Mailbag: Was, wenn kein Quarterback MVP wird?

Von Adrian Franke
24. November 202110:00
SPOX-Redakteur Adrian Franke beantwortet eure Fragen zum Spieltag.getty
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Nach einem weiteren Spieltag voller Überraschungen scheint nicht nur das Playoff-Rennen insbesondere in der AFC offen wie nie - auch die MVP-Debatte wird auffällig offen geführt. Aber wer käme überhaupt in Frage, wenn man von den Quarterbacks absieht?

Außerdem: Ist Josh Allen ein One-Year-Wonder? Und welche Teams haben dieses Jahr den höchsten Floor in der Offense?

SPOX-Redakteur Adrian Franke beantwortet eure Fragen zum Spieltag - auch diese Woche wieder mit einigen zusätzlichen Fragen im Video-Mailbag.

Mailbag: Welcher Nicht-Quarterback könnte MVP werden?

Sven, Snackbite: Inkonstante Teams und damit auch inkonstante QB-Leistungen. Ist diese Saison die Chance auf einen Nicht-QB MVP so hoch wie seit langem nicht mehr? Wer sind da dann deine Favoriten?

Nur um zunächst eine Sache in dieser Diskussion klarzustellen: Wenn wir nach der wörtlichen Definition gehen - also den "wertvollsten" Spieler dieser NFL-Saison suchen - dann führt in meinen Augen trotz aller Inkonstanz dieser Saison kein Weg an den Quarterbacks vorbei.

Und das ist weniger ein Urteil über sportliche Leistungen der Spieler, ob jetzt Quarterbacks oder eben die anderen Positionen, sondern mehr eine Aussage über die sportliche Realität in der NFL. Selbst wenn kein Quarterback eine durchweg dominante Saison spielt, wie wir es letztes Jahr von Rodgers oder 2019 von Lamar Jackson hatten, sind die Quarterbacks trotzdem so klar die wertvollsten Spieler, dass ich vermutlich am Saisonende in einem MVP-Ranking immer noch mehrere Quarterbacks auf den Spitzenplätzen hätte.

Wenn ich heute einen Favoriten nennen müsste, dann wäre das Kyler Murray. Ja, er hat jetzt drei Spiele verpasst, aber was ist in diesen drei Spielen passiert? Brady hatte mehrere schlechte Spiele, Prescott hatte seine beiden schlechtesten Saisonspiele, genau wie Matt Stafford, Josh Allen sollte sich aus dem MVP-Rennen verabschiedet haben, Lamar Jackson hatte eine üble Halbzeit gegen Minnesota und verpasste dann selbst ein Spiel. Es gibt ein Spiel mehr, und falls Murray nach der Bye Week zurückkommt und sechs dominante Spiele abliefert, wird er den MVP-Titel gewinnen, zumal Arizona dann vermutlich den Nummer-1-Seed und die beste Bilanz in der NFL hätte.

Dennoch bietet sich die Frage natürlich als Gedankenspiel angesichts dessen, was in den vergangenen drei Wochen passiert ist, an. Ich bin ehrlich, ich denke, Derrick Henry hätte eine echte Chance auf sehr viele Stimmen gehabt, hätte er eine weitere 2.000-Rushing-Yard-Saison abgerissen. Vielleicht gehen die Stimmen, die Henry erhalten hätte, jetzt auf Jonathan Taylor über, auch wenn ich mir gut vorstellen könnte, dass Taylor (noch?) nicht das Standing bei den Votern hat, das Henry mittlerweile teilweise hat.

Aber hier kommen wir eben in den zweiten Teil der Problematik. Selbst wenn man sich für den Gedanken öffnet, dass dieses Jahr kein Quarterback den MVP-Titel gewinnt, dann tue ich mich ehrlich schwer damit, eine vernünftige Alternative zu finden, selbst wenn ich nur in diesem Gedankenspiel darüber nachdenke, wer theoretisch Stimmen bekommen könnte. Taylor wäre ein Kandidat, Cooper Kupp vielleicht? Deebo Samuel?

