An Geschichten, Überraschungen und Sensationen mangelt es in Week 1 nie - und auch die neue Saison machte da keine Ausnahme! Die Vikings schicken sich an, Green Bay den Norden streitig zu machen, während die Dolphins ihre neue Offense präsentieren. Trey Lance gibt sein Debüt als fester Starter in San Francisco, mit gemischten Resultaten. Die Takeaways zu Week 1 fassen mehrere der größten Geschichten zusammen.
Je älter man wird, desto schwieriger ist es, dieses kindliche Gefühl vom Weihnachtsabend nochmal zu spüren. Die traurige Realität ist, dass es sehr schwer ist, sich kindliche Vorfreude beizubehalten. Sarkasmus und Zynismus treten an die Stelle von leuchtenden Augen und Überraschungen.
Dabei kann es immer noch etwas Wunderbares sein, wenn Vorstellungskraft und Realität verschmelzen. Und manchmal kann Sport uns diese Momente bieten, wenn wir älter werden. Der Draft kann bei manchen diese Gefühl nochmal aufleben lassen. Ein lange antizipiertes Endspiel kann das.
Der Start einer neuen Saison, wenn auch etwas anders, kann es ebenfalls. Dabei spielen sportliche Aspekte natürlich eine Rolle, aber auch Narrative nehmen ihren Ausgang. Geschichten, die uns vielleicht wochenlang begleiten werden, nehmen ihren Anfang.
Keine war in Week 1 deutlicher als der rund um die Buffalo Bills: Können die Bills, nachdem sie zwei Mal so dramatisch in den Playoffs gescheitert sind, endlich den letzten Schritt auch gehen? Diese Franchise, deren berühmteste Postseason-Statistik darin besteht, dass sie Anfang der 90er Jahre vier aufeinanderfolgende Super Bowls zwar erreicht, aber jedes Mal verloren haben.
Es war beeindruckend, zu sehen, wie die Bills die offenen Fragen rund um ihr Team beim Auftaktsieg gegen die Rams beantworteten und so den Preseason-Hype nur umso weiter befeuerten. Die Chiefs beantworten die Fragen danach, wie die Offense ohne Tyreek Hill aussehen könnte, mit einem dominanten Auftaktsieg in Arizona - gegen eine Cardinals-Defense, deren Mangel an Pass-Rush-Talent zu einer gnadenlosen Überkompensation via Blitzing führte: Arizona blitzte Mahomes erstmals in dessen Karriere bei mehr als der Hälfte seiner Dropbacks. Mahomes legte vier Touchdowns gegen den Blitz auf und die Chiefs erledigten defensiv mit der Defensive Line den Rest.
Die Chargers derweil gewinnen das erste AFC-West-Schwergewichtsduell gegen die Raiders in einer engen Partie, in welcher Derek Carr nicht seinen besten Tag hatte. Ist 2022 endlich das Jahr, in dem die Chargers das Team sein können, das jahrelange Narrative vergessen lässt? So viele Geschichten in Week 1, und manche davon werden die kommenden Wochen und Monate prägen.
Eine schöne neue Saison miteinander!
1. Warnschuss oder R-E-L-A-X in Green Bay?
Jegliche positive Aufbruchsstimmung in Green Bay dürfte nach Week 1 schnell abgehakt sein. Eine deutliche Pleite beim Division-Rivalen Minnesota, die hochtalentierte Defense hatte mehrfach Abstimmungsprobleme - und offensiv wurden alle Bedenken komplett bestätigt.
Und wer weiß, wie dieses Spiel offensiv aus Packers-Sicht gelaufen wäre, hätte Christian Watson die Rookie-Nerven von Anfang an im Griff gehabt: Dann hätte er gleich beim ersten Play einen tiefen Touchdown gefangen, und vielleicht hätte das alles auf den Kopf gestellt.
So kann man sich nur zu gut vorstellen, wie Rodgers, der schon während der Saisonvorbereitung die Rockies aufgrund zu vieler Fehler im Camp in die Pflicht genommen hatte, nach dieser Szene innerlich kochte. Watson hatte Patrick Peterson gut verladen und dann seinen Turbo gezündet, und Rodgers' Gesicht nach dieser Szene sprach Bände.
