Wer schnappt sich Odell Beckham - und warum brauchen die Chiefs ihn so dringend? Könnte die Kaderzusammenstellung der Rams mehr als nur ein aggressiver Zwischensprint sein? Und wie lief das Debüt von Jordan Love? SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den NFL-Spieltag.
Ereignisreiche Woche in der NFL. Zu meinem bevorzugten Team für Odell Beckham - sofern er durchs Waiver Wire durchgeht, wovon ich angesichts des Vertrags ausgehe - nach dessen Aus in Cleveland komme ich noch; auch wenn ich mir nach der Vorstellung der eigenen Skill-Position-Player gegen die Falcons vorstellen könnte, dass die Saints sehr aggressiv auf OBJ gehen werden. Und vielleicht claimen sie ihn ja sogar über das Waiver Wire, um auf Nummer sicher zu gehen.
Zu Aaron Rodgers habe ich eigentlich alles gesagt, was ich dazu sagen wollte.
Rein sportlich sticht für mich aus diesem Sonntag eine Erkenntnis heraus: Wir sind mittendrin in einer wahnsinnig offenen Saison! Natürlich wird noch viel Zeit ins Land gehen, bis wir über Playoff-Matchups oder darüber, wer in der Divisional Round als Favorit ins Rennen geht, diskutieren. Aber aktuell wirkt die NFL so unvorhersehbar wie lange nicht mehr, weil einfach kaum ein Team wirklich dominant ist. Klar, es gibt einige Teams mit sehr guter Bilanz, aber welche davon treten wirklich dominant auf?
Die Rams, auch mit einem ganz schwachen offensiven Auftritt gegen Tennessee, und die Cardinals würde ich hier noch am ehesten nennen aktuell. Arizona hatte sicher auch etwas Glück in der ersten Hälfte, aber ohne Murray, ohne Hopkins, ohne Green war das ein eindrucksvoller offensiver Game Plan, und das vielleicht physischste Spiel der Cardinals-Offense in der Kingsbury-Ära.
Arizona dominierte einen Division-Rivalen auswärts, ohne einige seiner wichtigsten Spieler. Die Packers, wenn wieder näher an der Bestbesetzung, gehören hier ebenfalls dazu; ich wäre nach der Niederlage in Kansas City als Chiefs-Fan eher besorgt als als Packers-Fan. Das ist jetzt sehr hypothetisch, aber ich denke, dass die Packers mit Rodgers dieses Chiefs-Team am Sonntag deutlich geschlagen hätten.
Aber sonst? Die Cowboys hatten gerade ihr mit Abstand schlechtestes Saisonspiel zuhause gegen ein Broncos-Team, das unter der Woche den Verlust von Von Miller verkraften musste. Die Bills-Offense ist einfach nicht auf ihrem Vorjahres-Level, und das war frappierend deutlich gegen eine bis dato horrend schwache Jaguars-Pass-Defense. Die Bengals haben letzte Woche gegen die Jets verloren und waren gegen Cleveland diese Woche haushoch unterlegen, die Ravens habe ich in dieser Saison noch nicht so sloppy gesehen wie über weite Strecken der ersten drei Viertel gegen Minnesota.
Und so weiter, und so fort. Es gibt kaum ein Team, das noch keine wirklich unschöne Niederlage hatte oder bei dem klare Schwachstellen bereits deutlich offenbart wurden. Insbesondere die AFC-Spitze ist Woche für Woche unvorhersehbar; aktuell würde ich die Titans hier ganz oben einordnen, auch weil die Defense sich über die letzten Wochen gesteigert hat. Tennessee verdient auf jeden Fall die Plakette für das unangenehmste Team in der AFC.
Wie gesagt, das kann sich alles noch deutlich ändern in der zweiten Saisonhälfte, und vielleicht stehen wir Anfang Januar mit einer klaren Spitzengruppe da, die auch als entsprechend merkliche Favoriten ins Playoff-Rennen geht. Aber im Moment ist alles weit offen. Und das wiederum bietet auch Teams wie den Chiefs, oder den Vikings, oder den Browns, die alle für sich betrachtet ihre größeren und kleineren Probleme in der ersten Saisonhälfte hatten, alle Möglichkeiten für die zweite Hälfte.
