Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 16 in der NFL

Von Adrian Franke
27. Dezember 202110:00
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 16 in der NFL.getty
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Mit Woche 16 wird das Bild klarer: Die Cowboys, Bucs, Packers, Cardinals und Rams stehen in der NFC als Playoff-Teams fest, Cowboys, Bucs und Packers als Division-Sieger. In der AFC gewinnen die Chiefs die Division - und bringen sich in Position, als Favorit in die AFC-Playoffs zu gehen. Aber was erwartet uns in den Playoffs? Welche Trends kündigen sich an? Und welche übergreifenden Erkenntnisse lassen sich aus dieser Saison und deren Verlauf mitnehmen?

Ich muss schon zugeben, dass die vergangenen zwei Wochen eine Herausforderung dahingehend waren, wie man mit Prognosen und generell dem Blickwinkel auf die weitere Saison verfahren soll. Die Vielzahl an Corona-Fällen macht den Großteil der Spiele zu einer kompletten Wundertüte, und das schon mit den runter gefahrenen Test-Protokollen - wer weiß, wie die reale Situation in der Liga aussieht und welche Kader und Schedule-Verschiebungen wir heute hätten, wenn auch geimpfte Spieler noch wöchentlich getestet werden würden.

Aber es sind nicht nur die Corona-bedingten Ausfälle, die das Bild gerade vor allem mit Blick auf die Playoffs sehr unscharf machen. Fast jeder Playoff-Anwärter muss gravierende Ausfälle verkraften, von Chris Godwin und Lavonte David, über DeAndre Hopkins und J.J. Watt, bis hin zu David Bakhtiari, Jaire Alexander und Za'Darius Smith, den Langzeitverletzten in Green Bay. Und von dem was in Baltimore und New Orleans dieses Jahr passiert, fange ich lieber gar nicht erst an.

Der Zufall spielt ohnehin eine riesige Rolle in der NFL, wo durch die vergleichsweise kurze Saison die Sample Size immer gering ist, sodass einzelne Ausschläge in die eine oder andere Richtung, ein paar knappe Niederlagen durch spätes Kicker-Pech und dergleichen das Gesamtbild extrem trüben können. Das für sich betrachtet ist schon eine Realität, an die ich mich regelmäßig erinnern muss; eine Realität, die natürlich umso unbefriedigender ist, wenn man jede Woche zahllose Stunden damit verbringt, die Trends, Teams und Matchups bestmöglich verstehen zu wollen.

Dieses Jahr aber scheint all das nochmal extremer, und neben den ligaweit inkonstanten Offenses, über die ich hier ja bereits einige Male geschrieben hatte, ist die Kadersituation bei so vielen Teams eine derart unvorhersehbare Lotterie geworden, dass alles nochmal unberechenbarer wird. Und neben dem aktuell hohen Zufallselement wollen wir natürlich auch die besten Teams möglichst in Topbesetzung in den Playoffs gegeneinander sehen.

Die NFL wird diese Saison zu Ende spielen, daran habe ich keinen Zweifel. Und das wird in der Rückbetrachtung im Frühjahr für einige merkwürdige Datenpunkte und Storylines sorgen - und andererseits womöglich auch für sehr unterhaltsame Playoffs. Daraus dann die Trends, die wirklich Aussagekraft haben, herauszufiltern, wird eine zentrale Offseason-Aufgabe sein.

1. AFC-Playoffs: Bills, Patriots und der Spielraum für Fehler

Wenn wir auf das so langsam konkreter werdende Playoff-Bild schauen, fällt mir - neben der Unberechenbarkeit, auf die ich später nochmal am Beispiel eines anderen Teams eingehe - auf, wie man Teams mehr in Kategorien einteilen kann.

Und hier gibt es viele Ansätze. Man kann die Teams in Tiers einteilen, was in der NFC tendenziell einfacher ist als in der AFC dieses Jahr. Man kann Offenses, Quarterback, Defenses und so weiter ranken. Aber ich würde mal einen anderen Maßstab versuchen, der vielleicht ein aus einer anderen Perspektive wenig mehr Licht ins Dunkle bringen kann:

Spielraum für Fehler.

Manche Teams - und auch darauf komme ich gleich im Zusammenhang eines größeren Themas nochmal zurück - haben hier spürbar mehr als andere. Manche Teams können Spiele mit individueller Qualität in kritischen Positionen aufbrechen. Andere sind mehr vom Spielverlauf abhängig.

Die Patriots sind ein ideales Beispiel für das Thema "Spielraum für Fehler". Denn gegen die Bills waren sie zu schwach was Situational Football angeht: Ein abgefälschter - weil der Linebacker super reagiert - Pass zur Interception, davor ein richtig bitterer Drop von N'Keal Harry.

