Vor ziemlich genau einem Jahr, am 2. April 2017, schien eine der, wenn nicht die größte Karriere der WWE-/WWF-Geschichte beendet. Nach seiner Niederlage gegen den aktuellen Posterboy Roman Reigns benötigte ein sichtlich vom Match und seinen Emotionen gezeichneter Undertaker im Ring reichlich Zeit, bevor er seine legendäre Einzugskluft aus Hut, Mantel und Handschuhen in der Ringmitte aufhäufte und unter tosendem Applaus das mit über 75.000 Menschen gefüllte Camping World Stadium in Orlando, Florida verließ.
Zwischenzeitlich fingen die WWE-Kameras immer wieder sichtlich irritierte und gerührte Fans ein. Nachdem der Undertaker den Innenraum über die Rampe verlassen hatte, gingen die Lichter in der Halle aus und WrestleMania 33 endete mit seinem Markenzeichen, dem Ringgong, der zum Abschied dreifach ertönte. Es wirkte wie der finale Abschied.
Kampf für Reigns "belastender und emotionaler" als erwartet
Reigns gestand kürzlich bei CBS Sports' In This Corner Podcast, dass das Match seinen Erwartungen nicht gerecht geworden war: "Was es für mich so belastend gemacht hat, war die Schwere des Matches", erinnert er sich.
"Wäre ich vor 20 Jahren gegen den Undertaker angetreten, als er mitten in seiner Karriere stand, dann wäre es vermutlich anders gewesen. Aber in der Position, in der ich mich wiederfand, fühlte es sich viel belastender und emotionaler an, als ich erwartet hatte [...]."
Weiterhin erklärte Reigns, dass er das Gefühl hatte, seine eigene Leistung sei nicht gut genug gewesen, betonte gleichzeitig aber auch, dass er es genossen und in dem einen Match enorm viel gelernt habe.
Während es im Anschluss an das Match für Roman von Fanseite reichlich Heat setzte, wurde es um den Deadman still. In den folgenden knapp neun Monaten gab es bestenfalls Gerüchte um seine lädierte Gesundheit und die mögliche Aufnahme in die Hall of Fame bei der Zeremonie 2018.
Doch bei Raw25, der Jubiläumsausgabe am 22. Januar 2018, tauchte der Undertaker plötzlich wieder auf und hielt im Manhattan Center eine kryptische Promo.
Undertaker: Abschiedsrede oder Warnung?
Mark William Calaway, wie der Undertaker mit bürgerlichem Namen heißt, erinnerte an die Legenden, die ihm, dem WWE-Sensenmann, in der Vergangenheit zum Opfer gefallen waren: Stone Cold Steve Austin, Mick Foley, Kane. Abschließend erklärte er, während das Publikum "One more match" skandierte, dass es für all seine Opfer nun endgültig Zeit sei, in Frieden zu ruhen.
Jim Ross und Jerry Lawler rätselten daraufhin am Kommentatorenpult, ob es sich bei diesen Aussagen um eine Warnung an den WWE-Roster handele, doch ebenso gut konnte man es als Abschiedsrede deuten. Nicht nur, da Calaway mittlerweile 53 Jahre alt ist - eine für WWE-Verhältnisse trotz des steigenden Durchschnittsalters im Kader schier biblische Hausnummer - sondern vielmehr aufgrund der unzähligen Verletzungen, die der in Houston, Texas geborene Deadman im Laufe seiner mittlerweile 34 Jahre dauernden Wrestling-Karriere erlitten hat.
Schon sein Match gegen Reigns im Vorjahr stand aufgrund zweier Hüft-Operationen lange auf der Kippe. Der Gesundheitszustand des Undertakers soll sich seitdem nicht gebessert haben. Ein generelles Comeback und umso mehr ein Auftritt bei WrestleMania 34 erschienen entsprechend unwahrscheinlich.
Cena fordert Undertaker heraus
Dementsprechend war die Überraschung groß, als John Cena den Deadman in der Raw-Ausgabe vom 12. März aus heiterem Himmel zu einem Match beim anstehenden Showcase of the Immortals herausforderte. Nur eine Nacht zuvor war der 16-fache World Champion beim SmackDown-exklusiven Pay-per-View Fastlane in einer Six-Pack Challenge sieglos geblieben.
