Der Wanderzirkus geht am Stock

Andy Murray
© getty

Andy Murray humpelte vom Platz, Novak Djokovic steht mit seinen Ellenbogen-Problemen vor einer ungewissen Zukunft. Der unerbittliche Tingelbetrieb fordert seine Opfer.

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Der Titelverteidiger hinkte über den Centre Court, jeder Schritt und jeder Schlag nur noch eine Qual. Und während der malade, hüftkranke Andy Murray am Ende seines Viertelfinals gegen den kantigen Amerikaner Sam Querrey einen aussichtslosen Kampf noch bis zum Fünf-Satz-Aus tapfer durchstand, ganz der schottische "Braveheart", schmiss drüben auf Court 1 der schwer angeschlagene Novak Djokovic gleich das Handtuch. 6:7 und 0:2 lag der Serbe zurück gegen den Tschechen Tomas Berdych, da schritt er mit grimmiger Miene ans Netz und gab wegen einer heftigen Ellbogenverletzung auf.

Es waren wahrlich nicht die Bilder, die man sehen wollte am berühmtesten Schauplatz der Tennisszene, im grünen Grand Slam-Reich an der Church Road: Die Nummer 1 und 2 der Setzliste, die Hälfte der Großen Vier, vereint im Schmerz und Frust. Unfähig, in der heißen, zugespitzten Turnierphase noch um die bedeutendste Trophäe mitzuspielen.

"Herausforderungen sind extrem geworden"

Aber dieser schwarze Mittwoch von Wimbledon war auch das bisher eindringlichste Warnzeichen, ein Alarmsignal für die zunehmend gravierende Verletzungsproblematik in der Hochleistungsszene des Spitzentennis. Die immer höhere Intensität der Spiele, die steil angewachsene physische Belastung und ein überfüllter Terminkalender fordern unweigerlich ihren Tribut: Sorgte zu Beginn der Ausscheidungsspiele noch eine Aufgabeserie und die Abkassierermentalität von weniger bekannten Tennisnomaden für Aufregung, deutete der malade Zustand zweier Superstars vom Schlage Murrays und Djokovics nun auf eine tiefergehende Misere in diesem Profisport. "Die Herausforderungen sind extrem geworden", sagte Djokovic.

Was er später nach seiner Aufgabe entlarvte, war nicht mehr ganz überraschend, aber bestürzend: Seit anderthalb Jahren schon schleppe er sich mit einer Ellbogenverletzung herum, Schmerzen seien dabei "ein ständiger Begleiter" gewesen. Erst als es gegen Berdych, ausgerechnet in Wimbledon, "gar nicht mehr weiterging", zog der 30-jährige Championspieler die Notbremse. Sehr wahrscheinlich wird Djokovic nun eine längere Pause einlegen, vielleicht sogar den Rest der Saison sausen lassen. Er sei es leid, "nur kurzfristige Lösungen ins Auge zu fassen."

Anderer Sport als vor fünfzehn Jahren

Das vollgepackte Arbeitsprogramm auf der Tingeltour über Kontinente und durch Zeitzonen hinweg macht schon den Spielern aus dem Unterbau, aus dem Mittelstand heftige Schwierigkeiten. Einerseits sind alle Akteure fitter und besser austrainiert, auch besser vorbereitet von ihren Betreuerteams, doch gleichzeitig duellieren sich die Rivalen der Centre Courts immer länger, härter und unerbittlicher. "Es gibt keine leichten Spiele mehr. Tennis ist ein ganz anderer Sport als noch vor zehn, fünfzehn Jahren", sagte Murray, der angezählte und ausgeschiedene Lokalmatador in Wimbledon.

Die Topleute an der Spitze der Pyramide bekommen es heftig zu spüren: Sie sollen die Marke Tennis überall auf dem Globus repräsentieren, am besten jede Woche und dann so lange wie möglich - auch im Interesse der großen Geldgeber, der Sponsoren, der Fans. Doch die Hetzjagd bleibt nicht ohne Konsequenzen: Roger Federer und Rafael Nadal hatten in den letzten Jahren immer wieder mit kleineren und größeren Verletzungen zu kämpfen, Nadal pausierte während seiner Karriere sogar schon runde drei Jahre lang. Und nun zeigen sich massive Verschleisserscheinungen auch bei Murray und Djokovic, also denen, die den Maestro und den Matador zwischenzeitlich abgelöst hatten in den Führungspositionen. "Es hat schlicht keinen Sinn mehr, so weiterzumachen", sagte Djokovic am Mittwoch. Er wird sich vermutlich viel rarer machen im Rest seiner Tenniskarriere.

Bitterer Anblick

Eine längere Auszeit hat auch Murray im Sinn, der seit der Übernahme der Nummer-1-Position in der vorigen Saison in der Ergebniskrise steckte - aber das konnte nur die wundern, die nicht wussten, welche Tortur und welcher Aufwand hinter dieser erfüllten Mission steckte. "Es war ein dauerndes Auf und Ab mit Verletzungen zuletzt", sagte der Schotte. Und doch hatte er sich, Risiko hin und her, noch ein weiteres Mal auf die Courts geschleppt, zum sommerlichen Saisonhöhepunkt in Wimbledon. "Hoffentlich hat er damit nicht alles noch viel schlimmer gemacht", meinte Britanniens früherer Tennisheld Tim Henman, "es war ein bitterer Anblick, dieser schmerzvolle Auftritt von Andy."

Kein Wunder, dass der große Profiteur im kränkelnden Grand-Slam-Unternehmen, zuletzt die segensreiche Wirkung einer sehr langen Pause erlebt hatte: Comeback-Supermann Roger Federer. Als er im letzten Jahr die Reißleine zog, weil er auch in Wimbledon von hartnäckigen Knieschmerzen gepeinigt wurde, hatte er zunächst "große Sorgen und Zweifel", wie es weitergehen würde mit seiner Karriere. Doch die sechsmonatige Auszeit wirkte wie das Bad im Jungbrunnen. Ausgeruht, frisch und neu motiviert kehrte Federer zurück, gewann sofort die Australian Open und ist nun auch als letzter im Turnier verbliebener Star aus der Top-Vier-Elitegruppe der haushohe Favorit in Wimbledon. "Pausen sind Teil der Arbeit als Profi, sie können sehr nützlich sein", sagt Federer, "wir müssen allen Spielern mehr Raum dafür geben."

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