Die NFL ist noch unberechenbarer als sonst, und das macht diese Saison wahnsinnig unterhaltsam.
1. Packers: So lief das Debüt von Jordan Love
Einzig das Rennen um den Nummer-1-Pick im kommenden Draft wird zunehmend klarer, mit den Siegen der Jaguars und Dolphins machten die Lions hier auch in ihrer spielfreien Woche "Fortschritte".
Mit derartigen Draft-Regionen wird Detroits Division-Rivale Green Bay natürlich nichts zu tun haben. Und ich habe es bereits geschrieben, diese Niederlage gegen die Chiefs war trotz allem immer noch relativ knapp, auch wenn sich das Spiel selbst lange Zeit nicht so anfühlte. Die beiden Field-Goal-Fehlschüsse hatten am Ende definitiv nochmal mehr Gewicht. Das Special Team insgesamt war eine Katastrophe.
Aber es war eben auch die Offense, die den Ball mit Backup-Quarterback Jordan Love einfach nicht konstant bewegen konnte. Und natürlich waren die Umstände turbulent und man will im Playoff-Rennen nie verlieren - aber diese spezifische Situation schien mir gar nicht so schlecht. Ein Spiel außerhalb der eigenen Conference, gegen eine definitiv schlagbare Chiefs-Defense, und die Packers hatten gerade anderweitig angeschlagen in Arizona gezeigt, dass Green Bay den Ball effizient bewegen kann, auch ohne dass der Quarterback viele Plays selbst machen muss.
Was mich bei Loves Debüt am ehesten gestört hat, war die Tatsache, dass er in mehreren Aspekten überfordert wirkte. Und klar, wir hatten Love quasi noch nie gesehen, seitdem die Packers ihn in der ersten Runde des 2020er Drafts überraschend ausgewählt hatten. Ich hatte im Frühjahr darüber geschrieben, welche Entwicklungen Love vielleicht an diesem Punkt gemacht haben und wo er stehen könnte, aber letztlich war er eine große Wundertüte. Ein Stück weit auch für die Coaches, die ihn schließlich in einer echten, kompetitiven Regular-Season-Situation ebenfalls noch nicht gesehen hatten.
Ich bin mir sicher, dass sie sich an diesem Punkt mehr erhofft hatten. Green Bay lief den Ball zu Beginn gut, aber vom ersten Drive weg war zu sehen, dass Love unrund spielte. Er verfehlte offene Receiver, er warf viel zu viele Risiko-Bälle und hatte Glück, dass er nicht schon vor seinem späten Pick zumindest eine Interception auf dem Konto hatte, als der Ball durch die Hände von Tyrann Mathieu rutschte. Seine Accuracy war bestenfalls inkonstant, eher darunter anzuordnen, und das beispielsweise war schon ein Thema bei ihm im College.
Und er hatte merklich große Probleme mit den Blitzes, die Chiefs-DC Steve Spagnuolo ihm natürlich entgegen warf. Nicht dass er dabei kopflos agierte, sondern eher dahingehend, dass er häufiger nicht zu wissen schien, wo sein Ausweg, seine Antwort gegen den Blitz war.
Coach Matt LaFleur übernahm die Verantwortung spezifisch dafür nach dem Spiel und betonte, dass er bessere Plays gegen den Blitz hätte callen müssen und dass die Protection nicht gut war in diesen Situationen. Und gerade Letzteres fiel fraglos auch auf, trotzdem hatte ich mir gewünscht, dass er schon sicherer ist, dass er der Offense mehr einen Floor geben kann, als es tatsächlich der Fall war. Auch der 2-Minute-Drive vor der Halbzeit verdiente am ehesten das Prädikat "wild".
