NHL

Stalin, Nordpol und Blondinen

Von Adrian Bohrdt
Goalie Ilya Bryzgalov wurde 2000 an Position 44 von den Ducks gedraftet
© getty

Ilya Bryzgalov ist zurück! Der russische Paradiesvogel gibt sein NHL-Comeback ausgerechnet in Edmonton, seinem persönlichen Nordpol. Über die letzten Jahre begeisterte der Torhüter mit dem Hang zu ganz besonderen Interviews Fans und Medien gleichermaßen und erhält nach seinem Aus in Philadelphia eine zweite Chance. Der Blick auf einen Entertainer zwischen Genie und Wahnsinn.

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Ilya Bryzgalov als tiefgründig zu bezeichnen wäre eine faustdicke Untertreibung. "Ich interessiere mich sehr für das Universum, wie alles erschaffen wurde", gab der 33-Jährige vor einigen Jahren bei der "HBO"-Dokumentation "24/7", die ihn über Nacht zum Entertainment-Star machte, zu Protokoll.

"Das Sonnensystem ist so riesig, aber schaut man es sich in unserer Galaxie an, ist es so klein. Und unsere Galaxie ist riesig, aber wenn man sich das gesamte Bild anschaut, ist unsere Galaxie auch nur ein winziger Punkt im Universum."

Es sind derartige philosophische Gedanken, die Bryzgalov wie kaum ein Zweiter mit unerwarteten Aussagen kombiniert. Vor der Playoff-Serie gegen Pittsburgh 2012, die Philadelphia mit 4:2 gewann, wurde der Goalie gefragt, wen er in der Offense der Penguins als größte Bedrohung sehe. Bryzgalovs Reaktion: "Ich habe vor nichts Angst. Außer vor Bären, aber die leben im Wald."

"Du gehst in die Hölle"

Ein Jahr zuvor, im Sommer 2011, war der Russe nach seinen beiden besten NHL-Spielzeiten in Phoenix als Goalie-Hoffnung zu den Flyers gekommen. Philadelphia hatte lange auf einen starken Schlussmann gewartet, mit Bryzgalov schien man ihn endlich gefunden zu haben. So erhielt er prompt einen Vertrag über neun Jahre, der ihm 51 Millionen Dollar Gehalt einbringen sollte.

"Als ich hier unterschrieben habe, sagten die Leute: 'Oh, weißt du, wohin du da gehst? Du gehst in die Hölle. Sie hatten nie echte Goalies und gehen hart mit ihnen um. Philadelphia ist ein furchtbarer Markt für Torhüter'", blickte Bryzgalov zurück.

Die Warnungen sollten sich bewahrheiten: Nur zwei Jahre später war das Gastspiel in der Stadt der brüderlichen Liebe vorbei. Flyers-Geschäftsführer Paul Holmgren, der Bryz 2011 als Top-Goalie vorgestellt hatte, verkündete nach zwei enttäuschenden Spielzeiten das vorzeitige Ende der Zusammenarbeit. Der 33-Jährige wurde aus seinem Vertrag herausgekauft, 23 Millionen Dollar erhält er so über die nächsten 14 Jahre.

Abrechnung mit den Medien

Insgesamt 99 Spiele absolvierte Bryzgalov für die Flyers und hielt dabei 90,5 Prozent der Schüsse auf sein Tor - ein Durchschnittswert und viel zu wenig angesichts der Erwartungen. Doch nicht nur auf dem Platz kam der Russe in der Goalie-feindlichen Stadt nicht zurecht. Auch die Medien behandelten Bryzgalov oftmals wie ein Kind oder waren nur auf ein witziges Zitat aus - so sollte er etwa in einer Radio-Show den Filmcharakter Borat imitieren.

Die Beziehung zwischen Reportern und Spieler wurde zunehmend schlechter, sodass Bryzgalov nach seinem Abschied abrechnete. Angesprochen darauf, ob er sich von der Kritik verunsichern lasse, antwortete er vor mehreren Reportern: "Nicht mehr. Ihr seid nur hier, um einen Schuldigen zu finden. Ihr schaut nie in den Spiegel, oder? Ihr macht alles richtig, macht nie Fehler und eure Artikel sind immer perfekt."

