatte er dabei auch Interception-Glück, mehrfach war er ungenau und zu spät und brachte nicht ansatzweise genug Power hinter den Wurf. Das erlaubte es Verteidigern regelmäßig, noch Lücken zu schließen, wie etwa auch bei dem Fourth-Down-Pass direkt vor der Colts-Endzone im dritten Viertel. Und dass Pittsburgh kein Run Game hat, ist ebenfalls keine neue Erkenntnis, und auch das ist eine Kombination aus mehreren Dingen: Schwachstellen in der Offensive Line, schlechte Running Backs und ein Run Game, das komplett unabhängig von den Passing-Designs läuft.

Das ist insgesamt ein übergreifender Punkt: Der Offense fehlt jegliche Kohärenz. Die Passing Plays laufen in Isolation ab, und hier und da wird eben mal ein Run eingestreut. Um so konstant zu gewinnen, fehlt jedoch klar die individuelle Elite-Qualität; in der Offensive Line, bei den Receivern, aber auch auf Quarterback. So, wie Big Ben seit einigen Wochen schon spielt, wird man sich in Pittsburgh damit auseinandersetzen müssen, dass Roetshlisberger jetzt vielleicht doch ganz schnell von der sprichwörtlichen Klippe fällt.

Vor den Playoffs: Hoffnung für die Steelers?

Eine Lektion daraus ist einmal mehr, dass eine Elite-Defense gepaart mit einer mittelmäßigen Offense ein sehr fragiles Gebilde ist. Die Defense kann schnell ein paar Prozentpunkte verlieren, und wenn die Offense das nicht ausgleichen kann, entsteht schnell ein Schneeballeffekt. Bei den Steelers wurde dieser Schneeball noch viel größer, weil aus einer mittelmäßigen Offense eine schlechte Offense wurde. Seit mehr als einem Monat gehörte die Steelers-Offense zur Halbzeit dieses Spiels ins untere Liga-Viertel.

Dass sie es doch auch anders können, und dass Roethlisberger doch noch Qualität in seinem Arm hat, sah man dann bei der spektakulären Aufholjagd. Pittsburgh, ein wenig zu seinem Glück gezwungen, warf den Ball endlich tief - und plötzlich war das Feld offen und es entstanden Räume, derer sie sich so häufig in den letzten Wochen selbst beraubt hatten.

Parallel spielte die eigene Defensive Line eine exzellente zweite Hälfte und meldete, gemeinsam mit einigen Fehlern von Philip Rivers, die Colts-Offense ab. Und so steht ein Sieg, der Pittsburgh die Division-Krone beschert, und den Steelers eben auch zeigt, wozu dieses Teams in der Lage sein kann. Ein wenig Hoffnung.

Bleibt abzuwarten, was Pittsburgh davon in den Playoffs zeigt. Die Defense wird dort das Team nicht tragen können.

3. Neues Gefühl, neue Perspektive für die Jets

Wir haben dieses Jahr die Jets viel kritisiert, und viel darüber gesprochen, wie desolat dieses Team gecoacht war. Für einen kurzen Moment muss man dann jetzt auch einmal den Hut ziehen, weil Adam Gase es tatsächlich geschafft hat, dass dieses Team hart spielt. Eine Woche nach dem komplett leblosen Auftritt beim 3:40 in Seattle spielten die Jets ihr bestes Saisonspiel und sorgten mit dem Sieg bei den Rams für die größte Überraschung dieser Saison, nur um dann diese Woche direkt das zweite Playoff-Team in Folge zu ärgern, mit dem Sieg über die Browns.

In einer schon lange verlorenen Saison, in der man seit Wochen das Gespött der Liga war und gerade gnadenlos von den Seahawks zerlegt worden war, kann ein Team auch komplett den Kopf in den Sand stecken.

Die Jets wären nicht das erste Team in dieser Hinsicht gewesen, und es spricht für Gase, dass das abgewendet wurde und das genaue Gegenteil eintrat. Auch wenn die Browns bedingt durch die Receiver-Ausfälle - Mayfield warf den Ball 53 Mal und kein Receiver hatte mehr als 60 Yards - natürlich mit einem Handicap antraten; vor fünf Wochen hätten die Jets gegen dieses Team vermutlich trotzdem verloren.

