Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 14 in der NFL

Von Adrian Franke
12. Dezember 202210:30
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Week 12 in der NFL.getty
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Die Buccaneers bekommen gegen die 49ers eine Packung - und auch Tom Brady sieht dabei nicht gut aus. Die Lions derweil legen die Probleme der Vikings schonungslos offen, während die Titans ihren GM entlassen - aber warum eigentlich? Außerdem: Eine Seahawks-Pleite, die zeigt, dass diesem Team doch noch einiges fehlt. Wie geht es jetzt weiter mit Geno Smith?

Zwei Quoten bei den Buchmachern in Las Vegas unterstrichen die Verrücktheit dieser Saison: Die bei 5-7 stehenden Detroit Lions waren mit zwei Punkten Favorit gegen die mit einem 10-2-Record angereisten Minnesota Vikings - und Tom Brady war mit seinen Buccaneers mit 3,5 Punkten Außenseiter gegen Brock Purdy und die San Francisco 49ers.

Und es wäre eine vernachlässigbare Kuriosität, wenn man sich beide Lines nicht so gut erklären und nachvollziehen könnte, warum der Markt diese vier Teams so einschätzt - trotz der Records, respektive der großen Namen.

Die Vikings sind ein Team, das sich in den meisten Bereichen im Liga-Mittelfeld bewegt, allerdings in diesem Jahr in One-Score-Games nahezu unschlagbar scheint, und das gezeigt hat, dass es durch die individuelle Qualität von Justin Jefferson auch über der eigenen Gewichtsklasse boxen kann. Aber auch ein Team, dessen Record nicht nur nicht die realen Leistungen widerspiegelt, sondern auch zuletzt einen eher negativen Trend an den Tag legte.

Bei den Lions dagegen zeigte die Kurve zuletzt klar nach oben und man kann argumentieren, dass Detroit dieses Jahr im Vergleich mit den Vikings die bessere Offense aufs Feld bringt. Das Spiel am Sonntag würde dieser These jedenfalls zusätzliche Nahrung geben. Die 49ers haben einmal mehr eine unheimlich effiziente, fast Quarterback-unabhängige Offense, das haben sie in der Vorwoche gezeigt, als Brock Purdy für den verletzten Jimmy Garoppolo übernehmen musste, und die Offense schnell wie gewohnt den Ball bewegen konnte.

Und die Buccaneers? Die Bucs sind eine massive Enttäuschung, weil sie es nicht schaffen, ihre nach wie vor vorhandenen PS auf die Straße zu bringen. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison in Tampa Bay, und lange war ich hier der Meinung, dass die Bucs so viel Zeit haben, dass Brady und Co. die Probleme schon lösen würden.

Zeit haben sie noch immer, weil die Division insgesamt extrem schwach ist. Aber ich bin mit diesem Team an einem Punkt angekommen, an dem ich erst einmal sehen muss, dass dieser Turnaround auch wirklich kommt.

Ich dachte, dass das Spiel gegen Seattle in München der Startschuss sein könnte; bislang wirkt dieses Spiel jedoch eher wie eine Ausnahme aus Sicht der Bucs-Offense, und lässt sich auch mit der zunehmend schwächeren Seahawks-Defense erklären.

1. Die Buccaneers sind nur noch ein Schatten vergangener Tage

Beide diese Punkte sollten sich in Woche 14 als überaus wahr entpuppen: Seattles Defense geriet gegen Carolina ins Schwimmen - und Tampa Bays Offense war erneut überaus enttäuschend. Und das ist noch mild formuliert.

Die Offensive Line der Bucs ist ein Problem, das ist keine neue Erkenntnis und auch nicht erst seit der Verletzung von Tristan Wirfs. San Francisco hat einen sehr gefährlichen 4-Man-Pass-Rush und konnte Brady dementsprechend früh unter Druck setzen.

Die Probleme in der Line gehen dabei auch über zugelassene Pressures hinaus. Left Tackle Donovan Smith hatte ein weiteres enttäuschendes Spiel, seine Holding-Strafe nahm einen 68-Yard-Touchdown zu Mike Evans vom Board.

Abermals wirkte die Offense am ehesten noch dann schlagkräftig, wenn sie aus dem Hurry-Up-Modus agierte. Aber auch das war mehr ein Strohfeuer als irgendetwas sonst. Tampa Bay lag zur Halbzeitpause mit 0:28 hinten, es war der höchste Rückstand zur Pause seit einem 0:31-Rückstand gegen die Saints vor zwei Jahren.

Brady selbst hatte dabei mehrere ganz schwache Würfe. Er verfehlte Scotty Miller tief, der eigentlich hinter seinen Gegenspieler gekommen war. Er überwarf seinen Receiver unter Druck über die Mitte zur Interception. Er platzierte einen Wurf unter Druck nicht hoch genug, sodass er den Ball nicht über den Linebacker brachte und Dre Greenlaw den Pass abfing.

49ers: Brock Purdy mit einem eindrucksvollen Auftritt

Man kann über die Probleme der Bucs ausführlich diskutieren, es gibt mehr als genug davon. Aber es ist zunehmend unbestreitbar, dass Bradys Spiel selbst auch einen merklichen Rückschritt zu verzeichnen hat. Dass sein Arm doch etwas nachlässt.

