"Die Spieler müssen mehr von sich geben"

Michael Stich hat sich 1991 zum Wimbledon-Champion gekrönt
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tennisnet.com: In den letzten Jahren haben mit Roger Federer und Rafael Nadal zwei der ganz großen Superstars am Rothenbaum aufgeschlagen. Sehen Sie in der kommenden Generation Spieler, von denen Sie als Turnier-Veranstalter sagen können: die bringen garantiert Zuschauer in die Ränge?

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Stich: Das ist ganz schwer zu sagen, weil die arrivierten Spieler in der Weltrangliste immer noch ganz vorne stehen. Kei Nishikori etwa liegt genau mitten drin: Er ist nicht mehr ganz jung, aber auch keiner von den Älteren. Milos Raonic gehört auch zu dieser Generation, Gael Monfils und Jo-Wilfried Tsonga hingegen sind schon älter. Das heißt, dass ein Nick Kyrgios, ein Grigor Dimitrov, logischerweise Alexander Zverev und natürlich auch Dominic Thiem in die Fußstapfen treten müssen. Das wird auch passieren, wenn die anderen abtreten. Aber Novak Djokovic und Andy Murray werden sicher noch eine Weile spielen, bei Rafael hängt es von der Gesundheit ab. Aber es wird wie so oft in der Geschichte des Tennissports ein fließender Übergang zwischen den Generationen werden.

tennisnet.com: Nishikori ist in Asien ein Held, weltweit besitzt er nicht so großen Star-Appeal. Was fehlt ihm, was fehlt vielleicht mehreren Spielern dieser Generation?

Stich: Die Spieler müssen von sich einfach ein bisschen mehr geben. Das gilt für alle. Natürlich sind sie jetzt in einem Dilemma, dass es drei, vier Top-Spieler gibt, die das Tennis seit zehn, zwölf Jahren beherrschen - und niemanden "reingelassen" haben. Nishikori war kurz davor. Wenn er die US Open gewonnen hätte, dann hätte er diesen Schritt gemacht. Aber die Jungs müssen sich insgesamt interessanter machen. Es reicht heutzutage aus meiner Sicht nicht, nur gut Tennis zu spielen. Man muss schon auch außerhalb des Platzes Geschichten erzählen. Man muss auch einmal ein kritisches Auftreten haben. Deshalb ist Nick Kyrgios jemand, über den die Menschen berichten und schreiben. Weil er auch eine Meinung äußert, weil er nicht so kompatibel ist mit den anderen. Diese Unterschiede gilt es herauszuarbeiten, damit sich die Fans jemanden aussuchen können, mit dem sie sich identifizieren. Aber das fällt ja bei Federer, Djokovic, Nadal und Murray schon schwer. Sie sind allesamt herausragende Tennisspieler und Sportler. Aber dass man sich an ihnen reiben kann, das haben sie alle nicht.

tennisnet.com: Alexander Zverev ist auch ein Mann, der von der Norm abweicht. Er hat in Hamburg mit dem Halbfinaleinzug 2014 eine erste Duftmarke gesetzt. Wie sehen Sie seine Perspektiven 2017?

Stich: Um das zu beurteilen, bin ich nicht nah genug an ihm dran. Alexander hat ein tolles Jahr 2016 gespielt, das steht völlig außer Frage. Er hat eine sehr konstante und dennoch rasante Entwicklung genommen. Ich hätte ihm das in dieser Geschwindigkeit nicht ganz zugetraut, aber er arbeitet in einem extrem professionellen Umfeld. Er ist sehr fokussiert, wird sich aber 2017 auch erstmals beweisen müssen. Er ist jetzt nicht mehr der Newcomer, jeder will gegen ihn gewinnen. Und es weiß jetzt jeder, was auf einen zukommt. Zverev muss mit der eigenen Erwartungshaltung zurechtkommen. Nach oben zu kommen, ist vergleichsweise einfach, oben zu bleiben, das ist das Schwierige. Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass er den Schritt unter die Top 20 macht.

tennisnet.com: Sehen Sie spielerisch ein Limit bei Zverev?

Stich: Dafür habe ich ihn dann doch zu selten gesehen, da möchte ich mir kein Urteil erlauben. Ich glaube immer noch, dass er körperlich Potenzial hat, sich weiter zu entwickeln. Er ist extrem groß und schlaksig, da erinnert er mich ein wenig an mich in dem Alter. Aber er ist sehr professionell und hat dafür seinen Fitness-Trainer. Am Aufschlag kann man sicherlich noch arbeiten und am Volley - es ist ja auch bei Roger Federer oder Rafael Nadal trotz aller Erfolge noch Luft da, sich zu verbessern. Also sicherlich auch bei Alexander Zverev.