Madden NFL 23 ist auf dem Markt und verspricht neben interessanten Neuerungen am Franchise Mode auch ein völlig neues Spielerlebnis - wenn auch nicht für alle. Doch wird diese Hommage an den verstorbenen Namensgeber den eigenen Ansprüchen gerecht? SPOX-Redakteur Marcus Blumberg macht den Check.
Nach einer in der Madden-Community eher enttäuschenden Vorgängerversion soll dieses Jahr alles besser werden. Die Rede war vor allem vom neuen "Field Sense"-System, das mir bereits vor Monaten im Producer-Interview schmackhaft gemacht wurde. Auch war die Rede von neuen Features, die das Spielerlebnis im Franchise Mode besser machen sollen.
Bevor wir aber zu genau diesen Features kommen, beginnen wir wie im Spiel auch mit dem übergreifenden Motto dessen: John Madden. Madden 23 ist als Hommage an den im Dezember verstorbenen Namensgeber des Spiels gedacht. Und entsprechend ist er auf dem Cover vertreten - erstmals seit mehr als 20 Jahren im Übrigen. Selbst der berühmte Slogan "EA Sports - It's in the Game" wird dieses Mal von Madden selbst gesprochen.
Wer Madden 23 erstmals startet, wird zunächst einmal zum Madden Legacy Game empfangen. Was das ist? Ein Duell zweier All-Madden-Teams mit aktuellen und früheren Lieblingsspielern des legendären Coachs. Die NFC wird dabei von keinem Geringeren als Brett Favre angeführt und enthält Legenden wie Jerry Rice oder Lawrence Taylor. Die AFC wiederum kommt mit Tom Brady als QB und Tony Gonzalez als Tight End daher.
Gespielt wird im Oakland Coliseum der 70er Jahre und die Coaches sind ein früher Coach Madden und einer, der am Ende seiner aktiven Karriere steht - beide mit dem originalgetreuen Super-Bowl-Ring der Raiders am Finger. Begleitet wird das kurze Spiel (4x4 Minuten) von Kommentar-Snippets Maddens aus früheren Madden-Spielen und TV-Übertragungen.
Madden NFL 23Madden NFL 23: Neues Passsystem nicht für alle
Doch halt! Genau genommen beginnt das eigentliche Spiel mit etwas anderem - nämlich der Vorstellung des neuen Pass-Systems. An dieser Stelle sei erwähnt, dass mir eine von EA Sports zur Verfügung gestellte Vorab-Version von Madden 23 für die Playstation 5 vorliegt. Diese ist identisch mit der Version für die Xbox Series X. Die neuen Features der diesjährigen Version sind nur auf diesen Plattformen zu finden - die Versionen für Playstation 4, Xbox One und PC enthalten hingegen eigentlich nur Verfeinerungen des Gameplans im Vergleich zu Madden 22 - ob das einen Kauf rechtfertigt, sei dahingestellt.
Der Gamer hat die Wahl zwischen drei Passvarianten - "Placement & Accuracy", "Placement" und "Classic". Beim ersten kann man neben der neuen Wurf-Location auch die Präzision mit einem Wurf-Meter steuern, bei "Placement" wird die Passgenauigkeit von der CPU geregelt. Und "Classic" ist einfach nur das bisherige Pass-System ohne Schnick-Schnack.
Nach meiner bisherigen Erfahrung ist dieses neue System speziell in Sachen Placement eine gelungene Ergänzung, denn jetzt kann man Pässe - wenn man das System mal beherrscht - dahin werfen, wo nur der eigene Receiver herankommen kann. Das allerdings erfordert Übung, man sollte nicht erwarten, dass das auf Anhieb so gelingt, wie man sich das denkt!
Und hier sei eine weitere gefühlte Änderung erwähnt: die CPU-Defense scheint schlauer geworden zu sein, speziell in Sachen verdeckter Coverage. Vielleicht lohnt es tatsächlich, anfangs den Skills-Trainer zu bemühen und nicht nur die neuen Pass-Optionen und Moves der Spieler zu trainieren, sondern auch die verschiedenen Coverages, die Defenses aufbieten. Auf der anderen Seite werden Leute, die Football an sich verstehen, hier im Vorteil sein.
John Madden sah immer den Simulations-Aspekt dieser Spielreihe im Vordergrund. Madden 23 liefert in dieser Disziplin durchaus ab.
Madden NFL 23: Schwache Offensive Line macht sich bemerkbar
Zudem zeigt sich früh, wie wichtig die eigentlichen Fähigkeiten der Spieler in diesem Jahr sind. Wer etwa hinter einer schwachen Offensive Line - ich versuchte es mit den Raiders - spielt, wird gegen Teams mit starker Front Seven wenig Land sehen. Derek Carr lag bei mir gegen die Chargers permanent auf dem Boden ...