Kurzum: Dass man Brady das Alter schließlich doch anmerkt!

Und dann müssen wir natürlich auch über sein Gegenüber am Sonntag sprechen. Es war der erste Start für Brock Purdy, den "Mr. Irrelevant" - also den letzten Pick - des vergangenen Drafts. Wenn man sich das Spiel anschaute, dann hätte diese Tatsache kaum jemand erraten können.

Denn Purdy, und das war überaus eindrucksvoll, war gegen Tampa Bay nicht einfach der Game Manager, der Shanahans Offense umsetzt. Sicher, er profitierte von Shanahans Designs, vom Run Game, von den kurzen Pässen - aber er machte auch Plays. Ein Touchdown-Scramble, er ließ Pass-Rusher in der Pocket aussteigen, er bediente McCaffrey und Brandon Aiyuk jeweils tief zu Touchdowns mit Würfen, die wir so von Jimmy Garoppolo nur sehr selten sehen.

Purdy wird hier noch häufiger ein Thema sein in den kommenden Wochen. Denn die Niners bleiben auch nach der Garoppolo-Verletzung auf Playoff-Kurs. Ein Sieg am Donnerstag gegen die Seahawks, deren Run-Defense sich seit Wochen wahnsinnig löchrig präsentiert, würde für San Francisco den vorzeitigen Division-Sieg bedeuten. Deshalb hier nur noch ein Punkt: Die Niners sind weiterhin ein ernstzunehmendes Playoff-Team, und wenn Purdys Entwicklung anhält, dann sind sie ein Team, das mit der enormen Gesamtqualität auch in der Postseason Spiele gewinnen kann.

Was die Aussichten der Bucs angeht: Man kann nicht mehr erwarten, dass die Bucs das Ruder herumreißen. Sie sollten die Division gewinnen, einfach weil die Konkurrenz hier so überschaubar ist, und dann werden sie ein Playoff-Heimspiel haben.

Aber viel mehr als "Brady-Playoff-Magic" wird dann dort vermutlich nicht für die Bucs sprechen - die Baustellen sind einfach zu viele, von der O-Line über das Play-Calling bis hin zur Defense, die mehr und mehr wie ein Schatten ihrer selbst auftritt.

Hätten die Bucs einen Claim für Mayfield einreichen sollen?

Wenn man über die Zukunft der Bucs spricht, lässt sich auch sehr gut ein anderes Thema der vergangenen Woche zumindest anschneiden: Denn es hat mich schon überrascht, dass die Rams das einzige Team waren, das einen Waiver-Claim für Baker Mayfield einreichen wollte, nachdem die Panthers sich von dem ehemaligen Nummer-1-Overall-Pick getrennt hatten.

Natürlich gibt es Gründe dafür, dass die Browns ein Upgrade zu Mayfield haben wollten - und letztlich so verzweifelt waren, dass sie Deshaun Watson einen historischen Vertrag vorlegten. Und es gibt auch Gründe dafür, dass es in Carolina dann so gar nicht für Mayfield klappte, aber nicht alle diese Gründe liegen bei Mayfield selbst.

Mayfield mag nie dem Status eines Nummer-1-Picks gerecht geworden sein, aber war er für die Browns ein schlechter Pick? Im Kontext der Alternativen mit Josh Allen und Lamar Jackson auf dem Board, sicherlich, aber Mayfield war über seine vier Jahre in Cleveland kein schlechter Quarterback; 2021, als er viel zu lange verletzt spielte, war seine klar schlechteste Saison.

Will sagen: Mayfield ist kein untalentierter Quarterback, und ich denke, dass er im richtigen Scheme, in den richtigen Umständen, immer noch eine mehr als passable Übergangslösung für ein Team sein kann. Ähnlich wie das, was wir gerade von Jared Goff in Detroit sehen. Oder auch, zumindest im Rahmen dieser Saison, von Andy Dalton bei den Saints.

Mit dieser Analyse im Hinterkopf hat es mich gewundert, dass Teams wie die Bucs, aber auch die Broncos, Colts oder Saints keinen Claim für ihn eingereicht haben. Mayfield kostet für den Rest dieser Saison kaum etwas, und man hätte mindestens im Training und der täglichen Arbeit sehen können, was man mit Mayfield hat.

Womöglich hätte das dann die Tür geöffnet, um eine Quarterback-Übergangslösung für 2023 zumindest im Kader zu haben, sofern man sich entsprechend finanziell einigt - statt komplett blank auf der Position in die Offseason zu gehen. Und wer weiß? Vielleicht werden die Rams ihn auch in dieser Rolle noch gebrauchen können.

2. Die Lions sind ein gefährlicheres Team als Minnesota

Die eingangs erwähnte Quote bei den Buchmachern erwies sich für das Lions-Vikings-Spiel einmal mehr als überaus zutreffend: Das sind zwei Teams, die viel näher beieinander sind, als die jeweiligen Records im Vorfeld der Partie vermuten lassen würden - und es sind zwei Teams, bei denen man ganz klar darauf hinweisen muss, dass man eben nicht zwangsläufig das ist, was der Record sagt - insbesondere in der NFL.

