Eine erneut überragende Leistung von Max Verstappen lässt dessen Konkurrenten beim Großen Preis von Italien wie Spielzeugautos aussehen. Mick Schumacher hat für das kommende Jahr nur noch eine einzige Cockpit-Option. Und die Rennleitung lernt aus den Fehlern der Vergangenheit. Die Erkenntnisse zum Italien-GP.
1. Verstappen fährt gegen Spielzeugautos
Sechs Rennen sind in dieser laufenden Formel-1-Saison noch zu bestreiten, am WM-Titel Max Verstappens zweifelt aber schon längst niemand mehr. 116 Zähler hat der Red-Bull-Pilot Vorsprung auf Konkurrent Charles Leclerc, schon beim kommenden Lauf in Singapur kann Verstappen den Titel vorzeitig eintüten.
Dabei ist es nicht einmal der große Punkteabstand zwischen den beiden WM-Führenden, der große Sorgen bereitet und schon relativ früh in diesem Jahr für Langeweile bei den Fans sorgte. Die schiere Dominanz und Kontrolle, welche Verstappen bei seinen Siegfahrten ausstrahlt, ist das deutlich größere Problem.
In drei der vergangenen vier Rennen startete der Niederländer nicht von der Pole-Position aus, teilweise waren seine Startplatzierungen - wie beispielsweise beim Belgien-GP - außerhalb der Top Ten. Dennoch gewann Verstappen diese vier Rennen größtenteils problemlos - ironischerweise war das einzige Rennen, bei dem er wenigstens etwas um den Sieg zittern musste, sein Heim-GP in den Niederlanden, bei dem er von der Pole losfuhr.
Dass es Verstappen so unglaublich leichtfällt, trotz widrigster Umstände, von Sieg zu Sieg zu rauschen, darf als nichts anderes als eine komplette Bankrotterklärung der Konkurrenz gewertet werden. Absolut niemand - sei es Teamkollege Sergio Perez, welcher in der Theorie über identisches Material verfügen sollte, Leclerc oder die beiden Mercedes-Piloten - kommt auch nur ansatzweise an den Speed heran, welchen Verstappen derzeit an den Tag legt.
imago imagesRed Bull: "Uns liegt bis dato jede Strecke"
Egal auf welcher Strecke, egal auf welchem Reifensatz, egal unter welchen Bedingungen: Der Niederländer ist zu jeder Zeit der mit weitem Abstand schnellste Mann im Feld. Wirft man einen Blick auf seine Onboard-Aufnahmen, bekommt man beinahe den Eindruck, man spiele eine Computer-Simulation, bei der die Gegner auf das schwächst mögliche Level herabgesetzt wurden. Im Vergleich zu seinem Boliden wirken alle anderen Wagen wie Spielzeugautos.
"Er hat es wieder relativ locker geschafft. Wir hatten die Oberhand, erstaunlich war nur, wie schnell er in Führung gegangen ist", zeigte sich sogar RB-Motorsportchef Helmut Marko vom Speed seines Schützlings überrascht. Nun wolle man den Performance Vorteil gegenüber der Konkurrenz ausnutzen und weitere Bestmarken knacken: "Es läuft alles gut und jetzt brauchen wir noch einen Sieg, dann hat er den Rekord eingestellt. Vielleicht schaffen wir 14 Siege."
Dass sich an der Übermacht des Duos Verstappen-Red-Bull noch etwas ändert, glaubt nämlich keiner mehr. Auch nicht beim kommenden Rennen in Singapur, das auf dem Papier den Österreichern aufgrund seines Layouts sogar noch einmal etwas entgegenkommen sollte. "Uns liegt bis dato jede Strecke. Wir wollen die WM gewinnen, Singapur wäre ein guter Platz, zu feiern", schmunzelte Marko.
