NFL - Die größten Enttäuschungen nach Woche 3: Woran hat's gelegen?

Marko Markovic
29. September 202212:57
Die Seattle Seahawks blicken schon jetzt auf eine enttäuschende erste Saison nach Russell Wilson.getty
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Drei Wochen sind gespielt und damit lassen sich erste Tendenzen in der NFL ablesen. Schon jetzt finden sich eine Reihe von Teams, die sich ein so tiefes Loch gebuddelt haben, dass für sie das Thema Playoffs wohl schon beendet ist.

Houston Texans

0-2-1, #16 Seed der AFC

Das Team befindet sich de facto seit der Ankunft von General Manager Nick Caserio im Januar 2021 im Umbruch. Nach nur einem Jahr war das Experiment mit David Culley als Head Coach bereits wieder beendet. Zudem hat man sich nun endlich auch von Deshaun Watson getrennt.

Was lief falsch?

Die große Frage bei den Texans ist: Läuft überhaupt so viel falsch? Für die Erwartungshaltung eines schlechten Teams (die Texans sind 8-27-1 seit Anfang 2020) ohne guten Quarterback spielen die Texans eigentlich über ihrem Niveau. Sie sind 2-0-1 gegen den Spread. Sie haben die Colts an den Rand einer Niederlage gebracht, die von vielen als Playoff-Team wahrgenommen werden, und belegen Rang 21 nach Punktedifferenz, ein Platz hinter den Rams. Die Defense ist Fünfzehnter in EPA/Play und Dreizehnter bei der Success Rate. Auf Early Downs haben sie die fünfzehnthöchste Pass-Rate in neutralen Situationen und den achtzehntbesten besten Wert bei EPA/Dropback, was in Anbetracht des QB-Talents nochmal beachtlicher ist.

Wenn was schief läuft, ist es die Run Defense. Über 200 Rushing Yards pro Spiel erlaubt Lovies Smiths Unit hier und die 5,6 erlaubten Yards pro Rush sind der zweitschlechteste Wert der Liga. Als konstanter Underdog natürlich eine ungünstige Schwachstelle.

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Was ist die größte Baustelle?

Ohne Frage die QB-Position. Baker Mayfield wollten sie nicht im Deshaun-Watson-Trade-Package. Jimmy Garoppolo kam trotz der Caserio-Connection und mehreren Gerüchten auch nicht nach Houston. Davis Mills ist die Zwischenlösung, aber sicher nicht mehr als das.

Ohne eine Antwort hier hat all das solide Fundament, das Smith gerade baut, wenig Zukunft in der auf lange Sicht von jungen, guten Quarterbacks dominierten AFC.

Was/Wer gibt Hoffnung für die Zukunft?

Wer auch immer der Quarterback sein wird, dürfte eine solide Pass Protection vorfinden. Left Tackle Laremy Tunsil spielt nach seinem Ausfall 2021 wieder auf gewohnt hohem Niveau und Right Tackle Tytus Howard hat seine beste Saison bisher. Rookie-Guard Kenyon Green wurde 2022 in der ersten Runde des Drafts geholt, um die Baseline der Offense weiter zu stabilisieren.

Droht ein radikaler Neustart?

Smiths Mandat ist tatsächlich nicht leicht einzuschätzen. Wenn die Texans nur drei bis vier Spiele gewinnen, könnte ihm - wie Culley - ein früher Rauswurf drohen, was einem neuen Head Coach mit den Picks aus dem Watson Trade den Weg zum QB frei machen könnte.

Wenn die Texans aber in ihren Spielen weiter kompetitiv sind - oder gar sechs, sieben Siege schaffen - wird Smith ein Argument haben, den bereits begonnenen Rebuild selbst fortführen zu können.

New York Jets

1-2, #10 Seed der AFC

Seit der Verletzung von Zach Wilson ist die Jets-Saison wie eingefroren. Das Team hält praktisch die Luft an, bis man mit ihm dann wieder sehen kann, wohin die Reise führt. Leider hält der Rest der Liga nicht die Luft an, und so sind die verbuchten Niederlagen zusammen mit dem Erstarken der Dolphins genug, um die Playoffs in weite Ferne zu rücken.

Was lief falsch?

So einfach es wäre, hier auf das Wilson-Unglück zu deuten, ehrlicher ist es, sich zu fragen, was eigentlich nicht falsch lief. Das Team ist in kaum einem Bereich auch nur im Mittelfeld der Liga - Special Teams? Okay. Michael Carters Laufspiel? Vielleicht.