Die Defense der Lions hat sich über die letzten Wochen ohne jeden Zweifel gesteigert. Detroit spielt hier physischer, lässt weniger Big Plays zu, macht mehr im Pass-Rush und sorgt dafür, dass die Offense nicht Woche für Woche Shootouts gewinnen muss.

Aber es ist vor allem jene Offense, auf die ich mich hier fokussieren will. Denn man kann argumentieren, dass Detroit eine Top-10-Offense an den Start bringt - im Gegensatz zu den Vikings, die mit Justin Jefferson fraglos mehr Elite-Star-Power haben, aber die in diesem Jahr auch eine Offense haben, die davon abhängig ist, dass Jefferson Spiele dominiert. Gegen die Lions gelang ihm das am Sonntag, im Gegensatz zum ersten Matchup, sogar - doch drum herum klappte nicht viel.

Minnesotas Offense verliert zu häufig ihren Rhythmus und bisweilen fehlt mir auch manchmal die klare in sich schlüssige Identität außerhalb davon, Matchups für Jefferson zu kreieren. Bei Detroit ist das komplett anders: Die Lions haben eine glasklare Identität, und sie spielen im Rahmen ihrer Möglichkeiten aufregenden, explosiven und einfach guten Football.

Detroits Offense: Eine unglaublich schlüssige Offense

Wenn man alle Quarterback-Runs und Option-Runs ausklammert, haben die Lions über die ersten 13 Wochen der Saison die zweitmeisten First Downs (83), die meisten Touchdowns (18), die prozentual drittmeisten First-Down-Runs (26,1 Prozent) und die prozentual viertmeisten Runs mit positiven Expected Points Added (44 Prozent) produziert.

Gegen sieben oder mehr Verteidiger in der Box gibt es für Detroit prozentual am zweitseltensten bereits an der Line of Scrimmage Gegnerkontakt (35,3 Prozent). Kein Team läuft mehr typische Man-Blocking-Konzepte (Trap, Counter, Lead, Power, Duo, Wham), kein Team hat mehr First Downs (39), mehr Touchdowns (10) oder mehr Yards (730) als Detroit bei diesen Konzepten.

Die Lions haben eines der vielseitigsten Run Games in der NFL, vielleicht belegen sie in dieser Hinsicht sogar den Spitzenplatz in dieser Saison. Aber das ist nur eine Säule: Detroit hat ein sehr gutes Screen Game, nur die Titans produzieren noch mehr Yards pro Screen Pass als Detroit. Und die Lions sind sehr gut darin, Räume im Passspiel zu kreieren.

Die Routes arbeiten gut zusammen, und immer wieder findet man entweder Eins-gegen-Eins-Matchups Outside, oder aber In-Breaking-Routes, die jede Menge freien Raum vor sich haben. Und: Detroit hat Receiver, die außen Eins-gegen-Eins gewinnen können (vor allem D.J. Chark), und die die nötige Toughness mitbringen, um über die Mitte zwischen den Zones und vor dem Safety zu arbeiten.

Jared Goff: Der ideale Beifahrer

Die Lions haben sich eine in sich wahnsinnig schlüssige Offense aufgebaut. Die Qualitäten in der Offensive Line sowie generell im Run Game führen dazu, dass gegnerische Defenses bei über 35 Prozent der Lions-Runs eine Stacked Box spielen. Das hilft dabei, die oben genannten Räume im Passspiel zu öffnen und Goff klare Shot-Gelegenheiten zu geben.

Die Lions-Offense zu sehen, und sie mit dem zu vergleichen, was wir unter Lombardi - den Lions-Fans ebenfalls bestens kennen - von den Chargers etwa sehen, macht überdeutlich, wie gravierend der Impact einer gut geschemten Offense sein kann.

Und die Explosivität dieser Lions-Offense war auch gegen die Vikings schon in der ersten Hälfte zu sehen. Jameson Williams spielte nur drei von 30 Snaps im ersten Durchgang, aber sein erster Catch war ein 41-Yard-Touchdown - was genau das ist, wofür man Jameson Williams draftet. Und sicher, es war ein offensichtlicher Kommunikationsfehler in der Vikings-Defense, aber dieses Speed-Element jetzt noch in diese Offense zu bringen, macht Detroit gefährlich.

Goff fand auch D.J. Chark wieder tief, mit dem 48-Yard-Touchdown im zweiten Viertel, bei dem Chark außen ein Eins-gegen-Eins-Matchup hatte, und Goff den Ball sehr gut vor ihn legte. Goff spielte ein unbestreitbar gutes Spiel.

Und das ist letztlich auch Teil dieser Konversation: Das Thema mit Goff war und ist immer, dass er absolut das Armtalent hat, um das ganze Feld zu öffnen. Dass man mit Goff das Feld öffnen kann, solange man ihm die entsprechende Struktur gibt.

Diese Struktur beinhaltet viele Einzelteile: Eine gute Line, Playmaker, und auch ein Scheme, welches Goff klar definierte Shot-Play-Gelegenheiten präsentiert. Deshalb ist er nicht mehr als eine Übergangslösung, ein Quarterback, der ein "Beifahrer", aber nicht der Pilot einer Offense sein kann.

Aber diese Beifahrer-Rolle kann eben sehr spektakulär sein. Goff als Quarterback ist die Art Beifahrer, der sehr gute Snacks einpackt, während der Fahrt Deluxe-Sandwichs schmiert und dann noch den guten Kaffee unterwegs findet. Alle im Auto können glücklich damit sein, solange Goff nicht selbst ans Steuer muss.

