Als es schon alles nach einer Overtime aussah, erzielte Raffi Torres 19 Sekunden vor Schluss mit seinem dritten Playoff-Tor den Game-Winner zugunsten der Canucks. Es war das späteste Tor in regulärer Spielzeit eines 1:0-Spiels in der Geschichte der Stanley-Cup-Finals.
Das über weite Strecken hässliche Spiel war geprägt von guter Defense, vielen Fehlern auf beiden Seiten - und von zwei herausragenden Torhütern. Roberto Luongo parierte alle 36 Schüsse der Bruins und feierte seinen dritten Playoff-Shutout in diesem Jahr, Boston-Keeper Tim Thomas (33 Saves) spielte ebenso exzellent.
Dennis Seidenberg (27:13 Minuten Eiszeit, 3 Schüsse, 4 Blocks, 4 Hits) war wie so oft in den Playoffs einer der besten Bruins-Spieler auf dem Eis, Christian Ehrhoff (26:26 Minuten) präsentierte sich bei seinem Comeback nach Verletzungspause ebenfalls stark und erhielt die meiste Eiszeit überhaupt bei den Canucks.
Randaspekt: Ende des ersten Drittels gerieten Patrice Bergeron und Alexandre Burrows aneinander, Burrows biss Bergeron allem Anschein nach dabei in bester Tyson-Manier durch den Handschuh in den Finger. Bergeron trug einen Cut davon.
Spiel 2 der Serie findet in der Nacht auf Sonntag erneut in der Rogers Arena zu Vancouver statt.
Reaktionen:
Roberto Luongo (Vancouver): "Ich habe gedacht, dass wir den ganzen Abend noch spielen, so wie das Spiel gelaufen ist. Es ist ein toller Start für uns. Es war so ein enges Spiel. Beide Teams hätten gewinnen können, man hätte auch eine Münze werfen können."
Kevin Bieksa (Vancouver): "Man muss geduldig bleiben. Sie geben einem kaum Platz. Man darf sich nicht entmutigen lassen, wenn der gegnerische Goalie so viele Big Saves macht. Man muss einfach weiter schießen, das haben wir gemacht."
Patrice Bergeron (Boston): "Mir macht es gar nichts, wenn es ein bisschen härter zur Sache geht. Solange nur geschubst und gestoßen wird. Aber jemanden zu beißen? Come on. Aber ich werde mich nicht weiter beschweren. Das ist jetzt Sache der NHL. Die Liga wird sich das sicher noch einmal ansehen."
Alexandre Burrows (Vancouver): "Er hatte seine Finger in meinem Mund. Ich denke nicht, dass ich ihn gebissen habe. Ich will darüber gar nicht mehr viel sagen."
Dennis Seidenberg (Boston): "Wir haben 59 Minuten gut gespielt und hatten unsere Chancen. Am Ende hat ein kleiner Patzer von uns gereicht, um das Spiel zu verlieren."
Der SPOX-Spielfilm:
Vor dem Spiel: Keine Überraschungen bei beiden Teams. Manny Malhotras Comeback nach seiner schweren Augenverletzung verzögert sich wie erwartet noch, die Canucks beginnen mit Edler und Salo in der Verteidigung und der Sedin-Reihe im Sturm. Luongo steht natürlich im Tor. Die Bruins beginnen wie immer mit Thomas im Tor, Chara ist zum Start ausnahmsweise nicht mit Seidenberg, sondern mit Boychuk auf dem Eis, im Sturm starten Bergeron, Marchand und Recchi.
3.: Was für ein Start der Canucks! Alleine in den ersten beiden Minuten kommt Vancouver zu vier Schüssen und drei riesigen Chancen, aber Tim Thomas ist sofort mit überragenden Saves zur Stelle. Er zeigt unter anderem zwei Klasse-Paraden gegen Daniel Sedin und Mason Raymond.
9.: Daniel Sedin erwischt Zdeno Chara mit einem hohen Stock, Blut fließt, und der Canucks-Star kassiert 2+2-Strafminuten. Das Power Play der Bruins kreiert zwar einige Chancen, Seidenberg zieht ein paar Mal gefährlich ab, aber Vancouver übersteht die lange Unterzahl.
20.: Eins ist jetzt schon klar: Diese beiden Teams können sich nicht ausstehen. Zum Ende des ersten Drittels geraten Bergeron und Burrows aneinander. Bergeron: "Er hat mich gebissen." Beide Teams vergeben Power-Play-Chancen, Boston insgesamt mit einem guten Auswärtsdrittel (17:12-Schüsse).
24.: Die Bruins spielen zu Beginn des Mitteldrittels eineinhalb Minuten 5:3, aber auch mit zwei Mann mehr auf dem Eis bringt das Power Play kein Tor zustande. Derweil sorgt Dan Hamhuis mit einem Wahnsinns-Hüftcheck gegen Milan Lucic für ein Highlight. Allerdings verletzt sich Hamhuis dabei selbst und kann nicht mehr weiterspielen.
31.: Jetzt hatten die Canucks ihre 5:3-PP-Chance, aber sie dauerte nur acht Sekunden, dann muss Burrows wegen Beinstellens gegen Thomas auf die Strafbank. Zweifelhafte Entscheidung.
40.: Bergeron nimmt eine dumme Strafzeit hinter dem Tor der Canucks, aber Boston übersteht vor Drittelende auch die sechste Unterzahl des Abends, es bleibt nach 40 Minuten beim 0:0.