Love half der Offense am ehesten mit seinen Runs und Scrambles, was irgendwie auch wieder in das Bild des jungen, athletischen Quarterbacks passt, der noch ein gutes Stück davon entfernt ist, tatsächlich Quarterback in der NFL zu spielen. Das heißt natürlich nicht, dass das nicht noch kommen kann, dass er sich nicht noch entwickeln kann. Und er hatte auch einige positive Plays, er kreierte ein, zwei Mal Plays, bei denen man das Armtalent sah. Und gerade auch das Timing mit den Receivern kommt natürlich in erster Linie über gemeinsame Snaps auf dem Feld und im Training.
Es heißt nur, dass ich an diesem Punkt erhofft hatte, dass Love innerhalb der Struktur dieser Offense, die er bestens kennen sollte, bereits stabiler auftreten kann.
2. Die Chiefs, die Bills: Wohin geht es für die Passing-Monster?
Es ist schon auffällig, dass zwei der besten Offenses der vergangenen Saison einfach in keinen Rhythmus kommen. Bei den Bills dachte ich, dass sie ihren unrunden Start aus etwa dem ersten Saisonviertel schon besser abgehakt hätten, aber das war gegen eine bis dahin horrend schlechte Jaguars-Pass-Defense eine richtig bittere Vorstellung, nachdem der Motor auch gegen Miami schon auffällig gestottert hatte, und Allen am Boden letztlich der Dosenöffner war.
So richtig "angekommen" wirkten die Bills noch nicht, sie spielten etwas mehr 12-Personnel, gingen ein Stück weit weg von ihrer bisweilen extremen Spread-Offense letztes Jahr, stützten sich etwas mehr auf das Run Game und profitierten dabei auch von einer starken Defense, welche die Offense nicht nur ein Mal im Spiel hielt, wenn mal Sand im Getriebe war.
Diesen Luxus hatte Kansas City nicht, zumindest nicht über die ersten Wochen der Saison; mittlerweile hat sich die Defense ja sogar einigermaßen gefangen. Die Offense auf der anderen Seite ist immer mehr in unruhiges Fahrwasser geraten, bis an den Punkt, an dem man darüber sprechen musste, dass sie gravierende Probleme hat, struktureller wie individueller Natur. Ich hatte vor zwei Wochen ausführlich darüber geschrieben.
Und letztlich passen die Probleme der beiden Offenses in das Big Picture der NFL, wenn wir sehen, wo die Defense-Trends hingehen. Eben zu mehr 2-High-Strukturen, mehr dahin, Big Plays zu nehmen und aus tiefen Safety-Sets dennoch diszipliniert Run-Gaps verteidigen zu können.
Quarterback-Runs als wichtigerer Faktor?
Diese beiden Dinge konstant auf hohem Level können bisher nur die Rams abrufen, aber wir sehen, wo die Entwicklung hingeht. Doch sehen wir auch, dass die Verfeinerung dieses defensiven Trends vorübergehend ein Ende für die seit Jahren größer werdende Schere zwischen der Dominanz des Passing Games und dem Impact des Run Games bedeutet?
An dem Punkt bin ich nicht. Auch wenn man zur Saison-Mitte durchaus argumentieren kann, dass etwas mehr Vielfalt gefordert ist: Die Chiefs und Bills müssen gewillt sein, den Ball zu laufen, wenn die Defense das anbietet. Nicht als Identität, nicht als grundsätzliche Philosophie, sondern als zusätzlicher Pfeil im Köcher der eigenen Offense. Um sich selbst nicht zu sehr in eine Ecke zu manövrieren, aus der man dann nur mit noch mehr Big Plays im Passspiel wieder rauskommt.
Auch das Quarterback Option Run Game kann hier eine extrem wichtige Waffe sein. Denn es ist eine Sache, aus 2-High-Strukturen das reguläre Run Game zu verteidigen; wenn die Offense gegen die Pre-Snap leichten Boxen den Quarterback noch als echten Faktor im Run Game hat und so ein noch größeres nummerisches Übergewicht schafft, fordert das sehr viel Disziplin und Geduld von der gegnerischen Defense, um nicht irgendwann mehr Spieler in die Box zu ziehen.