Kann Minnesota in den Playoffs etwas reißen?

Was bedeutet das jetzt für die weitere Saison? Ich denke, dass dieser Lions-Sieg einige Dinge untermauert, die dann vor allem mit Blick auf die Playoffs relevant sein werden.

Minnesota ist weiterhin in einer sehr komfortablen Situation, um die Division zu gewinnen. Auch fehlten mehrere kritische Spieler bei den Vikings, mit Left Tackle Christian Darrisaw und Safety Harrison Smith als die klar relevantesten Personalien, deren Fehlen sich auch in kritischen Momenten deutlich bemerkbar machte.

Aber es machte einmal mehr deutlich, dass Minnesota einfach kein auffällig gutes Team ist. Die Defense hat drastisch abgebaut, die Offense ist zu sehr von Jefferson abhängig, die Vikings haben sehr viele One-Score-Spiele gewonnen.

Aber es gibt auch eine andere Seite dieser Medaille: Minnesota kann offensiv in jedem beliebigen Spiel heiß laufen und dann auch starken Defenses Probleme bereiten. Die Defense kann mit dem Pass-Rush überraschen. Aber dass all diese Dinge zusammenkommen und das dann für einen Playoff-Run in mehreren Spielen hintereinander? Das ist einfach sehr, sehr unwahrscheinlich und diese Erkenntnis manifestiert sich immer mehr.

Die Lions indes haben einen sehr, sehr vielversprechenden Run in der zweiten Saisonhälfte hingelegt. Einen Run, der zeigt, wie viel Substanz und wie viel Potenzial in diesem Team steckt. Gut möglich, dass es im Playoff-Rennen zu spät kommt. Aber der Ausblick für dieses Team ist sehr gut und ich bin sehr gespannt, wie sie die kommende Offseason angehen werden.

3. Die Entlassung von Jon Robinson: Die DNA der Titans

Was zu Beginn der Vorwoche in Tennessee passierte, ist wirklich selten. Die Entlassung eines GMs während der Saison ist für sich schon äußerst ungewöhnlich. Dave Caldwell flog vor zwei Jahren Ende November in Jacksonville raus, aber die Liste ist sehr, sehr kurz.

Und sie ist noch kürzer, wenn man über ein Team spricht, das gerade dabei ist, seinen dritten Division-Titel in Serie zu gewinnen - auch wenn es gegen Jacksonville am Sonntag einen deutlichen Dämpfer auf diesem Weg setzte, in einem Spiel, das vielleicht auch ein Blick in die Zukunft war; eine Staffelstabübergabe, weil gerade einiges darauf hindeutet, dass Jacksonville seinen Franchise-Quarterback gefunden hat.

Aber ein Team, das einen positiven Record unter besagtem GM hat (66-43; die neuntbeste Quote in der NFL seit Robinson die Titans 2016 als GM übernommen hatte), das vor drei Jahren bis ins Championship Game vorgedrungen war, und dessen GM im Februar erst einen neuen Vertrag unterschrieben hatte.

Es ist nicht ganz einfach, hier vernünftige Daten zu sammeln, die weit zurückreichen. Ich kenne zumindest kein Beispiel, das mit der Entlassung von Jon Robinson, mit den oben aufgeführten Parametern, vergleichbar wäre. Nur mal zum Vergleich: Caldwell beendete seine Jaguars-Amtszeit mit einem 37-86-Record, Jacksonville stand 1-10 und war auf Kurs für den Nummer-1-Pick, als Caldwell entlassen wurde.

Natürlich ist das Timing auch aus einem anderen Grund kurios: Star-Receiver A.J. Brown, der im Rahmen des Drafts nach Philadelphia getradet wurde, legte acht Catches für 119 Yards und zwei Touchdowns gegen die Titans auf, zwei Tage später war Robinson weg.

Aber: So sehr ich mir nicht vorstellen kann, dass das ein Zufall ist, so klar sage ich auch, dass das nicht der alleinige Grund war. Hier muss es seit einer Weile hinter den Kulissen gebrodelt haben, mit dem Spiel gegen A.J. Brown und der damit sehr präsenten Erinnerung an diesen Trade lediglich als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Jon Robinson: Zu viele Fehler in den letzten Jahren

Robinson hatte mehr als genügend gravierende Fehlentscheidungen in den letzten Jahren, welche dazu beigetragen haben, dass Tennessee den nächsten Schritt nicht machen konnte und stattdessen stagnierte.

Isaiah Wilson, Erstrunden-Pick 2020, entpuppte sich als komplettes Desaster. Nur ein Jahr später wurde er für einen Late-Round-Pick-Swap nach Miami geschickt. Die Dolphins entließen ihn drei Tage später, weil er zu spät zu einer Untersuchung erschienen und mehrere Workouts verpasst hatte.

Darrynton Evans, Tennessees Drittrunden-Pick in jenem Jahr, hielt sich nur ein Jahr länger; er wurde im März diesen Jahres entlassen.

