Die Buffalo Bills stehen kurz vor einem für sie äußerst seltenen Erfolgserlebnis: Erstmals seit 1995 stehen sie kurz vor dem Gewinn der AFC East. Vorbei ist die Vormachtstellung der New England Patriots. Und auch die New York Jets (zuletzt 2002) und die Miami Dolphins (2008) werden wohl nicht mehr dazwischenfunken.
Dieser wahrscheinliche Division-Triumph ist keinesfalls ein Zufall, sondern vielmehr das Resultat eines beeindruckenden Umbruchs im Bundesstaat New York, der essenziell 2017 in die Wege geleitet wurde.
Die Älteren unter uns werden es noch wissen: Buffalo stand von 1990 und 1993 mit Hall-of-Fame-Quarterback Jim Kelly viermal in Folge im Super Bowl und vollbrachte das Kunststück, viermal in Serie zu verlieren. Bemerkenswert auch: Von der Gründung 1960 bis zu seinem Tod 2014 hatten die Bills nur einen einzigen Teameigner - Ralph Wilson. Wenig bescheiden war auch das Stadion in Orchard Park/NY nach ihm benannt.
Nach seinem Tod verkaufte die Familie die Franchise schließlich 2014 an Terry und Kim Pegula, die eine erfolgreichere Zukunft versprachen, jedoch zunächst mal am eingeschlagenen Weg festhielten. Das hatte zur Folge, dass trotz einer 9-7-Saison - der ersten "Winning Season" der Franchise seit 2004 - Head Coach Doug Marrone nach nur zwei Jahren im Amt von seiner Ausstiegsklausel Gebrauch machte und seinen Hut nahm. Ein Schritt, der viel über die sportliche Perspektive bei den Bills aussagte.
Buffalo Bills: Zahlreiche Fehlgriffe bei der Levy-Nachfolge
Marrone selbst war bereits der sechste Head Coach der Bills seit Erfolgs-Coach Marv Levy Ende der 90er Jahre seine Hall-of-Fame-Karriere beendet hatte. Es folgte der immer noch laute, aber nicht mehr effektive Rex Ryan, für den bereits nach nicht mal zwei Jahren schon wieder Schluss war - das letzte Spiel 2016 coachte der heutige Chargers-Coach Anthony Lynn.
Nach dieser Episode hatten die Pegulas genug gesehen und setzten zum großen Cut an. General Manager Doug Whaley, der ebenfalls der Letzte einer langen Liste von erfolglosen Nachfolgern vom damaligen Fast-Meistermacher Bill Polian - ebenfalls in Bronze in Canton anzutreffen - war, musste ebenso gehen wie Ryan.
Buffalo Bills: Head Coaches seit Marv Levy
Coach | Saisons | Bilanz (inkl. Playoffs) | Playoff-Teilnahmen |
Wade Phillips | 1998-2000 | 29-21 | 2 |
Gregg Williams | 2001-2003 | 17-31 | - |
Mike Mularkey | 2004-2005 | 14-18 | - |
Dick Jauron | 2006-2009 | 24-33 | - |
Perry Fewell* | 2009 | 3-4 | - |
Chan Gailey | 2010-2012 | 16-32 | - |
Doug Marrone | 2013-2014 | 15-17 | - |
Rex Ryan | 2015-2016 | 15-16 | - |
Anthony Lynn* | 2016 | 0-1 | - |
Sean McDermott | 2017-heute | 35-26 | 2 |
*) Interims-Coach.
Von den Carolina Panthers, die zwei Jahre zuvor erst im Super Bowl standen, kam der langjährige Funktionär Brandon Beane, der als GM übernahm. Und jener brachte Head Coach Sean McDermott mit, der in Carolina von 2011 bis 2016 als Defensive Coordinator unter Ron Rivera tätig war. Beide kannten sich also bestens und funkten direkt auf einer Wellenlänge.
Was folgte, war ein langfristig angelegter Plan, der aber schon unmittelbar erste Früchte trug. Schon 2017 nämlich beendeten die Bills ihre 17 Jahre andauernde Playoff-Durststrecke und erreichten die Postseason als Wildcard. Seither stand noch eine Playoff-Teilnahme 2019 zu Buche. Entwicklungen, die dazu führten, dass sowohl McDermott als auch Beane langfristig verlängerten.
Buffalo Bills: Josh Allens positive Entwicklung
Der Schlüssel für den Erfolg des Teams 2020 liegt nun vor allem darin, dass man mit Josh Allen im Draft 2018 offenbar den richtigen Quarterback für die Zukunft gefunden hat. Auch wenn dieser nach wie vor Defizite aufweist, machte Allen einen großen Sprung, was sein generelles Spiel betrifft. Allen hat sich von einer Wundertüte in den vergangenen zwei Spielzeiten zu einem Top-10-Quarterback entwickelt.
Die Zahlen belegen: Nach DYAR, DVOA und QBR (mehr zum Thema Analytics und Advanced Stats im Football erfahrt Ihr hier!) steht er nie schlechter als Rang 6. Auf dem Platz ist er mittlerweile weit mehr als nur ein gefährlicher Runner und Improvisator, auch wenn seine Präzision aus der Pocket und zuweilen aus der Bewegung heraus noch Luft nach oben hat.
Das Team allerdings steht hinter ihm. Ein Team, das seit Beanes Ankunft indes auf links gedreht wurde. Im 2020er Kader der Bills befindet sich noch genau ein Spieler, der vor 2017 verpflichtet wurde - Edge Rusher Jerry Hughes, der schon 2013 kam. Seither wurde das Team vor allem durch den Draft, kluge Trades und ein paar gute Free Agents zusammengestellt.