Natürlich gibt es Punkte, die man aus Packers-Sicht hier anbringen kann: Beide Tackles fehlten verletzt, wobei ich mich bei David Bakhtiari schon so langsam frage, ob wir Green Bays Star-Left-Tackle überhaupt nochmal auf dem Feld sehen. Green Bay war auch im Vorjahr desolat gestartet und hatte gegen die Saints deutlich verloren, für die weitere Packers-Saison spielte das keine Rolle. Und mit LaFleur und Rodgers haben die Packers ein paar Vorschusslorbeeren verdient.
All das ist gut und fair, der wichtigste Punkt aber aus Packers-Sicht dürfte der sein: Die jungen Receiver können sich steigern.
Denn eine Passing-Offense die, wie über weite Teile des Spiels gegen Minnesota, über Tonyan, Aaron Jones und A.J. Dillon läuft, ist in der heutigen NFL nicht zum Kreis der Contender zu zählen. Das kann je nach Matchup funktionieren, insbesondere dann, wenn die Packers den Ball gut laufen können - was gegen die Vikings phasenweise sogar klappte. Aber Rodgers wirkte zögerlich bei einigen Plays in der Pocket, Minnesotas Edge-Rusher ließen diese Pockets schnell verschwinden, und es ist kein Geheimnis, dass gerade Rodgers ein Quarterback ist, der massiv von seinem Vertrauen zu den Receivern lebt.
Wenn Randall Cobb und Allen Lazard - der mutmaßlich eine große Rolle einnehmen wird, wenn er wieder fit ist - die beiden Receiver im Team sind, die diese Rolle am ehesten ausfüllen, ist der Spielraum für Fehler einfach sehr klein, und es gibt keine individuelle Trumpfkarte im Passspiel, und das ist ein Problem. Lazard sollte als Big-Slot-Receiver der Offense ein Element geben, das am Sonntag gefehlt hat. Aber ist er der Spieler, der eine Offense transformiert? Da habe ich doch erhebliche Zweifel. Lazard sollte der Offense eine zusätzliche Schicht geben, ein zusätzliches Element. Aber er ist kein Dreh- und Angelpunkt, keiner, der Räume kreiert.
Green Bay: Ein wenig Sorge ist angebracht
Ich war insbesondere letztes Jahr begeistert davon, wie effizient Green Bay sein Passspiel aufzog. Und natürlich ist es kein Geheimnis, dass Davante Adams dabei häufig der Spieler war, der Räume kreiert hat, selbst wenn er den Ball nicht bekommen hat - und er war sehr regelmäßig das Top-Target in den meisten Play-Designs. Die Grundstruktur der Offense gefiel mir dennoch, und mit einer intakten Offensive Line wird man davon auch wieder mehr bekommen.
Aber dieses Spiel war ein klarer Warnschuss dahingehend, dass die Division in diesem Jahr nicht der Selbstläufer werden könnte, der sie in den vergangenen Jahren war. Dass die Vikings eine Defense haben, die Green Bay Probleme bereiten kann, und gleichzeitig eine explosive Offense, die deutlich mehr gewillt scheint, ihre PS auch aufs Feld zu bringen - angeführt von Justin Jefferson, der vielleicht am Ende wirklich auf 2.000 Receiving-Yards geht und gegen den die Packers viel zu selten Jaire Alexander stellten. Alexander zeigte sich anschließend auch angefressen deshalb. Minnesota hatte einen sehr guten ersten Auftritt, und bei Green Bay sind nach diesem Spiel mehrere Brandherde offen.
Die Packers in den vergangenen Jahren haben uns gezeigt, dass verfrühte Panik rund um dieses Team selten gerechtfertigt ist. Aber in den vergangenen Jahren rangierte der Rest der Division am Saisonende drei bis fünf Spiele hinter Green Bay, und die Packers hatten die ultimative Trumpfkarte in Person von Davante Adams.
Letzteres ist nicht mehr der Fall, und Ersteres vielleicht auch nicht mehr. Deshalb ist die Week-1-Pleite der Packers in diesem Jahr vielleicht auch mehr als eine Überreaktion, und eher ein echter Warnschuss.
Panik ist nicht angebracht. Ein wenig Sorge aber schon.