"Aber wenn Ihr Euch selbst fragt ", so Bryzgalov weiter, "Was habt Ihr für die Stadt gemacht? Fragt Euch das mal. Denn neben Eurer permanenten Kritik ist das nicht viel. Es geht nicht darum, ob das fair ist oder nicht. Es ist einfach lächerlich. Manchmal liest man etwas und denkt sich: 'Du meine Güte, wer ist dieser Irre? Worüber schreibt er?' Denn oft war es nicht ansatzweise die Wahrheit und hatte nichts mit Hockey zu tun."

Die Husky-Story

Innerhalb der Mannschaft ging Bryz, der bereits im Alter von sechs in der Sowjetunion als Torhüter anfing, mit den Späßen der Kollegen freilich entspannter um. Nach der ersten Episode von "24/7", in der er seine Gedanken über das Universum geteilt hatte, schnappte er sich beim Mittagessen dem Gelächter der Mitspieler zum Trotz Rookie Harry Zolnierczyk und startete eine weitere mittlerweile legendäre Unterhaltung über seinen Hund.

"Ein sibirischer Husky", berichtete er: "Sie ist komplett weiß und hat wunderschöne, blaue Augen. Das ist im Prinzip ein blondes Mädchen mit blauen Augen. Das ist dein Traum." Auf Zolnierczyks Frage, ob Bryz tatsächlich Hunde mit Frauen vergleiche, antwortete der Russe lapidar: "Mein Husky ist im Prinzip eine heiße Frau."

Kontroverses Stalin-Interview

Bryz' Ruf als Entertainer eilte ihm nach der TV-Ausstrahlung der Dokumentation voraus, doch der 33-Jährige ließ auch regelmäßig Hintergrundwissen sowie eigene, komplexe Gedankengänge erkennen. So philosophierte er über die Ausrottung von Tigern und gab an, dass er neben Dschinghis Khan und Albert Einstein, mit dem er "natürlich" über das Universum sprechen wolle, auch Stalin gerne interviewt hätte.

"Ich sehe eine Logik in seinen Handlungen. Natürlich nicht in allem, was er gemacht hat. Aber er kam in einem Land an die Macht, das aus einer Revolution kam", betonte Bryzgalov in einem russischen Interview: "Das Land lag am Boden und die Menschen mussten überleben. Es musste wieder aufgebaut werden, und dafür brauchte man eine eiserne Hand."

Neuanfang in Edmonton

In Edmonton will sich Bryz allerdings auf das Sportliche konzentrieren. Nachdem er in der vergangenen Woche einen Einjahresvertrag unterschrieb, bat der Goalie Medien und Fans: "Das ist eine große Gelegenheit für Euch, und am Ende der Saison könnt Ihr selbst beurteilen, wer ich bin, und nicht auf die Meinung anderer Leute bauen."

Oilers-Coach Dallas Eakins unterstützt den 33-Jährigen dabei: "Ich denke, er ist ein sehr intelligenter Mann. Vielleicht hat er andere Interessen als ich oder einige Mitspieler. Aber er ist ein intelligenter Typ und ich habe keine Bedenken aufgrund der Art und Weise, wie er in einer Fernsehshow dargestellt wurde." Immerhin ist das Experiment für die Oilers ein geringes Risiko - das Team belegt den vorletzten Platz, was die Save Percentage angeht.

"Hier ist es wie am Nordpol"

Dennoch holte Bryzgalovs schillernde Interview-Vergangenheit ihn bereits unmittelbar nach seinem Wechsel nach Edmonton ein. 2006, damals noch bei den Anaheim Ducks, verteidigte er seinen Teamkollegen Chris Pronger. Der hatte Edmonton kurz zuvor verlassen, und dubiose Gerüchte um seinen Abschied machten ihn in der Stadt äußerst unbeliebt.

"Das ist doch nur Hockey, nur ein Spiel, warum müsst Ihr so sauer sein", fragte Bryz öffentlich: "Es hat ihm hier vielleicht nicht mehr gefallen, weil es im November -32 Grad hat. Acht Monate im Jahr liegt hier Schnee. Hier ist es wie am Nordpol." Auf "Youtube" mutierte das Interview schnell zum Klassiker und wurde über 750.000 Mal angeklickt.

In jedem Fall muss man sich keine Sorgen machen, dass Bryzgalov die Perspektive verliert. Seine Ausführungen über das Universum würzte der Russe mit einer Lebensweisheit: "Das Universum ist so riesig, und ich denke mir: 'Wir haben hier auf der Erde Probleme, über die wir uns Gedanken machen?' Verglichen damit ist das nichts. Seid einfach glücklich! Macht Euch keine Sorgen und seid einfach glücklich."

Ilya Bryzgalov im Steckbrief

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