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Christian Guinin

Es war tatsächlich etwas still geworden um Lewis Hamilton. Im Anschluss an das dramatische letzte Saisonrennen 2021, als er in einem kontroversen Herzschlagfinale Max Verstappen und Red Bull den Vortritt überlassen musste und die Krönung zum alleinigen Rekordweltmeister der Formel 1 verpasste, spielt der 40-jährige Brite in den vergangenen drei Jahren zumindest sportlich keine Hauptrolle mehr. Poles, Siege und Titel machten zuletzt andere unter sich aus, eine riesenhafte Karriere schien da ganz langsam auszuklingen.<script type="application/json" data-placement="fcplayer-semantic">{"type":"fcplayer-semantic","data":{"embedCode":"//cdn.fcp.codes/embed-code-template/embed-code-template.js#SEMANTIC_6b4625c8-6923-44f4-b005-b304878a3898"}}</script>

"Dann werden sie den Daumen ganz schnell senken": Lewis Hamilton hat bei Ferrari nichts zu verlieren - und doch nur eine einzige Chance?

Das Frühjahr 2025 allerdings ändert alles. Hamilton im feinen Anzug vor dem Haus von Enzo Ferrari, Hamilton im roten Overall auf großer Bühne und schließlich: Hamilton im SF-25 auf der Rennstrecke. Die Bilder dieser größtmöglichen Verbindung im Motorsport gehen seit Wochen um die Welt. Hamilton und die Scuderia – das ist dieses Match, von dem jeder wusste, dass es irgendwann einmal zustande kommen wird, bisher hatte der Engländer den Avancen der Roten aber immer widerstehen können. Als dann allerdings der Sitz von Carlos Sainz frei wurde und man Anfang Februar vergangenen Jahres vorsichtig anfragte, gab es für Hamilton nur eine Option: Er musste es auch beim italienischen Traditionsrennstall versuchen.Einmal im Leben im Cockpit eines roten Boliden zu sitzen. Das ist für jeden Fahrer in der Formel 1 ein Lebensziel - ganz unabhängig davon, ob die Scuderia an der Spitze um Weltmeistertitel kämpft oder irgendwo im grauen Niemandsland des Mittelfeldes herumdümpelt. In gewisser Weise ist der Mythos Ferrari auch im Zeichen von Rückschlägen, Niederlagen und Blamagen unverwüstlich. Im Vergleich zu Mercedes, McLaren oder auch Red Bull hat er mehr Strahlkraft. Und wem bei den Roten der ganz große Wurf gelingt, wer Podiums, Siege oder gar Weltmeistertitel einfährt, der ist noch mehr Legende als anderswo."All die Jahre", erzählte Hamilton im Vorfeld des Auftakts im australischen Melbourne lächelnd, "bin ich durchs Paddock gegangen und habe diese rote Garage gesehen - und nun bin ich plötzlich mittendrin. Es gibt Tage, von denen man weiß, dass sie für immer in Erinnerung bleiben. Mein erster als Ferrari-Fahrer war so ein Tag." In gewisser Weise ist also doch alles ein wenig so wie früher: Alle Augen sind auf den siebenfachen Weltmeister gerichtet. Hamilton interessiert auch außerhalb der Motorsport-Blase, das gilt in diesem Maße für keinen aktuellen Piloten und nur für ganz wenige in der Geschichte.Der Wechsel zu Ferrari verstärkt dies noch einmal, was die unbedingte Frage aufdrängt: Kann er dieser neuen, alten Aufmerksamkeit sportlich noch einmal gerecht werden?

Hamiltons neues Kapitel bei Ferrari: Kann er der Aufmerksamkeit noch einmal gerecht werden?

Zumindest auf den ersten Blick scheint Hamilton nichts zu verlieren zu haben. Bei seinem vormaligen Arbeitgeber Mercedes, wo er insgesamt zwölf Jahre verbrachte und sechs seiner sieben WM-Titel einfuhr, ging die Performance-Kurve zuletzt steil nach unten. In der vergangenen Saison waren die Silberpfeile hinter McLaren, Ferrari und Red Bull nur noch vierstärkste Kraft im Feld, der Wechsel zu Scuderia ergibt also, zumindest was die reine Performance des Autos angeht, absolut Sinn.Darüber hinaus hat Hamilton die Möglichkeit etwas Historisches zu erreichen. Etwas, was ihn in der Debatte um den GOAT-Status des Besten der Geschichte zweifelsfrei unangefochten an die Spitze katapultieren würde. Sollte seine Strategie aufgehen und er im roten Anzug tatsächlich den achten WM-Titel erringen, es wäre das unwiderlegbare Argument, künftig nicht nur auf einer Stufe mit den Sennas und Schumachers genannt zu werden. Damit stünde er sogar noch eine Etage über ihnen.Gleichzeitig wäre es das Ende einer nun schon 18 Jahre andauernden, quälenden Wartezeit. Nach der Ära Schumacher war es im Jahr 2007 Kimi Räikkönen, der zuletzt in den Farben der Scuderia triumphierte. Andere große F1-Piloten wie Sebastian Vettel und Fernando Alonso versuchten seitdem ebenfalls ihr Glück und setzten sich mit teils großen Hoffnungen in das rote Cockpit. Letztlich blieben sie aber alle dann doch weit hinter den Erwartungen zurück und suchten sang- und klanglos wieder das Weite.