2. Für Schumacher bleibt Haas die einzige Option
Mick Schumacher erlebte am Sonntag auf dem Autodromo Nazionale di Monza ein weitestgehend ereignisloses Rennen. Zwar machte er von Startposition 17 kommend in der Endabrechnung insgesamt fünf Plätze gut, sein zwölfter Rang im Ziel reichte aber wieder einmal nicht für WM-Punkte.
Dabei wäre es so wichtig, Ausrufezeichen zu setzen, um sich für einen Platz im nächsten Jahr zu empfehlen. Nach wie vor besitzt Schumacher keinen gültigen Vertrag für 2023, zu allem Überfluss verabschiedeten sich innerhalb der vergangenen Wochen einige interessante Optionen für den Deutschen.
McLaren setzt erwartungsgemäß auf Oscar Piastri neben dem gesetzten Lando Norris, bei Alpine will man mehreren Insidern zufolge unbedingt AlphaTauris Pierre Gasly neben Esteben Ocon ins Cockpit setzen. Dieser würde dann bei Red Bulls B-Team wiederum - das hatte Helmut Marko bereits angekündigt - von Nachwuchstalent Colton Herta ersetzt werden.
Blieben summa summarum nur sein jetziger Arbeitgeber und Traditionsteam Williams als potenzielle Kandidaten. Unglücklicherweise setzte bei Letzteren der Niederländer Nyck de Vries an diesem Wochenende das angesprochene, so wichtige Ausrufezeichen, wodurch dessen Chancen auf ein Stammcockpit bei den Briten deutlich gestiegen sein dürften.
gettyNyck de Vries empfiehlt sich für das zweite Williams-Cockpit
Quasi ohne jegliche Testerfahrung fuhr De Vries in Monza mit einer tadellosen Vorstellung als Neunter in die Punkteränge und dominierte Teamkollege Nicholas Latifi nach Belieben. Nicht unwahrscheinlich, dass er sich mit dieser Performance den begehrten Platz bereits gesichert hat. Teamchef Jost Capito kam aus dem Schwärmen jedenfalls kaum mehr heraus: "Man hat ihm keine Nervosität angemerkt. Er hat es so professionell gemacht, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Da sieht man nicht nur, dass er schnell ist, sondern auch die Rennintelligenz besitzt. Es ist eine gute Kombination."
Darüber hinaus ist De Vries Teil der Mercedes-Akademie, welche ihm nicht nur mächtigen Verbündeten beschert, sondern Williams auch mit Motoren ausstattet und traditionell in der Vergabe eines der Cockpits Mitspracherecht genießt. "Wenn ihn nicht einer von denen, die noch einen freien Sitz haben, aufschnappt, verstehe ich die Welt nicht mehr", äußerte sich Mercedes-Teamchef Toto Wolff vielsagend.
Zumindest von Haas-Teamchef Günther Steiner bekam Schumacher Zuspruch. "Wenn man bedenkt, wie wenig Streckenzeit er dieses Wochenende gekriegt hat und wie unsere erwartete Pace hier aussah, hat er es fantastisch gemacht", lobte der Südtiroler. Und ihn muss der Deutsche schließlich auch überzeugen, will er weitermachen. Denn unterm Strich bleibt Haas für Schumacher die wahrscheinlichste Chance auf ein Engagement 2023.
3. Rennleitung vermeidet ein zweites Abu Dhabi
Aufgrund eines späten technischen Defekts von McLaren-Pilot Daniel Ricciardo wurde der Italien-GP hinter dem Safety Car beendet. Der Australier hatte nach Lesmos die Power an seinem MCL36 verloren und rollte wenige Meter später aus. Da es zu lange brauchte, bis Bergungskräfte das Fahrzeug aus dem Weg schaffte, entschied sich die Rennleitung gegen eine Beendigung des Rennens unter normalen Bedingungen.