Ansonsten ist es nun schon ein zweites Jahr in Folge, dass Robert Saleh der Truppe zu keinem nennenswerten Fortschritt verhilft, egal ob mit Wilson oder ohne. Seine Defense ist 29. in EPA/play und weit abgeschlagen Letzter, wenn man 2021 inkludiert, immerhin schon ein 20-Spiele-Sample.

Was ist die größte Baustelle?

Linebacker ist mit einem alternden und deutlich abbauenden CJ Mosley und einem konstant überforderten Quincy Williams sicher eine der größten Brandherde in der Defense.

In der Offense ist die Offensive Line, und da vor allem die linke Seite, voller Fragezeichen: Der bisherige Left Tackle Mekhi Becton hat nach zwei Knieverletzungen in Folge die letzten guten Snaps Ende 2020 gespielt, im Hinblick auf September 2023 also eine fast dreijährige Lücke an Spielpraxis. Im Vorfeld dieser Saison wurde er aber ohnehin schon auf Right Tackle versetzt. Sein vermeintlicher Nachfolger George Fant ist mit 30 Jahren auf einem deutlich absteigenden Ast und nun auch wieder verletzt. Und der im teuren Uptrade erstandene Guard Alijah Vera-Tucker findet nur sporadisch zum erhofften Niveau, er hat in drei Spielen schon 11 Pressures erlaubt - die fünftmeisten der Liga unter Guards, knapp hinter seinem RG-Kumpel Laken Tomlinson, der 13 erlaubt hat.

Was/Wer gibt Hoffnung für die Zukunft?

Garrett Wilson ist für einen Rookie-Wide-Receiver relativ schnell in der NFL angekommen. Er besticht derzeit - vor allem im Slot - auch gegen Man Coverage, was die wenigsten Rookies so schnell von sich behaupten können. Insofern wird Zach Wilson bei seiner Rückkehr - vielleicht schon in Woche 4 - zumindest eine fähige Anspielstation haben, die dem Team helfen sollte, herauszufinden, ob er die Zukunft der Franchise ist.

Droht ein radikaler Neustart?

Saleh dürfte mit einer zweiten verkorksten Saison Geschichte sein, dafür kann der Wunsch-QB und das bereits durch viele hohe Picks gestärkte Defensivtalent nicht als Ausrede herhalten.

Ob GM Joe Douglas einer ähnlichen Evaluation unterzogen werden wird, ist zu bezweifeln. Dabei waren es auch seine Entscheidungen, die nun schon zwei verschiedene Head Coaches mit zwei verschiedenen Quarterbacks zu einer derzeitigen Bilanz von 14-38 geführt haben.

Seattle Seahawks

1-2, #15 Seed der NFC

Die Seahawks haben nach Russell Wilsons Abgang einen Rückschritt auf der wichtigsten Position hingenommen und steuern auf die zweite Losing Season in Folge zu. Das gab es unter Pete Carroll zuletzt in den Jahren 1 und 2 seiner Ära, 2010 und 2011.

Was lief falsch?

So verlockend auch hier die Abkürzung zum QB ist, liegt der Teufel auch bei diesem defensiven Head Coach aber viel mehr auf genau seiner Seite des Balls. Die Defense liegt nach fünf Jahren im Mittelmaß auf dem letzten Platz in erlaubten EPA/Play und gibt vor allem gegen den Pass dank etlicher Coverage-Probleme immer wieder zu viel her.

Was ist die größte Baustelle?

So nuanciert man die QB-Frage betrachten muss - Geno Smith ist keine Katastrophe sondern ein solider Game Manager, der nimmt, was die Defense ihm gibt -, so klar ist aber auch: Dank des Carroll'schen Hangs zur Defense-and-Run-Philosophie, die QBs nur als Ausführer eines erweiterten Laufspiels sieht, wird das Team immer limitiert sein beim Mithalten mit den Playoff-Powerhouses. Ohne einen Quarterback, der das System transzendiert, wird die Upside immer beschränkt sein.

Was/Wer gibt Hoffnung für die Zukunft?

Der Running-Back-Room ist, wie fast üblich in Seattle, sehr gut, und DK Metcalf und Tyler Lockett sind ein absolut solides Wide-Receiver-Duo. An den Skill-Positions liegt es nicht.

Droht ein radikaler Neustart?