Leichte Ungenauigkeiten von Mac Jones bei einigen Third Downs, ein paar Strafen - Barmore bei 4th Down etwa - obendrauf und alles in allem war es ein sehr unrunder Auftritt - oder eben auch zu viele Fehler gegen ein gutes Bills-Team, bei denen man (noch?) nicht erwarten kann, dass Mac Jones diese kompensiert. Mac Jones spielt alles in allem eine eindrucksvolle Rookie-Saison, aber er hatte in den vergangenen Wochen auch einige Rookie-Momente.

Wer kann Schwächen kompensieren - und wer nicht?

Spielraum für Fehler kann in den Playoffs eine kritische Eigenschaft sein. Mit Blick auf die AFC sehe ich die Bills hier weit vorne, die Chiefs ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen: Kansas City - ähnlich wie Dallas in der NFC - hat mittlerweile die Defensive Front als Trumpfkarte im Ärmel und kann Spiele damit eng halten. Cincinnati muss man denke ich auch mehr und mehr dazuzählen, bei der offensiven Feuerkraft, welche die Bengals teilweise an den Tag legen. Die Bengals sind zumindest in der Lage, Spiele noch auf den Kopf zu stellen.

Und dann gibt es ein Team wie die Chargers, das offensiv keinen Spielraum hat - was auch einige Fourth-Down-Entscheidungen von Brandon Staley am Sonntag gegen Houston durchaus fragwürdig erscheinen lässt -, weil die Defense so wacklig ist. Selbst mit Joey Bosa ist das die schwächste Run-Stopping-Front in der NFL, und dann setzt sich das fort, was wir teilweise gegen die Chiefs schon gesehen haben: Die Run-Defense ist so desolat, dass sie teilweise aggressiv Post-Snap in eine Single High rotieren, um mehr Spieler in der Box zu haben.

Das allerdings öffnet dann Eins-gegen-Eins-Situationen in Coverage, und darauf ist diese Defense nicht ausgerichtet. Das war gegen die Chiefs zuletzt bereits zu sehen, als plötzlich die Big Plays spät im Down für Mahomes wieder da waren, als Kansas City vertikal gehen konnte, als Kelce ein Monster-Spiel hatte. Und es setzte sich gegen die Texans fort, die mit Davis Mills zumindest mal einen Quarterback haben, der den Ball tief feuert und seinen Receivern Gelegenheiten für Big Plays gibt.

Die Chargers haben noch zu viele Löcher im Kader, um Staleys Defense spielen zu können, und die Offense steht so permanent sehr unter Druck. Gegen Houston war das die Geschichte des Spiels. Die Offense hatte sicher nicht ihren besten Tag, ich hatte den Eindruck, dass die Texans- und die Chargers-Offense sich strukturell frappierend ähnlich sahen. Trotz des offensichtlichen Talent-Unterschieds zwischen beiden Teams.

Und dann hatte Herbert eben zwei klare Fehlwürfe bei den Interceptions, wo er den Ball einfach schlecht platziert. Die Chargers kreierten so nie einen Abstand in diesem Spiel - bis es schließlich kippte. Und dann in so eine Partie zurück zu kommen ist schwer, wenn eine Seite des Balls derart auseinanderbrechen kann.

In erster Linie nämlich wurde die Defense von einem dezimierten Texans-Team auseinander genommen. Und derartige Prügel bezogen die Chargers auf der Seite des Balls längst nicht das erste Mal dieses Jahr. Wer eine so schwache Defense hat, hat meist nicht den Luxus, offensiv mit drei Turnovern davon zu kommen.

Patriots vs. Bills: Das erste Duell wurde überschätzt

Und dann wäre hier noch eine andere Storyline aus dem Patriots-Bills-Spiel vom Sonntag, die nämlich an das erste Duell zwischen diesen beiden Teams anknüpft. Ich halte es für eine legitime Storyline, dass Buffalos Defense mit physischen Fronts dieses Jahr Probleme hatte und hat - und das nutzten die Patriots in jenem ersten Spiel ebenfalls aus.

Für die Bills könnte das in potenziellen AFC-Playoff-Duellen mit den Colts oder auch den Titans problematisch werden.

Was aber überzogen war, waren die Schlussfolgerungen daraus, und das in diverse Richtungen. Denn gewinnen konnten die Patriots das Spiel nur, weil das Wetter nur den Pats in die Karten spielte: Die Bills konnten den Ball - ihre bevorzugte Art und Weise - aufgrund des Wetters kaum durch die Luft bewegen, das führte zu einem Low-Scoring-Spiel.