Was die anderen Field-Sense-Features angeht, also die neuen Moves und die überarbeiteten Tackle-Fähigkeiten in der Defense, tue ich mich damit noch ein wenig schwer. Das mag an mir selbst liegen, aber gerade als Ball Carrier sah ich bis jetzt noch keine gravierenden konstanten Verbesserungen. Und Defense zu spielen bleibt ziemlich mühselig, egal ob der Gegner Mahomes oder Geno Smith heißen mag.
Das generelle Gameplay wirkt flüssiger als bisher, Contested Balls sind weniger unmöglich anzubringen als im Vorjahr und Receiver laufen nicht mehr bei gefühlt jeder Out-Route unmittelbar nach dem Catch sinnlos ins Seitenaus - für meinen Geschmack sah ich aber in begrenzter Spielzeit schon ein wenig zu viel Toe-Drag-Magic an der Seitenlinie.
Immer noch problematisch ist dabei die Tendenz von Receivern, nach dem Catch mitunter ohne Not erstmal rückwärts zu gehen, ehe sie versuchen, vorwärts zu kommen. Besonders nervig bei kritischen Downs oder unmittelbar vor der Goal Line, wo es reichen würde, noch einen Schritt weiter vorwärts zu stolpern, anstatt erstmal zwei Schritte zurück zu machen und dann von Verteidigern begraben zu werden.
Madden NFL 23: Von neuen Helmen keine Spur
Abzüge in der B-Note gibt es derweil für zwei Dinge, die schlicht fehlen: Im Spiel ist keine Spur von den zum Teil coolen neuen Helmen und ein paar neuen Trikots für die anstehende Saison. Das zeugt nicht gerade von guter Kommunikation zwischen EA und den NFL-Teams, für die man eine exklusive Lizenz hat. Spieleserien aus anderen Sportarten oder -Ligen machen in dieser Hinsicht einen merklich besseren Job.
Gleiches gilt für die Stadionumbenennungen. Heinz Field ist ebenso noch dabei wie Paul Brown Stadium - angesichts der tatsächlichen neuen Namen vermutlich kein Weltuntergang, doch wenn es wirklich im Spiel ist, sollte es dem Motto entsprechend auch im Spiel sein ...
Immerhin: Die Außenaufnahmen der Stadien und der unmittelbaren Umgebung sind in den Cutscenes während der Spiele fast schon spektakulär und machen so einiges her.
Kommen wir zum Franchise Mode. Hier hält man am immer noch komischen Talent-Scouting des Vorjahres fest. Der User selbst kann nur Scouts in Regionen versenden und Positions-Prioritäten festlegen. Mehr nicht.
Die große Neuerung liegt aber ohnehin in der Free Agency. Hier muss man sich nun zwangsläufig nach Vorlieben der Spieler richten - etwa warmes Wetter, Titelchancen oder mögliche Ex-College-Kollegen, mit denen man gern wieder zusammenspielen würde - siehe Davante Adams und Carr in Vegas ...
Was wie eine ziemlich gute Sache klingt, hat aber einen großen Nachteil in der Frühphase dieses Spiels: Anscheinend werden viel zu viele Hochkaräter dadurch Free Agents. Und in der echten NFL passiert das eher selten. Da Madden aber permanent weiterentwickelt wird, besteht die Hoffnung, dass diese Tendenz zügig per Bugfix behoben wird.
Einen neuen Weg geht derweil der Modus "Face of the Franchise", der vom bisherigen Muster mit einem College-Talent in der Hauptrolle abweicht und sich nun einem bisher gescheiterten Spieler im fünften Jahr seiner Karriere widmet. Erneut haben wir die Wahl zwischen mehreren Positionen: Quarterback, Running Back, Wide Receiver - und neu: Cornerback. Tut Euch einen Gefallen und wählt den QB!
Neu ist auch, dass man jetzt in den Spielen selbst wirklich nur noch den eigenen Spieler spielt und nicht mehr das ganze Team, was die ganze Geschichte ungleich schwieriger macht.
Madden NFL 23Madden NFL 23: Ochocinco mit dabei
Eröffnet wird der Modus von keinem geringen als Ochocinco - oder heißt er jetzt doch wieder Chad Johnson? Der frühere Bengals-Star jedenfalls gibt den Erzähler zu Beginn und ist so etwas wie der Tonesetter. Und dann geht es schnell darum, welchem Team man sich denn nun mittels Ein-Jahres-Prove-it-Deal anschließt. Alle 32 stehen zur Auswahl, man sollte jedoch auf die jeweilige Positions-Stärke des Teams achten, zu dem man will. Als QB sind die Chiefs wohl weniger erstrebenswert als etwa die Steelers, die ich gewählt habe.
