Er kann nicht anders. Er will immer gewinnen. Im Tennis sowieso. Aber auch wenn Alexander Zverev nicht auf einem der großen Centre Courts steht, muss er siegen. "Es ist einfach drin in mir. Das ist schon so, seit ich ein kleines Kind war", sagt Zverev, "Playstation, Basketball, Würfeln. Ich wollte gewinnen." Und dann sagt er, mit einem angedeuteten Lächeln, auch dies: "Wenn man mit mir befreundet sein will, verliert man besser gegen mich." Reine Ironie? Oder auch ein Hauch von Wahrheit?
Zverev, dieser schlaksige 1,98-Meter-Bursche aus Hamburg, ist gerade das heißeste Ding, das es in der Tenniswelt gibt. Als die Tennissaison begann, war er immer noch ein Versprechen für die Zukunft, einer, den die Profigewerkschaft ATP zentral in ihrer Vermarktungskampagne für die NextGen bewarb, also die nächste Generation dieses Sports.
Doch der Riese, den alle nur "Sascha" nennen, ist den Leuten aus der eigenen Firma und der Zeit voraus, er ist schon in der Gegenwart ein Großer. Und statt in Mailand spielt dieser Zverev nun ab Sonntag in London um den dicken Pott, um die ATP-WM. Gegen die ganz Großen, gegen seine Idole. Zu denen auch Roger Federer gehört, auf den Zverev in seiner Gruppe trifft. "Ich will um den Titel mitspielen", sagt Zverev.
Zverevs Durchbruch im Welttennis begann Ende Mai im römischen Foro Italico, als er beim dortigen Masters-Turnier einen gewissen Novak Djokovic schlug. "Alexander, der Große" titelte daraufhin sogar die FAZ schwärmerisch über den 20-jährigen Youngster. Zverev, so sagt Legende Boris Becker, sei zwar noch nicht so weit, "um schon ganz vorne in der Weltrangliste zu stehen, aber er hat alle Voraussetzungen, um es eines nicht ganz so fernen Tages zu schaffen":
"Er ist eins der größten Talente der letzten Zeit überhaupt." Vor diesem Championat in London hat Zverev überhaupt nur noch zwei Spieler in der Weltrangliste vor sich, Nadal und Federer. Er ist jetzt die Nummer 3, der Spieler auch, der den markantesten Aufstieg in dieser Serie erlebte. Und er ist der erste Deutsche seit Rainer Schüttler 2003, der bei der WM mitspielt.
Zwischen Triumphen und Rückschlägen
Es gab 2017 erstaunliche Höhen, aber auch einige Tiefen, es ist ganz selbstverständlich in dieser frühen Zeit einer Profikarriere, Schwankungen, Rückschläge. Zverev erlebte es ganz drastisch. Nach seinem Triumphmoment in Rom wurde er schon als Geheimfavorit für die French Open gehandelt, als möglicher Sandplatz-König von Paris. Doch was kam, war das bittere Scheitern in Runde eins gegen einen Veteranen des Wanderzirkus, den Spanier Fernando Verdasco.
Auch bei den US Open musste der 20-Jährige das frühe Aus einstecken, gegen den kroatischen Generationskollegen Borna Coric. Nur in Wimbledon kam er in die zweite Grand-Slam-Woche. Er weiß selbst, dass sein Abschneiden bei den Majors der Schönheitsfehler in seinem ansonsten überragenden 2017er Arbeitszeugnis war. "Da ist noch Steigerungspotenzial geblieben", sagt er.
Zverev hat sich schnell verändert in den letzten Jahren - und dann noch einmal in den letzten Monaten, in denen er einen fast ungebremsten Aufstieg in seinem Job erlebte. Zverev ist ruhiger geworden auf dem Centre Court, er ruht mehr in sich selbst, er ist einfach seiner Sache sicherer geworden. "Ich habe mir bestätigt, dass ich wirklich mit den Großen mitspielen, sie sogar besiegen kann", sagt er, "letztes Jahr stabilisierte sich alles, ich siegte mehr, ich vertraute mir mehr, ich fand eine andere Souveränität."