2. Trey Lance und das Problem mit dem Druck
Das war eine der spannendsten Fragen in Week 1: Wie würde die Offense der 49ers aussehen, nachdem Trey Lance eine gesamte Offseason als Starter hatte, und nachdem Kyle Shanahan an allen Stellschrauben drehen konnte, an denen man so drehen muss, wenn man versucht, den Übergang von Jimmy Garoppolo zu Trey Lance auch strukturell hinzubekommen.
Umso mehr, wenn es sich um eine Offense wie die von Shanahan handelt. Garoppolo führte die Liga 2021 in Yards nach dem Catch pro Completion an, 2020 belegte Nick Mullens für die Niners den dritten Platz und 2019 war es ebenfalls Garoppolo, der mit Abstand Platz 1 belegte.
Shanahans Offense in ihrer Grundform lebt davon, dass der Quarterback den Ball konstant präzise gerade auch über die Mitte des Feldes verteilt und Receivern Yards-after-Catch-Gelegenheiten gibt. So kommen nicht nur Big Plays zustande, so entsteht auch, gemeinsam mit dem Run Game, die Baseline der Offense.
Mit einem Quarterback wie Lance muss man diese Überlegungen fast auf den Kopf stellen. Nicht nur muss Shanahan sein Run Game anpassen und mit Option-Elementen - und damit auch mit mehr Shotgun- und Pistol-Formationen - versehen, sondern er kann auch nicht davon ausgehen, dass Lance den Ball mit der gleichen Konstanz und Sicherheit schon verteilt wie Garoppolo. Dafür öffnen seine Athletik in Kombination mit dem Armtalent Optionen im vertikalen Passspiel, die so mit Garoppolo nie da waren.
Umso stärker wurde dieses erste Lance-Spiel als Starter antizipiert, weil es auch nicht viele vergleichbare Situationen unter Shanahan gab. Robert Griffin III wäre am ehesten ein Beispiel dafür, doch das ist zehn Jahre her und kam in einer Phase, in der Offenses zumindest auf dem NFL-Level Defenses mit dem Zone Read auf dem falschen Fuß erwischten. Griffin war der perfekte Quarterback dafür, und er warf den Ball in seiner Rookie-Saison im Schnitt ein knappes Yard tiefer als Garoppolo im Vorjahr, und er warf 9,2 Prozent seiner Pässe tief, für 559 Yards, sieben Touchdowns und nur eine Interception. Garoppolo in der vergangenen Saison? 7,5 Prozent seiner Pässe tief für 392 Yards, drei Touchdowns und drei Picks.
49ers: Trey Lance wird noch Zeit brauchen
Dieses Spiel war - auch aufgrund schwieriger Umstände durch den Regen - noch weit davon entfernt, uns übergreifende Erkenntnisse über Shanahans Offense für Lance oder über Lance selbst zu geben, außer in einer Hinsicht: Lance wird noch Zeit brauchen.
Ein paar Anzeichen gab es selbstredend, wie diese Offense aussehen könnte: Jede Menge Jet Motion, Tap Passes, simple Yards. Shotgun Zone Reads und Option Plays waren genauso Teil der Offense wie Quarterback-Draws, der designte QB-Run bei Third-and-13 Mitte des zweiten Viertels war ein Paradebeispiel dafür. In Flashes waren die Shot Plays zu sehen, einen sehenswerten Touch-Pass im mitunter strömenden Regen von Chicago hatte ich mir notiert, Anfang des zweiten Viertels. Und es waren die Run-Elemente drin, die wir von Shanahan kennen, inklusive einer ordentlichen Dosis von Deebo Samuel am Boden.
Und Lance hatte die erwarteten Hochs und Tiefs. Der Drive Mitte des ersten Viertels endete, weil Lance nach einem Heavy-Play-Action-Pass seinen Receiver vertikal überwarf. Er verfehlte mehrere offene Receiver, er war inkonstant in seinem Pocket-Verhalten.
Die Interception Mitte des vierten Viertels, als San Francisco mit einem Touchdown-Drive die Führung wieder hätte übernehmen können, war sinnbildlich: Bears-Safety Eddie Jackson rotierte schon sehr früh im Play nach vorne und war offensichtlich der Robber-Safety Underneath. Lance antizipierte dennoch nicht, dass er bis in sein Passfenster kommen könnte und warf den Ball direkt in die Arme des Safeties. Statt Niners-Führung marschierte Chicago prompt das Feld runter und fand die Endzone, um seine Führung auszubauen.
