Zwei Quoten bei den Buchmachern in Las Vegas unterstrichen die Verrücktheit dieser Saison: Die bei 5-7 stehenden Detroit Lions waren mit zwei Punkten Favorit gegen die mit einem 10-2-Record angereisten Minnesota Vikings - und Tom Brady war mit seinen Buccaneers mit 3,5 Punkten Außenseiter gegen Brock Purdy und die San Francisco 49ers.
Und es wäre eine vernachlässigbare Kuriosität, wenn man sich beide Lines nicht so gut erklären und nachvollziehen könnte, warum der Markt diese vier Teams so einschätzt - trotz der Records, respektive der großen Namen.
Die Vikings sind ein Team, das sich in den meisten Bereichen im Liga-Mittelfeld bewegt, allerdings in diesem Jahr in One-Score-Games nahezu unschlagbar scheint, und das gezeigt hat, dass es durch die individuelle Qualität von Justin Jefferson auch über der eigenen Gewichtsklasse boxen kann. Aber auch ein Team, dessen Record nicht nur nicht die realen Leistungen widerspiegelt, sondern auch zuletzt einen eher negativen Trend an den Tag legte.
Bei den Lions dagegen zeigte die Kurve zuletzt klar nach oben und man kann argumentieren, dass Detroit dieses Jahr im Vergleich mit den Vikings die bessere Offense aufs Feld bringt. Das Spiel am Sonntag würde dieser These jedenfalls zusätzliche Nahrung geben. Die 49ers haben einmal mehr eine unheimlich effiziente, fast Quarterback-unabhängige Offense, das haben sie in der Vorwoche gezeigt, als Brock Purdy für den verletzten Jimmy Garoppolo übernehmen musste, und die Offense schnell wie gewohnt den Ball bewegen konnte.
Und die Buccaneers? Die Bucs sind eine massive Enttäuschung, weil sie es nicht schaffen, ihre nach wie vor vorhandenen PS auf die Straße zu bringen. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison in Tampa Bay, und lange war ich hier der Meinung, dass die Bucs so viel Zeit haben, dass Brady und Co. die Probleme schon lösen würden.
Zeit haben sie noch immer, weil die Division insgesamt extrem schwach ist. Aber ich bin mit diesem Team an einem Punkt angekommen, an dem ich erst einmal sehen muss, dass dieser Turnaround auch wirklich kommt.
Ich dachte, dass das Spiel gegen Seattle in München der Startschuss sein könnte; bislang wirkt dieses Spiel jedoch eher wie eine Ausnahme aus Sicht der Bucs-Offense, und lässt sich auch mit der zunehmend schwächeren Seahawks-Defense erklären.
1. Die Buccaneers sind nur noch ein Schatten vergangener Tage
Beide diese Punkte sollten sich in Woche 14 als überaus wahr entpuppen: Seattles Defense geriet gegen Carolina ins Schwimmen - und Tampa Bays Offense war erneut überaus enttäuschend. Und das ist noch mild formuliert.
Die Offensive Line der Bucs ist ein Problem, das ist keine neue Erkenntnis und auch nicht erst seit der Verletzung von Tristan Wirfs. San Francisco hat einen sehr gefährlichen 4-Man-Pass-Rush und konnte Brady dementsprechend früh unter Druck setzen.
Die Probleme in der Line gehen dabei auch über zugelassene Pressures hinaus. Left Tackle Donovan Smith hatte ein weiteres enttäuschendes Spiel, seine Holding-Strafe nahm einen 68-Yard-Touchdown zu Mike Evans vom Board.
Abermals wirkte die Offense am ehesten noch dann schlagkräftig, wenn sie aus dem Hurry-Up-Modus agierte. Aber auch das war mehr ein Strohfeuer als irgendetwas sonst. Tampa Bay lag zur Halbzeitpause mit 0:28 hinten, es war der höchste Rückstand zur Pause seit einem 0:31-Rückstand gegen die Saints vor zwei Jahren.
Brady selbst hatte dabei mehrere ganz schwache Würfe. Er verfehlte Scotty Miller tief, der eigentlich hinter seinen Gegenspieler gekommen war. Er überwarf seinen Receiver unter Druck über die Mitte zur Interception. Er platzierte einen Wurf unter Druck nicht hoch genug, sodass er den Ball nicht über den Linebacker brachte und Dre Greenlaw den Pass abfing.
49ers: Brock Purdy mit einem eindrucksvollen Auftritt
Man kann über die Probleme der Bucs ausführlich diskutieren, es gibt mehr als genug davon. Aber es ist zunehmend unbestreitbar, dass Bradys Spiel selbst auch einen merklichen Rückschritt zu verzeichnen hat. Dass sein Arm doch etwas nachlässt.
