Peter Draisaitl im Interview: "Was mich an Leon beeindruckt, ist seine Fähigkeit, sich anzupassen"

Florian Regelmann
17. Dezember 202110:28
Leon Draisaitl ist Topscorer der Edmonton Oilers.getty
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23 Tore in 28 Spielen - keiner hat in der bisherigen NHL-Saison so oft getroffen wie Leon Draisaitl. Der Superstar der Edmonton Oilers gehört zweifelsohne zu den besten Eishockeyspielern der Welt. Aber obwohl der 26-Jährige aktuell vielleicht Deutschlands größter Sportler ist, redet kaum jemand über ihn. Vater Peter Draisaitl spricht im Interview mit SPOX über die Entwicklung seines Sohnes und erklärt dessen größte Stärke.

Peter Draisaitl blickt außerdem auf die Olympischen Spiele in Peking voraus und verrät, warum Deutschland auch in einem Turnier mit allen NHL-Stars viel zuzutrauen ist.

Dazu erzählt der 56-Jährige von den traumatischen Erlebnissen, die er zuletzt als Coach in der Slowakei machen musste.

Herr Draisaitl, als Coach der Bratislava Capitals wurden Sie zuletzt von zwei Todesfällen binnen weniger Tage erschüttert. Erst kollabierte Spieler Boris Sadecky mit einem Herzstillstand in einem Spiel und verstarb später im Krankenhaus. Nur zwei Tage nach seinem Tod nahm sich der Geschäftsführer aus Schuldgefühlen das Leben. Der Verein zog sich als Folge aus dem Ligabetrieb komplett zurück. Wie geht es Ihnen?

Peter Draisaitl: Danke, mir geht es soweit gut. Natürlich war es eine sehr seltsame und surreale Zeit. Was bei uns innerhalb von einer Woche passiert ist, kannst du dir in den schlimmsten Albträumen nicht vorstellen. Seitdem läuft der Prozess der Verarbeitung, das ist bei jedem individuell anders. Ich komme klar. Ich bin der Meinung, dass wir die einzig richtige Entscheidung getroffen haben, uns aus dem Spielbetrieb zurückzuziehen. Die Jungs waren extrem angeschlagen verständlicherweise. Weiterzuspielen wäre eine Quälerei gewesen.

Wissen Sie schon, wie es für Sie weitergeht?

Draisaitl: Der Stand der Dinge ist so, dass ich bei den Capitals bleiben werde, aber nicht als Trainer, sondern in einer Management-Position. In die Richtung eines sportlichen Leiters. Ich habe Lust darauf, hier dabei mitzuhelfen, eine ganz frische Eishockey-Organisation aufzubauen. Das ist eine interessante Aufgabe.

Peter Draisaitl: Was mich an Leon am meisten beeindruckt

Kommen wir zu schöneren Themen: Ihr Sohn Leon führt die NHL bei den Toren an, in der Scorerliste liegt er mit 46 Punkten nur einen Punkt hinter seinem kongenialen Partner Connor McDavid. Vor allem sein Start in die Saison mit 20 Toren in 20 Spielen war absolut atemberaubend.

Draisaitl: Für mich als Vater ist es vor allem wichtig, dass Leon gesund ist und es ihm gut geht. Das ist für mich entscheidend. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben, egal wie viele Tore er schießt. Wenn ich morgens aufwache und weiß, bei Leon ist alles in Ordnung, dann reicht mir das als Papa. Wenn es darüber hinaus noch so gut läuft sportlich, dann umso besser und schöner, aber darauf liegt nicht mein Fokus.

Peter Draisaitl mit Sohn Leon Draisaitl aus dem Jahr 2013.imago images

Aber Sie müssen doch ein wenig beeindruckt sein von dem, was er leistet?

Draisaitl: Leon hat schon den einen oder anderen individuellen Award gewonnen in seiner Karriere, aber glauben Sie mir: Es ist ihm nicht wichtig. Für Leon ist einzig und allein wichtig, mit dem Team Erfolg zu haben. Das treibt ihn an. Es ist ihm vollkommen egal, ob er die 50-Tore-Marke knackt. Das sind alles so Statistiken, die ich nicht mag. Er hat lieber 15 Tore weniger auf dem Konto und reißt dafür endlich was mit den Oilers in den Playoffs. Das ist so, das kann ich hoch und heilig versprechen. Aber es gibt etwas, was mich beeindruckt.

Woran denken Sie?