Ja, wir sehen aktuell, wie gerade die Chiefs gegen Zone Coverage über die letzten eineinhalb Jahre immer mehr auf den kurzen Pass setzen mussten und dass generell die explosiven Plays runter gegangen sind. Gegen die Packers fühlte es sich über weite Strecken wie eine Dink-and-Dunk-Offense an, wie eine dieser Offenses, für die Alex Smith so häufig kritisiert wurde, insbesondere bevor er nach Kansas City kam.
Wo der Value für Offenses hier in meinen Augen liegt, ist im Kurzpassspiel und in den Intermediate Distanzen. Dazu gehören RPOs, Play Action, eigentlich Elemente, die Kansas City in der Mahomes-Ära sehr konsequent umsetzen konnte.
Die Chiefs-Offense braucht einen Nummer-2-Receiver
Dass diese Dinge aktuell nicht funktionieren, hat für mich keine strukturellen oder Defense-bezogenen Gründe, sondern liegt in erster Linie an Mahomes - und am Mangel an Waffen, die schnell Separation kreieren.
Was hier klar hängenbleibt: Die Chiefs-Offense braucht diese dritte verlässliche Waffe, einen Receiver, der Eins-gegen-Eins gewinnen kann, wenn Teams Tyreek Hill und Travis Kelce in den Griff bekommen. Sie sollten All-In bei Odell Beckham sein, falls der auf den Markt kommt. Ich sehe derzeit kein Team, dass Beckham dringender braucht, um seine Offense wieder in die Spur zu bringen. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass sein vielleicht etwas "freiheitlicher" Spielstil, der in Stefanskis Offense so gar nicht gewollt ist, unter Andy Reid hervorragend funktionieren sollte.
Die Chiefs brauchen einen Receiver, der diese 6-Catches-60-Yards-Spiele haben kann, wenn die Offense ihn braucht, der Outside gewinnen kann, aber der auch mit einer schnellen Slant ein Target für ein Big Play nach dem Catch sein kann. Und Beckham will zu einem Team, mit dem er gemeinsam mit einem guten Quarterback in einer sicheren Rolle in der zweiten Saisonhälfte Alarm machen kann. Für mich gibt es keinen besseren Fit für beide beteiligten Parteien. Er könnte der Sammy Watkins 2.0 für diese Offense werden.
Denn, und das sollte man bei den Debatten darüber, ob die Chiefs mit ihrer Passing-Intensität an eine Art Limit gestoßen sind, nicht vergessen: Dafür, dass Kansas City dieses Team sein will, das Gegner Woche für Woche mit dem Passspiel zerlegt, haben die Chiefs ganz schön wenige Waffen dafür. Zwei der besten Spieler auf ihrer jeweiligen Position, keine Frage - aber eben keinerlei Tiefe dahinter. Mecole Hardman ist ein Gadget-Receiver, das sollte an diesem Punkt kaum noch zur Diskussion stehen.
Dass das ein Problem werden würde, war schon in der Offseason ein Thema und auch die Chiefs waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Doch zog Kansas City bei JuJu Smith-Schuster und auch bei T.Y. Hilton den Kürzeren und ging die Position dann im Draft erst in der fünften Runde an. Jetzt gibt es die Möglichkeit, doch noch prominent nachzurüsten. Auch wenn es bereits Gerüchte gibt, dass Beckham vielleicht die Seahawks bevorzugen könnte.
Die Idee, dass Mahomes mit einer besseren Offensive Line vor sich wieder disziplinierter in der Pocket spielt, kann an diesem Punkt getrost zu den Akten gelegt werden. Denn gerade die Interior Line spielt exzellent - einen echten Impact auf die Offense hat das aber häufig nur über das Run Game. Auch weil Mahomes eben doch zu hektisch spielt.
Ich bleibe dabei, dass es bei Mahomes auch irgendwo eine Kopfsache ist; dass er eben wieder an den Punkt kommen muss, an dem er den Play-Designs vertraut. Aber damit diese auch wirklich funktionieren, damit Mahomes wieder in die Spur findet und damit die Offense aus ihrem Loch raus kommt, werden die Chiefs mehr Playmaker brauchen.
