Von Ulrike Weinrich aus Stuttgart
Und Kerber ließ die nachgemachte Ausführung der Venus Rosewater Dish, wie diese bedeutungsschwangere Trophäe offiziell heißt, nicht aus den Augen. "Im Moment bin ich noch voller Emotionen, aber so langsam realisiere ich, dass ich Wimbledonsiegerin bin. Dieses Gefühl, diese Emotionen kommen wimmer wieder, das kann man nicht in Worte fassen. Das ist ein Moment, der wird für ewig in mir sein", sagte die 30-Jährige, die am Morgen in der Schwabenmetropole angekommen war. Auf dem Weg vom Flughafen war sie in einen Stau geraten. Aber in diesen Tagen kann sie nichts schocken. "Angie" im Glück.
Angelique Kerber glücklich "Jetzt bin ich komplett"
Kerber fühlt sich vollkommen - und zu 100 Prozent mit sich im Reinen nach ihrer Sternstunde von London. "Diesen Wimbledonsieg, den wollte ich unbedingt haben. Jetzt kann ich sagen, dass ich komplett bin in dem, was ich immer erreichen wollte", erklärte sie bei der ersten Pressekonferenz auf deutschem Boden nach ihrem Sieg am Samstagabend in der Kathedrale des Tennissports.
Bei der Kielerin wird vor allen Dingen eine Szene für immer und ewig haften bleiben: "Als ich die hochgehalten habe, das ist dieser Moment, von dem ich 30 Jahre lang geträumt habe", sagte Kerber, die über den Matchball gegen Serena Williams (USA) ein bisschen schmunzeln konnte: "Da habe ich meinen Aufschlag zitternderweise irgendwie rübergebracht, und sie hat den Fehler gemacht."
Interview-Marathon, aber dann ab zum Grillen mit Oma und Oma
Das versprochene Grillfest mit Opa und Oma in Polen wird am Dienstagabend nachgeholt. Und Coach Wim Fissette hat auch noch nicht gesagt, wann er seinen Schützling zum nächsten Training begrüßen will: "Wir verhandeln noch", verriet Porsche-Markenbotschafterin Kerber, die beim Medien-Marathon über den Dächern von Stuttgart mehr als zehn TV-Interviews geben müssen.
In Wimbledon waren es unmittelbar nach ihrem Triumph am Samstagabend in den Katakomben des All England Tennis and Croquet Clubs 19 Gespräche in 65 Minuten gewesen. Doch Kerber wirkt im Vergleich zu 2016, als sie nach ihrem ersten Major-Titel in Australien vom Trubel fast zerdrückt wurde, gereift.
"Angie" will sich mit Zeit für sich belohnen
"Das Wichtigste, womit ich mich belohne, ist Zeit", betonte Kerber, "diese Zeit für mich, die werde ich genießen wie noch nie." Erst beim WTA-Turnier in Montreal wird sie auf die Tour zurückkehren und vor den US Open noch das Event in Cincinnati spielen. Kerber kündigte an, dass sie sich in Zukunft noch stärker auf die großen Tournaments fokussieren werde. So ein bisschen wie Roger Federer.
"Ich habe gemerkt, es geht nicht um die Weltrangliste oder so. Für mich geht es darum, diese Momente auf dem Centre Court zu erleben, ein Wimbledon-Finale zu spielen. Dafür kämpft man und dafür steht man morgens auf." Es geht darum, "gegen die großen Spielerinnen auf den großen Plätzen zu spielen."
Was jetzt noch kommt, ist ein Bonus!
Der Weltranglistenvierten ist bewusst, "dass ich jetzt nicht jedes Match gewinnen" werde. Rückschläge werden auch diesmal wieder kommen, "aber ich habe gelernt aus 2017. Wenn ich diese schwierige Phase nicht erlebt hätte, würde ich hier jetzt nicht als Wimbledonsiegerin sitzen." Sagt's - und blickte auf ihre silberne Belohnung neben sich. Voller Zufriedenheit und Stolz. Nach dem Motto: Was jetzt noch kommt, ist ein Bonus!
Kerber weiß, dass sie ihrem neuen Coach Wim Fissette einiges zu verdanken hat. Aber sie ist auch überzeugt: "Die größte Stellschraube war ich selbst. Dass ich es geschafft habe, die Motivation nach 2017 zu finden", beschrieb die zeitweise aus den Top 20 gefallene Kerber die Rückschläge, die sie letztlich noch stärker machten. Die Krönung folgte nun im Rasen-Mekka, dem Theater ihrer ganz persönlichen Träume.
Die Schale, die aus Silber und Gold besteht, wird nun Zuhause den gebührenden Platz bekommen. "Ich stelle sie zu meinen anderen beiden Grand-Slam-Pokalen dazu. Ins Wohnzimmer - in die Mitte, den es ist eine besondere Schale."