Kurzum: Dass man Brady das Alter schließlich doch anmerkt!
Und dann müssen wir natürlich auch über sein Gegenüber am Sonntag sprechen. Es war der erste Start für Brock Purdy, den "Mr. Irrelevant" - also den letzten Pick - des vergangenen Drafts. Wenn man sich das Spiel anschaute, dann hätte diese Tatsache kaum jemand erraten können.
Denn Purdy, und das war überaus eindrucksvoll, war gegen Tampa Bay nicht einfach der Game Manager, der Shanahans Offense umsetzt. Sicher, er profitierte von Shanahans Designs, vom Run Game, von den kurzen Pässen - aber er machte auch Plays. Ein Touchdown-Scramble, er ließ Pass-Rusher in der Pocket aussteigen, er bediente McCaffrey und Brandon Aiyuk jeweils tief zu Touchdowns mit Würfen, die wir so von Jimmy Garoppolo nur sehr selten sehen.
Purdy wird hier noch häufiger ein Thema sein in den kommenden Wochen. Denn die Niners bleiben auch nach der Garoppolo-Verletzung auf Playoff-Kurs. Ein Sieg am Donnerstag gegen die Seahawks, deren Run-Defense sich seit Wochen wahnsinnig löchrig präsentiert, würde für San Francisco den vorzeitigen Division-Sieg bedeuten. Deshalb hier nur noch ein Punkt: Die Niners sind weiterhin ein ernstzunehmendes Playoff-Team, und wenn Purdys Entwicklung anhält, dann sind sie ein Team, das mit der enormen Gesamtqualität auch in der Postseason Spiele gewinnen kann.
Was die Aussichten der Bucs angeht: Man kann nicht mehr erwarten, dass die Bucs das Ruder herumreißen. Sie sollten die Division gewinnen, einfach weil die Konkurrenz hier so überschaubar ist, und dann werden sie ein Playoff-Heimspiel haben.
Aber viel mehr als "Brady-Playoff-Magic" wird dann dort vermutlich nicht für die Bucs sprechen - die Baustellen sind einfach zu viele, von der O-Line über das Play-Calling bis hin zur Defense, die mehr und mehr wie ein Schatten ihrer selbst auftritt.
Hätten die Bucs einen Claim für Mayfield einreichen sollen?
Wenn man über die Zukunft der Bucs spricht, lässt sich auch sehr gut ein anderes Thema der vergangenen Woche zumindest anschneiden: Denn es hat mich schon überrascht, dass die Rams das einzige Team waren, das einen Waiver-Claim für Baker Mayfield einreichen wollte, nachdem die Panthers sich von dem ehemaligen Nummer-1-Overall-Pick getrennt hatten.
Natürlich gibt es Gründe dafür, dass die Browns ein Upgrade zu Mayfield haben wollten - und letztlich so verzweifelt waren, dass sie Deshaun Watson einen historischen Vertrag vorlegten. Und es gibt auch Gründe dafür, dass es in Carolina dann so gar nicht für Mayfield klappte, aber nicht alle diese Gründe liegen bei Mayfield selbst.
Mayfield mag nie dem Status eines Nummer-1-Picks gerecht geworden sein, aber war er für die Browns ein schlechter Pick? Im Kontext der Alternativen mit Josh Allen und Lamar Jackson auf dem Board, sicherlich, aber Mayfield war über seine vier Jahre in Cleveland kein schlechter Quarterback; 2021, als er viel zu lange verletzt spielte, war seine klar schlechteste Saison.
Will sagen: Mayfield ist kein untalentierter Quarterback, und ich denke, dass er im richtigen Scheme, in den richtigen Umständen, immer noch eine mehr als passable Übergangslösung für ein Team sein kann. Ähnlich wie das, was wir gerade von Jared Goff in Detroit sehen. Oder auch, zumindest im Rahmen dieser Saison, von Andy Dalton bei den Saints.
Mit dieser Analyse im Hinterkopf hat es mich gewundert, dass Teams wie die Bucs, aber auch die Broncos, Colts oder Saints keinen Claim für ihn eingereicht haben. Mayfield kostet für den Rest dieser Saison kaum etwas, und man hätte mindestens im Training und der täglichen Arbeit sehen können, was man mit Mayfield hat.
Womöglich hätte das dann die Tür geöffnet, um eine Quarterback-Übergangslösung für 2023 zumindest im Kader zu haben, sofern man sich entsprechend finanziell einigt - statt komplett blank auf der Position in die Offseason zu gehen. Und wer weiß? Vielleicht werden die Rams ihn auch in dieser Rolle noch gebrauchen können.