3. Das Kader-Management der Rams: Mehr als frischer Wind
Es bringt immer etwas frischen Wind, wenn Teams neue Wege gehen.
Das können die Ravens sein, die entgegen aller Passing-Trends ihre Offense um ein Option Run Game aufbauen, und zwar nicht, weil sie zufällig da reinstolpern - wenngleich man die Art und Weise dieses 2018er Drafts im Nachhinein schon ein wenig in diese Richtung interpretieren könnte -, sondern weil sie bewusst in diese Richtung investiert und sich darauf ausgerichtet haben.
Vor einigen Jahren waren die Cleveland Browns das Team, das einen gezielten, radikalen Umbruch durchführte, seine wenigen guten Spieler weg tradete und Draft-Picks selbst dadurch hortete, dass man die Houston Texans von Brock Osweiler und dessen Vertrag befreite.
Aktuelle sind die Los Angeles Rams für mich dieses Team. Nicht, weil sie ein klarer Titelanwärter sind, sondern aufgrund der Art und Weise, wie dieser Kader zusammengestellt ist und wie er weiter zusammengestellt wird.
Der Trade für Von Miller war der jüngste aggressive Move einer Franchise, die seitdem Roger Goodell Jared Goff als Nummer-1-Pick im 2016er Draft verkündete, keinen Erstrunden-Pick mehr hatte. Die über die Jahre Erstrunden-Picks in Jalen Ramsey sowie in der vergangenen Offseason in Matt Stafford investiert hat.
Das waren keine zufälligen aggressiven Moves, die L.A. mal eben gemacht hat - im Gegensatz beispielsweise zu Seattles Trade für Jamal Adams, der genau so wirkt -, sondern die Rams haben einen klaren Plan: Sie schätzen ihre hohen Draft-Picks, und diese Spezifizierung ist entscheidend, gravierend anders ein als der Rest der NFL.
Draft-Kapital zu vergrößern ist immer noch ein guter Weg
Für die allermeisten Teams in der heutigen NFL ist der Erstrunden-Pick die wertvollste Ressource einer Offseason. Und während manche Teams diese Ressource auch gerne nutzen, um mehr Draft-Kapital durch Downtrades anzuhäufen - die Patriots waren über Jahre das Paradebeispiel dafür - so geht es doch in aller Regel eher darum, dieses "Lotterielos", bei dem die Chance auf einen Treffer am höchsten ist - in einen Leistungsträger möglichst auf Jahre hinaus umzuwandeln.
Und zunächst einmal würde ich hier klar zustimmen: Mehr Picks, insbesondere mehr Top-100-Picks, wären auch mein bevorzugter Weg, um den Kader in der mittel- und langfristigen Perspektive bestmöglich auszurichten.
Nichts ist in der NFL aus einer Roster-Building-Perspektive so wertvoll wie Starter auf einem Rookie-Vertrag, und wenn wir die Prämisse voraussetzen, dass über einen entsprechend großen Zeitraum kein Team signifikant besser oder schlechter draftet als das andere, ist es definitiv wichtig, mehr Chancen auf Treffer im Draft zu haben. Und: Statistisch betrachtet sinkt die Chance nach der ersten Runde, Starter zu finden, doch klar.
Die Idee, sein Draft-Kapital zu verbessern, ist grundsätzlich also der richtige Weg und mit der entsprechenden Geduld wird sich das auszahlen. Auch wenn vermutlich wenige Raiders- und Dolphins-Fans nach ihren jüngsten Erfahrungen dieser Aussage so direkt zustimmen würden.
Die Rams verschieben ihren gesamten Fokus
Aber was ist, wenn man seinen ganzen Fokus, die ganze Ausrichtung der Franchise verschiebt? Wenn man andere Parameter anwendet, wie beispielsweise: Wir denken, dass wir mit genügend Munition in der zweiten, dritten, vierten und fünften Runde genug Spieler finden, die einen Impact haben - und dass unsere Chancen darauf bei Pick 150 nicht dramatisch schlechter sind als bei Pick 50?
