Tränen fallen ganz zum Schluss

SPOX
07. Mai 201623:58
Niko Kovac, Viktor Skripnik und Jürgen Kramny zittern um den Klassenerhaltgetty
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Für ein Trio wird der Saisonabschluss zum Nerven-Horror. Im Abstiegsfinale machen Werder Bremen und Eintracht Frankfurt Liga eins unter sich aus. Dem VfB Stuttgart brennen die Augen - doch er kann noch sehen.

SPOXEintracht Frankfurt

Statistik: Platz 15, 36 Punkte, 34:51 Tore

Dass die Eintracht vor dem letzten Spieltag auf einem Nichtabstiegsplatz steht, wäre vor drei Wochen undenkbar gewesen. Denn am 30. Spieltag standen die Frankfurter beim Traumcomeback von Kevin Kampl Spalier und kassierten die dritte Pleite am Stück. Alle Zeichen deuteten auf Abstieg: Platz 17, vier Zähler Rückstand auf den Relegationsplatz und gar sechs Punkte zum rettenden Ufer waren die Quittung für diese Schwächephase. "Vor vier Wochen waren wir schon abgeschrieben, aber wir haben uns nicht aufgegeben", erinnert sich Stefan Aigner.

Mit Erfolg. Vor der letzten und entscheidenden Partie hat sich die Situation grundlegend verändert. Die Hessen drehten die Derbys gegen Mainz und Darmstadt, ehe sie am Samstag Borussia Dortmund mit 1:0 niederkämpften.

"Wir wussten, dass wir gegen den BVB spielerisch schlechter sind. Aber wir können über den Kampf kommen. Ich habe gesagt, dass wir von zehn Spielen einmal gewinnen können. Das haben die Jungs heute eindrucksvoll gemacht. Kompliment und Hut ab", freute sich Nico Kovac nach dem Erfolg.

Die Statistiken des Spiels offenbaren das ganze Ausmaß der angedeuteten spielerischen Unterlegenheit, denn die Eintracht war nicht nur wie erwartet in nahezu allen Werten unterlegen, das Team stellte reihenweise Negativrekorde auf. Frankfurt spielte nur 134 Pässe, das ist Tiefstwert für ein Team in einem Bundesliga-Spiel seit Beginn der Opta-Datenerfassung 2004/05. Alleine Mats Hummels kam auf 119 Pässe - und der BVB-Kapitän wurde nach 65 Minuten ausgewechselt. Auch Ballbesitz ist mit 15,5 Prozent ein neuer Bundesliga-Tiefstwert. Doch damit nicht genug: Die Passquote von 49,3 Prozent ist ein neuer negativer Vereinsrekord für die SGE in der Bundesliga.

Den Frankfurtern dürften diese Horrorzahlen jedoch ziemlich egal sein, denn unter dem Strich stehen dank des starken Kopfballtreffers von Stefan Aigner drei unheimlich wichtige Punkte. "Wir hätten auch mit wehenden Fahnen untergehen können. Aber das wäre falsch, wir mussten diese Taktik spielen", erklärte Kovac im Anschluss des Spiels. "So, wie das Team in den letzten Wochen aufgetreten ist, kann man den Klassenerhalt schaffen. Die letzte Schlacht muss aber erst noch geschlagen werden."

Und vor der letzten Schlacht gegen Werder Bremen hat sich die Eintracht in eine komfortable Position gebracht. An der Weser reicht den Frankfurtern ein Unentschieden, um auch in der nächsten Saison im deutschen Oberhaus antreten zu dürfen. Der direkte Abschied ist zwar theoretisch noch möglich, angesichts von drei Punkten Vorsprung auf Stuttgart und dem deutlich besseren Torverhältnis (-17 zu -23) aber äußerst unwahrscheinlich.

Einen Wehrmutstropfen muss die Eintracht nach dem Kampfsieg gegen den BVB allerdings verkraften: Szabolcs Huszti holte sich mit einem taktischen Foul seine fünfte Gelbe Karte der Saison ab und muss das Match gegen Werder von der Tribüne aus verfolgen.

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Dafür dürfen sich die Eintracht-Anhänger berechtigte Hoffnung auf ein Comeback des Goalgetters im Abstiegsendspiel machen. Alex Meier wird aller Voraussicht nach im Laufe der nächsten Woche wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Eine Rückkehr von Meier wäre enorm wichtig, denn seit der Verletzung des 33-Jährigen sind dem Team gerade einmal magere sechs Tore gelungen. In zehn Spielen.

Aber auch ohne Meier haben die Frankfurter von den drei Abstiegskandidaten die besten Chancen auf den Klassenerhalt. Diese Ausgangslage haben sie sich den letzten Wochen redlich verdient.

SPOXWerder Bremen

Statistik: Platz 16, 35 Punkte, 49:65 Tore

Hätte Schiedsrichter Felix Zwayer am Samstagmittag Santiago Garcias Tor gegen den 1. FC Köln nicht fälschlicherweise aberkannt - wer weiß, ob Bremen am letzten Spieltag nicht sogar mit der besten Ausgangsposition der Abstiegskonkurrenten dagestanden hätte. Und ob anstatt eines Trios nicht doch sogar ein Quartett um den Klassenverbleib kämpfen würde. Hoffenheim lässt grüßen.