Und damit ist man auch direkt beim Kern der Debatte. Jeder dieser drei Spieler wäre ein legitimer Kandidat für den "Offensive Player of the Year"-Award, aber gleichzeitig sind diese Spieler eben auch - nicht nur! - das Produkt ihres Schemes und der jeweiligen Umstände. Selbst wenn wir kurz ausklammern, dass das Passspiel im Big Picture betrachtet einfach wesentlich wichtiger ist als das Run Game, profitiert Taylor natürlich merklich davon, dass die Colts-Line mittlerweile in Bestbesetzung ist und in Topform spielt. Kupp bekommt Eins-gegen-Eins-Matchups gegen Safeties von Sean McVay und Samuel darf regelmäßig mit jeder Menge Raum arbeiten.

Das heißt nicht, dass Kupp nicht Man Coverage schlägt, oder dass Samuel aktuell nicht gerade im Prinzip das Run Game der Niners ist, oder dass Taylor auch einiges selbst kreiert. Aber sie profitieren dennoch mehr von den Umständen als es bei den Quarterbacks der Fall ist, was eben in die Definition der MVP-Frage wieder rein spielt.

Die drei wären denkbare Alternativen, wenn wir von den Quarterbacks weg gehen. Wenn man dann noch über Defense-Spieler sprechen will, Aaron Donald wäre hier sicher einmal mehr ein Kandidat, Myles Garrett und Kevin Byard gehören ebenfalls in diese Kategorie, und wenn ich die Steelers-Defense ohne und mit T.J. Watt vergleiche, ist auch Watt hier eine Option, über die man sprechen könnte.

Aber die Realität für mich ist, dass selbst in einer Saison ohne den einen dominanten Quarterback ein Quarterback am Ende der wertvollste Spieler sein wird.

Ist Josh Allen ein One-Year-Wonder? Der Video-Mailbag

War Josh Allens vergangene Saison ein One-Year-Wonder? Sollten die Texans im kommenden Draft einen Quarterback nehmen? Ist Taylor Heinicke die Antwort in Washington?

Könnte der schnelle Erfolg von Joe Burrow und Mac Jones in der NFL die Art und Weise, wie Teams Quarterbacks im Draft evaluieren, verändern? Und was ist mit dem Mut von Lions-Coach Dan Campbell passiert?

Die Antworten gibt es im Video-Teil des Mailbags!

Eric Lange: Gibt es noch ein Top-Tier in der NFL?

Doch, das würde ich schon sagen. In der AFC aktuell vielleicht nicht, beziehungsweise hier ist nochmal entschieden mehr Fluktuation zwischen vermeintlicher Spitzengruppe und dem Verfolgerfeld, oder dem oberen Mittelfeld dahinter, wie auch immer man dieses nächste Tier bezeichnen möchte.

Die NFC lässt sich in meinen Augen doch klarer abgrenzen, auch wenn hier ebenfalls jedes dieser Teams mittlerweile seine ein, zwei schwachen Spiele hatte. Dallas, Green Bay, Tampa, Arizona und die Rams, das ist für mich das Top-Tier in der NFC und wenn ich heute tippen müsste, wie die Divisional Playoffs in der NFC aussehen werden, würde ich die in irgendeiner Zusammensetzung aus diesen fünf Teams basteln.

In der AFC kann ich das so absolut nicht sagen. Bills, Titans, Ravens, Chiefs, Chargers, Patriots - Bengals? Colts? Ehrlich, ich weiß nicht, wo ich hier eine Grenze ziehen würde. Beziehungsweise, ich weiß es jede Woche wieder neu! Das ist die prägende Storyline in der AFC dieses Jahr, und aktuell gibt es wenig Grund zu der Annahme, dass sich das zeitnah ändert.

Insofern, ein Top-Tier, ja - aber eben in erster Linie bestehend aus Teams aus der NFC. Zur AFC gleich noch mehr.