Dass es diese Momente geben würde, war immer klar. Lance hat 2020 und 2021 kaum gespielt, gewisse Anpassungen was Game-Speed, Komplexität der Defenses und viele andere Punkte angeht, waren unvermeidbar. Und die Niners insgesamt als Team wirkten sloppy, hatten Strafen und zu viele vermeidbare Fehler.
Wird es in San Francisco irgendwann unruhig?
Dennoch steht außer Frage, dass die Niners signifikant mehr Talent auf dem Feld hatten als die Bears am Sonntag. Und dass Lance in der klar besseren Situation ist als sein Gegenüber Justin Fields. Doch Lance hätte im zunehmend unangenehmen Wetter in Chicago beinahe noch einen Pick im Schlussviertel geworfen, und auch wenn ich nicht denke, dass die Verantwortlichen in San Francisco in irgendeine Art von Panik verfallen. Die vergangene Saison hat eindrucksvoll untermauert, wie geduldig die Niners an einem Plan festhalten.
Aber wir alle wissen, dass das zwar der wichtigste Teil, aber nur ein Teil der Gleichung ist. Und genau das ist das Risiko, das die Niners in Kauf genommen haben, als sie Jimmy Garoppolo als Backup gehalten haben. Das erste Spiel war nicht gut, der Druck auf Trey Lance vor dem nächsten Spiel wird nicht kleiner. Und das nicht nur medial und von den Fans, diese Dinge kann man ausblenden. Auch intern wird man diese Situation beobachten müssen.
Ich denke absolut, dass sich der Trainerstab komplett Lance verschrieben hat und sehr viel Geduld hier mitbringen wird, die auch nötig sein wird. Doch nachdem dieses Team im Vorjahr im Championship Game war und mit klaren Playoff-Ambitionen in die Saison gegangen ist, wiegt es bei Niederlagen insbesondere als Favorit schwerer, dass der Quarterback, mit dem man so viele Spiele gewonnen hat, nach wie vor im Locker Room ist.
Das kann auch in einem sehr gut geführten Team irgendwann zu Unruhe führen. Und bei allem Respekt vor dem, was Chicago in Week 1 gezeigt hat, und es war ein ermutigender Auftritt der Bears: Es werden noch schwierigere Gegner auf die Niners zukommen.
3. Hype-Meter für die Eagles: Wo steht Philly?
Als die Eagles den Trade für A.J. Brown durchführten, war es kein Geheimnis, was genau seine Rolle sein würde - zu klar sichtbar war das Vakuum, welches er ausfüllt.
DeVonta Smith hatte, fast schon unter dem Radar, eine ziemlich gute Rookie-Saison, und er hat gezeigt, dass er trotz seines Gewichts auch in der NFL Outside bestehen kann. 87 Prozent seiner Snaps waren Outside im Vorjahr, bei einer durchschnittlichen Target-Tiefe von fast 15 Yards. Ein extrem hoher Wert, vergleichbar mit einem echten Downfield-Receiver. Smith ist kein physischer X-Receiver, aber er hat ein kompletteres Skillset als das, was er letztes Jahr in der Eagles-Offense gemacht hat. Er kann die Rolle eines X-Receivers grundsätzlich ausfüllen, wertvoller aber wird er, wenn er eine flexible Matchup-Waffe wird. Etwa wie das, was Amari Cooper zuletzt bei den Cowboys war.
A.J. Brown ist der prototypische X-Receiver.
Er ist derjenige, der Cornerbacks physisch vor Herausforderungen stellt, und der gemeinsam mit Derrick Henry ein maßgeblicher Grund für den Karriere-Neustart von Ryan Tannehill in Tennessee war. Und: Er ist derjenige, der die Mitte des Feldes für Jalen Hurts öffnen soll. Nicht, dass das zwangsläufig notwendig wäre, um eine erfolgreiche Offense aufs Feld zu bringen, und gerade eine Offense mit einem lauffreudigen Quarterback wie Jalen Hurts wird immer einiges an Single-High-Coverages sehen, mit der Chance, außen Eins-gegen-Eins-Matchups zu attackieren, wie Hurts es in der Vorsaison nur zu gerne gemacht hat.