Robinson griff 2021 allem Anschein nach erneut in der Offensive Line daneben, Zweitrunden-Pick Dillon Radunz ist bisher eine Enttäuschung, er ist aktuell noch ein Rotational-Guard. Davor hatte er Caleb Farley in der ersten Runde gepickt, der Corner kam mit ernsthaften Verletzungsbedenken in den Draft und konnte diese Bedenken bislang leider nicht beseitigen. Aktuell ist er zum wiederholten Mal auf Injured Reserve.

Drittrunden-Linebacker Monty Rice ist bislang bestenfalls Backup, in der vierten Runde tradete er mit drei Picks hoch, um sich Wide Receiver Dez Fitzpatrick zu sichern. Die Titans entließen ihn vor dieser Saison und holten ihn anschließend ins Practice Squad zurück - drei Picks nach Fitzpatrick fiel den Detroit Lions Amon-Ra St. Brown in den Schoß.

Der Trade von A.J. Brown: Hat es intern gekracht?

Der Trade für Julio Jones, der Vertrag für Bud Dupree - auch in der Free Agency findet man mehrere gravierende Fehltritte, insbesondere in der jüngeren Vergangenheit.

Wo Robinson früh in seiner Karriere mehrere sehr gute Drafts hatte (2016: Jack Conklin, Derrick Henry, Kevin Byard; 2017: Corey Davis, Adoree' Jackson, Jonnu Smith; 2019: Jeffery Simmons, A.J. Brown, Amani Hooker, David Long), schlug das Draft-Pendel zuletzt in die andere Richtung aus.

Diese beiden Punkte arbeiten dann zusammen. Ein Team, das unter Vrabel auf dem Platz eine klare Identität entwickelt hat und das über mehrere Jahre erfolgreich war, hatte mehrere enttäuschende Offseasons - und der Trade von A.J. Brown setzte dem aus sportlicher Perspektive die Krone auf.

Ohne Brown verlor die Offense eine tragende Säule, die nicht zu ersetzen ist. Und hier kann man diskutieren, wie schlagkräftig die Offense mit Brown gewesen wäre, wie weit die Titans hätten kommen können. Aber es ist eine Tatsache, dass Tennessee ein unangenehmer Gegner ist, ein Team, das vielen Gegnern Probleme bereiten kann - und das sportlich gleichzeitig limitiert ist, weil der Offense ohne Brown ein zu wichtiges Element fehlt.

Ich frage mich, inwieweit Mike Vrabel bei diesem Trade an Bord war. Inwieweit es intern im Zuge dieser Gespräche krachte. Inwieweit Vrabel nicht gewillt war, ein Übergangsjahr zu akzeptieren, welches der Brown-Trade ganz klar signalisierte. Seine Live-Reaktion, als der Trade verkündet wurde, lässt einiges an Interpretation zu.

Macht Vrabel es besser als Bill O'Brien?

Und es war nicht einfach nur so, dass die Titans Brown abgaben; Browns Aussagen stellten die Titans zusätzlich in keinem guten Licht dar. Brown gewährte vor allem Einblicke in die Vertragsgespräche mit den Titans und verriet, dass Tennessee ihm 16 Millionen Dollar pro Jahr geboten habe, in einem Vertrag, der ihm mit Bonuszahlungen maximal 20 Millionen pro Jahr eingebracht hätte. "Ich wäre geblieben, wenn sie mir 22 Millionen pro Jahr geboten hätten", sagte Brown Ende April nach dem Trade.

Das war ein Angebot, das signifikant unter dem Markt gelegen hätte - was sich nicht nur daran erkennen lässt, dass die Eagles ihm prompt einen Vertrag über 25 Millionen pro Jahr vorlegten. Damit rangiert Brown noch immer nicht an der absoluten Spitze des Receiver-Markts, aber es sortiert ihn auf Augenhöhe mit Spielern wie DK Metcalf und Deebo Samuel dahinter ein. Eine faire Einstufung, und Browns Impact auf die Eagles-Offense ist für jeden deutlich sichtbar - inklusive für die Titans am vergangenen Sonntag.

Aber nochmal: Hier muss mehr dahinter stehen als "nur" ein Receiver-Trade, der intern mutmaßlich kontrovers diskutiert wurde. Vielleicht aber führte dieser Trade zu einem Riss in der Beziehung zwischen Robinson und Vrabel? Klar scheint, dass Vrabel jetzt profitieren wird. Er dürfte deutlich mächtiger werden, es ist schwer vorstellbar, dass ein neuer GM jetzt hierarchisch über oder selbst nur auf Augenhöhe mit ihm agiert.

Vrabel hat eine klare Philosophie, eine klare Idee, wie das Team aussehen soll, wie es funktionieren soll - und ich denke auch, welche Spieler er dafür braucht. Und gleichzeitig kann das ein Drahtseilakt sein, wenn der Head Coach echte Roster-Building-Macht bekommt. Nicht viele Head Coaches kommen damit zurecht, die Titans haben in ihrer Division aus erster Hand gesehen, wie mit Bill O'Brien ein guter Coach ein Desaster als GM wurde.

Natürlich muss es so nicht laufen, und wer weiß, wie genau die Machtstrukturen sortiert werden, wenn nach der Saison ein neuer GM eingestellt wird. Aber dass Vrabel nach dieser überraschenden Entlassung in der Hierarchie hochklettert und sich in die Riege der mächtigsten Head Coaches in der NFL einreiht, steht für mich zumindest außer Frage.