Im Kern zusammengefasst ist das der Ansatz der Rams. Denn es ist absolut falsch, zu sagen, dass L.A. den Draft in seinem Team-Building schlicht ignoriert. Die Rams haben im vergangenen Draft neun Spieler ausgewählt, 2020 waren es ebenfalls neun, 2019 waren es acht und 2018 elf. Auch im kommenden Draft wird L.A. trotz all der Trades mit Compensatory Picks vermutlich auf je eine Auswahl in den Runden 3,4 und 5 sowie mehrere Picks in den Runden 6 und 7 kommen.
Und der gesamte Scouting-Prozess ist darauf ausgerichtet. Mehr Fokus auf die mittleren Runden, um hier spezifisch Spieler zu finden, die eine Rolle innerhalb des Rams-Schemes ausfüllen können.
Cooper Kupp (3. Runde/2017), Van Jefferson (2/2020), Left Guard David Edwards (5/2019), Center Brian Allen (4/2018), Running Back Darrell Henderson (3/2019), Defensive Tackle Sebastian Joseph-Day (6/2018), Safety Jordan Fuller (6/2020), Cornerback David Long (3/2019) - das sind größtenteils keine Superstars, und vermutlich für viele Nicht-Rams-Fans weitestgehend kein großer Begriff. Aber es sind Starter für dieses Rams-Team, die die Strategie versinnbildlichen, welche Los Angeles fährt.
Die Strategie der Rams ist nachhaltiger als sie wirkt
Und ein fairer Kritikpunkt hier ist definitiv: Ist es nicht riskanter, sich auf Treffer an Tag 2 und Tag 3 des Drafts zu verlassen? Was, wenn die Rams mal einige Jahre weniger Draft-Glück haben, stürzt dann das Kartenhaus nicht ein? Der Top-Heavy-Kader wird dann irgendwann finanzielle Probleme bereiten und zu viele Positionsgruppen werden klare individuelle Schwachstellen entwickeln, oder?
Ja, dieses Risiko besteht. Gerade was die finanzielle Struktur dieses Teams angeht, sehen wir in gewisser Weise schon jetzt die Folgen. Von Miller kostete die Rams einen Zweit- und Drittrunden-Pick im kommenden Draft, weil L.A. dessen ausstehendes Gehalt von knapp zehn Millionen Dollar nicht unterbringen konnte. Die Broncos bezahlen den Pass-Rusher nahezu komplett für den Rest des Jahres, dafür mussten die Rams deutlich mehr Draft-Kapital auf den Tisch legen.
Aber die Strategie der Rams ist für mich trotzdem valide und nicht das reine Öffnen und aggressive Bespielen eines Titelfensters - ein Risiko besteht letztlich natürlich auch bei jedem First-Round-Pick. Weil Los Angeles nicht einfach sein Premium-Draft-Kapital weg tradet und dann den Rest des Drafts regulär angeht, sondern weil sie ihre Trefferchancen in der dritten, vierten, fünften Runde erhöhen und sich als Franchise auch darauf ausrichten.
So gesehen sind die Rams ähnlich anfällig für "Draft-Dürreperioden" wie Teams, die mehr Top-100-Picks ansammeln oder auch wie Teams, die den Draft ganz normal spielen. Und man könnte sogar argumentieren, dass die bewiesenen Superstars, welche L.A. sich mit seinen Top-Draft-Ressourcen einkauft, dem Team im Vergleich einen höheren Floor geben und so die Tatsache, dass die Rams grundsätzlich im Liga-Vergleich eine geringere Starter-Trefferchance haben als Teams mit Erstrunden-Pick, mehr als nur ausgleichen.
4. Quick Hitter: Darnold, Broncos, Browns
Panthers und Darnold: Mit dem Rücken zur Wand
Keine Chance, dass die Panthers bei Sam Darnold bleiben können.
Ich habe viel über Darnold geschrieben in der ersten Saisonhälfte, und an irgendeinem Punkt müssen wir die Konversation haben, dass Adam Gase und die Umstände bei den Jets keine große Hilfe waren, aber dass wir jahrelange Datenpunkte zu Darnold hatten - im College und in der NFL - und dass jahrelange Darnold-Beobachtungen ziemlich klar darauf hindeuteten, dass er einfach kein Starting-Quarterback ist.
