Über dem Stadion ging ein Wolkenbruch nieder, in den Katakomben flossen die Tränen. Angelique Kerber setzte die Enttäuschung über das bittere Achtelfinal-Aus von Madrid und die Oberschenkelverletzung mächtig zu.
In der Pressekonferenz hatte sich Kerber zwar wieder im Griff. Die Ratlosigkeit nach dem neuerlichen Rückschlag und der elften Niederlage im 30. Spiel der Saison wird allerdings noch einige Tage präsent sein. "Ich habe meinen Rhythmus nicht gefunden und kam mit den Bedingungen nicht zurecht. Sie waren anders als in den Matches zuvor: Es war windig und kühler. Aber das soll keine Entschuldigung sein", sagte die sichtlich niedergeschlagene Weltranglistenzweite nach dem 3:6, 0:5 gegen Eugenie Bouchard (Kanada).
Leichte Entwarnung nach Verletzung
Wegen einer Zerrung im linken hinteren Oberschenkel hatte Kerber das einseitige Match nach 57 Minuten aufgeben müssen. "Im letzten Spiel habe ich es gespürt und gleich gemerkt, dass es keinen Sinn hat, weiter zu spielen", sagte die zweimalige Major-Siegerin. Sie ließ die Physiotherapeutin zwar auf den Court rufen, winkte aber schon bald darauf mit Tränen in den Augen ab.
Leichte Entwarnung gab es einen Tag später nach einer Untersuchung. "Die Schmerzen sind muskulär bedingt. Wir gehen derzeit von keiner schwerwiegenden Verletzung aus", sagte ihr Manager Aljoscha Thron dem SID. Im Hinblick auf die French Open (ab 28. Mai) werde man kein Risiko eingehen, der Start beim Turnier in Rom (ab kommenden Montag) ist deshalb fraglich.
Bis zu ihrer Aufgabe hatte Kerber, die kurioserweise ab Montag wieder die Nummer eins der Weltrangliste ist, alle sieben Aufschlagspiele abgegeben und gegen die mutig agierende Bouchard kaum eine Chance gehabt. Da sich nach Kerbers Angaben die Schmerzen im Bein erst kurz vor ihrer Aufgabe einstellten, war dies keine Erklärung für ihre schwache Vorstellung zuvor.
Keine Siege, kein Selbsvertrauen - und umgekehrt
Die Zahlen jedenfalls sprachen Bände: Nur in acht Prozent der Fälle gewann die WTA-Spielerin des Jahres 2016 nach ihrem zweiten Aufschlag den Punkt - und in 37 Prozent der Fälle nach dem ersten Service. Als sie Bouchard, die in der Runde zuvor Maria Sharapova (Russland) bezwungen hatte, beglückwünschte, drückte Kerber ihre Hand fest auf die schmerzende Stelle. "Ich hoffe, dass es nicht so schlimm und nichts gerissen ist", meinte die 29-Jährige.
Aus dem erhofften "Turnaround" in der "magischen Box" von Madrid, wie die Anlage La Caja Mágica übersetzt heißt, wurde nichts. Im Gegenteil: Auch in der Sandplatzsaison sucht Kerber weiter nach ihrer Galaform von 2016 - und steckt im Teufelskreis fest: Keine Siege, kein Selbstvertrauen; kein Selbstvertrauen, keine Siege. Bei ihrem Heimspiel in Stuttgart, das die Linkshänderin zuvor zweimal in Folge gewonnen hatte, war sie Ende April bereits in ihrem Auftaktmatch gescheitert.
Kein Sieg gegen eine Top-20-Spielerin
Selbst die Hoffnung, dass der Druck in Madrid nicht so hoch sein würde, da sie dort keine Punkte zu verteidigen hatte, erfüllte sich nicht. Gegen die mutig agierende Bouchard (WTA-Nr. 60) spielte Kerber wie sooft in dieser Saison zu defensiv, zu ängstlich - einfach ohne Mumm. Warum das so ist, weiß sie selbst nicht. Immer wieder betont "Angie", dass der gewachsene Druck und die neuen Verpflichtungen als Gesicht der WTA nicht das Problem seien. Weggefährten sehen das jedoch anders, weil sie eine ist, die viel Zeit für sich braucht.
Besonders eine Bilanz ist alarmierend: Gegen eine Konkurrentin aus den Top 20 der Weltrangliste hat Kerber in diesem Jahr noch kein einziges Match gewonnen, aber sieben Niederlagen kassiert. Zum selben Zeitpunkt des Vorjahres lautete ihre Sieg-Bilanz im Duell mit den besten 20 Spielerinnen: 8:2.
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