Die Patriots sind das neueste beste Team in der AFC

Moritz-Andre, NilleSB: Was machen wir denn jetzt mit der AFC, war das ein Mund abwischen und weiter Spiel von den Titans? Wo stehen die Bills, das Ceiling ist hoch, der Floor aber scheinbar auch recht tief, die Ravens sind gut, aber wie gut? Oder kommt hinten raus der Chiefs Zug ins Rollen? Wie weit können die Patriots kommen?

Es gibt kein Team, dem man in der AFC wirklich vertrauen kann, ich denke, das ist die eine klare Erkenntnis kurz bevor wir ins finale Drittel der Regular Season gehen. Aktuell kommen die Patriots dem am nächsten, mit einer Defense, die aktuell wirklich sehr gut spielt, und einer Offense, die sich kontinuierlich steigert. Natürlich sticht hier die Entwicklung von Mac Jones heraus, aber es ist auch die Offensive Line, es sind auch die Playmaker, das alles wächst gerade vor unseren Augen zusammen und es macht ehrlich Spaß, diesem Patriots-Team zuzuschauen.

Jetzt würde ich natürlich auch hier darauf hinweisen, dass die Siege der Patriots gegen einige machbare Gegner kamen. Die Jets zweimal, ein Zittersieg in Houston, Carolina, Atlanta, und dann eben noch ein dominanter Auftritt gegen die Browns und ein Sieg bei den Chargers. Die beiden letztgenannten Spiele sicher auf ihre Art am eindrucksvollsten, aber die echten Tests kommen jetzt: Tennessee, Buffalo, Indianapolis und dann nochmal die Bills. Nach diesen vier Wochen könnten wir die Patriots auch wieder ganz anders sehen - wenngleich ich das nicht erwarte. Aktuell wirkt dieses Team am stabilsten.

Das Spiel gegen die Titans am kommenden Sonntag wird aus diesem Blickwinkel betrachtet eine weitere interessante Standortbestimmung in der AFC. Ich bleibe dabei, dass die Titans vor diesem Spieltag das beste AFC-Team waren - aber eben auch das beste AFC-Team ist nicht dominant, und es steht ja außer Frage, dass Tennessee gegen die Rams offensiv ziemliche Probleme hatte, dass man gegen die Colts und Saints auch jeweils einiges an Glück hatte und, dass ein sehr gutes Spiel gegen die Bills genauso gut hätte verloren gehen können.

Genauso steht außer Frage, dass Tennessee brutal viele Verletzungen kompensieren muss. Die Titans brauchen offensiv wieder zumindest etwas mehr konstante Feuerkraft, andernfalls fehlt dem Team der Floor, trotz einer positiven Entwicklung der Defense. Aber selbst dieses Spiel gegen Houston: Tennessee hat den Ball ja deutlich besser und viel konstanter bewegt als die Texans - Turnover haben die Titans hier eben gekillt, und Tennessee hat dann eben nicht den Luxus in Form von eigener Dominanz, um so etwas dann noch weg zu stecken.

In gewisser Weise also ja, ein "Mund abputzen und weiter"-Spiel für Tennessee, aber die Probleme gerade in dieser Offense werden ein Thema bleiben, solange hier Jones fehlt und Brown nicht fit ist.

Die übergreifende Erkenntnis in der AFC für mich ist aber, dass die Chiefs zunehmend ernst zu nehmen sind. Klar, die Raiders-Defense war ein sehr angenehmes Matchup, die Cowboys-Defense ein Stück weit ebenfalls und Dallas gingen offensiv einfach die Spieler aus. Aber der defensive Positiv-Trend bei den Chiefs ist in meinen Augen kein Fluke, und die Offense findet zumindest schematisch langsam aber sicher den Floor, der zwischenzeitlich verloren schien.