Da ich das zuvor nicht wusste, nannte ich meinen Spieler etwas unbedacht "Chris Stewart" und gab ihm die 7. Beides führte zu gewissen Unannehmlichkeiten nach Wahl der Steelers später.
Zum einen durfte mein Spieler tatsächlich mit der 7 auflaufen, als hätte es Ben Roethlisberger nie gegeben - seine Nummer ist zwar noch nicht "retired", doch wird sie sicherlich niemand mehr bekommen. Das darf man durchaus im Videospiel berücksichtigen. Und aus irgendeinem Grund nannte ihn der Kommentator in einem Spiel "Kordell Stewart", der tatsächlich mal für Pittsburgh spielte ...
Im Laufe des Modus lernt man dann seinen Positions-Coach kennen, wenig später dann seinen Coordinator. Beide sind wohl unabhängig vom Team immer dieselben Charaktere - ein Schrank von einem Mann ist der Positions-Coach, ein polynesischer Surfer-Dude der OC. Zu erkennen an seinem Hut und "Bruh" als erstem Wort aus seinem Mund. Interessantes Casting in jedem Fall!
Das Gute an diesen wenig zielführenden Konversationen ist aber, dass man diese Cutscenes allesamt überspringen kann.
Bedenklich ist derweil, dass es im Grunde egal scheint, ob man nun erfolgreich spielt oder nicht. Wirft man 5 Interceptions, scheint das ebenso wenig zu interessieren wie 5 Touchdowns im nächsten. Einzig Upgrade-Punkte bleiben bei ersterem aus.
Madden NFL 23: The Yard nur noch Nebensache
Und solche sind durchaus erstrebenswert, denn besagten Avatar nutzt man auch noch in den (Online-)-Modi The Yard, Online-Head-to-Head und Superstar KO.
Bemerkenswert bei Letzteren ist im Übrigen, dass man diese im Grunde genommen nun beiseite geschoben hat. Sie sind noch da, doch wurden sie im Homescreen gut hinter der Kachel "Play with Friends" versteckt. Eine interessante Entscheidung, wenn man bedenkt, wie prominent gerade The Yard in den vergangenen Jahren noch angepriesen wurde.
Unweigerlich weiterhin mit von der Partie und im Grunde das zentrale Feature für Madden 23 ist - natürlich - Ultimate Team. Wie könnte es anders sein?
Überraschend wurde hier aber eigentlich nichts verändert. Es gab Detailänderungen bei den Upgrade-Paketen, aber eigentlich ist alles beim Alten. Man erspielt sich eben durch Challenges und Off- wie Online-Duellen Coins, Credits und dergleichen, um sich im Shop neue Spieler-Packs kaufen zu können. Oder man erspart sich das "Grinding" und kauft Coins/Credits mit echtem Geld - das könnte der bevorzugte Weg des Spieleherstellers sein - nur so eine Vermutung.
Immerhin: Wer eine eher geringe Aufmerksamkeitsspanne hat und einfach nur mal zwischendurch zocken will, wird hier mit den ganzen Mini-Games durchaus abgeholt. Abgeschreckt wurde ich jedoch von den für Next-Gen-Konsolen recht langen Ladezeit in den Menüs von MUT. Und nein, an einer zu langsamen Internetleitung lag es nicht.
Madden NFL 23: Gemischtes Fazit
Was heißt das nun unterm Strich? Das Gameplay wurde durchaus verbessert und fühlt sich - nach einiger Übung, die durch das neue Passsystem, was man sich durchaus mal geben sollte - besser und realistischer an. Die Spieler-KI wirkt schlauer, hat aber weiter ihre Macken. Und auch wenn alles überragend aussieht, lässt gerade der Franchise Mode noch immer Raum für Verbesserungen. Das Thema Langzeit-Motivation muss man auch in diesem Jahr wieder infrage stellen, wenn man nicht gerade ein motivierter MUT-Zocker ist.
Madden 23 ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung und eine klare Steigerung im Vergleich zu den zwei Next-Gen-Vorgängern. Allerdings wurde hier erneut kein Quantensprung gemacht. Es ist klar besser als der Vorgänger, aber weiterhin nicht perfekt.
Madden NFL 23 ist seit Freitag auf Playstation 5/4, Xbox Series X/S/One und PC überall im Handel und Online erhältlich.