Der erste Blick von Leon Draisaitl auf seine neue Heimat dürfte ihm gefallen haben. Breite Straßen, viele Grünflächen und die Skyline in Downtown Edmonton fallen sofort auf. Mit knapp 1,1 Millionen Einwohnern auf einer Gesamtfläche von über 680 Quadratkilometern hat die Hauptstadt des kanadischen Bundesstaates Alberta eine äußerst niedrige Bevölkerungsdichte.
Hier soll ganz großer Sport geboten werden? Immer mit der Ruhe. In Edmonton dominiert Gelassenheit das Erscheinungsbild der Stadt. Selbst im Herzen der Stadt, auf dem Churchill Square, ist das lauteste Geräusch der Wasserpark gegenüber der Edmonton Gallery. Für kanadische Verhältnisse sind die 25 Grad im Juli eine wahre Hitze.
Nicht weit vom Zentrum entfernt befindet sich der Rexall Place. In der Multifunktionsarena sind die Oilers beheimatet. Hier wird Draisaitl demnächst wohl sein NHL-Debüt feiern. Und die Vorfreude ist spürbar. "Sky's the limit", schrieb das "Edmonton Journal" am Tag nach dem Draft über den Oilers-Pick aus Europa.
"Der Verein gibt mir Zeit"
Nach außen lässt Draisaitl das kalt. "Die Medien und Fans erwarten natürlich sehr viel", sagt der Angreifer im Gespräch mit SPOX, "aber ich bin 18 Jahre und weiß, dass mir der Verein Zeit gibt." Die letzten Wochen waren nur ein kleiner Vorgeschmack auf die nächsten Monate. Anfragen aus aller Welt, Fototermine und das in einer völlig neuen Stadt.Gut, dass ihm Kanada schon vertraut ist. Mit 16 wechselte er zu den Prince Albert Raiders, lebte alleine im kleinen Städtchen. "Kino, X-Box und Eishockey, mehr gab es da nicht", berichtete Draisaitl vor einigen Wochen im ausführlichen SPOX-Interview über seine Zeit dort. Es hat sich gelohnt: Nach zwei überragenden Jahren mit insgesamt 105 Scorerpunkten in 64 Spielen galt Draisaitl lange vor dem Draft als sicherer Pick. Letztlich landete er bei den Oilers, die als drittes Team ziehen durften.
"Mittlerweile habe ich realisiert, was passiert ist. Es ist einfach nur eine große Ehre", sagt er mit Blick auf die vielen Eindrücke vom Draftabend. Seit Anfang Juli ist er in Edmonton und bereitet sich auf die Saison vor. Besonders im Fokus: "Ich werde hart an meinem Körper und meiner Athletik arbeiten. Wir haben mehrere Trainer in diesem Bereich, die wissen ganz genau, wo meine Stärken und Schwächen sind."
Noch mehr Muskelmasse
Mit offiziell 1,88 Metern und 92 Kilogramm hat er auf dem Papier bereits ordentliche Maße für einen Rookie. Etwas mehr Muskelmasse soll noch hinzukommen, dann sollte das Talent bereit für NHL-Games sein.
Davon will er aber vorerst noch nichts wissen. "Ich habe noch nichts erreicht und muss erst einmal ins Team kommen", meint er bescheiden. Dass es so kommen wird, zweifelt vor Ort niemand an. "Nach den ersten Gesprächen mit ihm habe ich ein sehr gutes Gefühl. Für unsere Zukunft ist er ein wichtiger Spieler, aber wir werden ihn nicht verheizen", bekräftige Oilers-Coach Dallas Eakins kürzlich.
Sein junger Schützling hört das gerne. Ihm sind die ständigen Superlativen zu viel. "Das ist einfach nur übertrieben, ich stehe ganz am Anfang", meint Draisaitl. Er will kein Heilsbringer oder Retter sein, er möchte so gut wie möglich Eishockey spielen. Möglichst weit weg von allen vorgezogenen Lobliedern.
Dazu zählen auch die Vergleiche mit Superstar Wayne Gretzky. Bereits vor dem Draft nannten ihn die Medien "German Gretzky". Das wird er in Edmonton wohl nicht mehr los, immerhin gewann die Eishockey-Legende mit den Oilers Ende der 1980er Jahre vier Stanley Cups als Kapitän.
Weit weg von Erfolgen
Seitdem wartet die Franchise allerdings vergeblich auf Titel. Schlimmer: Trotz drei Nummer-1-Picks in den letzten fünf Jahren reichte es seit 2006 nicht mehr für die Playoffs. Damals setzte es gegen die Carolina Hurricanes eine bittere 3-4-Niederlage in den Stanley Cup Finals.
Bei den Fans hat das Spuren hinterlassen. Von der einst frenetischen Stimmung in der Arena war zuletzt nichts mehr zu spüren. "Die Apathie der Oilers-Fans ist dramatisch gestiegen", schrieb NHL-Experte David Staples in seinem Blog. Von Lautstärken-Rekorden wie einst im Finale gegen die Hurricanes ist die Atmosphäre mittlerweile weit entfernt.
Aber auch hier gibt es Hoffnung für das nördlichste NHL-Team. Mit dem Rogers Place wird derzeit eine neue Spielstätte gebaut. Der fünfmalige Champion will Aufbrauch signalisieren. Mittendrin in den Planungen steht Draisaitl. Die Fan-Reaktionen via Twitter waren ausschließlich positiv. Man ist neugierig auf den Deutschen und gespannt, wo er seinen Platz im Team findet.
Center oder Außen?
Zahlreiche Scouts lobten seine Übersicht und Torgefahr, zweifelten teilweise aber auch an seinem Durchsetzungsvermögen im Zentrum. Dem widerspricht Draisaitl: "Ich sehe mich schon eher als Center, aber natürlich kann ich auch außen spielen."Noch ist es ohnehin zu früh, über eine Position innerhalb des Teams für ihn zu spekulieren. Aber auch GM Craig MacTavish bekräftigte, dass man Draisaitl in erster Linie als Center sehe.
Außerdem: Kurz vor dem Draft tradeten die Oilers noch Center Sam Gagner. Für ihn kam Flügelstürmer Teddy Purcell aus Tampa Bay in den Norden. Sollten die Oilers also keinen weiteren Center mehr verpflichten, könnte Draisaitl bereits demnächst seine ersten NHL-Partien eben auf jener Position absolvieren.
"Ich bin bereit"
Beim aktuellen Umbruch fehlt mit Blick auf den Kader natürlich große Erfahrung. Kapitän Andrew Ference ist in der unstabilen Abwehr mit 35 Jahren der älteste Akteur. Die restlichen Verteidiger sind zwischen 22 und 28 Jahren. Und vorne hat sich der 38-jährige Forward Ryan Smyth verabschiedet.
Draisaitls Rechnung im Kontext dieser Kaderpläne ist einfach. "Ich werde hart arbeiten und alles dafür geben, dass die Oilers ihr Vertrauen in mich nicht bereuen." Und bei aller Bescheidenheit ist die Vorfreude auf künftige Duelle mit den NHL-Stars groß.
"Ich will keinen herausheben, alle sind Vorbilder für mich", sagt der gebürtige Kölner, der früher Fan der Detroit Red Wings war. Jetzt zählen aber nur noch die Oilers. Und der NHL-Auftakt am 10. Oktober gegen die Calgary Flames. "Ich bin bereit", verspricht Draisaitl zum Abschied. Das nächste Training wartet schon.
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