Was er sagt und wie er es sagt, deutet inzwischen auf eine neue Reife hin - auf jemanden, der rasch gelernt hat, sich in seinem komplizierten Profisport durchzusetzen. Zverev weiß, was er wie und mit wem tun muss, um erfolgreich zu sein, er hat es bewiesen mit seinem geglückten Transfer vom Junioren- ins Erwachsenentennis. Und auch mit der Wahl seines Teams, zuletzt der Entscheidung, den früheren Nummer-1-Mann Juan Carlos Ferrero als weiteren Coach zu verpflichten: "Du musst schnell lernen, sonst wirst du abgehängt", sagt Zverev, der einst auch der beste Nachwuchsspieler der Welt war.
"Es muss auch mal der Schläger dran glauben"
Was seinen Aufschwung wesentlich beflügelt hat, ist die neue Balance, die er zwischen seiner hitzigen Leidenschaft und eiserner Matchkontrolle gefunden hat. Zverev hat alles: Esprit und Disziplin, Power und Präzision, Feuer und Eis. "Ich flippe nicht mehr aus. Ich habe mich viel besser im Griff", sagt Zverev. Ganz ohne Emotion und Action geht es aber auch nicht bei ihm - jetzt und wahrscheinlich niemals so ganz:
"Wenn ein Spieler total ruhig ist und nie etwas sagt, dann habe ich das Gefühl, dass ihm sein Job irgendwie egal ist", sagt er, "ich muss meinen Ärger abladen, da muss dann auch mal ein Schläger dran glauben. Ich lebe und liebe diesen Sport eben mit jeder Faser meines Körpers."
Und wie steckt er seine Niederlagen weg, heute, wo er schon zu den Spitzenleuten der Branche gehört? Besser oder schlechter als früher? Zverev sagt, es gebe da einen "feinen Unterschied". Wenn er schlecht, sehr schlecht gespielt habe, "gehe ich direkt zum Training, lade mir Arbeit auf. Und dann lässt die Wut nach." Verliert er knapp und unglücklich, will er für sich bleiben: "Da rede ich auch mit niemandem. Das weiß auch meine Familie, sie lassen mich in Ruhe in solchen Momenten."
Aber er findet sie auch faszinierend, diese Aufs und Abs, mit denen er klarkommen muss, die ihn ständig herausfordern: "Tennis hat diese Magie, dass du so vieles selbst mit dir regeln musst. Du bist ganz allein, ein Solist auf der Bühne." Und weil Tennis ihn, den Anspruchsvollen, auch so wunderbar prüft, gibt er gerne alles, immer und immer wieder: "Es gab noch keinen Tag, an dem ich meine Arbeit lustlos gemacht habe. Tennis auf diesem Niveau funktioniert nur, wenn du in jeder Sekunde 100 Prozent investierst. Ohne Einschränkungen, ohne Kompromisse."
Der Erfolgsbesessene
Mutter, Vater, Bruder, er selbst - alle Zverevs waren und sind professionelle Tennisspieler. Aber Sascha, der Jüngste und Talentierteste, spürte nie den Druck, die Verpflichtung, Tennis spielen zu müssen. Als Jugendlicher spielte er auch noch Fußball, wurde Jugendmeister mit seinem Hockeyverein. Mit 12 entschied er sich fürs Tennis, selbstständig:
"Ich habe es nie bereut", sagt er, "es ist der Sport, der zu mir passt." Zu jemandem, der sich zuallerletzt am liebsten auf sich selbst verlässt, der Eigen-Mächtigkeit auf dem Centre Court lebt. Zverev, der Erfolgsbesessene, lebt und liebt Tennis. "Mit jeder Faser meines Körpers", sagt er.
Für ein Leben neben dem Tennis, etwa eine feste Freundin, bleibt keine Zeit. Ab und zu geht Zverev auch auf die obligatorischen Spielerparties, er feiert dann auch ausgelassen mit, trinkt aber keinen Schluck Alkohol: "Ich bin eigentlich ein ziemlich entspannter Typ, abseits des Tennis." Doch noch wichtiger ist ihm der nächste Morgen, die Arbeit nach dem Vergnügen: "Dann bin ich der Erste auf dem Trainingsplatz."