Draisaitl: Was mich an Leon beeindruckt, ist seine Fähigkeit, sich anzupassen und Schritt für Schritt zu verbessern. Das konnte er von klein auf. Er hat als Kind oft gegen Jungs gespielt, die zwei oder drei Jahre älter waren, das hat ihm geholfen. Er hat dann immer ein bisschen Zeit gebraucht, um sich zu adaptieren, aber er hat es immer geschafft und einen Weg gefunden, um sich auf das nächsthöhere Niveau zu hieven. Das war schon damals in Mannheim so, das war in Kanada in den Juniors so und auch bei den Oilers in der NHL. Das ist seine größte Stärke.

"Jede Landesliga im Fußball ist wichtiger als Eishockey"

Leon steht seit letzter Saison bei einer Plus-Minus-Bilanz von +38. Würden Sie sagen, dass er sich beim Spiel ohne Scheibe am meisten verbessert hat?

Draisaitl: Definitiv. Das Spiel ohne Scheibe, das defensive Positionsspiel, das Spiel defensiv besser zu lesen - er hat sich in diesem Bereich enorm gesteigert. Aber nicht nur dort: Er ist auch am Bullypunkt besser geworden, er schießt besser als vor einigen Jahren. Aber genau das zeichnet diese Jungs aus. Sie sind nie zufrieden. Niemand auf dem Planeten ist ein besserer Schlittschuhläufer als Connor McDavid. Es geht nicht besser. Aber dann kommt er nach dem Sommer zurück und wird gefragt, woran er gearbeitet hat, und was sagt er? Schlittschuhlaufen. So ticken diese Jungs und Leon gehört auch in diese Kategorie. Ohne diese Einstellung könntest du auch nicht über Jahre auf so einem hohen Niveau spielen, das ist vollkommen ausgeschlossen.

Was in Edmonton heraussticht, ist das brutal starke Power Play. Was ist aus Ihrer Sicht der Schlüssel für den Erfolg?

Draisaitl: Ich glaube, dass die Chemie und die Eingespieltheit neben der individuellen Klasse wahrscheinlich der größte Faktor ist. Das gilt nicht nur für McDavid und Leon, Ryan Nugent-Hopkins ist auch schon lange dabei, sie haben über die Jahre ein blindes Verständnis entwickelt und wissen genau, was der andere als Nächstes machen wird. Und sie nutzen die Stärken gegenseitig viel besser aus und lassen die Scheibe besser und schneller laufen. Also ich würde nicht gerne als Penalty-Killer auf dem Eis stehen gegen dieses Power Play, da sieht man teilweise seltsam aus. (lacht)

Leon Draisaitl mit Connor McDavidgetty

Trotz seiner Leistungen und trotz seiner schon gewonnenen Awards bekommt Leon nicht wirklich den Respekt, den er verdient. Teilweise gilt das für die NHL, vor allem gilt das aber für Deutschland. Dabei ist er aktuell vielleicht der größte deutsche Sportler, den wir haben. Warum ist das so?

Draisaitl: Mein ganzes Leben lang ist es schon so, dass Eishockey in Deutschland nicht den Stellenwert bekommt, den es verdient hätte. Das hat Leon nicht exklusiv. Jede Landesliga im Fußball ist wichtiger als Eishockey, das ist einfach so. Ich habe nichts gegen Fußball, aber ich finde es schade, dass das Potenzial nicht genutzt wird, gerade mit einem Aushängeschild für die Sportart wie Leon. Aber keine Sorge, Leon kommt damit klar. (lacht) Ich finde es aber genauso schade für jeden Ruderer oder Leichtathleten, der nicht die nötige Anerkennung bekommt. Aber es ist wie es ist.

McDavid gilt universell als derzeit bester Spieler der Welt. Danach wird vor allem Nathan MacKinnon genannt, Leon eher weniger.

Draisaitl: Ich kann mit diesen Diskussionen herzlich wenig anfangen. Nach welchen Kriterien wollen wir das denn bewerten? Ist ein Stürmer wichtiger als ein Verteidiger? Oder ist doch der Goalie am wertvollsten? Bin ich besser, wenn ich Tore verhindern kann, oder wenn ich 50 schieße? Ist nicht derjenige der beste Spieler der Welt, der die meisten Stanley Cups gewonnen hat? Man kann vielleicht sagen, dass McDavid offensiv der beste Spieler aktuell ist. Aber es gibt sicher Spieler, die einen besseren Schuss haben. Die bessere Bully-Spieler sind. Für mich führen diese Diskussionen zu nichts. Ich wünsche jedem Spieler einfach, dass er wenigstens einmal in seiner Karriere das Glück hat, am Ende einer Saison etwas in die Höhe stemmen zu dürfen. Darum geht es und dieses Gefühl ist mit nichts zu vergleichen.

