Von Jörg Allmeroth aus New York City
Als Andrea Petkovic um die Zwanzig war, hat sie die zehn Jahre älteren Kolleginnen oft etwas schief angeguckt. "Ich fragte mich: Warum machen die das noch? Müssen die etwa noch ums Geld spielen", sagt Petkovic. In ein paar Wochen, am 29. September, wird Petkovic selbst Dreißig - und inzwischen glaubt sie die Antwort auf die Frage zu kennen, die sie sich selbst einst gestellt hatte. "Ich mag immer noch die Herausforderung, ich liebe diesen Sport. Trotz aller Enttäuschungen, trotz aller Rückschläge", sagt die Darmstädterin, "das geht fast allen auf der Tour so."
Petkovic war einst die Anführerin im deutschen Damentennis. Die nationale Nummer eins, die Wortführerin - und die erste Spielerin dieser goldenen Generation, die in die Weltspitze vorpreschte, sogar unter die Top Ten. Seit Jahren läuft sie nun schon den ganz großen und sogar den kleineren Erfolgen hinterher, sie war oft verletzt, sie war aber auch oft zu kopflastig als Professional, hinterfragte zuviel, wirkte zu kompliziert für das brutale Einzelkämpferinnen-Geschäft.
Feuer noch nicht erloschen
"Ich habe immer noch Lust. Auch wenn es nicht gut läuft für mich seit einiger Zeit", sagt Petkovic, die in New York am Mittwoch ihr Erstrundenmatch gegen die Lokalmatadorin Jennifer Brady in drei Sätzen verlor. Niederlagen gehören zum Alltagsgeschäft für Petkovic inzwischen. Oft weiß sie selbst nicht, warum sie wieder verloren hat, rätselt eher über die Ursachen: "Ich spiele keineswegs grottenschlecht, oft fehlen nur klitzekleine Details. Oder ein Big Point, den ich nicht mache", sagt sie, "es ist schon frustrierend. Der Weg nach oben ist echt schwer geworden, aber ich will ihn noch mal gehen."
Auch Sabine Lisicki, die Fed-Cup-Kollegin von Petkovic und Leidensgenossin als Verliererin in der US-Open-Auftaktrunde, war einmal eine große Nummer im deutschen Tennis, zwischenzeitlich auch die Beste in der deutschen Hackordnung. Tennis mit Lisicki war immer eine dramatische Inszenierung, sie war das Showgirl in Barbara Rittners Truppe. Und sie hatte, noch vor Angelique Kerber, die große, verlockende Chance auf Grand-Slam-Ruhm, sogar beim größten Szenespektakel überhaupt. Aber nach einem magischen Durchmarsch versagten ihr im Wimbledon-Finale 2013 die Nerven, als Favoritin verlor sie das Match gegen die Französin Marion Bartoli.
Und danach ging es nur noch bergab für die Berlinerin, Trainer kamen und gingen, der Erfolg aber blieb aus. Die dicksten Schlagzeilen schrieb Lisicki nur noch abseits des Center Courts, als verlassene Lebensgefährtin des Comedians Oliver Pocher. Zuletzt machte sie "eine harte und schlimme Zeit durch", war monatelang verletzt. Nun bastelt die Blondine, die einst Bum-Bum-Bine genannt wurde, wieder einmal an einer Rückkehr in die Weltspitze, beim werweißwievielten Comeback.
Als Trainer ist nach vielen Irrungen und Wirrungen mit anderen Übungsleitern jetzt erneut Vater Richard Lisicki an Bord, zurück in die Zukunft also. "Ich habe immer noch diese unheimliche Liebe zu diesem Sport. Sonst wäre ich nicht mehr hier", sagt Lisicki, "ich fühle mich frisch und ausgeruht im Moment. Auch wie befreit." Schon bald will sie wieder in den Top 100 stehen.
Längst nicht mehr erste Geige
Petkovic wie Lisicki erscheinen wie Jägerinnen der verlorenen Schätze, und wenn sie wie in diesen Tagen bei einem Grand-Slam-Turnier aufschlagen, dann hat man eher die sentimentalen Erinnerungen an bessere Zeiten vor Augen - auch, weil sie beide weit von ihren früheren Erfolgen entfernt sind, sehr weit sogar. Petkovic und Lisicki spielen schon länger nicht mehr auf Centre Courts oder anderen Hauptplätzen, sie sind auch schon von ein, zwei neuen Generationen im Damentennis überholt worden.
Dass das Spiel heute physisch viel anspruchsvoller ist als noch vor ein paar Jahren, macht die Comebackmission nicht leichter. Petkovic ist gerade auf Platz 93 der Rangliste notiert, Lisicki auf Platz 170. Bei den US Open konnte sie nur wegen einer Ausnahmeregelung für länger verletzte Spielerinnen starten. Gegen die Chinesin Zhang imponierte sie einen Satz lang mit vertrautem Powertennis und Aufschlagwucht, ehe das Spiel kippte. Die Hoffnung auf einen Durchbruch: Vertagt.
Beide eint ein Ziel, ein Impuls: Sie wollen den vielen Kritikern und Zweiflern zeigen, dass sie nicht etwa schon ein Tennis-Abschreibungsobjekt sind. Aber sie wollen auch und besonders sich selbst zeigen, dass die vielen Stunden harter Arbeit auch zu einem Ziel führen können - einem Platz in der erweiterten Weltspitze wenigstens, mittel- bis langfristig. "Es klingt wie ein leiernde Platte: Aber ich glaube wirklich an mich", sagt Petkovic, "wenn das mal nicht mehr so ist, müsste ich mir Gedanken machen." Dann wäre wieder New York im Spiel, denn in die Stadt, die niemals schläft, will Petkovic nach ihrem Karriereende ziehen.