Der Formel-1-Zirkus macht den Abflug. Vom mondänen Monaco geht es über den großen Teich nach Montreal. Mit dabei: reichlich Zündstoff. Mercedes' Top-Secret-Testfahrten in Barcelona schüren das Misstrauen. Im SPOX-Interview bezieht Nick Heidfeld (36) - einst bei Sauber und Silberpfeil-Entwicklungspilot, mittlerweile in der Langstrecken-WM aktiv - vor dem Highspeed-GP (So., 20 Uhr im LIVE-TICKER) Stellung: zur Pirelli-Seifenoper, Red Bulls Fehleinschätzung, Nico Rosberg alias der Reifenflüsterer, Crashkid Perez und die drohende Kostenexplosion.
SPOX: Herr Heidfeld, den jährlichen Promi-Ansturm im Fürstentum überstanden, verabschiedete sich die Formel 1 Richtung Kanada. Die Piloten können sich im Starting Grid wieder frei bewegen. Wie froh waren Sie früher, den Fokus auf das Wesentliche legen zu dürfen?
Nick Heidfeld: Ich fand es einmal im Jahr wirklich großartig. Die Atmosphäre ist extrem, man kann sich dem Spektakel glücklicherweise nicht entziehen. Monaco macht Spaß. Es ist das Rennen des Jahres. Danach fliegt man gerne nach Montreal. Vom Presserummel und der Prominenz her ist es stressfreier, die Stimmung sehr relaxed. Wobei Monte Carlo schon einzigartig und anspruchsvoller ist. Du darfst dir keinen Fehler erlauben.
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SPOX: Wahl-Monegasse Nico Rosberg war im Leitplanken-Labyrinth über jeden Zweifel erhaben. Per Twitter gratulierten Sie ihm zum perfekten Heimspiel.
gettyHeidfeld: Er ist schnell, auf dem Kurs besonders schnell. Wenige hätten im Winter mit dieser Hackordnung bei Mercedes gerechnet. Nico hat es mehrfach geschafft, Lewis Hamilton hinter sich zu lassen, stand drei Mal in Serie auf Pole. Er war fehlerfrei unterwegs - eine herausragende Leistung. Die Reifendebatte kann das nicht schmälern.
SPOX: Unerwartet wurden Pirelli-Testfahrten der Silberpfeile publik. Red Bull und Ferrari legten Protest ein, die Königsklasse befindet sich in Aufruhr. Ihre Einschätzung?
Heidfeld: Typisch Formel 1. Es ist eine außergewöhnliche Situation. Es hat mich überrascht, davon zu hören. Keinem wird das gefallen. Nicht nur Red Bull oder der Scuderia. Für die kleineren Rennställe wie Lotus oder Force India, die mit den Begebenheiten bestens zurecht kommen, ist das ärgerlich. Was mich verwundert, ist die Tatsache, wie lange es gedauert hat, bis all das öffentlich wurde. Normalerweise bekommt die Konkurrenz sofort Wind davon, wenn etwas im Hintergrund geschieht.
BLOG Die gefräßige Mauer
SPOX: 1.000 Kilometer auf dem Circuit de Catalunya. Dröhnende Motoren auf, silberne Trucks abseits davon: Wie lässt sich das vertuschen?
Heidfeld: Von den teilnehmenden Parteien, sprich Pirelli und Mercedes, wurde vermutlich bewusst darauf geachtet, es möglichst geheim zu halten. Obwohl an einem solchen Projekt zahlreiche Mitarbeiter beteiligt sind. Von Anwohnern oder schaulustigen Zuschauern hätte ich gedacht, dass via Twitter oder Facebook erste Bilder auftauchen. Zumal früher beinahe täglich Grand-Prix-Distanzen abgespult wurden und es jetzt verboten ist.
SPOX: Davon scheinen nicht nur Sie auszugehen.