Aber dass das nicht einfach so wiederholbar ist, machte das Rematch deutlich; denn das eigene Run Game war nicht New Englands Problem. Ja, Josh Allen hätte beim letzten Drive, der den Deckel auf diese Partie drauf machte, eine Interception haben müssen - J.C. Jackson hielt den Ball schlicht nicht fest. Und ja, Patriots-Fans werden den einen oder anderen Ref-Call auch am Montagmorgen noch kritisieren.

Josh Allen Buffalos Trumpfkarte

Aber die Bills haben mit Josh Allen einen Playmaker auf der Quarterback-Position, der solche Spiele an sich reißen kann. Auch ohne Cole Beasley und Gabriel Davis, auch mit einem Emmanuel Sanders, der vermeintlich sichere Pässe in der Endzone fallenlässt.

Wenige Spiele eines Quarterbacks haben mich in den letzten Wochen mehr beeindruckt als die zweite Hälfte von Allen gegen Tampa Bay vor zwei Wochen. Gegen die Patriots machte er auch wieder kritische Plays und brachte schwierige Bälle an, die einfach nicht viele Quarterbacks in der NFL machen.

Und das soll ausdrücklich nicht heißen, dass Allen ein fehlerfreies Spiel ablieferte. Wir wissen alle, dass Ergebnisse am Ende jede Storyline prägen, und wenn Jackson den Ball abfängt, haben wir vielleicht ein ganz anderes Thema heute auf der Agenda. Unter den Tisch fallen sollte es deshalb allerdings nicht.

Aber mir gefiel, wie Buffalo dieses Spiel anging. Wie sie früh Mac Jones blitzten, um den Rookie-Quarterback ein paar Mal aus dem Konzept zu bringen. Wie sie mit Isaiah McKenzie Mismatches kreierten und die Man Coverage der Pats angreifen konnten. Wie sie einen Plan hatten, um New Englands Linebacker und Underneath-Verteidiger von Anfang an in Coverage zu attackieren.

Die Bills sind - wie so ziemlich alle AFC-Teams - inkonstant. Allen jedoch hat in den letzten Wochen gezeigt, dass er das Team in kritischen Situationen unabhängig vom Matchup und der Spielsituation tragen kann. Und in einer komplett offenen Playoff-Prognose ist das vermutlich schon mehr, als man über die meisten anderen Teams aktuell sagen kann.

2. Was zeigt uns diese Saison in puncto Roster Building?

Wir kommen im NFL-Kalender langsam aber sicher in den Teil des Jahres, in dem Roster-Building mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt. Nicht nur mit Blick auf die anstehende Offseason - auch wenn ultimativ die Frage danach, wie die Lions und Texans ihren Umbruch angehen dann die praktische Umsetzung dieser Diskussionen bedeuten kann -, sondern auch, was den NFL-Kalender selbst angeht.

Denn wenn die Playoffs starten, ist auch die Zeit für Zwischenfazits gekommen - manche mit mehr, andere mit weniger Substanz dahinter. "Die besten Rushing-Teams sind in den Playoffs - so viel zur Dominanz des Passing Games!", war einer der wilderen Takes aus der jüngeren Vergangenheit. Aber ein gewisses Maß an Big-Picture-Analyse bietet sich hier fraglos an, auch wenn man in der NFL mit der Problematik der kleinen Sample Size während einer Saison immer aufpassen muss.

Ich denke, ein wichtiger Punkt hierbei - und daran muss ich mich selbst regelmäßig erinnern - ist, dass man nicht im Vakuum analysiert. Bestimmte Teams haben bestimmte Ausgangssituationen, und die Fragen sollten dementsprechend in erster Linie sein: Was machen sie daraus? Was hätten sie daraus machen können? Und was im Ergebnis ihrer Handlung ist vielleicht auf andere Teams und andere Situationen anwendbar?

Ein wenig hatte ich diese Diskussion letzte Woche schon geführt und im Vorfeld zum Cardinals-Colts-Spiel hier und da mal angedeutet, weil die beiden Teams perfekte Beispiele für extrem unterschiedliche Ausgangslagen sind und in ihrer Entwicklung auch in der Folge an sehr verschiedenen Punkten ihrer Entwicklung angekommen sind.

Die Colts als Musterbeispiel für Stabilität

Ich halte es für sinnvoll, hier in Fenstern von drei bis vier Jahren zu denken. Das ist ein realistisches Fenster, um Umbrüche zu analysieren, mit Rücksicht darauf, wie lange ein Team braucht, um sich an einen neuen Head Coach zu gewöhnen, um den Kader umzubauen, und so weiter.

