"Roger, es tut mir leid!"

Roger Federer mit dem Australian-Open-Pokal
© getty

Roger Federer gewann nach viereinhalb Jahren Durststrecke bei den Australian Open seinen 18. Grand-Slam-Titel. tennisnet.com-Redakteur Christian Albrecht Barschel bittet den "Maestro" um Verzeihung, weil er daran nicht mehr gelaubt hat.

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Lieber Roger Federer,

Du hast es also tatsächlich geschafft! Es war ein langer und steiniger Weg bis zum 18. Grand-Slam-Titel. "Du kannst nicht immer 17 sein" heißt es in einem Schlager-Song von Chris Roberts. Nun bist Du also endlich volljährig! Herzlichen Glückwunsch dazu, lieber Roger!

Siegesaura und Killerinstinkt plötzlich weg

Ich muss Dich zudem um Entschuldigung bitten. Denn ich gehörte zu der Gruppe der Skeptiker und Zweifler, die Dir den 18. Grand-Slam-Titel nicht mehr zugetraut haben. Warum? Zu viele Chancen hattest Du seit dem Wimbledontitel 2012 liegengelassen. Du konntest das Momentum im Wimbledonfinale 2014 gegen Novak Djokovic nicht nutzen. Auch bei den US Open 2014 sprach vor Deinem Halbfinale gegen Marin Cilic fast alles für den Titel, und dann wurdest Du von Cilic überrollt. Als Du in der dritten Runde der Australian Open 2015 überraschend gegen Andreas Seppi verlorst, sprach ich scherzhaft vom tennisnet.com-Fluch, der Dich ereilte. Denn kurz nach Gründung von tennisnet.com im Mai 2010 ging zunächst Deine Halbfinalserie bei Grand-Slam-Turnieren zu Ende. Es schien fast so, dass Du ein wenig von Deiner Siegesaura eingebüßt hast, Dein Killerinstinkt in großen Finals und großen Matches war plötzlich weg.

Du spieltest 2015 eine starke Saison, aber Novak Djokovic war immer wieder Dein großer Spielverderber. Auch im Wimbledonfinale 2015 konntest Du das Momentum nach dem Satzausgleich nicht nutzen. Im US-Open-Finale 2015 gingst Du zu verschwenderisch mit Deinen Breakchancen um. Das Jahr 2016 gehörte zum schwierigsten in Deiner Karriere. Du spieltest zunächst groß auf bei den Australian Open, ehe Du im Halbfinale in Djokovic wieder Deinen Meister gefunden hast. Dann kam der ominöse Badezimmerunfall, bei dem Du Dir einen Meniskusriss zuzogst. Deine gigantische Grand-Slam-Serie ging schließlich bei den French Open zu Ende, weil Dein Körper streikte.

Zweifel am "GOAT"-Status

In Wimbledon dachtest Du kurzzeitig über einen Rückzug nach, aber Du gingst an den Start. Die Auslosung war wie gemalt für Dich. Obwohl Du weit entfernt von Deiner körperlichen Bestform warst, stiegen von Runde zu Runde die Chancen auf den 18. Grand-Slam-Titel, erst recht nach dem Viertelfinalsieg gegen Cilic nach 0:2-Satzrückstand. Deine große Chance auf das Finale gabst Du gegen Milos Raonic leichtfertig aus der Hand. Die Zeit schien gegen Deinen 18. Grand-Slam-Titel zu sprechen, vor allem nachdem Du nach Wimbledon Deine Saison für beendet erklärt hast, um Deine Verletzung vollständig auszukurieren.

Spätestens da stand für mich fest, dass Dein 18. Grand-Slam-Titel nicht mehr passieren würde, immerhin bist Du bereits 35 Jahre alt. Doch dann kamen diese zwei Wochen in Melbourne. Die Auslosung meinte es nicht gut mit Dir ab der dritten Runde. Ein wenig Glück hattest Du, dass Dir ein Viertelfinale gegen Andy Murray erspart blieb. Du besiegtest drei Top-Ten-Spieler auf dem Weg ins Finale, Tomas Berdych, Kei Nishikori und Stan Wawrinka. Du gewannst zweimal in fünf Sätzen, obwohl Deine Fünfsatzbilanz nicht die Allerbeste ist. Auf einmal hatten wir das Traumfinale zwischen Dir und Rafael Nadal. Die Zeit schien still zu stehen. Das Finale wurde zum vielleicht bedeutendsten Match der Tennishistorie hochstilisiert. Ich habe in den letzten Jahren hin und wieder an Deinem Status als "GOAT" (Greatest Of All Time) gezweifelt. Einiges sprach aus meiner Sicht nun gegen Dich, da Du viele bedeutende Matches und Titel nicht mehr gewinnen konntest.

Chapeau für diese Leistung

Das Finale wurde für Dich zur Achterbahnfahrt der Gefühle, und es folgte einem bekannten Muster in Matches gegen Nadal. Als Du im fünften Satz nach vielen vertanen Chancen mit 1:3 in Rückstand gerietest, glaubten wohl nur noch die Allerwenigsten an Deinen Sieg, ich tat es jedenfalls nicht. Doch Du glaubtest an Dich, spieltest plötzlich frei auf und gewannst den Titel. Das lange Warten auf Nummer 18 war schließlich zu Ende. Du hast uns alle eines Besseren belehrt - mal wieder. Chapeau für diese Leistung! Roger, es tut mir leid! Es tut mir leid, dass ich an Dir gezweifelt habe. Was Deine größte Stärke ist? Für mich ist es, dass Du nach den vielen, bitteren Niederlagen der letzten Jahre nie Deine Zuversicht verloren hast. Es hat den Anschein, dass Du umso stärker zurückkommst, umso unglücklicher die Niederlage ist.

Nach Deinem Titelgewinn explodierten die sozialen Medien. Zahlreiche Kollegen und Kolleginnen freuten sich mit Dir. Nicht nur für mich, sondern für viele andere auch bist Du der beste Tennisbotschafter, den man sich vorstellen kann. Ob noch ein 19. Grand-Slam-Titel in Dir steckt? Das wird die Zeit zeigen. Aber das ist nicht allzu wichtig. Viel wichtiger ist, dass Du dem Tennissport noch lange Zeit erhalten bleibst und dass Du solange spielst, wie es Dir Freude bereitet, ob nun mit großem Erfolg oder auch nicht. Tennis braucht Dich, denn ohne Dich ist Tennis nur halb so schön!

Sportlichst

Christian Albrecht Barschel

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