Nach dem Eintrag in die Tennis-Annalen lief Ons Jabeur überglücklich über den Suzanne-Lenglen-Court und schwenkte stolz die tunesische Flagge. Die Tragweite ihres Drittrundeneinzugs bei den French Open war der Muslimin an diesem Pariser Sommerabend durchaus bewusst - ihrer Schlagfertigkeit taten die Emotionen und Tränen aber keinen Abbruch.
"Nur meine Stoppbälle zeigen"
"Ich habe keinen Druck verspürt. Ich wollte einfach mich und meine Stoppbälle zeigen", meinte die Weltranglisten-114. Jabeur lapidar und scherzte: "Wenn ich gewinne, sage ich immer, 'klar, ich repräsentiere die arabische Welt'. Aber wenn ich verliere, versuche ich einfach nur, Ons Jabeur zu sein."
Sie war Ons Jabeur an diesem denkwürdigen vierten Turniertag, aber sie repräsentierte "mit Stolz" auch ihre Welt, die im Tennissport bislang noch nicht wirklich präsent war. Durch das 6:4, 6:3 gegen die die Weltranglistensiebte Dominika Cibulkova (Slowakei) steht die 22-Jährige aus Monastir als erste arabische Spielerin in der dritten Runde eines Grand-Slam-Turniers.
"Es ist ein Traum, ich fühle mich hier in Paris wie zu Hause, weil mich so viele tunesische Fans von den Rängen unterstützen", sagte Jabeur in einem der unzähligen Interviews in den Katakomben am Bois de Boulogne.
Als Lucky Loser ins Hauptfeld
Kurioserweise hatte sie den Einzug ins Hauptfeld von Roland Garros Laura Siegemund zu verdanken. Weil die Stuttgart-Siegerin wegen ihres Kreuzbandrisses kurzfristig absagen musste, rutschte die mit einem Halb-Russen verheiratete Jabeur trotz ihrer Niederlage in der dritten Qualirunde doch noch ins Klassement. "Es ist so etwas wie eine zweite Chance. Vielleicht sollte es einfach so sein", meinte die Juniorensiegerin der French Open von 2011.
Den Fauxpas, dass eine TV-Anstalt die 1,67 Meter kleine Jabeur gleich mal als Französin ankündigte, nahm sie gelassen hin. Und natürlich kam bei ihrer Pressekonferenz im größten aller Säle die Frage nach dem vierwöchigen Ramadan, der am vergangenen Samstag begann und in dessen Verlauf Muslime von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nichts zu sich nehmen dürfen.
"Ich kann hier nicht spielen, ohne zu essen und zu trinken. Aber nach dem Turnier werde ich es nachholen - Tag für Tag", erklärte Jabeur, die in ihrer Heimat als äußerst emanzipiert gilt. Dass sie, die für Tunesien bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016 teilnahm, auch in der Slowakei trainiert, nehmen ihr die Tunesier nicht übel.
Grand-Slam-Fluch durchbrochen
Durch den Drittrundeneinzug bei ihrem Lieblingsturnier hat Jabeur bereits 118.000 Euro sicher. Das ist fast ein Drittel von dem, was sie zuvor in sechseinhalb Jahren als Profi verdiente. Die extrovertierte Tunesierin, die am Freitag im Match um den Sprung ins Achtelfinale auf die Schweizerin Timea Bacsinszky (Nr. 30) trifft, hatte bis zu ihrem Coup gegen WTA-Weltmeisterin Cibulkova noch kein einziges Match in einem Grand-Slam-Hauptfeld gewonnen. Dabei galt sie in Juniorinnentagen als eines der größten Talente.
Das Nachwuchsfinale von Paris vor sechs Jahren zum Beispiel gewann Jabeur gegen Monica Puig (Puerto Rico), die inzwischen Olympiasiegerin ist. Um Jabeur finanziell auf die Sprünge zu helfen, investierte der Tennis-Weltverband ITF 50.000 US-Dollar. "Das hat für mich alles geändert. Ich muss jetzt nicht mehr zuerst ans Geld denken und kann mich auf meinen Sport konzentrieren", sagte Jabeur. Für einen Achtelfinaleinzug in Paris gibt es übrigens 200.000 Euro.
Die French Open im Überblick