"Das ist der amerikanische Traum!"

Alexander Maack
04. April 201609:22
Romain Grosjean fuhr in Sakhir mit seinem Haas auf Platz 5 durchs Zielxpb
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Formel-1-Neuling Haas hat beim Großen Preis von Bahrain Historisches erreicht. Romain Grosjean fuhr beim zweiten Rennen des Rennstalls aus den USA zum zweiten Mal unter die ersten Sechs. Das gelang einem neuen Konstrukteur zuletzt vor fast 45 Jahren. Die etablierten Teams reagieren mit Unmut.

Pat Symonds hatte es befürchtet. Der erfahrene Williams-Technikchef hatte sich schon nach dem Australien-GP zu Wort gemeldet. "Der Status des Konstrukteurs wurde beschädigt. Manche würden ihn am liebsten komplett aushöhlen", warnte er.

Der Grund war der Erfolg von Grosjean und Haas. Punkte beim Formel-1-Debüt? Ohne das jahrelang aufgebaute Wissen der Luft- und Raumfahrtingenieure? Williams sah sich bedroht und wurde beim zweiten Saisonrennen prompt bestätigt.

Grosjean fuhr nicht nur abermals in die Punkteränge. Er verbesserte sich mit der aggressiven Reifenwahl supersoft, supersoft, supersoft, soft sogar.

Der Franzose kam als Fünfter ins Ziel, einen Platz weiter vorne als noch in Australien. Mit 18 WM-Zählern liegt er gleichauf mit Kimi Räikkönen auf Platz 4 der Fahrer-WM. Und: Während er in Australien noch Glück hatte, durch die zwischenzeitliche Rennunterbrechung nach vorne gespült zu werden, erreichte Haas das Sakhir-Resultat aus eigener Kraft.

Bester Einstieg seit 43 Jahren: "Es ist schon etwas verrückt"

"Das hat richtig Spaß gemacht. Wir hatten einige gute Kämpfe und konnten sogar die Williams überholen", freute sich Grosjean im Anschluss: "Es ist schon etwas verrückt. Es war ein traumhafter Start. Es fühlt sich so an, als müssten wir langsam mal aufwachen."

Der Einstieg des Neulings erinnert an Red Bull. Nur gibt es einen bedeutenden Unterschied: Dietrich Mateschitz kaufte damals Jaguar das Formel-1-Team ab, das ursprünglich als Stewart Racing das Licht der Welt erblickt hatte.

Dass ein neuer Konstrukteur bei seinen ersten beiden Auftritten Punkte sammelte, liegt viel weiter zurück - um genau zu sein 43 Jahre. Damals startete George Follmer für das neue Shadow-Team, fuhr in Südafrika auf Platz 6 und in Spanien auf Platz 3.

Etablierte haben Angst und stellen Gretchenfrage

Den etablierten Formel-1-Teams macht das Angst. Es könnte ernste Konsequenzen mit sich bringen: Wird Haas zum Vorbild, hätten die etablierten Privatiers durch ihr technologisches Wissen kaum Vorteile mehr. Jeder Neueinsteiger könnte sich bei Mercedes, Ferrari, McLaren und Co. das für Erfolg nötige Grundwissen einkaufen.

"Was Haas getan hat, ist gut für ihn. Aber ich weiß nicht, ob es die Richtung ist, in die die Formel 1 gehen sollte", sagte Symonds deshalb. Er kritisierte das Zusammenstreichen der Liste, auf der die Teile definiert sind, welche die Formel-1-Teams nicht an andere Rennställe verkaufen dürfen. "Manche wollen sie sogar noch weiter beschneiden", so Symonds.

"Was die dank der gelockerten Regeln auf dem Silbertablett präsentiert bekamen, haben wir uns acht Jahre lang mühsam erarbeitet", sprang deshalb Symonds Pendant bei Force India, Andy Green, dem 62-Jährigen zur Seite. SPOX

Für Symonds ist klar, wie die Königsklasse des Motorsports auszusehen hat: "Ich würde eine Formel 1 bevorzugen, die die Konstrukteure mehr betont." Es ist die Gretchenfrage, die der erfolgreiche Einstieg von Haas aufwirft: Wie definiert sich die Formel 1?

Haas feiert dank Ferrari-Wissen

Ein reiner Wettstreit von Konstrukteuren bedingt, dass jeder das Material selbst produziert, das auf der Strecke über die Positionen entscheidet. Genau das ist bei Haas aber nicht der Fall. Die US-Amerikaner beziehen knapp 70 Prozent ihres Autos von Ferrari und nutzen den Windkanal in Maranello.

Chassis, Flügel, Verkleidung, Unterboden und die Kühler muss jeder Formel-1-Rennstall in Eigenregie produzieren. Die Aufhängung etwa darf allerdings eingekauft werden. Auf dem Bahrain International Circuit, wo gute Traktion durch mechanischen Grip extrem wichtig ist, zahlte sich das für das Rookie-Team von Gene Haas aus.