Glückwünsche sind dementsprechend auch angebracht nach Jacksonville, wo die Jaguars jetzt den Nummer-1-Pick in der Tasche haben und die Fans sich vermutlich schon jetzt auf Trevor Lawrence freuen. Für Jacksonville ist es der 19. Pick in der Top-10 seitdem die Jags 1995 in die NFL gekommen sind - doch der erste Nummer-1-Pick. Drei Mal gab es bisher den Nummer-2-Pick.

Für die Jets ist jetzt die Frage Realität, die letzte Woche nach dem Sieg gegen die Rams bereits diskutiert wurde: Was macht man mit dem Nummer-2-Pick? Wie groß ist der Drop-Off von Lawrence zum nächsten Quarterback-Prospect? Hat sich Darnold noch eine Chance erspielt? Vielleicht sogar Gase ebenfalls?

Letzteres halte ich für ausgeschlossen; Ersteres könnte, je nachdem was dann der neue Head Coach denkt, tatsächlich eine Option sein. Um dann den Nummer-2-Pick meistbietend zu verkaufen, oder den besten Nicht-Quarterback zu wählen. Dieses Szenario wirkt jetzt wieder deutlich wahrscheinlicher - ich bleibe dabei, dass das nicht mein Weg als Jets-GM wäre. Darnold hat Ansätze gezeigt, aber nie mehr, und das wäre mir nicht genug, um die Chance auf einen Quarterback mit dem Nummer-2-Pick auszuschlagen, um noch ein Jahr für Darnold aufzuwenden, um dem neuen Coach nicht den kompletten Neustart zu ermöglichen.

4. Die NFC East: Haskins und Eagles verabschieden sich

Woche 16 brachte auch in der oft gescholtenen NFC East Klarheit. Die Eagles sind eliminiert, Washington hält sein Postseason-Ticket in der eigenen Hand: Ein Sieg über jene Eagles in Woche 17, und das Team aus der Hauptstadt ist definitiv dabei.

Verliert Washington allerdings, vertritt der Sieger aus dem direkten Cowboys-Giants-Duell die NFC East als Division-Sieger in den Playoffs. Und dann warten in der Wildcard-Runde aller Wahrscheinlichkeit nach Tom Brady und die Buccaneers.

Dallas zeigte dabei einmal mehr, dass die Offense unter Andy Dalton eine Baseline gefunden hat. Dalton verteilt den Ball schnell und zuverlässig, und die Wide Receiver machen die Plays. Das war die Hoffnung in Dallas nach der Prescott-Verletzung, seit einigen Wochen ist das auch so zu beobachten. Gallup war diese Woche spektakulär, die Schwächen in der Eagles-Secondary in Kombination mit der Verletzung von Fletcher Cox waren zu gravierend, während die Defense unter neuem Defensive Coordinator offenbar simpler, aber auch schneller spielt.

Doch das einzige Team, das die Zügel komplett in der Hand hält, residiert in der Hauptstadt - und es ist auch das Team, das vor Woche 17 die größte Wundertüte darstellt. Kann Alex Smith zurückkehren und Washington die dringend benötigte Stabilität geben? Die Defense, allen voran die Defensive Front, ist gut genug, um gegen Philly den Rest zu erledigen.

Fehlt Smith aber, sind alle Szenarien denkbar. Nur eines nicht: Dass Dwayne Haskins nochmal unter Ron Rivera spielt. Haskins hatte seinen Startplatz auffallend schnell verloren, und war dann gleich ins dritte Glied gerutscht. Nur verletzungsbedingt sah er das Feld nochmal - um dann nach der Niederlage gegen Seattle in der Vorwoche im Stripclub zu feiern. Ohne Maske natürlich. "Dämlich" wäre hier wohl noch eine Untertreibung, "unreif" die nette Variante.

Haskins durfte trotzdem dann gegen die Panthers spielen - und war absolut desolat, ehe er schließlich rausgenommen und durch Taylor Heinicke ersetzte wurde. Smith oder Heinicke sollten auch die einzigen Optionen in Woche 17 sein; Haskins setzte noch einen drauf, indem er nach der Partie seinen verpflichtenden Termin zur Pressekonferenz einfach sausen ließ und das PR-Team ihn nicht ausfindig machen konnte. Er holte diesen dann schließlich verspätet von zuhause aus nach.

Vielleicht entwickelt er sich noch. Aber im Moment ist Haskins nicht nur auf dem Feld nicht bereit für den Job eines Starting-Quarterbacks.