Doch groß hadern wollte bei Werder keiner mit dem nicht gegebenen Tor. "Leider wurde uns ein reguläres Tor aberkannt, aber das haben wir schon während des Spiels abgehakt", sagte Zlatko Junuzovic nach der Partie. Es ehrt die Bremer, dass sie kein großes Fass aufmachten.

Vielmehr strahlte man aufseiten der Gäste Optimismus aus. "Wir haben nicht nur hinten drin gestanden und den Ball nach vorne gebolzt, sondern nach vorne gespielt", resümierte Viktor Skripnik bei Sky zufrieden: "Ich bin froh, dass wir alles in unserer Hand haben. Mit einem Sieg bleiben wir in der Bundesliga."

Er hat Recht. Werder hat sein Endspiel gegen Frankfurt - im heimischen Weser-Stadion. Psychologisch auf jeden Fall ein Vorteil, wenngleich die Situation auch Gefahren birgt. Denn: Gewinnt Skripniks Truppe nicht, muss man in die Relegation - mindestens. Hinten lauert auch noch die Gefahr direkter Abstieg, verkörpert durch den VfB Stuttgart.

Zwei Punkte beträgt der Vorsprung aktuell, ein Unentschieden sollte aufgrund des deutlich besseren Torverhältnisses (-16 zu -23) für den Relegationsplatz reichen. Doch darum geht es an der Weser keinem: "Wir können es nächste Woche selber klären, das ist das Gute. Wir werden intensiv darauf hinarbeiten, Vollgas geben und gewinnen", gab sich Clemens Fritz extrem selbstbewusst: "Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen werden."

Dass Fin Bartels aufgrund seiner fünften Gelben Karte gegen Frankfurt fehlt, nahmen alle Beteiligten zwar zur Kenntnis, den Glauben an das große Ziel beeinflusst es aber nicht: "Die Mannschaft hat oft gezeigt, dass sie mit Druck umgehen kann. Wir haben unsere Fans im Rücken, die werden wie ein zwölfter Mann hinter uns stehen. Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass Werder drin bleibt", so Werder-Manager Thomas Eichin.

Dabei stellte er diesen einen, großen Vorteil heraus, den die Mitkonkurrenten nicht haben: Zehntausende Kehlen im Rücken, die den Klub nach vorne peitschen werden.

SPOXVfB Stuttgart

Statistik: Platz 17, 33 Punkte, 49:72 Tore

"Ich kann die Fans verstehen. Wir sind verantwortlich dafür", stammelte Kevin Großkreutz nach der Stuttgarter 1:3-Pleite gegen Mainz in die Fernsehkameras von Sky. Wenige Momente zuvor hatte er miterlebt, wie etwa 1.000 aufgebrachte VfB-Anhänger den Rasen der Mercedes-Benz Arena gestürmt hatten. Die Mannschaft flüchtete schnell in die Katakomben, während die Fans skandierten: "Wir haben die Schnauze voll", "Scheiß Millionäre" und "Ihr hört nicht zu!"

Der Frust ist in jeder Weise nachvollziebar. Nach dem 2:6 in Bremen in der Vorwoche konnte der VfB froh sein, dass er nicht auch gegen Mainz die drei- oder vierfache Anzahl an Gegentoren kassiert hatte. Einzig Mitch Langerak verhinderte Schlimmeres. Indisponiert verhielten sich die Schwaben gegen den Ball - vor allem in der zweiten Hälfte.

Ganz offensichtlich wurde einmal mehr: Der VfB hat keine Balance zwischen Angriff und Abwehr. Nach dem 1:1 der Mainzer war Kramnys Mannschaft gezwungen, mehr nach vorne zu investieren. Das ging komplett auf Kosten der Defensiv-Umschaltbewegung. Die fand quasi nicht mehr statt. Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt: Mainz hätte gut und gerne sieben, acht, neun oder zehn Tore schießen können.

"Ich bin sprachlos", sagte Großkreutz weiter. Je mehr er um Worte bemüht war, desto emotionaler wurde er. Seine Stimme wurde brüchig, seine Augen schon gläsern. Ihm war auch bewusst, wie unfassbar schwierig es für seine Mannschaft wird, am nächsten Wochenende noch den Relegationsplatz zu erreichen.

Das rettende Ufer kann Stuttgart gar nicht mehr erreichen. Denn: Die Konkurrenten Frankfurt und Werder treffen im direkten Duell aufeinander. Mindestens eines der beiden Teams wird punkten. Der einzige Hoffnungsschimmer, den der VfB seit diesem Samstag noch hat: Für den VfL Wolfsburg, bei dem man auswärts antreten muss, hat die Partie sportlich keinerlei Stellenwert mehr.

Doch ein eigener Sieg allein reicht nicht. Holt Werder gegen Frankfurt einen Punkt, müsste der VfB sein Torverhältnis um sieben (!) Treffer aufbessern. Siegt Bremen, fehlen Stuttgart auch auf das drei Punkte bessere Frankfurt noch einige Tore (-23 zu -17). Fast utopisch - findet auch Coach Kramny: "Wir brauchen das Wunder, wir müssen bis zum letzten Tropfen kämpfen."

Großkreutz versuchte seine schwindenden Kräfte auch dem Erhalt eines letzten Hoffnungsschimmers zu widmen: "Theoretisch ist alles möglich. Wir sollten alles geben und dann hoffen, dass Frankfurt was gegen Bremen holt." Er hatte deutliche Tränen in den Augen. Nur fallen wollten sie noch nicht. Das werden sie erst in der kommenden Woche.

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