4. Die Offense der Bills: Zu viel Chaos

Die Niederlage gegen die Jets markierte für Buffalo den Anfang des merklichen Durchhängers. Danach setzte es eine weitere Niederlage gegen Minnesota und, nach einem guten Auftritt gegen Cleveland, einen haarscharfen Erfolg in Detroit an Thanksgiving.

Aber nicht nur mit Blick auf die Ergebnisse war diese Phase der Saison ein Wendepunkt. Denn Josh Allen fing bereits in der Woche vor dem Jets-Spiel damit an, wieder deutlich riskanter zu spielen. Schon gegen die Packers in der Woche davor hatte er mehrere unnötige Turnover, gegen die Jets kosteten dann auch diese Turnover Buffalo das Spiel.

Dieses Narrativ ist seither immer wieder auffällig, genau wie die Probleme in der Offensive Line, welche sich als kritische Schwachstelle erweisen könnten, mit Blick auf die großen Ziele, welche die Bills dieses Jahr haben. Und auch wenn das Ergebnis dieses Mal gegen die Jets besser aussah: Diese Schwachstellen waren auch am Sonntag wieder sichtbar.

Bills-Offense: Zu viel Chaos

Wieder gelang es den Jets, Allen regelmäßig unter Druck zu setzen, selbst nachdem Quinnen Williams verletzt raus musste. Und die Folgen daraus waren bei nahezu jedem Bills-Drive sichtbar: Allen wurde immer wieder aus der Pocket gezwungen, und irgendwann fing er an zu scrambeln, wenn sein erster Read nicht da war.

Denn das war die andere auffällige Seite dieser Medaille: Allen musste auch oft zum zweiten und dritten Read gehen - und dafür hatte er schlicht nicht die Zeit! Das war sehr auffällig, bis er dann eben irgendwann anfing, in Scramble-Modus zu schalten.

Das funktionierte, aber es ist auch eine Spielweise, mit der Allen viele Hits einsteckt. Und vor allem ist es in meinen Augen kein gutes Zeichen für diese Offense: Die Bills-Offense verkörpert für meinen Geschmack noch immer zu viel Chaos. Es ist okay, in einzelnen Momenten ein Chaos-Element der Formel hinzufügen zu können, was Buffalo mit Allen ohne Frage in seinem Arsenal hat.

Problematisch wird es, wenn das Chaos-Element ein kritisches Element innerhalb der Offense wird, und gegen die Jets hatte ich nicht zum ersten Mal in dieser Saison den Eindruck, dass genau das auf diese Bills-Offense zutrifft.

Findet Buffalo offensiv mehr Struktur?

Der Touchdown-Drive zum Start in die zweite Hälfte war aus Bills-Sicht mein Favorit. Kurze Pässe, einfache Completions, keine Third-and-Long-Situationen - überhaupt kein Third Down, um genau zu sein -, und dann der designte Quarterback-Run bei First Down von der gegnerischen 5-Yard-Line.

Das werden die Bills häufiger brauchen. Mit dem Saisonaus von Von Miller wurde der Spielraum für Fehler nochmals kleiner, und wenn man sich Buffalo in der zweiten Saisonhälfte anschaut, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Offensive Line schematisch geschützt werden muss.

Vielleicht könnte es ein Weg sein, Stefon Diggs mehr in den Slot zu ziehen und noch mehr Underneath arbeiten zu lassen. Isaiah McKenzie ist eigentlich ein idealer Receiver, um Underneath zu gewinnen und Yards nach dem Catch zu kreieren, und er war auch ein wichtiger Bestandteil der Offense am Sonntag - aber er ist auch ein inkonstanter Receiver, mit inkonstanten Händen.

Das Spiel gegen die Jets lief dann mehr und mehr in die Richtung der Bills. Mike White musste mehrfach raus, und Buffalos Defense ihrerseits spielte sehr physisch, dominierte die Jets-Offense über weite Strecken ebenfalls an der Line und erlaubte es der eigenen Offense, zum ersten Mal seit 18 Spielen bei ihren ersten beiden Possessions zu punten - am Ende punteten die Bills bei ihren ersten fünf Possessions.

White hatte ein gutes Spiel, mehrere schwierige Würfe und Conversions bei Third Down mit Pässen in enge Fenster nach außen, das sollte hier nicht untergehen. Und es ist mit jedem weiteren Spiel schwer vorstellbar, dass wir Zach Wilson dieses Jahr noch einmal sehen.

5. Wie geht es weiter für Geno und die Seahawks?

Die Saison, die wir gerade von Geno Smith sehen, ist wahrlich bemerkenswert. Dass ein Quarterback nach neun Jahren in der Liga, als Starter allem Anschein nach gescheitert und bereits bei mehreren Teams als Backup unterwegs, nochmal eine Chance bekommt, zu starten, ist selten genug.

Dass dieser Quarterback dann so auftritt, wie Smith es in dieser Saison macht? Das ist so selten, dass mir kaum ein vernünftiger Vergleich einfällt. Ryan Tannehill, der seine besten NFL-Jahre nach dem zur damaligen Zeit wenig beachteten Wechsel nach Tennessee hatte, wäre ein in Ansätzen vergleichbares Beispiel. Aber Tannehill war nicht schon jahrelang Backup, und als Starter in Miami war er fraglos besser als Geno Smith bei den Jets. Wirklich zufriedenstellend ist der Vergleich also nicht.