Fahrer, Teams und Zuschauer fanden das im Anschluss weniger nachvollziehbar und sparten nicht an Kritik an der Entscheidung. "Das Ende war frustrierend. Ich wollte unbedingt, dass dieses Rennen noch einmal gestartet wird. Im Auto habe ich es auch nicht verstanden, weil die Strecke freigeräumt war (in der vorletzten Runde, Anm.d.Red.). Daher dachte ich, dass wir noch einmal fahren würden, aber das ist nicht passiert", klagte der Zweitplatzierte Charles Leclerc.
Haas-Teamchef Günther Steiner, der Schützling Mick Schumacher noch den Sprung in die Punkteränge zugetraut hätte, sprach davon, dass "die Verantwortlichen uns erledigt haben. Im Grunde wurden wir von den Offiziellen über den Tisch gezogen". Sogar Rennsieger Red Bull hatte für die Entscheidung kein Verständnis. "Das war sicher nicht die richtige Entscheidung. Wir hätten einen Nachteil gehabt, aber wir müssen den Sport in den Vordergrund stellen", meinte RB-Motorsportchef Helmut Marko.
Dabei handelte die Rennleitung lediglich nach dem geltenden Regelwerk, welches nach dem letzten Rennen der vergangenen Saison von vielen so laut gefordert wurde. Damals war das Rennen in der letzten Runde noch freigegeben worden, wodurch sich Max Verstappen den Weltmeistertitel sichern konnte.
Rennleitung: "Zeitpunkt hat keinen Einfluss"
Lediglich die Dauer der Bergungsarbeiten kann man den Verantwortlichen ankreiden, die Rennleitung hat darauf jedoch nur sehr geringen Einfluss. Bei Ricciardos Wagen habe man den Gang nicht herausbekommen, wodurch sich der Abschlepp-Vorgang in die Länge zog. Dass man an der Entscheidung, das Rennen nicht zu beenden, festhielt, ist letztlich nur konsequent.
"Da die Sicherheit der Bergungsaktion unsere einzige Priorität ist und der Zwischenfall nicht so schwerwiegend war, dass eine rote Flagge erforderlich gewesen wäre, wurde das Rennen gemäß den zwischen der FIA und allen Wettbewerbern vereinbarten Verfahren unter dem Safety-Car beendet. Der Zeitpunkt der Safety-Car-Phase innerhalb eines Rennens hat keinen Einfluss auf dieses Verfahren", hieß es in einem später veröffentlichten FIA-Statement.
So ist es primär den unglücklichen äußeren Umständen geschuldet, dass das Rennen nicht mehr freigegeben wurde. Die Fans hätten ohne Frage ein spannendes Duell um den Rennsieg in den letzten Runden verdient gehabt, ein zweites Abu Dhabi 2021 will aber mit Sicherheit niemand mehr.
Formel 1: Der WM-Stand (nach 16 von 22* Rennen)
- Fahrerwertung:
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
1 | Max Verstappen | Red Bull | 335 |
2 | Charles Leclerc | Ferrari | 219 |
3 | Sergio Perez | Red Bull | 209 |
4 | George Russell | Mercedes | 203 |
5 | Carlos Sainz | Ferrari | 187 |
6 | Lewis Hamilton | Mercedes | 168 |
7 | Lando Norris | McLaren | 88 |
8 | Esteban Ocon | Alpine | 66 |
9 | Fernando Alonso | Alpine | 59 |
10 | Valtteri Bottas | Alfa Romeo | 46 |
- Konstrukteurswertung:
Platz | Team | Punkte |
1 | Red Bull | 544 |
2 | Ferrari | 406 |
3 | Mercedes | 371 |
4 | Alpine | 125 |
5 | McLaren | 107 |
6 | Alfa Romeo | 52 |
7 | Haas | 34 |
8 | AlphaTauri | 33 |
9 | Aston Martin | 25 |
10 | Williams | 6 |
*Der Russland-GP wurde aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ersatzlos gestrichen. Ursprünglich hatte die Formel 1 für die Saison 2022 23 Rennen eingeplant.