Ist Mercedes schon an Ferrari vorbei?

Alexander Mey
29. Februar 201218:24
Michael Schumacher fuhr im neuen Mercedes die neuntschnellste Zeit in BarcelonaGetty
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Kurz vor Beginn der letzten Woche der Wintertests in Barcelona gilt es, noch einmal ein Zwischenfazit der bisherigen Tests zu ziehen. Inwieweit hat sich das Bild im Vergleich zur ersten Woche in Jerez verändert?

Zwei von drei Wochen, also acht von zwölf Tagen sind vorbei, die Testfahrten vor dem Saisonstart am 18. März in Melbourne setzen zum Endspurt an. Von Donnerstag bis Sonntag müssen die Boliden in Barcelona den Feinschliff bekommen.

Das wird bei einigen zumindest bis zu einem gewissen Grad klappen, bei anderen ist daran nicht ansatzweise zu denken. Eine Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung der Teststatistiken aus Barcelona.

Red Bull: 364 Testrunden - Bestzeit: 1:22,891 (Sebastian Vettel, Platz 5)

Vettel und Webber drehten wie in Jerez auch in Barcelona unauffällig ihre Kreise, ohne allerdings beim Blick auf die Straßenlage des RB8 einen Zweifel daran zu lassen, wer auch 2012 wieder die Messlatte sein wird.

Beide Piloten hatten zeitweise mit Getriebeproblemen zu kämpfen, was dazu geführt hat, dass Red Bull in Sachen Testrunden nur auf Rang sechs liegt. Auch Hitzeentwicklung am Auspuff soll ein Problem gewesen sein.

"Das ist nichts, worüber wir uns Sorgen machen müssten", beteuerte Teamchef Christian Horner. Allerdings ist der RB8 nicht ganz so standfest wie sein Vorgänger zu dieser Zeit.

Vielleicht auch deshalb wittert McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh etwas Morgenluft, wenn er gegenüber "auto, motor und sport" sagt: "Red Bull hat ein solides, schnelles Auto. Aber sie sind nicht super überlegen. Wir sind besser in schnellen Kurven, sie in langsamen."

McLaren: 464 Testrunden - Bestzeit: 1:23,200 Minuten (Jenson Button, Platz 8)

Die Nervosität nach der ersten Testwoche, als man noch nicht genau wusste, wo man mit der untypisch tiefen Nase liegt, ist ein wenig der Zuversicht gewichen. Der McLaren liegt sehr gut auf der Straße, fast so gut wie der Red Bull, sagen Experten wie Ex-Pilot Alexander Wurz.

Auch die Tatsache, dass es sich McLaren leisten kann, keine Showrunden zu drehen sondern lieber mit vollen Tanks Rennsimulationen zu fahren, spricht für große Selbstsicherheit im Team.

Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel besser die Tests im Vergleich zu 2011 laufen. "Da sind wir unsere erste Renndistanz in Melbourne gefahren. Jetzt legen wir 500 Kilometer pro Tag zurück. Die Startbasis ist deutlich besser", sagte Whitmarsh. Platz zwei bei der Zahl der Testrunden dient als Beleg dafür.

Ferrari: 349 Testrunden - Bestzeit: 1:23,180 Minuten (Fernando Alonso, Platz 7)

Es ist alles besser geworden im Vergleich zu Jerez, aber wirklich zufrieden ist bei den Roten immer noch niemand. Die Rundenzeiten sind Durchschnitt, die Zahl der Testrunden auch. Zu zahlreichen Umbauten des Set-Ups und aufwändigen Aerodynamik-Tests kamen in Barcelona auch noch technische Probleme dazu.

Der F2012 gibt immer noch Rätsel auf, besonders im Grenzbereich soll das Auto sehr kritisch zu fahren sein. Wohl der Hauptgrund dafür, dass im Vergleich zu Red Bull und McLaren die Konstanz fehlt. Einige Experten schieben die Tatsache, dass das Auto zickt, auf die Vorderradaufhängung. Ferrari hat das Konzept von Druck- auf Zugstreben-Technik umgestellt, was offenbar die Fahrzeugabstimmung schwieriger macht.

Alles nicht besonders erfreulich, aber auch kein Grund zur Panik. "Wir entwickeln das neue Auto immer weiter. Möglicherweise machen wir nur kleine Schritte nach vorne, aber die kommen wenigstens konstant. In Barcelona war der F2012 schon besser als in Jerez, diese Woche wird er noch einmal besser sein - und für Melbourne gelingt uns hoffentlich noch ein Schritt", fasste Fernando Alonso zusammen.