Die Eagles wollen den Ball werfen
Doch Defenses werden sich anpassen, und es wird zunehmend wichtig sein, dass Hurts eine Offense aufbauen kann, die ihren Floor nicht nur im Run Game hat, sondern auch konstanter Yards after Catch kreieren kann, nicht nur mit Screens, sondern auch bei tieferen Pass-Konzepten.
Und, nicht weniger wichtig: Wir wissen, dass die Eagles den Ball werfen wollen, und dass die Art und Weise, wie sie die Offense letztes Jahr umgebaut haben, zwar beachtlich, aber auch aus der Not heraus geboren war. Von Woche 1 bis 6 waren die Eagles im Vorjahr auf Platz 5 in puncto Pass-Rate in neutralen Spielsituationen - von Woche 7 bis 18 auf Platz 30. Eine massive Umstellung, die mit Sicherheit kein Zufall war.
Vor diesem Hintergrund würde ich eine Tape-Session am Montag in Philadelphia erwarten, die noch Luft nach oben attestiert. Philly begann relativ eindimensional in seinem Passspiel, mit vielen ähnlichen Pässen nach außen bei Hitches und Comebacks, relativ wenig in der Mitte. Hurts hatte zum ersten Mal in seiner Karriere fünf Incompletions in Folge zum Start eines Spiels.
Eagles: Brown öffnet die Mitte - ein wenig
Es war dann tatsächlich Brown, der die Mitte des Feldes öffnete. Zumindest vereinzelt: Hurts hatte in der ersten Hälfte 31 Dropbacks, nur zwei Pässe flogen dabei mittig - also zwischen die Field Numbers - und tiefer als fünf Yards. Eine In-Breaking-Route von Brown bei Zweiter-und-Sieben gut fünf Minuten vor Ende des ersten Viertels, sowie eine Slant zu Brown knapp zehn Minuten vor der Halbzeitpause.
Philadelphias Passspiel blieb somit limitiert, es blieb inkonstant, auch wenn Hurts als Runner und Scrambler eine solche Waffe bleibt, dass er damit Fenster im Passspiel öffnen wird. Das wird es Defenses - und teilweise konnte man diesen Takeaway bereits gegen Detroit mitnehmen - schwer machen, übermäßig viel Man Coverage zu spielen; Hurts lief den Ball am Sonntag insgesamt 17 (!) Mal.
Und das waren nicht alles designte Runs. Einige Male nahm er die Beine in die Hand, einige Male scrambelte er los, obwohl seine Line ihm häufig gute Protection gab. Und das kann ein guter X-Faktor sein, ein Joker, den man zieht, wenn sonst nichts funktioniert. Aber es sollte keine Krücke sein, die man braucht, um sich fortzubewegen - und phasenweise hatte man den Eindruck gegen Detroit den Eindruck, dass es genau das war.
Seine Qualitäten als Deep Passer nach außen, die er auch schon letztes Jahr eindrucksvoll gezeigt hat, waren auch gegen die Lions zu sehen. Dennoch denke ich, dass um die Offense zu spielen, die die Eagles sich in einer idealen Welt vorstellen, Hurts sich noch deutlich steigern muss. Daran hat sein Auftritt in Week 1 nichts geändert.
Prescott-Verletzung: Eagles jetzt der klare Favorit
Um die NFC East komplett zu machen, muss man natürlich auch die Verletzung von Dak Prescott mit rein nehmen. Der Cowboys-Quarterback verletzte sich im Auftaktspiel gegen Tampa Bay am Daumen und wird für sechs bis acht Wochen ausfallen, und, es ist fast überflüssig zu erwähnen: Das ist ein Verlust, den Dallas nicht kompensieren kann.
Selbstredend gilt das für die meisten Teams mit ihrem Star-Quarterback. Aber während man in manchen Fällen noch Szenarien konstruieren könnte, wie das Team sich durch diese Zeit zumindest mit ein paar Siegen durchwurschtelt, so hat das Auftaktspiel gegen Tampa Bay selbst vor Prescotts Verletzung unterstrichen, wie weit die Cowboys offensiv doch weg sind.