5. Die Cardinals: 2021 ist das wegweisende Jahr

Die Niederlage der Cardinals gegen die stark ersatzgeschwächten 49ers hat Arizona womöglich die Playoffs gekostet. Es bräuchte jetzt einen Sieg über die Rams, was noch nie gelungen ist, seitdem Sean McVay dort im Amt ist. Die Playoffs in diesem Jahr wären "nice to have", auch für die Entwicklung des Teams. Aber es sind mehr die übergreifenden konzeptuellen Themen, auf die der Fokus gerichtet werden muss.

Arizonas Offense wirkt noch zu sehr wie eine Offense in der Findungsphase. Einige der Ideen sind klar erkennbar - Spread to Run, Option Run Game, RPOs und ein schnelles Kurzpassspiel -, doch noch hat man nicht den Eindruck, dass es ein starkes Fundament für eine zusammenhängende Identität gibt. In manchen Spielen klappt der Ansatz perfekt, und Arizona kann die Box gegen den Run leicht machen, seine Deep Shots anbringen, und die Offense sieht aus wie eine gut designte Maschinerie.

Aber wenn die Offensive Line dominiert wird, oder wenn Hopkins halbwegs neutralisiert wird, dann fehlte einige Male auffällig die Struktur, auf die man zurückfallen kann. So wie es bei den 49ers eben das Outside Zone Game plus Play Action ist, in dem das Team eben eine Baseline hat, egal, wer Quarterback spielt. Bei Arizona ist es noch zu häufig individuelles Stückwerk, teilweise wirkt es, als würde man noch versuchen, was funktioniert und was nicht. Hier ist Kingsbury gefordert, gleichzeitig hat er über die beiden Jahre unbestreitbar die Fähigkeit, sich zu hinterfragen und sich anzupassen, gezeigt. In beiden Saisons.

Der Kader hat derweil noch immer größere Baustellen. Man muss sich manchmal vor Augen führen, was für einen desolaten Kader die Cardinals zum Start der Kingsbury-Murray-Ära hatten. Das war nach der 2018er Saison das mit Abstand schlechteste Team der Liga; Arizona hätte in jenem Jahr auch gut und gerne ohne Sieg die Saison beenden können. Zwei Jahre später wird man die Saison mindestens mit einer ausgeglichenen Bilanz, vielleicht sogar in den Playoffs beenden, und dennoch: So ein Team umzubauen braucht Zeit.

Das sieht man aktuell. Es fehlt die Nummer 2 hinter DeAndre Hopkins, die Interior Offensive Line ist eine immer größere Baustelle, Tight-End-Verletzungen ziehen sich durch die Saison und defensiv muss von der Defensive Line über die Inside Linebacker bis hin zu den Outside Cornerbacks überall nachgebessert werden. Es ist ein Kader, der fraglos Fortschritte gemacht hat, jetzt aber eben im oberen Liga-Mittelmaß steht. Nicht höher. Und Kingsbury und Murray sind (noch?) nicht gut genug, das konstant wettzumachen, nur in manchen Spielen blitzte das auf.

Arizona: Wann wackelt Kliff Kingsburys Stuhl?

Die NFL ist eine schnelllebige Liga, in welcher eine Chance darauf, etwas Nachhaltiges aufzubauen, häufig dem Verlangen nach sofortigen Ergebnissen zum Opfer fällt. Das darf nicht als Deckmantel gelten, um schlechte Leistungen zu rechtfertigen und zu lange an Coaches festzuhalten, aber an dem Punkt sehe ich die Cardinals unter Kingsbury längst noch nicht.

Der 6-3-Start mit dem vermeintlich leichten Part des Schedules noch vor der Brust hat Erwartungen geweckt, und in einigen Spielen hatte man dann auch den Eindruck, dass das Team nicht zu 100 Prozent auf dem Platz war - was auch mal mindestens teilweise in die Verantwortung des Head Coachs fällt.

Die schlechtesten Auftritte der Cardinals in diesem Jahr kamen in Spielen, die man hätte gewinnen müssen, oder wo der Gegner zumindest auf dem Papier maximal ebenbürtig war. Gegen die Patriots, gegen die Lions, die Panthers und jetzt die angeschlagenen 49ers. Das lässt einen sehr unschönen Beigeschmack im Mund, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Entwicklung innerhalb des Teams feststellbar ist.