Frank Reich übernahm die Colts 2018, Kliff Kingsbury die Cardinals ein Jahr später. Im ersten Jahr unter Reich schafften die Colts als erst drittes Team überhaupt nach einem 1-5-Start noch die Playoffs. Das Team schien bereit für den nächsten Schritt - doch dann trat überraschend Andrew Luck zurück.

Diese riesige Lücke versuchte Indianapolis anschließend mit Jacoby Brissett, Philip Rivers und jetzt Carson Wentz zu schließen. Um die Quarterback-Auswahl soll es hier aber nicht gehen, denn der Knackpunkt war, dass dieses Team um Spieler wie T.Y. Hilton, Quenton Nelson (2018er Draft-Klasse), Ryan Kelly (2016), Braden Smith (2018), Darius Leonard (2018), Mark Glowinski (Neuzugang 2017) und Kenny Moore (Neuzugang 2017) ein wahnsinnig stabiles Grundgerüst gebaut hatte.

Das wurde dann später mit DeForest Buckner, Jonathan Taylor, Michael Pittman und Julian Blackmon unter anderem erweitert, aber der Kern dieses Teams war bereit, um mit Andrew Luck ein neues Fenster zu prägen - und plötzlich war der Fixpunkt in diesem Konstrukt weg. Das limitiert das mögliche Ceiling, also das Potenzial nach ganz oben, empfindlich; aber es ändert nichts daran, dass das Fundament sehr stabil ist. Das macht das Team unheimlich robust und gibt den Colts dank Reichs Coaching einen immens hohen Floor.

Die Colts sind dahingehend ähnlich konstruiert wie die 49ers und auch die Browns. Alle drei Franchises haben viele Ressourcen in die Lines auf beiden Seiten des Balls investiert, sie sind eher darauf aus, Spiele zu kontrollieren statt zu dominieren. Und alle drei sind schematisch offensiv sehr in sich schlüssig, weshalb diese Teams viele Spiele gewinnen können, wenn der Quarterback die Rolle des Game Managers gut umsetzt.

Der Lauf der 49ers war dafür das beste Beispiel - wie auch die Niederlage am Donnerstag gegen Tennessee: Denn den konstanten Game Manager zu geben ist alles andere als ein Selbstläufer, der Spielraum für Fehler ist so gering. Und wenn die dann doch kommen, oder die Defense mal einen schwachen Tag hat, oder das Run Game wackelt, dann kann es für diese Teams viel schwieriger sein, Spiele dennoch an sich zu reißen. Ganz generell ist der Spielraum für Fehler einfach viel kleiner.

Das ist auch ein maßgeblicher Grund dafür, dass alle paar Wochen darüber diskutiert wird, ob Garoppolo, Mayfield und Co. nicht doch die Antwort sein können - bevor ihre Limitierungen dann doch wieder zu einem desolaten Spiel und einer Niederlage führen. Die Frage für Teams muss letztlich sein: wie lange will man das in Kauf nehmen? Oder besser: wie groß ist die Bereitschaft, damit zu leben, verglichen mit der Angst, bei einem forcierten Quarterback-Tausch sogar noch abzurutschen?

Arizona: Schnelle Fortschritte, Baustellen bleiben

Die Cardinals auf der anderen Seite waren am Ende der 2018er Saison ohne Frage das schwächste Team in der NFL. Die einzigen "Fundament"-Spieler, die am Ende jener Saison da waren und die man heute noch mit Arizona in Verbindung bringt, waren Budda Baker, D.J. Humphries, Chandler Jones - dessen Zeit in Arizona jetzt aber womöglich abläuft - und Christian Kirk. Das Team stand vor einem radikalen Neustart, welcher dann bekanntermaßen mit neuem Head Coach und neuem Rookie-Quarterback auch erfolgen sollte.

Drei Jahre später würden die meisten diesen Umbruch bis dato wohl als gelungen bezeichnen, aber auffällig ist, dass Arizona einige riesige Schritte machte: Die Verpflichtung von DeAndre Hopkins, die drastische Entwicklung 2020 und 2021 von Spielern wie Baker, Kirk, Byron Murphy, Jalen Thompson und in erster Linie natürlich Kyler Murray. Dann die Verpflichtungen von Rodney Hudson, J.J. Watt und A.J. Green in der vergangenen Offseason.

Arizona startete brandheiß in diese Saison und war das beste Team der ersten Saisonhälfte, was in erster Linie daran lag, dass man an seinem Ceiling, an seinem aktuellen Maximum spielte. Doch diese Rädchen griffen alle ineinander: Die Defense spielte deutlich besser als es das individuelle Talent vermuten lassen würde, weil Arizona hier ultra-aggressiv zu Werke gehen konnte, mit der "Sicherheit", dass die eigene Offense 30 Punkte macht. Die Offense profitierte umgekehrt von den daraus resultierenden Turnovern, und die Schwäche in der Run-Defense fiel weniger ins Gewicht, weil Teams irgendwann vom Run weggehen müssen, wenn sie deutlich hinten liegen.