Heidfeld: Bei den Statuten bin ich nicht ganz sattelfest: Der Knackpunkt ist, was letztlich Schwarz auf Weiß verankert ist, welche Vereinbarungen zwischen der FIA, den Teams und Pirelli getroffen wurden. Womöglich kennen wir gar nicht alle Fakten. Jeder dachte, dass während der Saison kein Testbetrieb gestattet ist. Mit Ausnahme der Young-Driver-Tage. Anscheinend es ist es auch aus sicherheitsrelevanten Gründen erlaubt, 1.000 Kilometer zurückzulegen. Rosberg und Hamilton taten dies, im Gegensatz zu Ferrari einige Wochen zuvor, mit dem aktuellen Boliden, nicht einem zwei Jahre alten Modell. Somit ist es eine Frage des Beisatzes: Dürfen sie das, wenn alle zustimmen? Oder wenn es jedem angeboten wurde und daher Chancengleichheit besteht? Wie ich das interpretiere, wirkt es nicht eindeutig.
SPOX: Niki Lauda, Mercedes' Aufsichtsratschef, berief sich auf die FIA: "Wir haben uns rechtlich abgesichert. Red Bull wurde gefragt, hat die Entscheidung jedoch verschlafen." Freiwillig darauf zu verzichten - undenkbar?
Heidfeld: Absolut. Pirelli-Chef Paul Hembery sagte, dass im letzten Jahr alle Teams gefragt wurden. Da wäre noch nicht mal von allen eine Antwort gekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wer in der Formel 1 absagen würde, wenn es regeltechnisch zweifelsfrei wäre. Die Details gilt es zu klären: Sowohl Mercedes als auch Pirelli können nicht blindlings handeln. Sie glauben, aus dieser Sache herauszukommen. Andernfalls hätten sie nicht so gehandelt. In dem Business bewegt man sich oftmals in Grauzonen. Und da treffen bekanntlich verschiedene Meinungen aufeinander. Eine ganz heiße Nummer.
SPOX: Pirelli wird nicht müde zu betonen, die Mischungen seien unkenntlich gewesen. Bei Red Bull tat man dies als Geschwafel ab. Motorsportchef Helmut Marko verwies auf die Vergleichsdaten - inwiefern behält er damit Recht?
Heidfeld: Mercedes konnte sich einen Vorteil verschaffen. Ob erlaubt oder nicht - das war mit Sicherheit nicht im Sinne der Fairness. Aber: Ein cleverer Schachzug ist in der Formel 1 manchmal nötig. Man muss als Rennstall hinter den Kulissen gute Kontakte zu den relevanten Personen pflegen. Das hat man offensichtlich geschafft. Nachdem sie im Rennen noch große Schwierigkeiten hatten, sammelten sie unmittelbar danach neue Erfahrungen.
Teil 2: Heidfeld über Crashkids und den Kanada-GP
SPOX: Star-Designer Adrian Newey zufolge kämen drei Tage einer Zeitverbesserung um rund eine Sekunde gleich. Erhält er Ihre Zustimmung?
Heidfeld: Nachdem Testfahrten auf den Winter beschränkt sind, macht das einen Sprung durchaus möglich. Eine Sekunde pro Runde erscheint mir absurd. Mercedes wird sich kaum voll auf die Fahrzeug-Entwicklung konzentriert haben. Aber: Zu sagen, da würde man nichts lernen, ist totaler Quatsch.
SPOX: Glauben Sie, der Erkenntnis-Vorsprung im Umgang mit den Pneus ist womöglich für die Fahrer viel bedeutender als für die Ingenieure?
Heidfeld: Als ich die Inboard-Aufnahmen von Monaco sah, kam mir derselbe Gedanke. Man hörte sogar, wie vorsichtig Rosberg und Hamilton die Pirellis behandelten. Sie haben überlegt und entwickelt, nur nichts gefunden. Vielleicht erkannte man stattdessen das fahrerische Potenzial, etwa mit weniger Wheel-Spin zu beschleunigen. Die Funksprüche passten ins Bild: Man gab Rosberg anfangs relativ langsame Rundenzeiten vor. Sebastian Vettel klagte, die Reifen seien am Limit. Bei Nico waren noch 50 bis 60 Prozent Gummi drauf, sie waren von der Traktion bedeutend besser. Dieser Unterschied ist eklatant.