Sie verläuft nicht so konstant wie erhofft und man würde sich würde sich eine klarere Identität der Offense an diesem Punkt wünschen. All das ist absolut faire Kritik, und deshalb gilt für die Cardinals auch: 2021, das dritte Jahr unter Kingsbury und Murray und mit einer weiteren Offseason, um in den Kader zu investieren, ist dann tatsächlich ein kritisches Jahr für Kingsbury. Unabhängig davon, ob man sich das letzte Wildcard-Ticket am kommenden Sonntag noch ergattert.

Dann muss man mehr Kohärenz in der Offense sehen, dann muss man eine Entwicklung auch bei ihm was etwa das Clock-Management angeht innerhalb der Spiele sehen, dann müssen auch die individuellen Fehler - allen voran die Strafen in der Offensive Line - drastisch reduziert werden. Passiert all das, werden die Siege von alleine kommen. 2021 ist das entscheidende Jahr, da muss ein klar erkennbarer Sprung stattfinden.

Passiert das nicht, stehen die Cardinals heute in einem Jahr mehr oder weniger am gleichen Punkt wie heute, und dann halte ich alle Diskussionen um Kingsburys Job für mehr als gerechtfertigt. Dieses Jahr, unabhängig davon was kommenden Sonntag passiert, jedoch noch nicht.

6. Aaron Rodgers ist der MVP

Der spektakulär dominante Auftritt der Green Bay Packers gegen Tennessee hat zwei Sachen für mich unterstrichen: Tennessees Defense ist ein Problem und wird auch in den Playoffs explosive Auftritte der Titans-Offense erfordern, um nicht ein frühes böses Erwachen zu erleben; die Hoffnung muss sein, dass sich die Secondary mit der Rückkehr der Cornerbacks stabilisiert und die Titans so aggressiver spielen können.

Und die andere Erkenntnis: Aaron Rodgers ist der diesjährige MVP.

Nachdem sich Russell Wilson in der zweiten Saisonhälfte deutlich aus diesem Rennen verabschiedet hatte, war es zuletzt nur noch ein Zweikampf zwischen Rodgers und Patrick Mahomes. Letzterer hatte aber dann über die vergangenen Wochen die Turnover gegen Miami und jetzt diesen Auftritt gegen Atlanta, bei dem Kansas City offensiv so gar nicht in die Spur fand.

Rodgers auf der anderen Seite funktioniert wie ein Uhrwerk. Gegen die Panthers mal etwas glanzloser, ansonsten aber sucht man bei ihm seit Wochen nach einem schwachen Spiel. Er spielt auf einem wahnsinnig hohen Level, innerhalb einer guten Struktur, aber auch darüber hinaus. Er macht eben kaum Fehler - die Interception gegen die Titans war da schon eine auffällige Ausnahme -, und dabei ist er trotzdem aggressiv, ist extrem präzise, und improvisiert notfalls auch. Ich gehe davon aus, dass dieser Spieltag - Mahomes' schwacher Auftritt gegen die Falcons und dann Rodgers' Gala gegen Tennessee - das MVP-Rennen entschieden hat.

Womöglich geht eine andere individuelle Auszeichnung nach Kansas City: Travis Kelce stellt gerade neue Tight-End-Bestmarken auf und dürfte ein heißer Kandidat für den Offensive Player of the Year sein. Doch auch hier ist in meinen Augen ein Blick nach Green Bay angebracht, denn dominanter als Davante Adams war für mich in diesem Jahr kein Offense-Spieler außerhalb der Quarterbacks.

7. Die Rams: Alte Probleme, neue Sorgen

Die Niederlage gegen die Jets vor zwei Wochen könnte die Rams noch teuer zu stehen kommen: Eine Niederlage gegen Arizona in Woche 17 mit gleichzeitigem Bears-Sieg über die Packers würde L.A. tatsächlich noch aus den Playoffs kegeln.

Und womöglich müssen die Rams zum Duell mit den Cardinals ohne ihren Starting-Quarterback antreten - Jared Goff hat sich ersten Berichten zufolge gegen Seattle den Daumen gebrochen, genauere Tests folgen noch. Sein Backup wäre John Wolford, der noch keinen Regular-Season-Pass geworfen und am ehesten über sein Gastspiel in der AAF einigen ein Begriff sein dürfte.