Der Königstransfer war hier wohl Wide Receiver Stefon Diggs, für den die Bills vier Draftpicks, darunter einen aus Runde 1 im vergangenen Draft, nach Minnesota schickten. Eine Investition, die sich offenkundig bezahlt macht: Diggs führt die Liga aktuell mit 100 Receptions an und das, obwohl er offenkundig noch nicht vollends ins System der Bills integriert wurde. Speziell in Sachen Deep Balls könnte man noch aggressiver auf ihn setzen.
Waren die Bills in den vergangenen Jahren unter McDermott zumindest defensiv schon eines der Top-Teams, legten sie nun in der Offense nochmal kräftig nach. Ein Grund dafür ist freilich Offensive Coordinator Brian Daboll, der die Offense seit 2018 kontinuierlich weiterentwickelte und mittlerweile auch sehr kreative Elemente eingeführt hat. Pre-Snap-Motion, Jet-Sweeps, designte QB-Läufe, teils auch exotische Formationen - diese Offense ist weit von der eher langweiligen Herangehensweise mit dem Run Game als erster Option der vergangenen Tage entfernt.
Buffalo Bills: Ex-Panthers als Stützen
Ein genauerer Blick auf den Kader verrät, warum der Umbruch so verhältnismäßig schnell vonstatten ging. Gleich sechs ehemalige Panthers, darunter fünf Verteidiger, zählen größtenteils zu den Startern des Teams und halfen dabei, die neue Philosophie nach Buffalo zu bringen. Zu nennen sind hier in erster Linie Defensive Tackle Vernon Butler, Edge Rusher Mario Addison und Linebacker AJ Klein. Allesamt Spieler, die noch unter McDermott in Carolina aktiv waren.
Den Rest besorgte das gute Auge für Talente von Beane, der von den aktuellen Startern in Offense und Defense 13 selbst direkt oder indirekt - als Assistant GM der Panthers - gedraftet hat. Es sind sogar 15, wenn man die aktuell nicht aktiven Defensive Tackle Star Lotulelei und Offensive Tackle Cody Ford mitzählt. Eine enorme Quote für einen Funktionär dieser Tage.
"Brandon ist ein herausragender Anführer und er hat ein großartiges Level an Stabilität in unsere Organisation gebracht", sagten die Pegulas bei dessen kürzlich vollzogener Vertragsverlängerung über ihren GM. Was ihn besonders ausmacht sei, dass Beane "sehr gründlich in seinen Entscheidungsprozessen" vorgehe. "Keine Entscheidung wird ohne ausführliche Nachforschungen getroffen", hieß es im selben Statement. Zudem "schätzen wir seine starken Kommunikationsfähigkeiten. Er arbeitet sehr gut mit uns, mit Sean McDermott und mit allen Leuten in unserer Organisation zusammen".
Ähnlich großes Lob, vor allem mit Hinblick auf die lange nicht vorhandene Stabilität in der Franchise, erhielt auch McDermott, als jener seinen Kontrakt zu Saisonbeginn langfristig verlängert hatte. Und fehlende Stabilität war in Buffalo sicherlich das größte Manko in den vergangenen 25 Jahren. Zu oft wurde ohne klare Vision gehandelt. Und das änderte sich auch mit den verschiedenen Head Coaches in der Zeit kaum. Nun jedoch gibt es eine klare Philosophie, eine Richtung, die alle mitgehen und für genau das richtige Personal installiert wurde - auf und neben dem Platz.
Buffalo Bills: Stabilität in der sportlichen Führung
Die Bills steuern geradlinig auf ihren ersten Division-Erfolg in einem Vierteljahrhundert zu. Und so wie dieses sehr junge Team aufgestellt ist, könnte dies nur der Anfang einer erfolgreichen Ära sein. Coach und GM stehen nun beide bis 2025 unter Vertrag, zudem dürfte die im Frühjahr fällig Fifth-Year-Option im Rookie-Vertrag von Allen nur Formsache sein.
Die Herausforderung für die nächsten paar Jahre wird dann sein, das eigene Team weiter zu verbessern, aber auch einen Weg zu finden, den Großteil des Stamms beisammen zu halten. Die drohende Salary-Cap-Reduktion im kommenden Jahr macht dies freilich zur Herausforderung. Sollten es tatsächlich nur 175 Millionen Dollar werden, stünden die Bills Stand jetzt bei einem Cap Space von unter zwei Millionen Dollar. Damit ist die Lage aber immer noch besser als bei elf anderen Teams, die im Minus stehen. Doch viel Spielraum bietet dies auf den ersten Blick nicht.
Für Beane und McDermott bedeutet dies, dass ihnen nach Jahren des behutsamen Neuaufbaus nun eine neue Herausforderung ins Haus steht: Der Umgang mit Erfolg. Teams, die in der NFL über ein paar Jahre am Stück die Playoffs erreicht haben und dann auch noch Divisions gewinnen, werden zwangsläufig auf die Zerreißprobe gestellt. Zum einen laufen Verträge aus, zum anderen müssen Spieler aufgrund von Cap-Problemen abgegeben werden. Für Buffalo in der aktuellen Besetzung noch Neuland, obgleich die handelnden Personen in Carolina damit schon konfrontiert wurden.
Für die kommenden Wochen allerdings gilt es erstmal, den Division-Erfolg perfekt zu machen. Unterm Strich reicht dafür vermutlich schon ein Sieg aus den übrigen drei Spielen. In den Playoffs wäre dann vieles möglich, zumal die AFC außerhalb der Chiefs sehr ausgeglichen daherkommt und die Bills wie ein ernstzunehmender Contender aussehen - wie zuletzt in den 90er Jahren.