Okay, ein anderer Versuch: McDavid/Draisaitl ist sicher jetzt schon eines der besten Duos der Geschichte. Wir denken an Mario Lemieux und Jaromir Jagr oder an Peter Forsberg und Joe Sakic beispielsweise. Wem ähneln McDavid/Draisaitl am meisten?

Draisaitl: Das ist eine gute Frage, auch wenn es schwer zu vergleichen ist. Alleine schon deshalb, weil niemand so ein Typ ist wie McDavid. Vielleicht am ehesten MacKinnon oder Matthew Barzal, aber das ist schwierig. Was man aber sagen kann, ist, dass Connor und Leon der Wille verbindet, sich gegenseitig hochzuziehen und das Team nach vorne zu bringen. Diesen Willen sieht man bei beiden. Sie tun alles dafür, mit den Oilers endlich in den Playoffs Erfolg zu haben.

Auch wenn Edmonton zuletzt eine Krise hatte, es wäre auch mal an der Zeit für einen langen Playoff-Run.

Draisaitl: Es ist unbedingt an der Zeit. Die Öffentlichkeit in Kanada hat zu hundert Prozent Recht, wenn sie jetzt Playoff-Erfolge von den Oilers erwartet. Wenn nicht jetzt, ja wann denn dann bitteschön? Connor und Leon sind jetzt Mitte 20, es muss jetzt passieren.

Peter Draisaitl: "Wenn es ein Trottel nicht versaut hätte"

Bevor es in den Playoffs heiß wird, stehen die Olympischen Spiele in Peking an. Auch wenn immer mehr Zweifel aufkommen aufgrund der Coronalage, hoffen wir alle, dass die NHL-Jungs dabei sein werden.

Draisaitl: Die Olympischen Spiele sind alle vier Jahre das größte Sportereignis der Welt. Stimmt doch, oder? So habe ich das jedenfalls verstanden. Wenn das so ist, dann müssen doch aber auch die besten Spielerinnen und Spieler daran teilnehmen. Ich verstehe die Sichtweise der Besitzer in der NHL zwar gut. Sie haben gar nichts davon und bekommen im schlechtesten Fall einen verletzten Spieler zurück. Dennoch müssen die Jungs da einfach dabei sein. Das olympische Eishockey-Turnier ist ohne sie einfach nicht das gleiche. Ich habe für Peking nur die Befürchtung, dass die Winterspiele aufgrund der Pandemie nicht das Flair haben werden, das ich dreimal erleben durfte. Das wäre bitter und das würde mir für die Sportler sehr leidtun.

2018 hat Deutschland sensationell Silber geholt. Das ist aber nicht realistisch, wenn die NHL-Stars bei allen Ländern dabei sind. Oder was ist Ihre Prognose?

Draisaitl: Ich habe nicht die geringste Ahnung. Natürlich sind Kanada und Russland die großen Favoriten, das waren sie immer und das werden sie wohl auch immer bleiben, aber ich habe das Gefühl, dass einer deutschen Eishockey-Nationalmannschaft in einem großen Turnier heutzutage alles zuzutrauen ist. Es gibt keine Mannschaft, die so aufopferungsvoll spielt wie die deutsche, das haben wir in den vergangenen Jahren gesehen. In einem kurzen Turnier ist da alles möglich. Es ist zwar nie gut genug, aber im deutschen Eishockey hat sich viel getan im letzten Jahrzehnt, was die Ausbildung und Förderung der Talente angeht. Dort wurde ein sehr guter Job gemacht.

Das DEB-Team mit Peter Draisaitl 1992 in Albertville.imago images

Sie waren dreimal bei Olympia dabei, woran denken Sie am liebsten zurück?

Draisaitl: Es ist unmöglich, ein Erlebnis herauszustellen. Nagano war ganz besonders, weil du da ganz nah an Wayne Gretzky und Co. dran warst, das war natürlich saulässig. Dann war ich als ganz junger Kerl 1988 in Calgary dabei, im Eishockey-Mekka Kanada, im Saddledome, das war mein erstes großes Turnier überhaupt und ein absolutes Highlight. Vier Jahr später Albertville war auch großartig, dort hätten wir auch noch ein bisschen weiter kommen können, wenn es ein Trottel nicht versaut hätte. (lacht)

Wann haben Sie Ihren berühmten Penalty das letzte Mal gesehen?

Draisaitl: Ach, keine Ahnung. Alle vier Jahre, wenn ihr Journalisten das thematisiert und es irgendwo im TV nochmal zu sehen ist. Aber wie auch immer: Olympische Spiele sind das Nonplusultra im Sport, diese Erfahrungen werden immer bleiben.