Formel 1 - Erkenntnisse zum Belgien-GP: Mercedes fällt zurück ins Performance-Loch

Christian Guinin
29. August 202208:02
Toto Wolff war nicht ganz zufrieden mit der Leistung seine Teams.getty
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Bei der Scuderia Ferrari wirft man mit einem zweifelhaften Boxenstopp kurz vor Ende des Belgien-GPs einmal mehr unnötig ein besseres Ergebnis weg. Max Verstappen und Red Bull wissen derweil, dass sie sich im Kampf um den Titel nur noch selbst schlagen können. Und bei Mercedes fragt man sich, wo die Pace aus den letzten Rennen abgeblieben ist. Die Erkenntnisse zum Belgien-GP.

1. Red Bull und Verstappen können sich nur noch selbst schlagen

Dass Max Verstappen trotz Startplatz 14 noch bis ganz vorne fahren und um den Sieg mitkämpfen könnte, das hatten viele Experten bereits im Vorfeld des Rennens für möglich gehalten. Mit welcher Leichtigkeit und Dominanz der Niederländer seine Konkurrenten aber deklassierte, hatte man selbst bei Red Bull nicht erwartet.

"Wir sind selbst überrascht gewesen, mit welcher Leichtigkeit Max dem Rest des Feldes eineinhalb Sekunden pro Runde davongefahren ist. Das war für Max eine sehr leichte Fahrt", meinte Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko nach dem Rennen.

Nach gerade einmal zwölf Runden befand sich Verstappen bereits auf P1, diesen sollte er dann nur noch einmal bis Rennende, als er erst nach Ferrari-Pilot Carlos Sainz an die Box kam und hinter dem Spanier auf die Stecke zurückkehrte, abgeben. Im letzten Stint hatte der Niederländer gar so viel Vorsprung herausgefahren, dass man gelassen in den Schon- und Verwaltungsmodus schalten konnte.

Es ist das perfekte Zusammenspiel zwischen Verstappen und dem Team, welches in diesem Jahr so unfassbar schwer zu schlagen ist. Auf der einen Seite glänzt der Niederländer mit unfassbarer Konstanz und Abgeklärtheit, auf der anderen Seite scheint Red Bull die Problemchen der Jahresanfangs behoben zu haben. Der Honda-Motor ist auf den Geraden das Power-Haus, welches es zu schlagen gilt, auch in Sachen Reifenverschleiß ist der RB das Nonplusultra.

Ziel ist WM-Platz eins UND zwei

Und das wird auch durch die Außendarstellung unterstrichen. Steht in der Formel 1 - selbst nach solch souveränen Siegen - normalerweise Understatement an der Tagesordnung, verfestigt sich auch beim österreichischen Rennstall immer stärker die Gewissheit, dass man diese Weltmeisterschaft eigentlich nur noch durch eigene Fehler aus der Hand geben kann. Dank des 93-Punkte-Vorsprungs von Verstappen fällt ein Zweifeln zumindest schwer.

So schwer, dass es sich Marko nach dem Rennen nicht verkneifen könnte, ein weitaus höher gestecktes Ziel anzupeilen - nämlich Platz eins UND zwei in der Fahrer-Wertung. Aktuell ist das der Fall, kletterte Sergio Perez durch seinen Podestplatz nämlich an Ferrari-Rivale Charles Leclerc vorbei. "Jetzt ist das Ziel, dass wir erstmals vielleicht eins und zwei in der WM erreichen. Das haben wir bis dato ja noch nicht geschafft", meinte Marko.

2. Ferrari macht Ferrari-Dinge

Während bei Red Bull dank des vierten Doppelerfolges der Saison gute Laune herrscht, sieht man bei Ferrari die Chancen auf den ersten WM-Titel seit 2008 immer weiter schwinden. Während Carlos Sainz immerhin als Dritter noch das Podest absicherte, kam WM-Kandidat Charles Leclerc nicht über Rang fünf hinaus.

Passend zur aktuellen Situation brachte die Scuderia gegen Rennende dann ein Manöver, welches wie kaum ein anderes die verkorkste Saison der Roten beschreibt. Mit einem Boxenstopp in der vorletzten Rennrunde wollte Ferrari dem mittlerweile enteilten WM-Rivalen Max Verstappen zumindest noch einen Punkt entreißen. Doch statt einen Zähler zu gewinnen, verlor Charles Leclerc bei dieser Aktion sogar zwei.

Denn Leclerc schaffte es zum einen nicht, trotz frischen, roten Reifen, die Bestzeit von Verstappen zu unterbieten und sich den Extrapunkt für die schnellste Rennrunde sichern, zu allem Überfluss wurde dem Monegassen wegen Überschreitung des Tempolimits in der Boxengasse eine Fünf-Sekunden-Zeitstrafe aufgebrummt, durch welche er seinen gesicherten fünften Rang noch an Fernando Alonso (Alpine) verlor.

Letzterer äußerte via Funk im Nachhinein sein Unverständnis und machte sich über das misslungene Ferrari-Manöver sogar noch lustig. "Es ist okay. Ferrari tut seltsame Dinge, und das war ein weiteres seltsames Ding", meinte Alonso, nachdem er seinen fünften Rang doch noch behalten durfte.