Aber Goff hatte auch vor der Verletzung ein grausames Spiel gegen Seattle, der Großteil seines Outputs kam über offene Pässe, Rollouts, Screens und dergleichen. Das ist auch die Überleitung auf jenes kritische Week-17-Spiel: Die Offense von Sean McVay gibt eine gewisse Baseline, und die muss eine Defense erst einmal verteidigen können. Das Run Game, das Play-Action-Passspiel, die Screens. Gegen die 49ers mit deren Backup-Quarterback gelang das den Cardinals nicht.

Doch auch wenn die Rams es in die Postseason schaffen, wird Goff ein Thema bleiben. Die Interception gegen Seattle war schlicht desolat, so ziemlich alles außerhalb des Skripts war wacklig. Die Defense ist herausragend und wenn L.A. den Ball laufen kann, ist das ein sehr gefährliches weil sehr ausgeglichenes Team. Doch wenn dieser Plan nicht aufgeht, wird es ungemütlich. Die Defense muss das Spiel dann lange eng halten können; und gleichzeitig könnten die Rams von allen NFC-Teams die unangenehmste Aufgabe für die Green Bay Packers darstellen, rein von den Matchups her.

Seattle auf der anderen Seite hat mit dem Sieg den Division-Titel perfekt gemacht und hat sogar noch eine Chance auf den Nummer-1-Seed; jedoch auch bei den Seahawks ziehen sich einige Fragezeichen wie ein roter Faden durch die Saison, zumindest durch die zweite Saisonhälfte. Wilson wirkte abermals hektisch in der Pocket, ließ einige Third-Down-Chancen liegen, hatte früh großes Interception-Glück und kassierte unnötig Pressures und Sacks.

Die vereinzelten tiefen Pässe kamen in der zweiten Hälfte besser, und Seattle machte so in der zweiten Hälfte genug. Doch die Fähigkeit, Big Plays offensiv aufzulegen, wird in den Playoffs entscheidend sein. Auch wenn sich die Defense ohne jeden Zweifel verbessert hat.

8. Der Trubisky-Hype ist Schall und Rauch

Während die Cardinals ihre vermeintliche Pflichtaufgabe gegen die 49ers nicht erledigten, machte Chicago in Jacksonville gegen die Jaguars - die aus relativ unerklärlichen Gründen Gardner Minshew wieder rausnahmen und Mike Glennon starten ließen - genau das souverän. Die Bears haben ihr Schicksal jetzt selbst in der Hand, ein Sieg über die Packers in Woche 17 garantiert Chicago ein Wildcard-Ticket.

Wer hätte ein solches Szenario vor vier Wochen vermutet, als die Bears gerade ihr sechstes Spiel in Serie verloren hatten, 5-7 standen und komplett ohne Kurs und ohne Richtung wirkten? Doch schon bei der 30:34-Pleite gegen Detroit waren positive Tendenzen zu erkennen. Die setzten sich dann fort bei den Siegen gegen Houston, in Minnesota und jetzt in Jacksonville.

Chicago hat schlicht eine extrem simple Offense um Trubisky aufgebaut. Rollouts, RPOs, Motion, wenige Reads, wenig Spiel aus der Pocket: Trubisky musste nicht gut spielen, um gegen einige der schwächsten Defenses in der NFL gute Zahlen aufzulegen. Genau das gelang in diesen drei Spielen, die Chicago die Tür Richtung Playoffs ganz weit aufstoßen ließen.

Und dennoch ist es schlicht absurd, dass ESPN-Insider Adam Schefter am Sonntagmittag berichtete, dass es in der NFL Verantwortliche gibt, die denken, dass die Bears Trubisky doch halten sollten. Oder zumindest erwägen sollten, Trubisky noch eine kurzfristige Chance zu geben. Ein kurzfristiger Vertrag, vielleicht der Franchise Tag?

In meinen Augen ist diese Überlegung ein Wahnsinn. An diesem Punkt ist es kein Geheimnis, was Trubisky ist und wo sein Ceiling liegt. Der offensive Coaching Staff aus Bears-Sicht, hier wurde sich neues Vertrauen verdient im Laufe dieser Saison und die Berichte, dass Matt Nagy bleiben wird, kann ich in diesem Zusammenhang nachvollziehen. Nagy und Co. haben in diesem Schlussspurt die Offense super Quarterback-freundlich gemacht und viel aus den Shanahan-McVay-Offenses installiert, um eine Baseline zu sichern und Trubiskys Mobilität einzubauen.

