Große Spieler liefern in großen Momenten eine große Leistung. Eine Weisheit, die ausnahmslos auf alle Sportarten angewendet werden kann - und die Henrik Lundqvist in den Conference Finals gegen Montreal in Vollendung bestätigte.
Nachdem die Rangers das fünfte Duell verloren hatten, standen sie zuhause unter Druck. Beim Stand von 0:0 kurz vor Ende des zweiten Drittels dann das Unfassbare: Thomas Vanek kommt nach einem Turnover aus einem Meter zum Abschluss, der Puck wird sogar noch abgefälscht, und mit einem unglaublichen Save verhindert Lundqvist den Rückstand.
Staal: "Das war lächerlich"
Kurz darauf erzielen die Rangers das 1:0, was am Ende zum Sieg reichen wird, und ziehen in ihre ersten Stanley Cup Finals seit 1994 ein. "Das war einfach ein Instinkt", erklärte Lundqvist danach seinen schier übermenschlichen Reflex. Marc Staal, dessen Fehler die Chance ermöglicht hatte, sah das anders: "Das war lächerlich. Ich schulde ihm ein Bier."
Derek Stepan legte sogar noch nach: "Bei Henrik überrascht mich nichts mehr. Er war unglaublich. Er war wieder Henrik." Mit dem Shutout ging es in die Finals, einmal mehr lag New York Lundqvist zu Füßen.
Der Schwede bleibt dabei aber stets auf dem Boden - abseits des Platzes wirkt er nie überheblich. Gleichzeitig ist er merklich reifer und gelassener geworden. Während er sich zu Beginn seiner Karriere noch mit den Stars der eigenen Mannschaft anlegte, ist er jetzt ein Ruhepol innerhalb des Teams.
Lundqvists schwarze Serien
Dennoch kann man die Leistung gegen Montreal vor allem psychisch nicht hoch genug einschätzen: 48 Stunden vorher war der Schwede noch der Buhmann. Nachdem Lundqvist im fünften Spiel der Serie bei 19 Schüssen vier Tore zugelassen hatte, wurde er in den Medien an den Pranger gestellt und übte sich in Selbstkritik: "Ich war zu langsam und einfach nicht gut genug."
Alles drohte zu kippen, sofort waren die schwarzen Serien des ansonsten so konstanten Goalies omnipräsent. Noch nie zuvor war er in den Stanley Cup Finals gewesen. In vier der fünf letzten Spiele, in denen sein Team eine Serie vor dem siebten Spiel hätte gewinnen können, hatte Lundqvist verloren - mit einer Save Percentage von gerade mal 80 Prozent. Dabei war er in jedem dieser Spiele vom Eis genommen worden.
Seit 2008 hatten die Broadway Blueshirts darüber hinaus keine Playoff-Serie mehr in weniger als sieben Spielen entschieden. Noch nicht genug? Lundqvist hatte vor der Saison eine eher dürftige Playoff-Bilanz von 30 Siegen und 37 Niederlagen vorzuweisen. Besonders bitter dabei war die Niederlage in den Conference Finals gegen die Devils vor zwei Jahren.
"Keine Entschuldigungen"
Doch der 32-Jährige, der 2012 vom "People Magazine" zu einem der Sexiest Men Alive gewählt wurde, beeindruckte mit seiner ruhigen Art: "Man hat so viele Höhepunkte, aber auch manche Tiefpunkte, in denen man vieles hinterfragt. Aber dann muss man einfach wieder einen klaren Kopf bekommen. Man darf keine Entschuldigungen haben. Man muss einfach wieder rausgehen."
Und so schaffte der Siebtrunden-Pick aus dem Jahr 2000 den lange ersehnten Sprung in die Finals. Es ist wohl irgendwie auch der Lohn für jahrelange Konstanz. 661 NHL-Spiele hat der Schwede auf dem Konto, seine Save Percentage von 92 Prozent ist die zweitbeste der NHL-Geschichte hinter Dominik Hasek. Auch zum League-MVP wurde er schon ausgezeichnet, die Vezina Trophy für den besten Goalie steht sowieso bereits in seinem Trophäenschrank.
Doch der letzte Schritt wurde ihm in einem zumeist durchschnittlichen Rangers-Team bislang verwehrt. King Henrik, wie er wegen seiner Athletik, seinem Arbeitsethos und den dominanten Auftritten in Manhattan seit seiner Rookie-Saison genannt wird, wurde nie als einer der heißen Überflieger wie Jonathan Quick, Corey Crawford oder Martin Brodeur gesehen.
"Es braucht nur einen unglücklichen Abpraller"
Aber an die "Hot Goalies", die dem Mythos zufolge Playoffs quasi im Alleingang entscheiden können, glaubt er ohnehin nicht - vielmehr siegt auch hier sein Pragmatismus: "Alles, was es braucht, ist ein unglücklicher Abpraller. Man darf nicht über das nachdenken, was noch kommt. Man muss einfach seinen Job machen, und mein Job ist es, Pucks zu stoppen."
Der Gewinn des Cups wäre für Lundqvist dennoch die Krönung einer historischen Saison. In der laufenden Spielzeit stellte er bereits teaminterne Rekorde hinsichtlich Regular-Season-Siege, Shutouts und Playoff-Siege auf. Außerdem unterschrieb er im Dezember einen neuen Siebenjahresvertrag, welcher ihn mit 59,5 Millionen Dollar zum bestbezahlten Goalie der NHL macht.
Von der Rockband nach Manhatten
Nicht schlecht für jemanden, der als Kind mit seinem Zwillingsbruder Joel auf dem zugefrorenen Sandkasten seines Kindergartens Eishockey spielte. "Ich bin hier seit neun Jahren und es ist mein erstes Mal in den Finals. Deshalb bin ich extrem stolz auf unser Team", gab er die Lorbeeren vor Beginn der Finals aber wie gewohnt an die Mitspieler weiter.
In New York ist er auch ohne den Cup bereits eine Legende und der vielleicht aktuell beste Sportler der Stadt, die den gutaussehenden Schweden, der einst in der Rockband spielte und mittlerweile ein Restaurant in Manhattan sein Eigen nennt, ohne Frage liebt. Sollte er die Rangers zum Titelgewinn führen, würde er im Big Apple endgültig unsterblich werden.
Wie er sein Tor auf dem Weg dahin am Ende sauber hält, ist dem 32-Jährigen deswegen egal. Kurz vor Schluss im Spiel gegen die Habs lenkte er den Puck sogar mit dem Kopf über seinen Kasten und bewahrte sein Team so vor dem späten Ausgleich. "Ich glaube, ich war noch nie entschlossener, ein Spiel zu gewinnen", erklärte Lundqvist anschließend. In den Finals dürfte das noch mal zu toppen sein.
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