Mit Prescott und CeeDee Lamb haben die Cowboys zwei herausragende Spieler offensiv, gemeinsam mit Guard Zack Martin - doch das reicht nicht in der heutigen NFL. Das war immer die Sorge, nachdem Dallas Amari Cooper sowie mehrere Starter in der Offensive Line abgegeben hatte; nicht nur aufgrund des qualitativen Aderlasses, sondern auch, weil wir in der Vergangenheit immer wieder gesehen haben, dass Prescott zwar ein sehr guter Quarterback und einer der besseren Pocket-Passer in der NFL ist - aber dass er für diesen Status überdurchschnittlich stark wackelt, wenn die Umstände um ihn herum einbrechen.
Alle Gedanken zu den Eagles sind dementsprechend etwas gedämpft zu verstehen. Denn Philadelphia geht jetzt als klarer Division-Favorit in die weitere Saison, und könnte sogar etwas Spielraum haben, um gewisse Dinge noch einzuarbeiten.
4. Dolphins-Offense: Luft nach oben für Tua und Co.
Es wird eine der prägenden Storylines dieser Saison sein, und für mich eine der spannendsten Storylines: Die Star-Receiver, die in der vergangenen Offseason getradet wurden, und deren Effekt einmal auf die neue Offense und, in mehreren Fällen, die jungen Quarterbacks, andererseits aber auch auf ihre alten Offenses und die Elite-Quarterbacks, die hier in Person von Aaron Rodgers und Patrick Mahomes jetzt andere Wege finden müssen. Es ist in gewisser Weise ein Live-Experiment dafür, wie viel Wert ein solcher Receiver nicht nur individuell, sondern auch strukturell für eine Offense hat.
In Miami ist das nur ein Teil eines vielschichtigen Offense-Narrativs: Wie werden Tyreek Hill und Jaylen Waddle, zwei durchaus ähnliche Receiver-Spielertypen, gemeinsam eingesetzt? Was macht Mike McDaniel, ein Shanahan-Schüler, mit zwei solchen Waffen? Und dann übergreifend für die gesamte Franchise: Kann Quarterback Tua Tagovailoa den erhofften Sprung machen, sodass man in South Beach nach der Saison davon überzeugt ist, dass er der langjährige Franchise-Quarterback ist?
Unter Quarterbacks mit mindestens 300 Pässen hatte in der vergangenen Saison einzig Josh Allen im Schnitt weniger Yards nach dem Catch pro Completion als Tua Tagovailoa. Bei Allen lässt sich das mit der Struktur der noch immer relativ Spread-lastigen und auch vertikalen Offense erklären; und auch bei Tua finden sich Antworten im Scheme.
Die RPO-lastige Hardcore-Quick-Game-Offense, welche als oberste Direktive gefühlt nicht das Bewegen des Balls, sondern das Verstecken der Offensive Line ausgerufen hatte, ermöglichte nicht viele YAC-Gelegenheiten. Und außerhalb von Jaylen Waddle hatte Miami auch nicht die Spieler dafür.
Das für sich betrachtet hat sich mit den Verpflichtungen von Tyreek Hill und Cedrick Wilson bereits signifikant verändert; mindestens aber genauso spannend ist die Frage danach, ob Mike McDaniels Offense strukturell betrachtet Tuas Wert (4,6 Yards nach dem Catch pro Completion) auf das Jimmy-Garoppolo-Level (6,5 YAC/CMP, Platz 1 in der NFL) anheben kann.
Tua hat definitiv die Accuracy dafür, meine größere Frage dafür war und ist, ob er auch die Toughness in der Pocket und die Bereitschaft mitbringt, den Ball kontinuierlich über die Mitte zu verteilen und die Yards-after-Catch-Gelegenheiten überhaupt zu kreieren, welche das Spiel von Jimmy Garoppolo ausgemacht haben.
Dolphins: Patriots-Spiel als erster interessanter Test
Das Patriots-Spiel hatte ich hierfür gleich als interessanten Test auf dem Zettel. Denn bei all den Fragen rund um die Patriots-Defense: New England hat sich eine sehr physische Defensive Line aufgebaut, die den Run stoppen kann. Und das gelang New England weitestgehend auch sehr gut. Die Patriots hatten sich außerdem bereits letztes Jahr auf mehr Zone Coverage verlagert, den Ball in enge Fenster zu verteilen sollte also eine kritische Bedingung für einen positiven Auftritt der Dolphins-Offense sein.
