Vor Spiel 4 der Stanley-Cup-Finals gibt es nach wie vor nur ein Thema: Der Blind-Side-Hit von Canucks-Verteidiger Aaron Rome gegen Bruins-Stürmer Nathan Horton wird heiß diskutiert. Was der Hit bedeutet hat, ist inzwischen klar. Horton hat eine schwere Gehirnerschütterung erlitten und wird für den Rest der Saison ausfallen, Rome wurde von der NHL für vier Spiele gesperrt und wird damit ebenso nicht mehr eingreifen können.
Es ist eine Sperre, die in Boston mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde. Und die in Vancouver - selbstverständlich - für völliges Unverständnis gesorgt hat. Ein Grund für die Wut der Canucks? Als Daniel Sedin in der Sharks-Serie von Ben Eager brutal in die Bande gecheckt wurde, passierte nichts.
Und als ein gewisser Aaron Rome ebenfalls gegen San Jose von Jamie McGinn einen Hit abbekam, der eine Sperre hätte nach sich ziehen können oder sogar müssen, passierte ebenfalls nichts.
Canucks sauer wegen Rome-Sperre
"Rome wurde gekillt in San Jose und nichts ist passiert. Aber er bekommt jetzt vier Spiele. Ich weiß es nicht", sagte Daniel Sedin.
Ähnlich äußerte sich auch Canucks-Coach Alain Vigneault: "Meiner Meinung nach ist es nicht die richtige Entscheidung. Wir sind wirklich enttäuscht, dass ihr Spieler sich verletzt hat, aber es war einfach eine unglückliche Situation. Jeder, der mal Eishockey gespielt hat, weiß, dass man bei so einem Hit im Bruchteil einer Sekunde eine Entscheidung treffen muss. Ich weiß wirklich nicht, wie die Liga zu so einer Entscheidung kommen konnte."
Bei den Bruins ist man verständlicherweise in erster Linie um den Gesundheitszustand von Horton besorgt. Es gibt immerhin positive Zeichen, wie Hortons Linemate Milan Lucic berichtete. "Er fühlt sich gut, er fühlt sich viel besser. Er hat mit per SMS zum Geburtstag gratuliert, schon mal gut, dass er sich an meinen Geburtstag erinnert", so Lucic, der am Dienstag 23 Jahre alt wurde.
Fakt ist, dass beide Teams durch den Hit zu Lineup-Veränderungen gezwungen sind. Hortons Ausfall wird den Bruins wehtun, keine Frage. Der Stürmer hat immerhin in den diesjährigen Playoffs schon zweimal ein Spiel 7 entschieden.
Rückkehr von Seguin
"Einen Spieler wie Horty zu verlieren, ist ein großer Verlust für uns. Er hat unglaubliche Playoffs gespielt und viele unglaubliche Tore geschossen", meinte Shawn Thornton. Der Bruins-Winger war vor Spiel 3 für Rookie Tyler Seguin ins Lineup zurückgekehrt, jetzt wird Seguin aller Voraussicht nach wieder ins Team rutschen. Die beiden heißesten Kandidaten, um Horton in der ersten Reihe der Bruins an der Seite von Lucic und David Krejci zu ersetzen, sind Rich Peverley und Michael Ryder.
"Sie sind beide großartige Spieler. Peverley hat in der letzten Saison 55 Punkte für Atlanta gemacht und gezeigt, dass er produktiv sein kann. Und Michael Ryder hat schon zweimal 30 Tore geschossen. Beide haben einen guten Schuss. Wir müssen darauf zählen, dass sie Verantwortung übernehmen", sagte Lucic. Die Bruins versuchen, Hortons Verletzung in einen Motivationsschub umzukehren, weil sie jetzt für ihren Teamkollegen den Stanley Cup holen wollen.
Wie sich Romes Ausfall auf die Canucks-Defense auswirken wird, ist noch unklar. Am wahrscheinlichsten ist es, dass entweder Keith Ballard oder Chris Tanev für Rome in die Mannschaft rücken. Vigneault könnte sich aber auch dazu entscheiden, beide zu bringen und dafür Andrew Alberts auf die Tribüne zu verbannen.
Fest steht, dass Kevin Bieksa sich wieder auf einen neuen Partner einstellen muss. Bieksa bildete lange mit Dan Hamhuis ein überragendes Duo, nach dessen Verletzung rückte Rome an seine Seite. Jetzt könnte Bieksa womöglich mit Alex Edler zusammenspielen.
Power-Play-Problem der Canucks
Die personellen Veränderungen sind aber noch das geringste Problem, das Vancouver in Spiel 4 lösen muss. Die Canucks haben andere Themen auf der Agenda. Da wäre zum Beispiel die Frage, wie sie Tim Thomas bezwingen wollen? Der Bruins-Keeper hat in drei Spielen nur fünf Tore zugelassen und war gerade in Spiel 3 wieder in spektakulärer Form.
Und da wäre das Power Play der Canucks. Ein Gebiet, auf dem sie eigentlich einen klaren Vorteil gegenüber den Bruins haben sollten. Wir erinnern uns: Das Power Play der Bruins war im Grunde tot, als die Stanley-Cup-Finals begannen. Aber jetzt ist plötzlich das Überzahlspiel der Canucks in der Krise.
Nach einer 0/8-Performance, bei der man sich auch noch zwei Shorthander einfing, steht man für die Serie gesehen jetzt bei einer Quote von 6,25 Prozent (1/16). Klar, dass der Trainerstab der Canucks am Dienstag einen großen Teil des Trainings dem Power Play widmete.
"Wir müssen im Power Play treffen. Wir haben in der regulären Saison im Power Play getroffen, auch in den Playoffs. Aber in den ersten drei Spielen war es jetzt nicht gut. Wir müssen uns steigern, sonst kostet es uns Spiele. Selbst wenn wir nicht treffen, müssen wir wenigstens im Power Play Momentum generieren. Das schaffen wir im Moment nicht", erklärte Daniel Sedin. Zwillingsbruder Henrik bemängelte vor allem die "fehlende Bewegung" im Power Play.
Was macht Luongo?
Das nächste große Thema: Wie verkraftet Goalie Roberto Luongo die acht Tore, die er in Spiel 3 kassierte? Luongo traf eigentlich gar keine Schuld, sein Team ließ ihn böse im Stich, aber dennoch muss man sich die Frage stellen, ob die Bruins ihm vielleicht psychisch einen Knacks verpasst haben.
"Natürlich war es sehr enttäuschend, was in Spiel 3 passiert ist. Wir sind alle sauer. Aber ich bin in den Stanley-Cup-Finals, darauf habe ich mein Leben lang gewartet. Ich werde jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken. Jetzt geht es darum, wieder aufzustehen. Wir haben eine Chance, Spiel 4 zu gewinnen und dann fliegen wir mit einem 3-1-Vorsprung zurück nach Hause", sagte Luongo.Der Canucks-Keeper hat trotz seiner Erfolge viele Kritiker, aber vor Spiel 4 kam ihm jetzt ein ganz Großer zur Seite. "The Great One" höchstpersönlich. "Mir ist es egal, was die Leute sagen. Luongo ist ein großartiger Goalie, der große Spiele gewinnt", schrieb Wayne Gretzky in einer Text-Message an "ESPN".
Gretzky war 2004 beim World Cup of Hockey für Team Canada verantwortlich, damals ersetzte Luongo den verletzten Martin Brodeur und lieferte im Halbfinale gegen Tschechien eine herausragende Leistung ab. Genau auf solch eine Leistung hoffen alle Canucks-Fans jetzt auch in Spiel 4 der Stanley-Cup-Finals.
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