Lange Rede, kurzer Sinn: Auch auf die Gefahr hin, in zwei Wochen - oder nächste Woche - wieder bei Null anzufangen: Ich denke schon, dass wir ganz vorsichtige Trends erkennen. Die Patriots sehen aus wie das konstanteste Team, auch wenn sie vielleicht nicht das High-End-Ceiling haben. Die Titans sind ein gutes, aber kein sehr gutes Team und in der Folge anfällig für Ausrutscher. Die Chiefs kommen langsam in Fahrt, sind aber Matchup-abhängiger als gewohnt. Und ich denke es ist fair, sich um die Bills Sorgen zu machen.

Julian Maletz: Zehn, beziehungsweise elf Spiele liegen hinter den Teams: Welche Offenses haben den höchsten Floor in dieser Saison? Welche potentiellen Playoff-Teams müssen sich Sorgen machen, dass die Saison früher endet (Bills, Browns als aktuelle Beispiele)?

Zwei Teams stechen für mich bei der Frage nach offensivem Floor heraus: Die Arizona Cardinals und die Green Bay Packers. Beide Teams haben sehr gute Quarterbacks, mehrere legitime Waffen, solide bis gute - je nach Verletzungslage - Offensive Lines und sehr gute Play-Caller. Letzteres wurde dieses Jahr bereits mehrfach getestet, bei den Cardinals jetzt mit drei Spielen in Serie ohne Kyler Murray, bei den Packers mit mehreren Ausfällen im Receiving-Corps und in der Offensive Line.

Wenn alle diese Faktoren - QB-Play, Line, Playmaker, Play-Caller - zusammen funktionieren und gleichzeitig zusammenarbeiten, dann hat man das Rezept für eine Elite-Offense. Aber wenn alle diese Aspekte vorhanden sind, ist der Floor eben grundsätzlich hoch, selbst wenn mal eine oder sogar zwei dieser Säulen an einem beliebigen Sonntag nicht funktionieren.

Danach kommt dann eine breite Gruppe. Die Rams haben immer noch einen hohen Floor, aber hier haben wir gesehen, dass Staffords Leistungsschwankungen einen größeren Impact haben. Die Bills und Ravens haben jeweils eine klare offensive Identität, aber in beiden Fällen ist man extrem vom Quarterback abhängig. Das lässt sich in gewisser Weise auch über die Buccaneers sagen, auch wenn Tampa - zumindest in Bestbesetzung - zusätzlich dazu das vermutlich beste Waffenarsenal in der NFL sowie eine sehr gute Line hat.

Die Bucs sind relativ nah dran an den Cardinals und Packers in dieser Hinsicht. Das gilt auch für die Cowboys. Eine Stufe drunter haben Teams wie die Colts, Patriots oder die Eagles ebenfalls ihren Floor durch das Run Game und mit guten Offensive Lines, wenngleich dieser Floor sich nicht auf dem gleichen qualitativen Level befindet wie die Teams in der Spitzengruppe.

Was den zweiten Teil der Frage angeht, da wäre ich vergleichsweise unbesorgt, einfach weil es mit dem dritten Wildcard-Team nochmal so viel mehr Spielraum gibt. Sind die Bills schwächer als gedacht? Absolut, aber landen sie am Ende wirklich hinter den Bengals, Colts und Chargers, um mal drei potenzielle Wildcard-Konkurrenten zu nennen?

Falls ich ein Team hier nennen müsste, dann wäre das Cleveland. Das ist offensiv schon sehr, sehr unrund aktuell und eine schnelle Reparatur sehe ich da auch nicht in Sicht. Cleveland muss sich von den realistischen Preseason-Playoff-Picks vielleicht hier am ehesten Sorgen machen.

In der NFC hat sich Seattle diese Woche aus dem Playoff-Rennen verabschiedet, ansonsten sehe ich alle Teams, die realistische Playoff-Ambitionen hatten, auch weiter mit guten Chancen auf die Postseason.

Jens: Wer sind deine vier Championship-Teams?

Tampa Bay gegen Arizona in der NFC und Kansas City gegen New England in der AFC.