Kurt Warner hatte immensen Erfolg in seinen ersten Jahren bei den Rams, nachdem er aus dem Nichts gekommen war. Dann fiel er schnell ab, wurde entlassen und war ein Jahr lang Eli Mannings Backup bei den Giants, bevor er wieder ohne Job war. Die Cardinals verpflichteten ihn 2005, wo er sich nicht als Starter durchsetzen und 2006 als Mentor für Matt Leinart fungieren sollte. 2008 ersetzte er den enttäuschenden Leinart - und spielte nochmals einige seiner besten Saisons, inklusive eines Super-Bowl-Trips.

Aber Warner hatte eben schon früher in seiner Karriere gezeigt, dass er auf höchstem Level spielen kann. Geno Smith hatte das während seiner NFL-Karriere nicht getan, und indem die Seahawks Drew Lock in den Russell-Wilson-Trade inkludiert, und ein offenes Quarterback-Duell über den Sommer ausgerufen haben, zeigten sie deutlich, dass auch sie nicht ansatzweise diese Version von Geno erwartet hatten.

Panthers-Spiel zeigt die Probleme der Seahawks auf

Und wer weiß, was passiert wäre, wäre Lock während der Preseason nicht an Corona erkrankt und hätte "seinen" Start verpasst? Was, wenn Lock hier gespielt und geglänzt hätte? Wäre er dann vielleicht sogar als Starter in die Saison gegangen?

All das ist spekulativ und längst irrelevant, aber es hilft, ein Bild zu zeichnen, welches die Absurdität dieser Situation darstellt. Und die Art und Weise, wie Geno spielt - wie stark er aus der Pocket agiert, wie gut sein Armtalent zur Geltung kommt, wie akkurat er als Passer ist -, lässt den Schluss zu, dass er kein One-Hit-Wonder ist, sondern dass Smith sein Armtalent, welches er immer, auch schon als Draft-Prospect, hatte, von einer rohen physischen Qualität zu einem von mehreren Tools in seinem Arsenal umgewandelt hat.

Diese Erkenntnis macht die Situation so interessant. Denn plötzlich bekommt Seattle einen Top-5-Pick von den Broncos, den sie so vor 4 Monaten nicht erhoffen konnten, und sie haben einen legitimen Quarterback bereits in ihrem Team, was sie an diesem Punkt auch nicht erwarten konnten.

Spiele wie das gegen Carolina, in dem Smith mehrere schlechte Plays hatte, mehrere schlechte Entscheidungen traf, in der Hinsicht vielleicht sein schlechtestes Saisonspiel hatte, sind in dieser Gesamtbetrachtung absolut normal. Problematisch aus Seahawks-Sicht ist eher, dass sie es nicht kompensieren können, wenn Smith mal ein schlechteres Spiel hat. Das verrät uns einiges über den Gesamtzustand dieses Kaders.

Smith verlängern - und einen Quarterback draften?

Smiths Vertrag läuft aus, also muss hier schon vor dem Draft eine Entscheidung getroffen werden. Und man kann einen sehr legitimen Case dafür machen, dass keiner der Quarterbacks, den Seattle an drei, oder vier, oder fünf bekommen würde, ein Upgrade zu Smith darstellen würde.

Es könnte sich lohnen, später in der ersten Runde einen Quarterback zu draften, um eine Option in der Hinterhand zu haben. Einen jungen, günstigen Quarterback, den man entwickeln kann, und der 2024 - oder 2025 - übernehmen könnte, sollte der goldene Geno-Karriereherbst doch zu einem früheren Ende kommen. Genauso wie es sich lohnen könnte, den unverhofften Top-5-Pick zu traden, um Kapital für 2024 zu sammeln - falls man es da braucht.

Seattle ist unverhofft in der Entwicklung seines Kaders viel weiter als erwartet, wegen Geno Smith, wegen mehrerer Rookies, die direkt eingeschlagen haben, und wegen der Munition, die man im kommenden Draft haben wird.

Carrolls größter Impact - und was ist mit der Defense?

Pete Carrolls "Always Compete"-Mantra, welches auch vor Quarterbacks nicht Halt macht, und welches er einst schon bei Russell Wilson und jetzt bei Geno Smith angewandt hat, ist hier relevant. Carrolls vielleicht größte Qualität liegt darin, eine Kultur innerhalb einer Franchise zu manifestieren.

Seine Aussagen vor der Saison hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit seines Teams wurden mitunter - auch von mir - belächelt, er strafte die Skeptiker Lügen.

Kurios ist dabei allerdings, dass diese Wettbewerbsfähigkeit nicht von "seiner" Defense kommt, auch nicht vom Run Game, welches Carroll stets in Ehren hält; sondern von einer unerwarteten Quelle, die auch Carroll so nicht prognostiziert haben kann.

Seine Defense derweil ist auf Kurs, die Saison im vierten Jahr in Folge nach Expected Points Added pro Play in der unteren Liga-Hälfte zu beenden. Insbesondere, weil die Seahawks viel zu viele Big Plays zulassen. Die Run-Defense ist ein riesiges Problem und kostete Seattle das Spiel gegen die Panthers maßgeblich, und selbst wenn die Offense auf einem hohen Level agieren kann, muss sie diese Hypothek zunehmend deutlich ausgleichen. Ein Problem, das Russell Wilson aus seinen individuell besten Seahawks-Jahren nur zu gut kennt.