Das Team sieht sich trotz des QB-Wechsels nach zehn Jahren überhaupt nicht im Rebuild und John Schneider und Carroll genießen noch sehr viel Vertrauen. Sollte aber der Boden komplett wegbrechen und ein Neustart erfolgen, ist das Team im Vergleich zu anderen Neuanfängen erstaunlich gut aufgestellt: Das Team hat 2023 über 40 Millionen Dollar an effektivem Cap Space und dabei schon zwei starke Wide Receiver unter Vertrag. Charles Cross als extrem talentierter Left Tackle auf einem Rookie-Deal hat bis dahin schon sein Lehrgeld vermutlich bezahlt. Wer auch immer den potentiellen Neuanfang auf QB gestalten könnte, wird selten eine bessere Situation vorfinden als diese.

Die Seattle Seahawks blicken schon jetzt auf eine enttäuschende erste Saison nach Russell Wilson.getty

Atlanta Falcons

1-2, #13 Seed der NFC

Im zweiten Jahr des neuen Regimes rund um Terry Fontenot und Arthur Smith wurde der Quarterback-Wechsel endlich vollzogen. Das Team hat allein dank der Unmengen an Dead Money nun ein zweites Jahr zum reinen Evaluieren und spielt nun - von allen Erwartungen befreit - plötzlich ansehnlichen Football, der aber vermutlich nur gegen schlechte Teams zu Siegen führen wird.

Was lief falsch?

In Wirklichkeit nur ein viertes Viertel, bei dem gewohnt konservative Punts von Arthur Smith dem Team die Chance nahmen, mit einem Divisionssieg in die Saison zu starten. Ohne den Meltdown gegen die Saints ist das Team bei 2-1 und mittendrin im NFC-Geschehen. Und des als Top-10-gegradetes Team, dessen Offense mit endlich wieder funktionierenden Play-Action-Konzepten die Playmaker Kyle Pitts und Drake London in Szene setzt. Das wäre keine schlechte Ausgangsposition.

Was ist die größte Baustelle?

So solide er die Offense umsetzt: Quarterback Marcus Mariota ist weder akkurat genug für die Würfe in dem Scheme, noch ballsicher genug als Veteran, den man eigentlich holt, weil er nicht ständig fumbelt. Die Offense funktioniert trotz, nicht wegen, seines limitierten Spiels, und erst mit einer langfristigen Lösung auf QB wird sie ihr volles Potential entfalten können.

Was/Wer gibt Hoffnung für die Zukunft?

Je eher das Team Desmond Ridder einsetzt, desto eher könnte es wissen, woran es für 2023 ist. Ob ein QB gebraucht wird oder nicht, ist die zentrale Frage. Ridder sah in der Preseason gut in der Offense aus, in ihm einen Langzeit-QB zu finden ist sicher die größte Hoffnung derzeit, so unklar es auch sein mag, wann er endlich starten wird.

Sollte das Team aber weiter overperformen (3-0 gegen den Spread) wird aber Mariotas Leine sicher länger. In dem Szenario ist Drake London (zusammen mit Kyle Pitts) die größte Hoffnung für die Zukunft.

Droht ein radikaler Neustart?

Findet das Team zu seiner 2021er Form am Boden der NFL zurück - und verliert dabei weiter Spiele - dürfte es für Smith keine Argumente mehr geben. Fontenot wird sicher eine längere Leine haben, dank der geerbten Verträge, die er sukzessive loswerden musste. Wohin der Rebuild im Jahr 3 dann geht, entscheidet sich also de facto daran, wie früh Ridder zum Einsatz kommt.

Sollte das Team aber die gezeigte Leistung - egal mit welchem QB - in Siege verwandeln, wird der Rebuild als abgeschlossen angesehen werden. Dann hat Smith über 40 Millionen Dollar an effektivem Cap Space im Jahr 2023, zwei Top-Receiver auf Rookie-Deals und einen Owner hinter sich, der berüchtigt loyal ist - und auf Punts nicht allzu sehr achtet.

Carolina Panthers

1-2, #9 Seed in der NFC

Die Panthers wollten jeden Quarterback unter der Sonne und bekamen schließlich Baker Mayfield. Matt Rhules letzter Verzweiflungsversuch bleibt aber wiedererkennbar laufzentriert, konservativ und aussichtslos.

Was lief falsch?

Nur Justin Fields hat eine schlechtere PFF Passing Grade als Baker Mayfield und die Panthers sind letzter bei offensiven EPA/Play. Die Receiver sind nie offen und werden auch nicht frei gespielt vom Play Call. Rookie-Left-Tackle Ikem Ekwonu hat schon 9 Pressures in 3 Spielen erlaubt. Die Panthers-Pass-Offense ist der Zahnarztbohrer der NFL.

