Von Jörg Allmeroth aus London
Am letzten Freitag hat Boris Becker wieder einmal Geburtstag gefeiert. Seinen zweiten Geburtstag, den am 7. Juli. Becker nennt diesen Tag, der ihn als 17-jährigen Teenager in die Tennis-Stratosphäre katapultierte, auch Geburtstag. 32 Jahre liegt der Tag zurück, der 7. Juli 1985, der Tag, an dem er Kevin Curren schlug und zum ersten Mal Wimbledonsieger wurde. Die Bilder dieses Tages sind noch so klar wie gestern, aber in Wahrheit liegt dieser Tag nun schon eine kleine Ewigkeit her. Und natürlich liegt eine Frage auf der Hand, derzeit, in diesem Sommer 2017: Beckers Ruhm ist ja unvergänglich, er ist immer noch der jüngste Wimbledonsieger, einer mit der größten Strahlkraft überhaupt, aber wo zum Teufel ist all sein Geld und sein Lohn für die Großtaten abgeblieben?
In Wimbledon ist der tatsächlich 49 Jahre alte Becker immer eine Erscheinung gewesen. Und er ist auch eine Erscheinung geblieben, der von den Briten meistverehrte deutsche Sportstar. Becker musste sich in den beiden Wimbledon-Wochen auch als längst pensionierter Tennisprofi gar nicht in den Vordergrund schieben, um große, eher herausragende Beachtung zu finden. Oder von den Fans umjubelt zu werden. Becker ist im besten Sinne Teil der großen Wimbledon-Geschichte, und so ist er auch behandelt worden, als Respektsperson. Becker hat das mit Genugtuung erfüllt, besonders in jenen Zeiten, in denen er daheim als "Old Twitterhand" oder Fliegenklatschen-Fernsehgast in die Spottgesänge geriet.
Gewohnte Attitüde
Doch was ist nur aus Wimbledon und Becker geworden, im Hier und Jetzt: Es wirkt alles wie ein großes Paradoxon, wie eine leicht schizophren angehauchte Szene. Während auf dem Kontinent Tag für Tag der Schuldenberg des 49-jährigen Tennishelden anzuwachsen scheint, zuletzt taxierte ein Schweizer Gericht allein gut 41 Millionen Franken Verbindlichkeiten gegenüber dem ehemaligen Geschäftspartner Hans-Dieter Cleven, marschiert Becker im All England Lawn Tennis Club in gewohnter Attitüde umher. Als gäbe es die Horrornachrichten und Hämelawinen nicht, berichtet Becker als geschätzter TV-Experte über die Stärken von Andy Murray oder weiht in die Geheimnisse der Rasenkunst von Roger Federer ein. Es ist, als spiele Becker mit eiskalten Nerven weiter ein großes Tennismatch, während das ganze Stadion drumherum sich gegen ihn aufgestellt hat. Das Allein-gegen-Alle-Spiel, das er früher so meisterlich beherrschte.
Er kann das finanzielle Drama gewiss nicht wegschieben, aber er läßt sich nichts, absolut nichts anmerken auf den ersten Blick. Schon gar nicht vor der Kamera, als Tennis-Welterklärer. Da beweist er gute Nerven wie bei einem Tiebreak auf dem Centre Court. Er sieht allerdings angegriffen und etwas gealtert aus, nicht nur wegen der körperlichen Beschwerden, die erstmals in der Zeit als Trainer von Novak Djokovic für viele Fans offensichtlich geworden waren. Becker hat schon Operationen an beiden Hüftgelenken über sich ergehen lassen müssen, außerdem hat er schon einen Eingriff am rechten Sprunggelenk hinter sich. Er kann nicht mehr einfach auf einen Tennisplatz gehen und entspannt und locker ein paar Bälle spielen. Es bereitet ihm Mühe, der Körper zahlt den Raubbau früherer Zeiten zurück.
Unumschränkter Boss
In den letzten beiden Jahren stand Becker als Chefcoach von Novak Djokovic an der Church Road unter Strom. Er war der unumschränkte Boss im Team, kaum einer kennt sich ja so mit allen Schlichen und Tricks im Club aus. Zuletzt, nach dem Ende der Partnerschaft, hatte Becker gesagt, es mache ihm Spaß, die Grand Slams nun wieder mit größerer Ruhe und Gelassenheit genießen zu können - etwa als Beobachter für den Sender Eurosport. Seine Expertise kam auch bestens an, seine erhellenden Einschätzungen in Melbourne und Paris. Bis Wimbledon kam, der Ort seiner zweiten Geburt. Sein Turnier. Und die Schlagzeilen.
Becker macht aber weiter. Nicht ungerührt. Aber professionell und beherrscht. Man kann es so interpretieren: Becker will in Wimbledon einfach nur Becker bleiben. Vielleicht wird der nächste Geburtstag, am 7. Juli 2018, schon wieder ein schönerer Geburtstag für ihn. Bei ihm weiß man nie.