Mercedes: 506 Testrunden - Bestzeit: 1:23,384 Minuten (Michael Schumacher, Platz 9)

Sieg bei der Zahl der Testrunden für den neuen Silberpfeil - allerdings kein ganz fairer, denn das Auto war nach einem eingesparten Tag in Jerez in Barcelona fünf Tage lang auf der Strecke.

Trotzdem bleibt nach anfänglichen technischen Problemen der Eindruck, dass der Silberpfeil sehr standfest ist. Die Rennsimulationen an den letzen beiden Tagen verliefen reibungslos.

"Wir müssen nicht mehr ständig nachbessern", sagte Teamchef Ross Brawn. "Im letzten Jahr hielten uns die Kühlprobleme lange in Atem. Jetzt läuft das Auto und wir können uns allein darauf konzentrieren, es schneller zu machen."

Ex-Pilot Wurz sieht Mercedes sogar schon auf Platz drei in der Hierarchie, vor Ferrari. "Die haben einen Schritt nach vorne gemacht", urteilte Wurz gegenüber der "SportWoche".

Zu Siegen wird es aber zu Beginn noch nicht reichen. Daran glauben nach dem Vergleich der Rennsimulationen nicht einmal die kühnsten Optimisten. "Red Bull war schneller", sagte Brawn "auto, motor und sport" nach seiner Datenanalyse: "Etwas deutlicher, als wir uns das erhofft hatten."

Lotus: 7 Testrunden - Bestzeit: 1:26,809 Minuten (Romain Grosjean, Platz 21)

Eine Katastrophen-Woche hat aus dem Geheimtipp von Jerez ein Sorgenkind gemacht. Eine Schwachstelle am Chassis, die nicht vor Ort behoben werden konnte, beendete den ersten Barcelona-Test des Teams nach gerade mal sieben Runden. Lotus reiste ab, vier Tage waren praktisch futsch.

In harter Arbeit im Werk ist das Chassis-Problem nach Aussage des Teams behoben worden. Es ist nun stabiler, wenn auch ein Kilogramm schwerer als zuvor. Trotzdem lassen sich die verlorenen Kilometer in den verbleibenden Tagen nicht mehr komplett aufholen.

Lotus muss also hoffen, an die problemlosen Tests in Jerez anschließen zu können, um zumindest leidlich gut vorbereitet nach Melbourne reisen zu können. Immerhin galt vor allem Kimi Räikkönen dort als heimlicher Podiumskandidat.

Teil 2: Die Showmänner der Barcelona-Woche

Force India: 393 Testrunden - Bestzeit: 1:22,608 Minuten (Nico Hülkenberg, Platz 3)

Was Hülkenberg an seinen beiden Testtagen in Barcelona abgeliefert hat, war einfach nur stark. Einmal Bestzeit, einmal Rang zwei, dazu über 200 Runden gedreht.

In Sachen Standfestigkeit sieht der VJM05 sehr gut aus und auch der Speed scheint zu stimmen, wenngleich man sich nicht blenden lassen darf. Hülkenberg fuhr seine schnellste Zeit auf superweichen Reifen. Die Top-Teams sind überhaupt noch nicht auf Zeitenjagd gegangen.

Trotzdem sieht es für das Vorhaben, Best of the Rest zu bleiben, gut aus. "Wir haben eine gute Basis und eine ziemlich genaue Ahnung, wie das Auto reagiert. Das ist gut", sagte Hülkenberg.

Sauber: 394 Testrunden - Bestzeit: 1:22,312 Minuten (Kamui Kobayashi, Platz 1)

Noch so eine Spitzenzeit, die mit Vorsicht zu genießen ist. Zwar fuhr Kobayashi die Wochenbestzeit nicht mit superweichen, sondern mit weichen Reifen. Trotzdem geht niemand davon aus, dass Sauber die Großen herausfordern kann.

"Das Auto macht, was es machen soll. Alle Komponenten haben das bestätigt, was die Daten versprechen", hielt sich Chefdesigner Matt Morris bezüglich der Bestzeit zurück. Aber immerhin prognostizierte er selbstbewusst: "Ich glaube, dass der Abstand des Mittelfeldes zur Spitze in diesem Jahr kleiner ausfallen wird."

Sauber bringt wie wohl alle anderen Teams auch ein weiteres Update-Paket mit zum letzten Test. Damit seien 75 Prozent des Melbourne-Pakets am Auto.