SPOX: Mercedes schwankte bisweilen zwischen Qualifying-Dominanz und fahrender Schikane am Sonntag. Worauf ist das zurückzuführen?
Heidfeld: Diese Probleme ziehen sich über zwei bis drei Jahre. Immer war die Tendenz auf eine Runde stark, im Rennen konnte man die Pace nicht bestätigen. Bis auf wenige Ausnahmen. Selbst die schlausten Köpfe in der Formel 1 zerbrechen sich den Kopf und finden keine Lösung. Sie können nicht alles umbauen, um schneller oder weniger Temperatur zu bekommen. Obwohl die Entwicklung derart rasant verläuft und wahnwitzige Summen investiert werden, steckt das manchmal im Boliden.
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SPOX: In Montreal wird die Belastung für das schwarze Gold ungleich höher sein.
Heidfeld: Durch die Highspeed-Passagen wirken unheimliche Kräfte. Die Teams sollten tunlichst die Limits einhalten, die speziell von Pirelli als Richtwerte vorgegeben werden. Da geht es beispielsweise um weniger Luftdruck oder mehr Sturz. Damit zu experimentieren, wäre nicht ratsam, sonst kann dir alles um die Ohren fliegen.
SPOX: Blechsalat gab es in Monaco zuhauf: Mal wieder übertrieb es so mancher. Trügt der Eindruck oder werden die Jungs von Jahr zu Jahr übermütiger?
Heidfeld: Man darf es nicht verallgemeinern: Adrian Sutil fuhr sensationell bis auf Platz fünf. Sergio Perez agierte extremer. Die Routiniers beobachteten zum Glück den Rückspiegel aufmerksam, sonst hätte es viel öfter gekracht. Nicht nur mit Perez, aber speziell mit ihm. Was mir negativ auffiel, waren seine Kommentare zum Vorfall mit Kimi Räikkönen. Er dachte, nur weil zwei andere Piloten inklusive Fernando Alonso die Tür geöffnet hatten, wäre er im Recht und es müsste wieder klappen. Offensichtlich ist: Die Stewards greifen dieses Jahr seltener ein, leichte Berührungen werden nicht bestraft. Dadurch wird risikobehafteter vorgegangen. Die FIA nimmt das bewusst in Kauf, um Rad-an-Rad-Kämpfe zu forcieren. Und das gefällt den Zuschauern.
SPOX: Montreal garantiert durch DRS, KERS und die lange Gerade meist Überhol-Action. Wie werden sich die Kräfteverhältnisse entwickeln?
Heidfeld: Die Frage ist, welche Updates geliefert werden. Wahrscheinlich werden die üblichen Verdächtigen vorne mitmischen. Mercedes verfügt über einen starken Motor und guten Topspeed. Darauf kommt es an. Red Bull hat ein überaus ausgeglichenes Auto, das überall ganz gut ist.
SPOX: Stichwort Power: 2014 kommen die V6-Turbo-Aggregate. Unlängst sprach RBR-Teamchef Christian Horner das aus, was viele befürchten: eine Kostenexplosion. Warum?
Heidfeld: Neuerungen in der Formel 1 lassen die Ausgaben erst dramatisch steigen. Die Produktionskosten werden anscheinend sinken, dafür sind jene für die Entwicklung, vor allem parallel zur Saison, enorm. In erste Linie sind davon die Motorenhersteller betroffen. Sie werden versuchen, das Geld anderswo einzunehmen. Der Haken: Viele Teams befinden sich in finanziellen Turbulenzen. Zudem muss das Chassis, die gesamte Aerodynamik dem neuen Konzept angepasst werden. Nachdem das Reglement noch nicht ausgereizt sein wird, liegen wahrscheinlich die Besten und Reichsten voran. Außer es gelingt ein Geniestreich, wie damals Brawn-GP mit dem Doppel-Diffusor.
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