Wer darauf gehofft hat, gleich schon deutliche Resultate davon zu sehen, sah sich getäuscht - und ehrlicherweise hatte ich auch mehr von Tua erwartet. Es war immer noch sehr viel Quick Game, und sehr viele ineffiziente Plays. Ineffizient, weil es Plays waren, bei denen der Receiver im Moment des Passes Richtung Line of Scrimmage zurück kam, statt horizontal zu crossen oder anderweitig in Position zu sein, um Yards nach dem Catch zu kreieren. Miami kam immer noch auf Yards nach dem Catch, weil die Dolphins so wahnsinnig viel Speed haben. Aber hier sollte noch viel Luft nach oben sein.
Es gab in der ersten Halbzeit genau ein Play, bei dem ich das als richtig gut umgesetzt empfand, und das war der Touchdown von Waddle. Tuas Ball-Placement war mitunter wacklig, einmal rettete ihn Tyreek Hill mit einem spektakulären Catch vor einer Interception und im vierten Viertel hätte er sehr gut eine weitere Interception haben können. Und die verbesserte Dolphins-Line wurde immer noch einige Male in einzelnen Spots sehr schnell geschlagen.
Auch vom gefürchteten Shanahan-Style-Run-Game war noch nicht viel zu sehen, die Dolphins konnten den Ball über weite Strecken so gut wie gar nicht am Boden bewegen.
Miamis Offense zu eindimensional - Tua zu limitiert?
Die Folge war eine Offense die etwas anders und individuell fraglos besser besetzt, aber doch noch mit zu vielen Parallelen zur Vorjahres-Version der Offense unterwegs war. Eine Offense, die wahnsinnig wenig Spielraum hat, weil sie eben nicht die Big Plays nach dem Catch und am Boden kreiert, weil sie dadurch häufig über Third Down gehen muss und weil sie in größere Löcher fällt, wenn sie sich wirklich aus einem Loch zurückgraben muss. Eine Offense, die immer noch etwas simpel im Passspiel wirkt, deren Quarterback limitiert scheint und die in der Line zwar besser, aber noch längst nicht dominant ist.
Es ist Week 1, es kann noch viel passieren, es wird noch viel passieren. Und Miami hat die Patriots zum Auftakt geschlagen, die Defense war gut und Tyreek Hill war direkt eine tragende Säule.
Ich hätte dennoch gerne mehr von Tua gesehen, und bis er es zeigt, werden seine Limitierungen - Armstärke, Improvisations-Talent, Mobilität - für mich das zentrale Thema in seiner Evaluation bleiben. Selbst wenn die Stats besser aussehen. Dieses Spiel war rein auf Tua betrachtet eher Wasser auf den Offseason-Hype rund um Miamis Quarterback.
5. Pittsburghs teurer Sieg - Sorge um die Bengals?
Wenn ich ein Spiel auswählen müsste, das diese "Football-ist-zurück"-Begeisterung verkörpert hat, dann muss es das verrückte Bengals-Steelers-Spiel sein. Nicht für die sportliche Qualität - wenngleich das, was die Steelers-Defense hier gezeigt hat, ohne Frage außergewöhnlich war -, sondern für den Wahnsinn von allem.
Die verschossenen Kicks, die das Drama ins Unermessliche hochschrauben ließen. Mehrere Momente, in denen das Spiel eigentlich vorbei schien - und dann war es doch nicht vorbei. Und selbstredend ein unter dem Strich komplett überraschender Sieger, die Bengals waren als klarer Favorit in diese Partie gegangen.
Und natürlich müssen wir über Joe Burrow sprechen. Die erste Interception war ein Pick Six zu Minkah Fitzpatrick, ein Pass, den Fitzpatrick zwar gut antizipierte, den Burrow allerdings auch nie werfen darf. Beim zweiten Pick wurde Burrow in der Wurfbewegung getroffen, die dritte fing T.J. Watt an der Line of Scrimmage ab und der vierte Pick war ein Wurf tief über die Mitte, wo das Fenster schlicht nie da war.