Nur wenig davon ist aber Trubiskys Verdienst, und vor allem: Falls die Offense weiter in diese Richtung gehen soll, ist das Letzte, das man braucht, ein mittelmäßiger und dafür zu teurer Quarterback. Die Bears sollten trotz des jetzt klaren Pfads Richtung Playoffs nicht die Weiterentwicklung ihres Teams nochmals um ein Jahr aufschieben, indem man sich Trubisky doch noch einmal schönredet.

9. Kansas City spielt wieder einmal mit dem Feuer

Am Ende könnte man dieses Spiel gut als weiteren Falcons-Kollaps einstufen. Erst hätte Matt Ryan das Spiel beinahe mit einer Interception beendet, dann ging das kurze Field Goal für den potenziellen Ausgleich daneben und die Chiefs waren mit einem blauen Auge davongekommen. Der Nummer-1-Seed in der AFC ist jetzt auch fix in Besitz der Chiefs, Kansas City wird in der Wildcard Round spielfrei und danach Heimrecht haben.

Aber man muss schon ansprechen, was in diesem Spiel passierte. Denn es war die Chiefs-Defense, die Kansas City überhaupt im Spiel hielt. Und ja, Atlanta spielte gute Coverage, hatte einige Male sogar Erfolg mit dem Blitz, und gab Kansas City nur wenige einfache Yards und offene Completions, die neben all den spektakulären Big Plays so etwas wie das Markenzeichen dieser Offense sind.

Vor allem aber geht der Blick auf die Chiefs-Offense. Phasenweise, und damit ist nicht nur das absurde Trick-Play mit einem Pass auf Mahomes Downfield gemeint, wirkte es so, als würde Kansas City ein paar Dinge ausprobieren. Die Chiefs warfen lange kaum tief, es war super sloppy insgesamt. Mit Drops, mit ungewohnten Fehlern von Mahomes wie der Interception in die Underneath-Coverage. Vielleicht Mahomes' hässlichster Pick in der NFL bisher. Mahomes hätte mindestens noch einen weiteren Pick über die Mitte haben müssen, und Falcons-Corner A.J. Terrell ließ kurz darauf die womöglich spielentscheidende Interception fallen. Es war unter dem Strich vielleicht der schlechteste Auftritt der Chiefs-Offense mit Mahomes bisher.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Chiefs hatten jede Menge Glück, und es war längst nicht das erste Spiel dieser Saison, in dem Kansas City offensiv längst nicht fokussiert wirkte. Dieses Mal hätte sie das fast zum ersten Mal ganz konkret ein Spiel gekostet. Nach wie vor hat man bei den Chiefs das Gefühl, dass sie das Gaspedal dann irgendwann doch durchdrücken können. Aber diese Durchhänger gilt es nach einem freien Wochenende in den Playoffs zu beobachten.

10. Ravens vorsichtig auf 2019er Spuren

Die Beobachtung hatte sich bereits über die letzten Wochen immer wieder aufgedrängt, gegen eine starke Giants-Front bestätigte Baltimore den Eindruck: Durch die Luft ist Baltimore weit von der Effizienz und Explosivität der Vorjahressaison entfernt - aber am Boden sieht das mehr und mehr nach der Durchschlagskraft aus, an die man sich letztes Jahr in Baltimore gewöhnt hatte.

Die Ravens eröffneten die Partie mit einem eindrucksvollen 82-Yard-Drive, und während die Giants Coverage-Busts und verpasste Tackles gegen den Run hatten, walzte Baltimore am Boden nur so über die G-Men. 249 (!) Rushing-Yards standen am Ende, Edwards und Dobbins verzeichneten deutlich positive EPA/Play-Werte.

Baltimore hat sein Playoff-Schicksal jetzt wieder selbst in der Hand, weil die Ravens die Colts und die Browns jeweils im direkten Vergleich bezwangen. Ein Sieg gegen Cincinnati in Woche 17 und die Ravens sind mit dabei.

Und diese Offense, mit diesem für NFL-Verhältnisse nach wie vor einzigartigen Run Game und Lamar Jackson als X-Faktor, sowie auf der anderen Seite eine nach wie vor gefährliche Defense - das wird für jedes Team in der Wildcard Round ein unangenehmes Matchup sein und könnte einem der beiden Top-3-Seeds zum Verhängnis werden.