Was ist die größte Baustelle?

Jenseits der gesamten Pass Offense? Die Gehaltszettel! Die Panthers sind mit einem schlechten Team und den derzeit gültigen Verträgen 19M Millionen Dollar über dem prognostizierten 2023er Salary Cap. Shaq Thompson, Robbie Anderson, Taylor Moton und DJ Moore haben jeder für sich einen Cap Hit von über 20 Millionen im kommenden Jahr. Selbst wenn sie das Ruder rumreißen und gute Leistungen zeigen, sind sie niemals diese Summen Wert.

Was/Wer gibt Hoffnung für die Zukunft?

Jaycee Horn, der seine Rookie-Saison fast komplett an mehrere Knochenbrüche im Fuß verlor, hatte in Woche 3 sein bisher bestes Spiel und zählt zu den besten Cornerback dieser jungen Saison. Und ab 2023 können die Panthers wieder aus dem Christian-McCaffrey-Vertrag aussteigen, wenn die NFC South auch wieder greifbarer sein könnte im Hinblick auf Tom Brady.

Droht ein radikaler Neustart?

Matt Rhules Ende dürfte besiegelt sein. Die spannende Frage wird sein, ob Scott Fitterer gehen muss oder nicht. Er kam nach Rhule in Carolina an und wird argumentieren können, dass er nie einen Head Coach wählen durfte sowie etliche schwierige Verträge (Thompson, McCaffrey) geerbt hat.

Las Vegas Raiders

0-3, #16 Seed der AFC

Die Raiders haben in einer 10-zu-1-Außenseiter-Situation (das waren ihre Division-Odds Anfang März) beschlossen, alle Chips in die Mitte zu setzen. Die All-In-Moves rund um Davante Adams und Chandler Jones brachten sie näher ans Mittelfeld der Division und Conference, aber all das auf Kosten einer langfristigen Perspektive sowie überschaubaren Ergebnissen.

Was lief falsch?

Unabhängig von der Big-Picture-Frage gibt es eine Menge an Kleinigkeiten. Hunter Renfrow ist verletzt. Jenseits von Nate Hobbs ist die Coverage wackelig. Jones baut deutlich ab und dadurch bekommt Maxx Crosby alle Aufmerksamkeit der Gegner. Die Offense ist mit einem neuen Head Coach und dessen neuem Schema oft unorganisiert. Derek Carr ist ein Top-10-QB mit Play Action und Bottom 10 ohne - und bekommt die drittwenigsten PA-Snaps unter allen Startern.

Was ist die größte Baustelle?

Die fehlende Kadertiefe auf zahlreichen Positionen. Das Stars-und-Scrubs-Team für das Hier und Jetzt muss eben an einigen Stellen Rookies, Journeymen oder Durchschnittsspieler starten lassen. Vor allem die Coverage in der Mitte, zwischen den Linebackern Divine Deablo und Jayon Brown, sowie dem ewig enttäuschenden Box Safety Johnathan Abram, ist einfach konstant ein Problem.

Was/Wer gibt Hoffnung für die Zukunft?

Man war in keinem Spiel bisher wirklich draußen, und wurde auch in keiner Phase komplett dominiert. In zwei der drei Niederlagen hatte man mehr Yards/Play, einen Fumble, der in der Overtime zum Touchdown zurückgetragen wurde, und eine vergebene 2-Point Conversion. All das führte zu relativ zufälligen Ergebnissen, die aber maßgeblich zur 0-3-Bilanz beitrugen. Das Team ist vielleicht näher an Rang 20 als Rang 30 in der Liga und hatte einfach Pech in drei One-Score-Games hintereinander.

Droht ein radikaler Neustart?

Wenn das Pech aber nicht aufhört und das Team nicht in einen besseren Groove rein findet mit dem neuen Scheme, stellt sich schon die Frage, was Josh McDaniels hier wirklich vorhatte in Jahr 1. Eine grobe Fehleinschätzung der eigenen Lage ist jetzt nicht mehr zu leugnen. Wenn noch mehr Fehler dazukommen, wird es interessant, wer den Kopf hinhalten muss.

Aber es kann auch sein, dass das Team weiter durchschnittlich ist, mit ein paar Bounces hier und da ein paar Spiele gewinnt, vielleicht eine knappe Niederlage gegen einen hohen Favoriten herbeizaubert und denkt, auf dem richtigen Weg zu sein.

Dann wird es nächste Offseason spannend, ob es um Depth oder um mehr Starpower geht.