Bei einem Sieg hätte Cena den langjährigen Rekord des Nature Boy Ric Flair endgültig gebrochen und wäre als einziger 17-facher WWE World-Champion in die Geschichte eingegangen.
Doch stattdessen verteidigte WWE Champion AJ Styles seinen Titel erfolgreich und Cena stand ohne WrestleMania-Match da. Die Herausforderung an den Sensenmann wurde entsprechend als sein verzweifelter Versuch verkauft, WrestleMania nicht zu verpassen.
Eine Woche später forderte er den Undertaker erneut heraus und wurde persönlicher, was dessen Storyline-Bruder Kane auf den Plan rief. Die Big Red Machine verpasste Cena im Ring sein Markenzeichen, den Chokeslam, woraufhin die beiden sich am 26. März in einem No Disqualification-Match gegenüberstanden, das Cena für sich entschied. Im Anschluss schnappte er sich erneut ein Mikrofon, forderte den Undertaker heraus und bezeichnete ihn zudem als Feigling.
Die Storyline wurde auch abseits der TV-Shows fortgeführt, indem Cena via Social Media z.B. ein altes, wenig vorteilhaftes Bild Calaways mit Maske aus seiner Zeit als Texas Red bei World Class Championship Wrestling (WCCW) zeigte, wo dieser von 1984 bis 1988 auftrat.
In der letzten Raw-Ausgabe vor WrestleMania startete Cena einen letzten Versuch, die Legende herauszurufen - erneut ohne Erfolg. Seine abschließenden Worte waren eindeutig: "Du hast letztes Jahr deinen Hut im Ring gelassen, Undertaker, aber uns allen ist klar, dass du deine Eier zuhause gelassen hast!"
Untertaker gegen Cena kommt vier Jahre zu spät
Ungeachtet des WWE-untypischen Vorgehens, ein großes Money-Match unmittelbar vor WrestleMania in der Schwebe zu lassen: Undertaker vs. Cena wird kommenden Sonntag definitiv steigen.
Das Problem bei der Geschichte: Die ultimative Traumpaarung wird zwar für Begeisterung bei den Fans sorgen und der WWE große Aufmerksamkeit bescheren, kommt dem ungeachtet aber mindestens vier Jahre zu spät, um die historische Relevanz zu erhalten, die sie hätte haben können.
Dies ist nicht einmal primär auf den Gesundheitszustand des Undertakers zurück zu führen, sondern auf das Ende seiner legendären Streak bei WrestleMania 30, als Brock Lesnar ihm völlig unerwartet die erste WrestleMania-Niederlage seiner Karriere nach 21 Siegen in Folge beibrachte. 21-1 ging in die Geschichtsbücher ein, heute steht seine Bilanz bei 23-2 - immer noch sagenhaft, doch der Mythos und die unfassbare Magie, die einst von dieser einmaligen Siegesserie ausging, ist verpufft.
Hinzu kommt, dass auch John Cena nicht mehr der unbesiegbare Superman ist, als der er während des Großteils seiner imposanten Karriere dargestellt wurde. Hätte man bei WrestleMania 30 anstelle von Undertaker vs. Lesnar mit Undertaker vs. Cena aufgewartet, wäre es das am heißesten erwartete, spannungsgeladenste Match der Geschichte geworden, doch stattdessen ist es "nur" noch das Aufeinandertreffen zweier der größten, verdientesten Legenden der Wrestling-Geschichte im - bestenfalls - Spätherbst ihrer jeweiligen Karrieren.
Das Ergebnis wird keine Langzeitbedeutung haben, der Undertaker wird als größtes Gimmick und vielleicht sogar größter Star der WWE-/WWF-Geschichte in Erinnerung bleiben, während Cena mindestens noch den 17. World Title holen und sich damit auf seine Weise unsterblich machen wird. Beiden, ebenso wie der WWE, wird durch diese Ansetzung nichts fehlen - doch auf ewig wird das große Fragezeichen bleiben: Was wäre gewesen, wenn man dieses Match mindestens vier Jahre früher angesetzt hätte?