Doch der zentrale Unterschied zwischen den Colts und den Cardinals und wo deren Teams aktuell stehen liegt darin, dass Arizona mit Blick auf den Kader noch nicht die Stabilität hat. Wo die Colts nicht zu den Höhen in der Lage sind, die Arizona in der ersten Saisonhälfte hatte - die Cardinals haben den Vorteil in puncto Quarterback, Receiving-Gruppe, Explosivität und schematischer Aggressivität in der Defense - profitiert Indianapolis davon, dass eine "Quarterback-freundliche"-Offense in Kombination mit einer schematisch passiveren Defense und guten Lines auf beiden Seiten des Balls eine größere Stabilität mit sich bringt.

Arizona hat innerhalb von drei Jahren den Sprung vom Keller auf das Dach geschafft, muss jetzt aber noch die Zwischengeschosse vernünftig einziehen. Der Kader braucht Tiefe, die im Moment absolut fehlt; aber auch Kingsbury - und das sind die nächsten notwendigen Schritte für Arizona - muss besser darin werden, der Offense einen konstanten Floor zu verschaffen. So wie Frank Reich das in Indianapolis schafft.. Die Colts auf der anderen Seite haben das Fundament gebaut und suchen jetzt nach der Leiter rauf aufs Dach.

Die Philadelphia Eagles als ein Paradebeispiel

Und das bringt uns ins Hier und Jetzt, und wieder bietet sich eine doppelte Betrachtungsweise an: Mit Blick auf die Playoffs geht für mich die Tendenz klar in Richtung der "High-Ceiling"-Teams, gegenüber den "High-Floor"-Teams. Das Team, das 35 Punkte machen kann und 20 davon im letzten Viertel im Zuge einer wilden Aufholjagd, sehe ich hier vorne gegenüber dem Team, das Spiele besser verwalten und kontrollieren kann, dafür aber auf einen gewissen Spielverlauf angewiesen ist. Und ja, mir ist klar, dass das überspitzt formuliert ist; aber wenn ihr ein Beispiel dafür sucht, empfehle ich den Super Bowl zwischen den 49ers und den Chiefs.

Mit Blick auf die Offseason muss man natürlich zwei, drei Schritte zurück machen. Nochmal, kein Team bewegt sich im Vakuum - umso wichtiger ist es deshalb, den Prozess zu bewerten. Wie gehen etwa die Lions mit ihrem Top-5-Pick um? Investiert man weiter in das Gerüst, welches analog zu den Colts auf beiden Seiten des Balls bereits in den jeweiligen Lines entsteht? Wird mehr am Ceiling geschraubt, mit etwa einer Priorität auf Playmaker (Wide Receiver, Corner) oder sogar einen Quarterback? Wie gehen die Jets mit ihrer Situation um, nach einer ohne Frage enttäuschenden Rookie-Saison von Zach Wilson? Was machen die Browns mit Mayfield?

Wie schieben die Dolphins ihren Umbruch, der ziemlich ins Stocken gekommen ist, wieder an? Das, was Miami dieses Jahr spielt, lässt kaum ernsthafte Rückschlüsse oder darauf aufbauende Predictions zu. Die Offense ist so simpel und eindimensional, und das funktioniert. Im Moment. Aber es sagt uns wenig darüber aus, was für ein Quarterback Tua ist oder werden kann, gleichzeitig spielt er solide, abschreiben würde ich ihn nicht. Hier könnte es sinnvoll sein, in den Floor des Teams in Form der Offensive Line zu investieren - das ist in jedem Fall zwingend nötig -, aber sich eventuell auch abzusichern. Vielleicht mit einem Quarterback an Tag zwei des Drafts.

Ich komme dabei auf die Philadelphia Eagles als eine Art Paradebeispiel zurück: Den Shot auf Jalen Hurts in der zweiten Runde des Drafts zu nehmen war ein Geniestreich und unterstreicht den Value darin, die Quarterback-Position auch außerhalb der ersten Runde im Blick zu haben. Dass es so krachend mit Carson Wentz (und Doug Pederson) scheitern würde, hatte vor zwei Jahren sicher niemand vermutet - aber man hat sich abgesichert.