Charles Leclerc hat in der WM nur noch Außenseiterchancen.getty

Binotto: "Denke, es war die richtige Entscheidung"

So steht bei den Roten einmal mehr ein verpatztes Wochenende auf dem Plan. Dass es für den WM-Titel aller Voraussicht nach nicht reichen wird, wird auch den Verantwortlichen immer klarer. Schuldzuweisungen gab es dennoch keine. "Wir haben während des Rennens darüber gesprochen, und am Ende haben wir entschieden, zu stoppen", sagte Leclerc und nahm die Schuld für die zu schnelle Fahrt in der Boxengasse auf sich: "Das war mein Fehler und hatte nichts mit dem Team zu tun", stellte er klar.

Auch Teamchef Binotto verteidigte das Manöver. Es sei eine "unglückliche Situation" gewesen. "Ich denke, es war die richtige Entscheidung, denn du musst in der Formel 1 mutig sein. Es gab die Möglichkeit auf die schnellste Rennrunde."

Die grundsätzliche Notwenigkeit, die taktische Entscheidungsfindung umzukrempeln, sieht Binotto, trotz der anhaltenden Kritik an seinem Team, nicht. "Ich denke, es war die richtige Entscheidung, denn du musst in der Formel 1 mutig sein. Es gab die Möglichkeit auf die schnellste Rennrunde." Man werde nicht aufhören, "mutig zu sein und auf die schnellste Runde zu gehen, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind."

3. Mercedes fällt zurück ins Performance-Loch

Nachdem man bei Mercedes unmittelbar vor der Sommerpause noch das eine oder andere Podium eingefahren hatte, hatten sich die Silberpfeile für die verbleibenden Rennen bis zum Jahresende das große Ziel Rennsieg auf die Fahne geschrieben. Doch nach vier Wochen Pause und einem Belgien-GP später kehrt die Ernüchterung beim Traditionsteam zurück.

Lewis Hamilton konnte nach seinem Harakiri-Manöver gegen Fernando Alonso nicht in den Kampf um die vorderen Plätze eingreifen, Teamkollegen George Russell wurde ziemlich unspektakulärer Vierter. Mit dem Speed der Ferraris konnte Mercedes nur zweitweise mitgehen, Red Bull und Verstappen waren in einer eigenen Liga.

"Es ist ein ziemlicher Schock, wie weit er (Verstappen) an diesem Wochenende vorne war. Wir haben eindeutig mehr Arbeit vor uns, als wir dachten. Drücken wir die Daumen, dass er nicht auf jeder Strecke so schnell ist!", stellte Mercedes-Renningenieur Andrew Shovlin fest.

Dabei waren die Silberpfeile eigentlich mit einem großen Update nach Spa gekommen, das funktionierte aber offenbar nicht so wie erhofft: "Wir hatten gehofft, mit unseren Updates einen Schritt nach vorne zu machen, und es scheint, dass wir in Sachen Rennpace näher an Ferrari dran sind, aber nicht an Red Bull", führte Shovlin weiter aus.

Vor allem der starke Reifenabbau mache den Silberpfeilen zu schaffen. Zu spät würden die Reifen ins Arbeitsfenster kommen und dieses dann auch nur für kurze Zeit halten können. "Bei etwas höheren Streckentemperaturen fiel uns das Aufwärmen der Reifen heute viel leichter, aber das ist ein wiederkehrendes Problem bei verschiedenen Bedingungen und auf verschiedenen Strecken, das wir verbessern müssen", so Shovlin.

Toto Wolff war nicht ganz zufrieden mit der Leistung seine Teams.getty

Russell: "Würde gerne denken, dass das unser schlechtestes Rennen war"

Ob die kommenden Wochen den Silberpfeilen besser schmecken, bleibt abzuwarten. Mit Zandvoort wartet am nächsten Wochenende immerhin ein Areo-Highspeed-Kurs, welcher Mercedes schon in den Rennen vor der Pause zu schmecken schien. "Um ehrlich zu sein, ist es im Moment alles etwas verwirrend. Es gibt in keine Richtung irgendeine Garantie", sagte Russell mit Blick auf die kommenden Rennen. "Ich würde aber gerne denken, dass das hier unser schlechtestes Rennen war."

In der aktuellen Verfassung der Red Bulls und speziell Verstappens wird es mit Rennsiegen ohnehin schwierig. Dafür müsste Mercedes knapp eine Sekunde pro Runde im Renntrimm finden, ohne dass Red Bull selbst sein Auto weiterentwickelt. "Wir sind nicht da, wo wir sein sollten, mit der Struktur und dem Wissen, um das Rennauto zu verstehen. Das tun wir mit diesem Auto nicht", rätselte Teamchef Toto Wolff.

Formel 1: Der WM-Stand (nach 14 von 22* Rennen)

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull284
2Sergio PerezRed Bull191
3Charles LeclercFerrari186
4Carlos SainzFerrari171
5George RussellMercedes170
6Lewis HamiltonMercedes146
7Lando NorrisMcLaren76
8Esteban OconAlpine64
9Fernando AlonsoAlpine51
10Valtteri BottasAlfa Romeo41
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Red Bull475
2Ferrari357
3Mercedes316
4Alpine115
5McLaren95
6Alfa Romeo51
7Haas34
8AlphaTauri29
9Aston Martin24
10Williams4

*Der Russland-GP wurde aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ersatzlos gestrichen. Ursprünglich hatte die Formel 1 für die Saison 2022 23 Rennen eingeplant.