Aber für den Moment sollte eines klar sein: Die Panthers können nicht bei Darnold bleiben. Nicht nach einem Spiel, in dem er mehrere weitere komplett desolate Interceptions warf, in dem er wieder einen seiner Receiver - diese Woche war es Moore, letzte Woche Anderson - mit einem "Hospital Ball" einem enormen Hit aussetzte.
Nicht nach einem Spiel, in dem innerhalb der Struktur kaum etwas ging und er dann außerhalb der Pocket nicht ein einziges Play machte: Seit ESPN 2009 damit anfing, diese Daten zu tracken, hat noch nie ein Quarterback ein Spiel ohne Completion und mit mehreren Picks außerhalb der Pocket beendet. Darnold am Sonntag? 0/6, zwei Picks. Nicht nach einem Spiel, in dem aktuell ein Turnover bitterer aussieht als der davor. Der Kreuzbandriss von Center Matt Paradis wird die Dinge jetzt noch schwieriger machen.
Wir sind über den Punkt hinaus, an dem Darnold "nur" ein schlechtes Signing war und müssen darüber sprechen, dass das ein Move war, der diese Franchise um mehrere Jahre zurücksetzen könnte. Darnold kostet die Panthers nächstes Jahr im Zuge der gezogenen Fifth-Year-Option mehr als 18 Millionen Dollar, garantiert. Die Panthers haben keinen Quarterback gedraftet, weil sie auf die Darnold-Karte gesetzt haben. Und jetzt stehen sie mit dem Rücken zur Wand.
Was machen die Denver Broncos?
Was genau ist der Plan der Denver Broncos? Ja, das war ein spektakuläres Ausrufezeichen in Dallas und sie sind mittendrin im Playoff-Rennen einer AFC, in der kein Team wirklich gut zu sein scheint - aber schätzen sie ihren Kader so ein? Und wenn Ja, warum haben sie dann jetzt Von Miller weg getradet?
Die New Orleans Saints hatten Interesse an einer Rückkehr von Teddy Bridgewater, der bereits vor zwei Jahren mal den damals verletzten Drew Brees vertreten hatte und die Offense zumindest grundsätzlich kennt.
Nach einem Bericht des NFL Networks haben die Broncos diese Anfrage aber umgehend abgelehnt, weil sie ihren Starting-Quarterback nicht abgeben wollten. Ehrlicherweise dachte ich nach dem Von-Miller-Trade, dass die Broncos in ihrer Selbstevaluierung einen Schritt weiter sind - und sich nicht daran klammern, was sie mit Bridgewater noch herausholen können, nachdem sie das Gesicht ihrer Franchise weg getradet haben. Wo ist hier die klare Linie?
Der Sieg gegen die Cowboys wird in Mile High jetzt definitiv wieder Aufwind geben, und wie gesagt, das Playoff-Rennen in der AFC ist komplett offen. Aber jeder, der diesen Broncos einen Postseason-Run zutraut, darf sich gerne in den Kommentaren melden. Ich gehöre nämlich nicht dazu.
Browns und OBJ: Manchmal passt es einfach nicht
Ich bin ehrlich, ich habe es aufgegeben, zu verstehen, warum es zwischen Odell Beckham und Baker Mayfield - rein sportlich gesprochen - nicht geklappt hat.
Weil ich nicht denke, dass es an OBJ lag, dafür war Beckham zu häufig frei und hat den Ball nicht bekommen, dafür konnte man sein gutes Route-Running noch immer zu häufig sehen. Weil ich aber eben auch nicht denke, dass es an Mayfield lag, der zwar Beckham den Ball in diesen Situationen zu häufig nicht fand, aber auch unter Drops und Fehlern seines Star-Receivers litt.
Letztlich war es vielleicht eine Sache, in der beide nie auf eine Wellenlänge kamen, das soll es ja durchaus geben. Ein Timing-Problem, vielleicht ein Problem zwischen Mayfields Verlangen, innerhalb der Struktur zu spielen, und Beckhams berichteter Tendenz, sich im Play ein klein wenig mehr Freiheiten herauszunehmen.