Es war ein schwacher Auftakt für den Quarterback, der letztes Jahr insbesondere in der zweiten Saisonhälfte heiß lief und es Cincinnati erlaubte, mit diesen Playmakern Spiele auf der individuellen Schiene zu dominieren.
Ein paar Gedanken dazu:
- Burrow hat beträchtliche Teile der Saisonvorbereitung nach seiner Blinddarm-OP verpasst - ein wenig Rost zumindest lässt sich damit also vielleicht halbwegs erklären.
- Die Bengals haben klug in die Offensive Line investiert, dabei bleibe ich. Aber sie haben keine Elite-Line gebaut, und ich denke, das war auch jedem klar. Wenn es also gegen eine Elite-D-Line geht, wird es immer noch Phasen geben, in denen die Line überfordert wirkt. Die gab es am Sonntag eindeutig, und manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Bengals das so nicht einkalkuliert hatten.
- Ja'Marr Chase ist immer noch Ja'Marr Chase, und Cincinnati bestritt die zweite Hälfte ohne Tee Higgins, nachdem der sich mutmaßlich eine Gehirnerschütterung zugezogen hat. Die Bengals haben noch immer eines der besten Receiver-Trios in der NFL, und das wird sie auch wieder in einzelnen Spielen tragen können.
Mein Takeaway ist also zweigeteilt: Ich würde auf dieses Spiel nicht überreagieren, weil es in vielerlei Hinsicht nicht repräsentativ für Cincinnatis Offense ist, und weil es nicht in jeder Woche gegen T.J. Watt und Cam Heyward geht.
Und gleichzeitig habe ich mich in einigen Bedenken rund um diese Offense ein wenig bestätigt gefühlt. Nicht wegen der oben genannten Punkte, sondern weil meine größte Frage rund um Cincinnati die war, inwieweit die Bengals schematisch reagieren können, wenn der Plan A nicht funktioniert.
Diese Bedenken waren in erster Linie darauf fokussiert, dass Defenses die Bengals noch deutlich passiver und mehr auf Sicherheit bedacht spielen würden, um Cincinnati die Big Plays weg zu nehmen. Woche 1 war anders, die Probleme für die Bengals-Offense waren mehr Matchup-Probleme, Ausfälle und ein schwacher Joe Burrow - und außerhalb von Chases individueller Klasse fehlte mir der übergreifende Plan B.
Die Bengals werden offensiv besser sein als am Sonntag gegen Pittsburgh. Aber wenn sie wieder einen Playoff-Run hinlegen wollen, und dabei bleibe ich, werden sie einen höheren schematischen Floor und mehr Antworten brauchen.
Pittsburgh Steelers: Ein sehr teurer Sieg
Und die Steelers? Zunächst einmal sickert mehr und mehr durch, dass dieser Sieg wohl teuer erkauft war - nämlich dass die Steelers T.J. Watt für lange Zeit verloren haben. Und wenn man gesehen hat, wie dieses Spiel lief, wie fünf Turnover - darunter ein Pick Six - beinahe nicht für einen Sieg gereicht hätten, dann muss man sich aus Steelers-Sicht schon fragen, wie es jetzt weiter geht.
Und das betrifft auch die Quarterback-Position, selbst nach diesem Sieg.
Wenige Minuten dem Saison-Auftakt war die Meldung durchgesickert, dass der interne Plan der Steelers vorsieht, Rookie Kenny Pickett in dieser Saison raus zu halten und stattdessen auf Mitch Trubisky zu setzen. Vielleicht wollen sie erst abwarten, bis die Offensive Line sich einigermaßen findet, vielleicht sehen sie auch zu viel Nachholbedarf für Pickett fernab dessen, was er im Spiel verbessern kann.
Klar dürfte aber auch sein: Allzu viele solcher Spiele, und die Steelers schulden es ihrer Defense, den Quarterback auszutauschen, um zu schauen, was sie mit Pickett - der in der Preseason gut aussah! - erreichen können.
Und wer weiß, in welche Richtung diese Steelers-Saison jetzt geht. Das war ein eindrucksvoller Sieg, Watt aber ist selbstredend nicht zu ersetzen. Die Offensive Line wird ein Thema bleiben. Die Waffen sind aber da, und die Defense immer noch gut. Ich bin gespannt, wie lange die Steelers bei diesem kolportierten Plan bleiben.