Patrick Rafter zündete in seiner Karriere spät, aber gewaltig. Der Australier brauchte einige Jahre Anlauf bis zum Durchbruch in die Weltspitze. Der Wendepunkt in seiner Karriere war ausgerechnet ein Sandplatzturnier. Bei den French Open 1997 erreichte Rafter überraschend das Halbfinale. Es folgte im gleichen Jahr der Titelgewinn bei den US Open. Rafter mischte bis zu seinem verletzungsbedingten Karriereende vorne mit, gewann auch 1998 die US Open, stand 2000 und 2001 im Finale in Wimbledon und war für eine Woche die Nummer eins der Welt. Der Australier wird in den nächsten Jahren vermutlich in die Hall of Fame aufgenommen.
Der Ausraster von Istanbul und die Folgen
Für Grigor Dimitrov ist es noch ein sehr weiter Weg, wenn er eines Tages Mitglied in der Ruhmeshalle des Tennissports sein möchte. Das Beispiel Rafter zeigt allerdings, dass sich im Tennissport schnell alles zum Guten wenden kann - in einem Turnier, in einem Match oder sogar nach einem bestimmten Ballwechsel. Vom oft zitierten Momentum ist dann die Rede.
Dimitrov schnappte am 1. Mai letzten Jahres negatives Momentum auf. Im Finale in Istanbul stand der Bulgare gegen Diego Schwartzman bei 5:2-Führung kurz vor dem Titelgewinn. Doch dann nahm das Unheil seinen Lauf. Dimitrov bekam Krämpfe, verlor den zweiten Satz im Tiebreak und konnte nichts mehr entgegensetzen. Unrühmliches Ende der Partie: Nachdem Dimitrov zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit seinen Schläger malträtierte, bekam er ein Strafspiel verpasst, was gleichzeitig das Ende des Finales war.
Das Match gegen Yuichi Sugita
Danach lief bei Dimitrov erst mal überhaupt nichts zusammen. Er verlor in Madrid, Rom, bei den French Open, in Stuttgart und im Londoner Queen's Club in der ersten Runde. In Wimbledon erreichte er immerhin die dritte Runde, doch dann folgte das Auftakt-Aus in Washington, D.C. Und auch beim Masters-1000-Turnier in Toronto stand Dimitrov gegen den Japaner Yuichi Sugita kurz vor der Auftaktniederlage. In seiner Kolumne bei Sports Illustrated beschreibt Tennisjournalist John Wertheim den Moment, der Dimitrovs Karriere wieder in eine andere Richtung gebracht haben könnte.
Sugita führte im Tiebreak des zweiten Satzes mit 5:2 und stand kurz vor dem Sieg. Mit einem sehenswerten Lob verkürzte der Bulgare zunächst auf 5:4. Der Japaner hatte dann die große Chance, sich zwei Matchbälle zu erspielen, vergab jedoch einen leichten Schmetterball. Dimitrov gewann den Tiebreak und das Match. Der Bulgare nutzte die Gunst der Stunde, schlug danach Denis Shapovalov und Ivo Karlovic und holte sich mit der Viertelfinalteilnahme wichtige Weltranglistenpunkte.
Top 10 statt Mittelmaß?
Nun wurde plötzlich positives Momentum aufgebaut. Dimitrov erreichte in Cincinnati das Halbfinale, war dadurch bei den US Open gesetzt, wo er im Achtelfinale an Andy Murray scheiterte. Es folgten das Halbfinale in Chengdu und das Finale in Peking, wo er unter anderem Rafael Nadal besiegen konnte. Der 25-Jährige schloss das Jahr als Nummer 17 im ATP-Ranking ab und ging mit breiter Brust in die neue Saison. Dimitrov gewann die Turniere in Brisbane und Sofia und stand bei den Australian Open ganz dicht vor dem Einzug ins Finale.
Statt im Mittelmaß festzustecken, scheint der Wiedereinzug in die Top Ten nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Vielleicht hat es einen verschlagenden Schmetterball von Sugita gebraucht, um die Karriere von Dimitrov wieder in Gang zu bringen. Es zeigt auf jeden Fall, dass es im Tennis oft nur Kleinigkeiten benötigt, um Momentum aufzubauen oder es auch zu stoppen. Die Richtung kann sich schnell ändern, ob positiv oder negativ. Dimitrov wird im Mai 26 Jahre alt. Es kann sehr gut sein, dass wir das Beste von ihm noch lange nicht gesehen haben.
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