Auf den großen Tennis-Bühnen haben Andrea Petkovic längst andere die Schau gestohlen. Angelique Kerber, ihre einst dicke Freundin, die sich hinauf bis auf Platz 1 der Weltrangliste und zu zwei Grand-Slam-Triumphen katapultierte. Oder auch Julia Görges, die andere ehemalige Verbündete, die gerade in der Form ihres Lebens nach höchsten Tenniszielen Ausschau hält. Kerber, Nummer 16 der Welt, und Görges, Nummer 12 der Welt, sind Mitfavoritinnen bei den Grand-Slam-Festlichkeiten, an ihnen führt kein Weg zum Titel vorbei.
Und Petkovic? Sie ist langsam, aber schier unaufhaltsam nach unten gesunken, gewann im letzten Jahr nur ein einziges Grand-Slam-Match. Inzwischen steht die einstige Spiel- und Wortführerin des deutschen Fräuleinwunders nur noch knapp in den Top 100 der Hackordnung, genau auf Platz 98. Aber trotzdem: Was kann einem schon eine dieser Tennis-Achterbahnfahrten mit Petkovic ersetzen, eins dieser verrückten, zwischen Klasse und Krampf, Glanz und Elend umherschwankenden Duelle.
Wilde Aufführung in drei Akten
Einen denkwürdigen Thriller, wie man ihn am zweiten Wettkampftag der Australian Open erlebte - vom späten Nachmittag bis in den frühen Abend hinein, über zwei Stunden und 52 Minuten. Einen Unterhaltungshit mit der stolzen, glücklichen, mit sich und der Welt zufriedenen Siegerin Petkovic, die schließlich ihren vierten Matchball auf Platz Zwei zum 6:3, 4:6, 10:8-Sieg über Petra Kvitova nutzte, nun auf die Amerikanerin Lauren Davis trifft. "Es ist nur eine Momentaufnahme. Aber es ist schon eine große Genugtuung nach dem letzten Seuchenjahr", sagte Petkovic.
Längst hatte sich Kerber, die Wieder-Favoritin und Ex-Siegerin, an diesem Dienstag mit einem souveränen 6:0, 6:4-Sieg über Landsfrau Anna-Lena Friedsam in die zweite Runde vorgespielt, da begann die schrille Tennis-Oper mit Drama-Queen Petkovic in der meist tragenden Hauptrolle und der zweimaligen Wimbledon-Gewinnerin Petra Kvitova. Es war eine wilde Aufführung in drei Akten, oft großartig, manchmal kläglich. Es war auch ein Nervenkrieg in all den Turbulenzen und Schwankungen, in den immer neuen Drehungen und Wendungen des Drehbuchs. "Ich weiß selbst nicht, wie ich den Kopf oben gehalten habe", sagte Petkovic später, "ich dachte nur immer wieder: Denk´ nicht so viel. Und irgendwie hat es geklappt."
In der Tat, ihre Coolness in der Hitze dieses Tennis-Gefechts konnte schon erstaunen. Vor allem, weil Petkovic in vergleichbaren Grand-Slam-Lagen schon schlimme emotionale Zusammenbrüche erlebt hat - regelrechte Kollapssituationen, nach denen man nicht wusste, ob sie noch jemals wieder einen Tennisplatz betreten würde. Doch an diesem 16. Januar 2018 setzte sie für sich bei diesem Turnier, vielleicht aber auch für die gesamte Saison ein dickes Ausrufezeichen.
Immer weiter, immer weiter
Weil sie nie, nie, niemals aufgab, "nicht jammerte und heulte", obwohl sie die dicksten Gelegenheit zum Prestigeerfolg verhaute, im dritten Satz sogar einen 4:0 und 40:15-Vorsprung zusammenschmelzen ließ, kurze Zeit später drei Matchbälle vergab und plötzlich wieder mit beinahe leeren Händen da stand. "Eine unglaubliche Energieleistung", erkannte da zurecht die Damen-Abteilungsleiterin beim DTB, Barbara Rittner.
Umso mehr, da Petkovic mehrfach selbst der gallenbitteren Niederlage ins Auge blickte, und zwar, als die kraftvolle Kvitova jeweils bei 6:5 und 8:7 zum Sieg servierte. Ganz am Ende musste Petkovic dann freilich gar nichts mehr tun, um einen sehr speziellen Sieg zu feiern: Mit Kvitovas zehntem Doppelfehler senkte sich der Vorhang für diesen Tennis-Krimi mit deutschem Happy-End.
Vorerst geht die Grand-Slam-Reise also weiter für die Darmstädterin, die noch immer von einem Comeback in der Weltspitze träumt. Und auch mit aller Macht zurück nach oben will: "Auf die Dauer um Platz 100 zu stehen, würde mich nicht befriedigen. Das wäre nicht mein Ding." Innerlich hat sich Petkovic, wie sie selbst sagt, "die Pistole auf die Brust gesetzt": "Wenn ich sehe, dass es für bestimmte Ziele nicht reicht, dann ist es auch gut. Dann könnte ich loslassen."
Wiedersehen mit dem "Ex"
Kerber, die Frau, die von Petkovic einst selbst vor einem Rücktritt bewahrt wurde, hat in Melbourne jetzt ein besonderes Rendezvous vor Augen. Denn am Donnerstag, an ihrem 30. Geburtstag, muss die Kielerin aufpassen, dass sie nicht versehentlich mit ihrem engsten, langjährigen Mitarbeiter Kontakt in der Trainerloge aufzunehmen versucht. Torben Beltz, der ewige Mann an ihrer Seite, der Mann, der sie zur Nummer 1 gemacht hat, ist nach der Trennung zum Jahresende 2017 nun der Coach einer gewissen Donna Vekic.
Und die ist Kerbers Zweitrundengegnerin, vermutlich dann sogar auf dem Centre Court. "Ich werde das ausblenden. Es geht nur um das Spiel Kerber gegen Vekic", sagt Kerber. Auch Alexander Zverev überstand seine Erstrundenaufgabe am Dienstag ohne großen Nervenkitzel, er trifft nach dem 6:1, 7:6 (7:5), 7:5 über den Italiener Thomas Fabbiano nun auf Landsmann Peter Gojowczyk.