45.: Unglaublicher Save schon wieder von Thomas! Ein super Pass von Christian Ehrhoff reißt die Bruins-Defense auf, Jannik Hansen läuft einen Breakaway, scheitert aber am Bruins-Keeper.
56.: Das war knapp! Alex Edler feuert einen schnellen Snap-Shot ab, Latte! Da hätte Thomas keine Chance gehabt, es will einfach kein Tor fallen. Was ein Drama.
60.: Tor für Vancouver! 1-0, Torres (Hansen, Kesler)! Unfassbar, 19 Sekunden vor Schluss ist es dann doch passiert. Weil Boychuck einen Hit verpasst, kommt Kesler ins Drittel der Bruins. Kesler spielt quer rüber zu Hansen, der mit einem traumhaften Pass Torres vor dem Tor frei spielt und der bringt die Scheibe unter Thomas durch ins Tor. Sensationell gespielt.
Der Star des Spiels: Roberto Luongo. Es war der Abend der Torhüter in Spiel 1. Luongo und Thomas lieferten sich ein brillantes Keeper-Duell, das der Kanadier am Ende für sich entschied. Dabei schien eigentlich Thomas der Mann des Spiels zu werden. Er sorgte wieder einmal für die spektakulären Saves und trieb Vancouver über 59 Minuten lang zur Verzweiflung. Knapp 129 Minuten lang dauerte der Shutout-Streak von Thomas, der in Spiel 6 der Tampa-Serie anfing, aber dann wurde er doch noch bezwungen. Im Gegensatz zu Luongo, der alle 36 Schüsse der Bruins abwehrte und seinen dritten Shutout der Playoffs feierte. Die ersten beiden Shutouts hatte er übrigens gegen Chicago und Nashville auch jeweils in Spiel 1 hingelegt.
Der Flop des Spiels:Das Power Play der Bruins. Es ist zwar Fakt, dass in Spiel 1 die Power Plays von Vancouver und Boston beide genau gleich schlecht waren (beide 0/6), aber bei den Bruins nimmt das Überzahl-Desaster jetzt wirklich tragische Züge an. Vancouver kann es wegstecken, dass das sonst so starke Power Play einmal nicht trifft, aber der Frust bei Boston wird immer unerträglicher. Die Taktik, Zdeno Chara vors Tor zu stellen, ist und bleibt fragwürdig. Es sieht schon seltsam aus, wenn der Slowake in ungewohnter Rolle versucht, irgendwie Pucks abzufälschen. Dennoch muss man sagen, dass das Power Play der Bruins einige Male immerhin um einiges besser aussah als in den ganzen Playoffs. Aber es nützt eben nichts, wenn der Puck nicht reingeht. Die Quote sinkt immer weiter. 7,5 Prozent (5/67), ohne Worte.
Analyse: Normalerweise spricht man bei Torhütern immer davon, wie sie mit Super-Saves in entscheidenden Phasen im letzten Drittel ihre Mannschaft im Spiel hielten, oder den Sieg sicherstellten. In Spiel 1 der Stanley-Cup-Finals lief die Sache etwas anders.
Tim Thomas rettete die Bruins nämlich schon in den ersten Minuten. Vancouver legte los wie die Feuerwehr - wenn Thomas nicht so fantastisch gehalten hätte, wäre das Spiel für die Bruins schon ganz früh weg gewesen. So hielt sie Thomas früh im Spiel und Boston schnupperte in der Folge daran, zum Auftakt sofort den Heimvorteil zu klauen.
Es entwickelte sich in den ersten beiden Dritteln ein Spiel, das extrem von Strafzeiten geprägt war. Es ist schon kurios manchmal. In Spiel 7 der Eastern Conference Finals zwischen Boston und Tampa Bay gab es nicht eine einzige Strafe - und jetzt wanderten in Vancouver ständig Spieler auf die Strafbank. Einerseits war es das logische Resultat, wenn zwei sehr physische Teams aufeinandertreffen, die sich auch noch Undiszipliniertheiten leisteten. Andererseits wollten die Refs wohl auch früh Zeichen setzen.
Beide Teams ließen in den ersten beiden Dritteln ein halbes Dutzend Power-Play-Chancen ungenützt, es war die erwartet völlig ausgeglichene Partie.
Im Schlussabschnitt, in dem es dann keine Strafen mehr geben sollte, hatten die Canucks, die ohne den verletzten Hamhuis mit fünf Verteidigern auskommen mussten, die besseren Chancen. Dennoch deutete alles daraufhin, dass es nach 60 Minuten torlos in die Verlängerung gehen würde. Bis sich 19 Sekunden vor Schluss mal wieder zeigte, wie eng im Eishockey Freud und Leid zusammenliegen.
Es fehlten ein paar Mal nur wenige Zentimeter, dann hätten die Bruins das Play gestoppt. Aber so schoss Raffi Torres nach einem wirklich feinen Spielzug kurz vor Ende noch den Sieg für die Canucks heraus. Keiner der Sedins, kein Kesler, sondern ein Rollenspieler wie Torres wurde zum Matchwinner. Auch das überrascht nicht wirklich. Es war am Ende ein glücklicher, aber sicher nicht unverdienter Auftaktsieg für die Canucks - und eine herzzerreißende Pleite für die Bruins.
NHL: Die Playoffs auf einen Blick