Toro Rosso: 295 Testrunden - Bestzeit: 1:23,618 Minuten (Daniel Ricciardo, Platz 12)

Nach den Jerez-Tests sah es bei Toro Rosso in Sachen Rundenzeiten noch besser aus als in Barcelona. Und auch 100 Testrunden weniger als die direkte Konkurrenz im Mittelfeld lassen nicht gerade Euphoriestürme losbrechen.

Aber Vorsicht: Natürlich weiß auch im Fall von Toro Rosso niemand, welches Testprogramm die Piloten absolviert haben. Auf jeden Fall haben sie auf schnelle Showrunden wie die von Force India, Sauber und Williams verzichtet. Das muss noch nichts heißen.

Daniel Ricciardo äußerte sich nach wie vor positiv über das neue Auto, allerdings hat Ex-Pilot Wurz bei Toro Rosso und bei Sauber Probleme mit der Straßenlage ausgemacht. "Die haben beide noch Probleme an der Hinterachse", sagte der Österreicher.

Williams: 454 Testrunden - Bestzeit: 1:22,391 Minuten (Pastor Maldonado, Platz 2)

Die dritte Spitzenzeit der Woche - und die dritte von einem Team, von dem man die nicht erwartet hätte. Maldonado brannte auf superweichen Reifen seine Bestzeit auf den Asphalt und machte damit zumindest die Entschlossenheit von Williams klar, das Katrastrophen-Jahr 2011 vergessen zu machen.

Was die Zeit allerdings wert ist, ist ganz schwer zu sagen. Williams gibt zu, in langsamen Kurven Probleme mit der Performance zu haben. Die müsse man in den Griff bekommen, um in der Startaufstellung weiter nach vorne zu kommen.

Allzu viele langsame Kurven gibt es in Barcelona nicht. Der echte Härtetest wird diesbezüglich erst in Melbourne folgen.

Caterham: 240 Testrunden - Bestzeit: 1:26,035 Minuten (Heikki Kovalainen, Platz 18)

Die größte Aufmerksamkeit erhaschte das Team vor Beginn der Tests durch den Rauswurf von Jarno Trulli und der Verpflichtung von Witali Petrow als zweiten Fahrer.

Die Tests selbst machten aber nicht allzu viel Mut. Der Abstand zu Toro Rosso, Williams und Co., zu denen man eigentlich im dritten Jahr aufschließen wollte, ist sehr groß. Abgesehen von Lotus fuhr jedes vor Caterham platzierte Team deutlich unter 1:24 Minuten. Kovalainen und Petrow knackten nicht einmal die 1:26er Marke. Und so viel mehr Benzin als der Rest können sie auch nicht an Bord gehabt haben. Der Weg ins Mittelfeld scheint nach wie vor weit zu sein.

HRT: 0 Testrunden

Das einzige Team, das nicht in Barcelona war. Das neue Auto hatte zwei Crashtests nicht bestanden und liegt seitdem auf Eis. Nun hat es diese Tests zwar bestanden, ob es der kleine Rennstall nun aber schafft, das Auto rechtzeitig bis zum zweiten Barcelona-Test aufzubauen, ist fraglich.

Laut "Autosport" hofft man bei HRT, den F112 wenigstens für die letzten beiden Testtage zum Laufen zu bekommen. Das wäre schon einmal ein Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr.

Marussia: 338 Testrunden - Bestzeit: 1:26,173 Minuten (Timo Glock, Platz 19)

Immerhin: Sowohl Timo Glock als auch Neuling Charles Pic konnten mal ein bisschen Formel 1 fahren. Zwar im alten Auto, aber okay. Solange das neue zum letzten Barcelona-Test fertig gewesen wäre, wäre das alles noch im Rahmen gewesen.

Aber jetzt? Ein Crashtest wurde nicht bestanden, alle offiziellen Tests vor dem Saisonstart sind gestrichen. Sollte das Auto die Nachprüfung durch die FIA bestehen, wäre höchstens noch ein Aerodynamik-Test auf gerader Strecke denkbar - keine ernsthafte Saisonvorbereitung.

Es sieht also für die Konkurrenzfähigkeit von Glocks Auto vorerst zappenduster aus. Da hilft auch die Zusammenarbeit mit McLaren, die dem neuen Auto angeblich eine tiefe Nase beschert hat, wenig.

Glock bleibt trotz aller Hiobsbotschaften kämpferisch: "Wir werden noch testen und wir werden in Melbourne mit unserem neuen Auto an den Start gehen."

Die Testzeiten in Jerez und Barcelona im Überblick