Dieses Spiel trieben die Eagles dann in der vergangenen Offseason eindrucksvoll weiter, und ihre Trades sicherten ihnen drei Erstrunden-Picks im kommenden Draft. Dass Jalen Hurts diese enormen Fortschritte in dieser Saison gezeigt hat, ist natürlich nicht planbar - aber der Punkt ist, selbst wenn das nicht passiert wäre, wäre Philadelphia abgesichert gewesen: Die drei First Rounder hätten in einen Quarterback-Trade oder einen Uptrade für einen Rookie investiert werden können, wenn nötig.

Stattdessen ist man jetzt an einem Punkt, an dem die drei Erstrunden-Picks allesamt investiert werden könnten, um etwas um Jalen Hurts aufzubauen. Oder aber vielleicht sichert man sich mit dem einen oder anderen Downtrade abermals ab, holt sich einen Erstrunden-Pick 2023 - und baut so für den Fall vor, dass Hurts sich doch nicht als langfristige Lösung entpuppt.

Die Art und Weise, wie die Eagles in den letzten beiden Offseasons den Draft und die Quarterback-Position angegangen sind, ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie Teams ohne klaren Superstar-Quarterback auf der Position damit umgehen sollten. Und so kann dann auch der schnelle Turnaround statt der zähe, unbefriedigende weil lange Umbruch mit zu vielen Jahren im Niemandsland der NFL gelingen.

3. Die Chiefs sind offiziell zurück

Ich habe schlechte Nachrichten für die AFC: Die Kansas City Chiefs sind zurück.

Oder in etwas abgeschwächter Form: Sie sind mindestens auf sehr gutem Wege dahin. Ich hatte es eingangs bereits erwähnt, die Chiefs haben einen neuen Floor dank ihrer Defense gefunden. Mit einer zunehmend dominanten Defensive Front erhielt KC einen neuen Spielraum für Fehler; in einer Saison voller ungewöhnlicher Storylines durchlief Kansas City einmal den kompletten Kreislauf von einer Defense, die so desolat war, dass die Offense das Gefühl hatte, bei jedem Play scoren zu müssen - bis hin zu einem Team, das sich auf eine solide und immer noch aggressive Defense stützen und die Offense parallel dazu langsam wiederbeleben kann.

Gegen Pittsburgh - und die Steelers-Defense ist sehr wacklig unterwegs, das sei hier nicht unerwähnt - zeigten die Chiefs und in erster Linie Mahomes eine neue Qualität. Eine Qualität, die sie in den vergangenen Wochen bereits einige Male angedeutet hatten. Ich war dann immer noch vorsichtig, aber der Eindruck festigt sich zunehmend.

Die Chiefs haben ihre Geduld gefunden.

Das war für mich immer die Frage, wann hier der Turnaround einsetzt. Das zweite Spiel gegen die Raiders war da für mich erstmals so richtig auffällig, generell in den letzten Wochen ist es immer wieder aufgeblitzt.

Mahomes scheint mittlerweile viel mehr gewillt zu sein, Plays zu nehmen, die die Defense anbietet - und parallel dazu auch konstant aus der Pocket zu spielen. Selbst wenn er das Play verlängern muss.

Die Chiefs als gefährlichstes AFC-Playoff-Team?

Letztlich gab es für Kansas City zwei Wege, um offensiv wieder in einen Rhythmus zu finden und Defenses schrittweise zu zwingen, die Chiefs wieder anders zu spielen. Mit weniger tiefer Zone Coverage, weniger abwartend. Nämlich indem man die kurzen Pässe und die Räume im Run Game konsequent ausnutzt, die sich in der Folge bieten.

Das erfordert Geduld vom Quarterback, aber auch vom Play-Caller. Andy Reid ist nicht unbedingt bekannt dafür, am Run Game festzuhalten - und das große Thema bei Mahomes war, dass er eben nicht gut darin ist, dieses geduldige Spiel zu spielen.

Das ändert sich zunehmend. Und so ergeben sich eben auch wieder mehr Möglichkeiten, diese spektakulären Big Plays aufzulegen, für die KC lange Zeit keine Räume gefunden hat. Und gleichzeitig bleibt der Floor, den die eigene Defensive Front bietet. Kansas City kann defensiv aggressiv auftreten, und gleichzeitig offensiv den Ball zunehmend kontinuierlich bewegen, was das ganze Feld wieder mehr und mehr öffnet.

Ich bin sehr auf das Spiel gegen die Bengals in der kommenden Woche gespannt. Nicht nur, weil es das in den Playoffs durchaus nochmals geben könnte, sondern auch, weil Cincinnati die Feuerkraft hat, um die die Chiefs in einen Shootout zu verwickeln. Und dann wäre ich gespannt, ob Kansas City, wenn nötig, dann ebenfalls mit anhaltender Geduld antwortet - oder ob dann doch irgendwann die Ungeduld siegt.