Hamiltons neues Kapitel bei Ferrari: Bald eine Stufe über Schumacher und Senna?

Auf der anderen Seite ist Hamiltons Engagement bei Ferrari auch mit einem gewissen Risiko verbunden. Zur Saison 2026 implementiert die Formel 1 ein grundsätzlich neues Motorenreglement, die bisherige Hackordnung wird dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ordentlich durcheinandergewürfelt. Zwar ist davon auszugehen, dass Ferrari als potentes Werksteam auch dann vorne mitmischen wird – und Hamiltons Vertrag ist auch ausdrücklich über 2025 hinaus datiert –, eine gewisse Unsicherheit bleibt aber dennoch.Auch Teamkollege Charles Leclerc wird, anders als Hamilton das noch aus Zeiten von Mercedes gewohnt sein mag, mit Sicherheit keinen Steigbügelhalter spielen. Der Monegasse hegt nach für ihn selbst sportlich durchwachsenen Jahren ebenfalls große Ambitionen auf den Titel. Sieht er&nbsp;die Möglichkeit dazu, wird er sie, ohne jede Rücksicht auf das Team oder Hamilton, auch ergreifen.Und dann wäre da natürlich noch das Thema Alter. Mit seinen 40 Jahren ist Hamilton nach Ex-Teamkollege Alonso der zweitälteste Pilot im Feld. Nicht wenige hatten in den weniger erfolgreichen vergangenen Saisons diese Tatsache als Ursache für den ausbleibenden Erfolg ausgemacht. Ein "alter Mann" zu sein, sagte Hamilton dem Time Magazine, sei aber doch bloß Einstellungssache: "Natürlich altert dein Körper. Aber ich werde nie ein alter Mann sein." Auch der Wechsel zu Ferrari halte ihn jung. Viel habe sich zudem nicht verändert in den vergangenen 20 Jahren. "Ich bin hungrig, zielstrebig, ich habe weder Frau noch Kinder", sagte er, "ich konzentriere mich nur auf eine Sache, und das sind Siege. Das ist meine oberste Priorität."Eine gewisse Skepsis diesbezüglich macht sich dennoch breit. Etwa bei Sky-Experte Ralf Schumacher, der im Gespräch mit Sport1 die Frage stellte, ob Hamilton überhaupt noch in der Lage sei, mit Ferrari auf die Jagd nach Titel Nummer acht zu gehen: "Für die Formel 1 ist es natürlich eine große Story, keine Frage. Ich würde Ferrari und Lewis den Erfolg auch gönnen, aber realistisch ist das nicht." Der von vielen Fans und Experten angestellte Vergleich zu seinem Bruder Michael, der mit der Scuderia vor mehr als 20 Jahren fünf Weltmeistertitel in Folge einfuhr, sei kaum zutreffend. "Als Michael zu Ferrari ging, war er nicht nur der aktuelle Weltmeister, sondern auch der anerkannt beste Fahrer. Beides trifft auf Lewis nicht mehr zu. Trotzdem brauchte auch Michael fünf harte Jahre, um den ersten Titel einzufahren. Diese Zeit hat Lewis nicht."Entscheidend sei für Hamilton vor allem "das erste halbe Jahr. Mehr Zeit wird die emotionale italienische Presse Lewis und Ferrari nicht geben. Läuft es bis dahin nicht, werden sie den Daumen ganz schnell senken, und die Euphorie wird in Kritik umschwenken." Auch im teaminternen Duell dürfe Hamilton auf keinen Fall ins Hintertreffen geraten. Sonst, so spekulierte Schumacher, drohe sogar das Karriereende: "Wenn Charles schneller ist und das auch bleibt, ist klar, dass Lewis‘ Zenit überschritten ist."

Hamiltons neues Kapitel bei Ferrari: Roter Heilsbringer oder längst "über dem Zenit"?

Möglich ist die Verwirklichung Hamiltons Traums ohnehin nur, wenn der Ferrari gleich ab Saisonbeginn ein Siegerauto ist, und zumindest die ersten Eindrücke aus den Testfahrten sprechen nicht dagegen. Hamilton und Leclerc waren wiederholt an der Spitze der Zeitenliste zu finden, drehten ihre Runden zudem äußerst konstant in einem scheinbar recht zuverlässigen Auto. "Ich habe mir angewöhnt, nicht zu viel in die ersten Eindrücke hineinzuinterpretieren", sagte Hamilton in Bahrain, er "genieße" den neuen Boliden aber bereits, "wir bonden so langsam."Konkurrenten dürfte es genügend geben. Konstrukteursweltmeister McLaren um Lando Norris wirke stark, Titelverteidiger Max Verstappen ist im Red Bull ohnehin immer ein Kandidat. Kein Wunder, dass Hamiltons neuer Boss Fred Vasseur "wahrscheinlich die spannendste Saison der vergangenen 30 Jahre" erwartet. "Es gibt vier Teams, die letztes Jahr sehr nah dran waren und jetzt gewinnen wollen", sagte er zuletzt der Gazzetta dello Sport.Hamilton ist dabei der X-Faktor. Funktioniert sein SF-25 ab dem ersten Rennen in Melbourne am kommenden Sonntag wie gewünscht, dann liegt es einzig alleine an ihm selbst eine der größten Geschichten des Sports zu schreiben. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben.

Hamiltons neues Kapitel bei Ferrari: Schreibt er die größte Geschichte der Formel 1?

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