"Unser Aufhängungsdesign hilft uns dabei, die Reifen am Leben zu halten. Wir haben viel Traktion", nannte Grosjean nach dem Sakhir-Rennen den wichtigsten Grund für den Erfolg beim Namen.

Nach der Rückfahrt in die Boxengasse von Sakhir hatte Grosjean die Fassung wiedergefunden. Nach der Zieldurchfahrt klang es im Boxenfunk noch wesentlich euphorischer: "Unglaublich Jungs. Das ist der amerikanische Traum!" Der Ausruf trifft voll ins Schwarze.

Das von Haas in der Formel 1 verfolgte Modell ist amerikanisch. In der NASCAR hat er es in den vergangenen Jahren erfolgreich umgesetzt. Dort startete Stewart Haas Racing seit der Gründung im Jahr 2003 mit technischer Unterstützung von Hendrick Motorsports. Zwei Fahrer-Titel holte Mitbesitzer Tony Stewart in den Jahren 2011 und 2014.

Dort lernte Gene Haas übrigens auch seinen heutigen Teamchef kennen: Günther Steiner. Der Südtiroler machte dem Selfmade-Geschäftsmann den Formel-1-Einstieg schmackhaft, nachdem er für Red Bull ein NASCAR-Team aufgebaut hatte. Die Österreicher vertrauten ihm das Projekt an, weil er zuvor schon Jaguar für sie in Red Bull Racing umgewandelt hatte.

Steiners Plan: Unter keinen Umständen ohne Wissen starten. Das hatten schließlich Virgin/Marussia, Lotus/Caterham und Hispania/HRT erfolglos versucht. Stattdessen sollte das Auto wie von Stewart Haas von einem etablierten Konstrukteur bezogen werden. Doch sowohl der Dritt-Auto-Plan als auch die direkte Belieferung von Kundenteams bekam keine Zustimmung.

"Ich habe daraufhin Gene Haas gefragt, ob er es überhaupt noch machen will. Wir haben ein paar Wochen überlegt, und irgendwann ist uns die Idee gekommen, dass es klappen könnte, wenn man mit einem großen Team zusammenarbeitet und so viele Teile kauft, wie es das Reglement erlaubt", erzählt der in Südtirol geborene Steiner.

Wenn nicht Mercedes, dann halt Ferrari

Mercedes ließ die Amerikaner abblitzen, doch Ferrari schlug zu. Einerseits ist der US-amerikanische Markt für die Italiener seit jeher eines ihrer Hauptabsatzgebiete, andererseits bot sich eine lohnenswerte Perspektive: Mehr Daten für die eigene Entwicklung.

"Im Prinzip machen wir nichts anderes als Force India bei Toyota. Wir sind Kunde im Ferrari-Windkanal", sagt Steiner. Das bestätigte die FIA bei einer Untersuchung schon Mitte 2015. Datenaustausch sei nicht festzustellen. Doch beim Saisonabschluss in Australien mussten die Stewarts die Regeln genau auslegen, weil Mercedes mit den Antworten unzufrieden war.

Auch wenn noch nicht klar ist, ob Haas auch auf den aerodynamisch fordernden Strecken so weit vorne landet wie in Australien und Bahrain - andere Teams könnten nachziehen.

Haas ist Glücksgriff statt Gefahr

Für die Formel 1 ist das Team deshalb vielmehr Glücksgriff denn Gefahr. Die US-Amerikaner beweisen, dass ein Neueinstieg in die Königsklasse gelingen kann.

Grosjean darf deshalb stolz sein. Schließlich hatten ihn viele für seine Entscheidung kritisiert, Lotus zu verlassen, obwohl der Renault-Einstieg bevorstand. "Ich habe die Wahl getroffen, weil ich an dieses Projekt glaube. Heute sieht man, dass es so gekommen ist, wie ich mir es vorgestellt habe. Nach vielen Jahren mit Renault und Lotus war es ein notwendiger Schritt, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich sammele jetzt meine eigene Erfahrung", sagte der 29-Jährige in Sakhir.

Was Haas macht, ist aktuell extrem wichtig, schließlich kämpfen Teams wie Sauber seit Jahren ums finanzielle Überleben. Williams und Force India werden sich darüber trotzdem nicht freuen. Weitere Neueinsteiger, die das Know-How der Topteams nutzen, würden ihnen WM-Punkte und damit Geld aus dem Preisgeld-Topf kosten.

Was Symonds bei seinen Warnungen zu erwähnen vergisst: Haas Modell ist keineswegs revolutionär. Sein eigener Chef, Frank Williams, stieg in der Saison 1969 in die Formel 1 ein. Er kaufte sich dafür einen aktuellen Brabham BT26A und baute keineswegs selbst das Auto.

Die Formel-1-WM 2016 im Überblick