Seahawks-Defense über die Jahre:

Saison

EPA/Play (Rank)

Success Rate (Rank)

2022*

23

9

2021

20

25

2020

18

12

2019

19

30

2018

13

24

*vor Woche 14

Die Seahawks und die potenzielle Mittelmaß-Gefahr

Die Defense ist jung, in manchen Bereichen wird sie besser werden, und gut möglich, dass Seattle im kommenden Draft gleich mehrere hohe Picks in die Defense investieren wird, etwa um den Pass-Rush auf ein neues Level zu heben.

Hier allerdings sehe ich auch eine Gefahr, und diese Gefahr lautet: Mittelmaß. Den Draft und die Offseason generell so zu managen, als wäre Geno Smith die klare Antwort und jetzt ein jährlicher Top-10-Quarterback, birgt ein massives Risiko.

Smith in diesem Jahr ist eine tolle Story; bleibt es dabei, wenn er 30 Millionen im Jahr verdient? Die Receiver-Breite ist schon jetzt problematisch, und Tyler Lockett wird nächstes Jahr 31. Wie lange hält seine Prime an? Wie schnell entwickelt sich die Offensive Line? Und wie lange dauert es, bis Seattle eine Top-10-Defense an den Start bringt? Können die Seahawks nochmals einen derart spektakulären Draft hinlegen, oder schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus? Ist Smiths leicht negativer Trend zuletzt doch ein Warnsignal?

Was ich damit sagen will: Die Seahawks sollten sich Optionen offenhalten, angefangen mit dem Draft-Kapital für 2024 und weitergedacht mit möglichen Quarterback-Optionen auch außerhalb der Top 10 im diesjährigen Draft. Denn so märchenhaft diese Saison verläuft, die Gefahr könnte sein, basierend auf dieser Saison zu viel auf eine Karte zu setzen.

Seahawks: Ryan Tannehill als Vorbild für den Geno-Deal?

Aber ein Schritt nach dem anderen. Wie also könnte ein Vertrag für Geno Smith nach der Saison aussehen? Die Titans und Ryan Tannehill hatten sich im März 2020 auf einen neuen Vertrag geeinigt: Eine Vertragsverlängerung um vier Jahre, welche Tannehill im Schnitt 29,5 Millionen Dollar pro Jahr einbringt, mit insgesamt Garantien in Höhe von 91 Millionen Dollar, wovon 62 Millionen vollständig garantiert sind.

Zwei Jahre später rangiert Tannehill unter Quarterbacks was das durchschnittliche Jahresgehalt angeht noch auf Rang 14, bei den Garantien auf Platz 11. Natürlich ist das ein Stück weit auch die natürliche Entwicklung des Marktes: Andere Quarterbacks verlängern, sodass sich die Spirale immer weiter nach oben dreht und ältere Verträge im Vergleich immer weiter abrutschen.

Aber Tannehills Kontrakt rangierte auch im März 2020 nicht in der Quarterback-Spitze, sondern eine klare Stufe darunter. Hinter Russell Wilson, hinter Ben Roethlisberger, hinter Aaron Rodgers, und auch hinter den Verträgen von unter anderem Matt Ryan, Jared Goff, Carson Wentz und Kirk Cousins.

Die neue Quarterback-Benchmark setzte in der gleichen Offseason Patrick Mahomes mit seinem Zehnjahresvertrag in Kansas City, aber Tannehill setzte auf seine Art ebenfalls einen Maßstab für einen Typ Quarterback-Vertrag, den es in meinen Augen noch immer zu selten gibt: Den Mid-Level-Quarterback-Vertrag.

An diesem Vertrag würde ich mich aus Sicht der Seahawks orientieren, wenn es etwas Langfristiges sein soll. Der Franchise Tag kann immer eine Option sein, womöglich auch als Platzhalter, um Zeit am Verhandlungstisch zu gewinnen. Und vielleicht will Geno Smith auch den ganz großen Vertrag in der kommenden Offseason abräumen, da können wir natürlich nur spekulieren - dann hätte Seattle dank der Broncos mutmaßlich einen Top-5-Pick in der Hinterhand, um die Position zu adressieren, sollte man mit Smith überhaupt nicht auf einen Nenner kommen.

Meine Vermutung ist das jedoch nicht. Ich vermute, dass Smith in Seattle ideale Umstände gefunden hat, in denen er sich wohlfühlt. Ich vermute auch, dass Pete Carroll kein Interesse daran hat, mit einem Rookie-Quarterback neu zu starten. Der Franchise Tag für Quarterbacks ist hoch dotiert, er könnte sich für Smith dennoch wie eine "Enttäuschung" nach einer unerwartet herausragenden Saison anfühlen. Andernfalls wäre der Tag eine sehr gute Option.

Ein Mittelweg in Form eines Vertrags über rund drei Jahre, der sich irgendwo um Platz acht bis zehn im Quarterback-Ranking einsortiert, könnte die Lösung sein, die für alle Beteiligten funktioniert.