Aber für den Moment? Die Chiefs haben mit dem Sieg gegen Pittsburgh die AFC West gewonnen, wieder einmal.

Und im Moment sind wir auf bestem Wege, dass KC als Topfavorit in die AFC-Playoffs startet - wieder einmal.

4. Die Rams und Stafford: Achterbahn - aber wohin?

Die Rams sind vielleicht das Musterbeispiel dafür, wie wild diese Playoffs werden könnten: Ein sang- und klangloses Aus in der Wildcard-Runde würde mich genauso wenig überraschen wie drei dominante Auftritte auf dem Weg zum Super Bowl.

Ich habe diesen Ausdruck bereits häufiger angebracht, weil er auch so oft passt: Teams nehmen früher oder später die Identität ihres Quarterbacks an. Damit ist die schematische Perspektive gemeint - Lamar Jackson in Baltimore als Extrembeispiel, aber man muss nur zu Joe Burrow in Cincinnati oder auch die Veränderungen in Tampa Bay mit Brady schauen -, aber auch der sportliche Charakter des Teams.

Ist es ein aggressives Team? Ein geduldiges? Ein risikofreudiges? Ein konservatives? Ein Run-first-Team?

Die Rams mit Stafford sind in dieser Theorie eine kuriose Mischung: Einerseits ein High-Floor-Team, bedingt durch McVay und eine starke Defense. Andererseits aber auch ein wild inkonstantes Team - bedingt durch Stafford.

Und "inkonstant" geht hier ausdrücklich in beide Richtungen: Wir haben von Stafford schon diese Spiele gesehen, in denen er einige absolut spektakuläre Bälle wirft und das Team maßgeblich zum Sieg treibt. Und das sind dann die Spiele, wo man als Rams-Fan anschließend sagen kann, dass genau dafür Stafford geholt wurde.

Stafford: Chance und Risiko für die Rams zugleich

Aber Stafford hat auch schon Spiele weg geworfen. Gegen San Francisco, gegen Tennessee, und an das Titans-Spiel musste ich während der Partie gegen Minnesota mehrfach denken, weil er wieder diese Interceptions vor der eigenen Endzone hatte, die direkt Scoring-Gelegenheiten für den Gegner auflegen: Eine hässliche Interception spät im Down direkt zum Verteidiger, wie er sie gegen Tennessee auch hatte, und etwas später dann ein an der Line of Scrimmage abgefälschter Ball, der bei den Vikings landete.

Stafford hatte auch die zweite Hälfte mit einer Interception eröffnet, als er - unter Druck - einen Ball tief in Double Coverage feuerte. Und vor den Picks hatte er mehrfach Interception-Glück gehabt; seine Stat-Line hätte hier noch viel übler aussehen können, und auch der Zwischenstand in der Folge. Und so waren auch die eigene Defense sowie der Punt-Return-Touchdown des Special Teams die Sieggaranten.

Die Rams hatten sich mit dem Trade erhofft, dass Stafford sie auf das Level heben kann, welches mit Goff am Ende nicht mehr möglich war. Und das hier soll kein Abgesang sein! Denn das ist nach wie vor möglich - es ist keineswegs auszuschließen, dass Stafford in den Playoffs heiß läuft, und dann wären die Rams extrem schwer zu stoppen. Auch in der Top-heavy NFC.

Aber was Stafford nicht ist, ist eine konstante Garantie dafür, dass die Offense einen Floor hat. Und ich frage mich schon, ob McVay sich nicht eher das erhofft hatte, als die hohen Hochs und die tiefen Tiefs, die Stafford dieses Jahr zeigt.

Rams: Mit Stafford die Achterbahn eingekauft

Ob dem so ist oder nicht, ist aber eigentlich auch irrelevant. Denn diese Art Team sind die Rams jetzt: Ein Team mit einem hohen Floor - und einem massiv inkonstanten Quarterback.

Und hier endet irgendwo auch jegliche sinnvolle sportliche Analyse. Wir könnten jetzt darüber spekulieren, ob bestimmte Matchups die schwachen Momente noch mehr ans Tageslicht befördern könnten - mir zumindest ist hier bisher in der Richtung nichts aufgefallen, abgesehen davon, dass es Pressure braucht. Deshalb hatte er gegen Arizona vor zwei Wochen auch so ein gutes Spiel, die Cardinals konnten keinerlei Druck auf ihn ausüben.

Aber in den NFC-Playoffs könnte es zum Rematch gegen die Niners kommen. Oder später gegen die Bucs gehen. Oder gegen Dallas. Sollte das - wie man mit guten Pass-Rush-Teams umgeht - am Ende die kritische Schwachstelle dieses Rams-Teams sein, dann wird es schwer sein, in der Postseason weit zu kommen.