Extrem auffällig war beim so wichtigen - und so deutlichen - Sieg der Browns gegen Cincinnati, dass diese Offense am besten funktioniert, wenn das Scheme greift, wenn der Ball verteilt wird, wenn die Spieler mehr funktionale Rollen innerhalb des Gesamtkonstrukts als dominante Ansprüche haben. Insofern ist es an diesem Punkt schwer der Aussage zu widersprechen, dass die Browns-Offense ohne Beckham besser funktioniert als mit OBJ.
Für Beckham, der mit seinem vor der Entlassung neu strukturierten Vertrag nach der Saison Free Agent wird, geht es in erster Linie nur um die zweite Saisonhälfte. Falls also kein Team die gut 7,2 Millionen Dollar an Cap Space opfern und Beckham über das Waiver Wire claimen will, sprich falls er am Free Agent wird, sollte es keine andere Priorität geben. Er muss sich bestmöglich präsentieren können, und das sehe ich beispielsweise nicht bei den Saints, die hier bisher intensiv ins Gespräch gebracht wurden, mit ihrer Quarterback-Situation.
5. Die Minnesota Vikings brauchen einen Neustart
Ich denke, kein Team in der NFL ist so sehr von seinen Matchups abhängig wie die Minnesota Vikings - und das führt ultimativ zu einem "Hohen Mittelmaß Team". Mal wieder. Weil sie besser spielen, wenn sie gegen gute Teams antreten, die ihnen aber schematisch liegen, und dann wiederum gegen schlechtere Teams, die schematisch vielleicht nicht das ideale Matchup sind, aber welche die Vikings vermeintlich durch ihre eigene individuelle Qualität schlagen müssten, riesige Probleme haben.
Selbst die Tatsache, dass Minnesota Woche für Woche in engen Spielen ist, ist Teil der Identität dieses Teams. Weil man sich insbesondere in den ersten drei Vierteln auf das Run Game stützt, die Aggressivität auf einem sehr überschaubaren Level hält und wenig macht, um davonzuziehen - oder umgekehrt eben auch nicht deutlich ins Hintertreffen gerät.
Das Spiel in Baltimore war das dritte (!) Overtime-Spiel für die Vikings in dieser Saison, und nichts beschreibt den Stil, der diese Franchise seit Jahren prägt, besser.
Allein die Play-Auswahl in dieser letzten, entscheidenden Phase des Spiels: Minnesota bekam den Turnover in der eigenen Hälfte, und ging Swing Pass, Run, Incompletion gegen den ultra-aggressiven Blitz bei Third Down. Baltimore, nach einem riskanten Call bei Third Down, attackierte im Gegenzug direkt nach dem Punt vertikal für 20 Yards, von der eigenen 10-Yard-Line. Das war der Dosenöffner, um noch den Game-Winning-Drive hinzulegen.
Und dieses Spiel war gewissermaßen das Spiegelbild dieser indiskutablen Niederlage gegen die Cowboys ohne Dak Prescott in der Vorwoche, als Minnesota das Spiel spätestens nach dem ersten Drive so anging, als wären es die Vikings, die um einen Backup-Quarterback herum arbeiten müssten. Minnesota ist ein notorisch vorsichtiges Team, dessen Floor und Ceiling davon abhängt, wie das Matchup ausfällt. Das wird dem Talent nicht gerecht und es ist auch keine Ausgangslage für weiteren Erfolg. Und die Weiterentwicklung des Team als Ganzes fehlt dabei ebenso.
Die Vikings brauchen einen Neustart, und ich weiß, dass sich das leicht sagt, mit einem Cap Hit von Kirk Cousins über 45 Millionen Dollar nächstes Jahr, garantiert. Aber irgendwann muss der Kreislauf aus "gut genug für die Playoffs - wieder neu in das Cousins-Fenster investieren - merken, dass es nicht für den nächsten Schritt reicht" enden.
Und ja, das betrifft für mich auch Head Coach Mike Zimmer und seinen Trainerstab.