Was sich die Rams mit Stafford geholt haben, ist eine Achterbahn - und nochmal, ich denke, dass McVay sich etwas anderes erhofft hatte. Und jetzt gilt es zu hoffen, dass in zwei Wochen der langsame Anstieg, und nicht der rasante Absturz einsetzt.

5. Quick Hits: Panthers-Karussell und Antonio Brown

Das Panthers-Karussell dreht sich weiter

"Ich denke, dass es zu 1000 Prozent funktioniert. Ich weiß, niemand kann es sehen, und dafür entschuldige ich mich. Ich sage es unserem Team andauernd, Jay-Z hat sieben Jahre gebraucht. Er musste seine eigene Agentur gründen, um über Nacht zum Star zu werden. Es braucht Zeit."

Das ist kein Mutmacher oder eine Motivation für das neue Jahr kurz vor Silvester, sondern ein Zitat von Panthers-Coach Matt Rhule nach der Niederlage gegen Tampa Bay. Ein Spiel, in dem er - wie angekündigt - an seinen Quarterback-Wechselspielchen festhielt, jetzt auch wieder mit Sam Darnold zurück in der Rotation.

Und vielleicht tun wir alle Rhule Unrecht. Ich bin mir sogar sicher, dass er irgendeinen Plan hat. Allein - er liegt definitiv richtig damit, dass man davon nichts erkennt, im Gegenteil: Die Art und Weise, wie er die Offense und die Quarterback-Situation in der Offseason und dann auch während dieser Saison gemanagt hat, lässt eher vermuten, dass Kurzschlussreaktionen und Aktionismus das Handeln motivieren.

Und: Ich stimme Rhule zu, dass ein Umbruch Zeit braucht. Doch wenn spätestens im dritten Jahr nicht klare Fortschritte erkennbar sind, läuft diese Zeit in der NFL sehr schnell ab. Ich vermute, dass Rhule diese Offseason noch bekommen wird. Aber dann müssen Ergebnisse her - und das lässt mich umso mehr vermuten, dass die Panthers extrem aggressiv auf Quarterback-Suche sein werden.

Antonio Brown in Tampa: Schwierig, bestenfalls

Bucs-Coach Bruce Arians war ja - wenn man hier zumindest eine positive Sache mitnehmen will - relativ ehrlich. Als er zu Antonio Brown, der seines Zeichens seinen Impfausweis gefälscht hatte (!), und so ungeimpft den Corona-Protokollen der NFL entkommen war, gefragt wurde, sagte er, dass es die beste Entscheidung für das Team sei, dass man sich nicht von Brown trennt.

Die Message war klar: Die Bucs hatten gerade Chris Godwin verletzungsbedingt verloren, Mike Evans ist angeschlagen - die Aussage von Arians bei der Verpflichtung von Brown, wonach Brown ein Musterbürger abseits des Platzes sein müsse, schien in diesem Moment sehr weit weg. Ihm sei es, so Arians letzte Woche, egal, was die Leute dazu sagen.

Und rein sportlich betrachtet ist es schwer, Arians zu widersprechen. 15 (!) Targets sah Brown prompt bei seinem Comeback gegen die Panthers, 101 Yards, zehn Catches. Brady suchte ihn früh und er suchte ihn oft.

Aber als Brown sich nach dem Spiel vor die Reporter stellte und betonte, dass es jede Menge Drama sei, "das ihr Leute kreiert. Viel Drama, das Leute kreieren, die Dinge von mir haben wollen. Das ist Teil des Lebens, Teil davon, in dieser Position zu sein. Ich kann nicht kontrollieren, was die Leute von mir wollen und was sie über mich schreiben", wurde einmal mehr klar, wie sehr jegliche Selbstwahrnehmung bei Brown fehlt.

Der Spieler, der einst bei den Raiders nicht trainieren wollte, weil er einen anderen Helm haben wollte. Derjenige, der einen Impfausweis gefälscht hat. Derjenige, dessen Akte an Verfehlungen so lang ist, dass vermutlich einzig Brady ihn noch in der NFL beschäftigt hält. Auf Nachfrage zu seiner Suspendierung antwortete er: "Ich will darüber nicht sprechen. Euch geht es nur um das Drama. Wir sprechen hier über Carolina, oder ich will gar nicht mit euch sprechen."

Und natürlich ist sportlicher Erfolg die oberste Priorität für diese Coaches und Teams. Und mit der Kritik müssen - und können - sie dann auch leben. Aber ihre moralischen Standards und die Begründung der "Distraction" bei bestimmten anderen Spielern können sie uns dann auch ersparen.