Im zweiten Teil des Interviews spricht Alexander Zorniger über Inhalte und Ideen seiner Fußball-Philosophie, seine Beliebtheit bei den Fans von Bröndby IF, Gefahren von Traditionsklubs und eine mögliche Rückkehr nach Deutschland.Hier geht's zum ersten Teil des Interviews mit Alexander Zorniger
SPOX: Herr Zorniger, wie entspannt lässt es sich bei Bröndby verglichen mit den deutschen Gegebenheiten arbeiten?
Zorniger: Es gab anfangs ein paar Dinge, bei denen man schon anziehen musste. Nach meiner ersten Trainingseinheit bin ich ins Büro gegangen und habe die Einheit aufgearbeitet. Als ich nach 45 Minuten wieder herauskam, war niemand mehr da. So sieht professionelles Arbeiten und Leben ja nicht unbedingt aus. Was ich besonders positiv finde ist, dass kaum jemand das öffentliche Training beobachtet und man so viel unaufgeregter arbeiten kann.
SPOX: Bröndby war in den letzten Jahren nur mittelmäßig erfolgreich und setzte vor allem auf Ballbesitzspiel. Was hat die Verantwortlichen dazu gebracht, den Spielstil ändern zu wollen?
Zorniger: Die Basis des Klubs und der Erfolge der 1980er und 1990er Jahre. Bröndby IF hat nichts mit Kopenhagen zu tun. Bröndby ist ein eigenständiger Vorort im Westen von Kopenhagen und gehört klar der Arbeiterklasse an. Es wird erwartet, nach einer intensiven Arbeitswoche ins Stadion gehen zu können und dort einen ehrlichen Fußball zu sehen. Unser Sportdirektor Troels Bech und der Vorstand haben im März 2016 die sogenannte 'Strategy 6.4' ins Leben gerufen. Ein Bestandteil ist die Spielidee. Man möchte mit hohem Pressing, viel Begeisterung und Aggressivität gegen den Ball spielen. Erst daraufhin kam ich als Trainer für den Verein infrage.
spoxSPOX: Haben Sie bei Bröndby zu Beginn andere Schwerpunkte in der Trainingsgestaltung gewählt als noch in Stuttgart?
Zorniger: In Stuttgart sind wir schon sehr früh in die Detailarbeit beim Pressing gegangen. In welchen Pressingzonen wollen wir wie reagieren? Welche sind die exakten Auslöser für das Pressing? Hier haben wir die Grundzüge des Pressings miterklärt, sind aber zunächst überwiegend und intensiv über das Gegenpressing gekommen. Ich glaube, das hat es den meisten Spielern auch leichter gemacht.
SPOX: Wovon hängt es sonst noch ab, um diese Art des Fußballs schnellstmöglich zu verinnerlichen?
Zorniger: Nicht nur von dieser isoliert trainierbaren Art und Weise Fußball zu spielen, sondern auch von Willensstärke, Widerstandsfähigkeit und der Akzeptanz von Fehlern. Diese Werte lassen sich über jede Aussage und jede Trainingsübung implementieren. Wenn beispielsweise ein Laufparcour aufgebaut ist, stoppen viele Spieler bereits drei Meter vor dem Grenzhütchen ab und laufen nicht bis zum Ende durch. Das ist jedoch genau dieser letzte Schritt, den man zu gehen hat und den ich auch einfordere. Die Arbeit muss auch vom motivationalen und psychologischen Aspekt her gesehen werden.
SPOX: Stimmen Sie der These zu, dass Sie mit einer defensiven Idee von Fußball so offensiv wie möglich spielen wollen?
Zorniger: Meine Mannschaften definieren sich über das Spiel gegen den Ball. Damit kann man auch offensiv Fußball spielen. Das hohe Verteidigen orientiert sich am Offensivgedanken, nämlich den Ball möglichst hoch zu erobern. Wir haben in Stuttgart bis zum 10. Spieltag hinter Bayern und Dortmund die drittmeisten Torchancen produziert. Wir haben sehr hoch und offensiv gegen den Ball spielen lassen - so wie es beispielsweise auch Jürgen Klopp tut.
SPOX: Hätten Sie möglicherweise eine andere Auffassung vom Fußball entwickelt, wenn Sie früher Profi gewesen wären und auf absolutem Top-Niveau gespielt hätten?
Zorniger: Ich glaube, es ist typisch für einen Trainer, der einst Profi war, dem einzelnen Spieler sehr viel in die Hände zu geben und dessen Eigenverantwortlichkeit großes Vertrauen entgegen zu bringen. Es könnte für mich insofern einen Zusammenhang geben, dass die Trainer, die früher nicht selbst auf Top-Niveau gespielt haben, das Ganze als Zusammensetzen von Einzelspielern sehen. Und diejenigen, die eine große Spielerkarriere hingelegt haben, sich mehr über die individuelle Qualität des Spielers definieren.
SPOX: Wie sind Sie damit umgegangen, in eine Ihnen unbekannte Liga zu kommen?
Zorniger: Man konzentriert sich auf das eigene Können. Wir beschäftigen uns im Vorfeld natürlich auch mit den nächsten Gegnern. Dabei liegt das Verhältnis zwischen eigener Spielweise und der des Gegners aber eher bei 70 zu 30. Das haben wir auch schon immer so gehandhabt.
SPOX: Wie bewerten Sie das Niveau der Liga?
Zorniger: Der FC Kopenhagen steht über allen, das ist eine andere Ebene. Sie haben verglichen mit dem Rest extreme Möglichkeiten und gehen damit auch gut um. In der Bundesliga könnten sie sicherlich ordentlich mitspielen. Insgesamt gesehen ist das Gefälle wie häufig in potentiell kleineren Fußballländern schon groß. Ich würde sagen, es bewegt sich zwischen Bundesliga und 3. Liga.
SPOX: Wie viel infrastrukturelle Überzeugungsarbeit müssen Sie bei Bröndby abseits der rein inhaltlichen leisten?
Zorniger: Wir haben eine vernünftige infrastrukturelle Basis, die aber nicht europäischem Top-Standard entspricht. Das ist gerade dann sehr nützlich, wenn man eine Spielweise pflegen möchte, die auf dem Umgang mit Widerständen basiert und man in dieser Hinsicht nicht alles auf dem Silbertablett serviert bekommt. Es ist einfacher zu lehren, über die eigenen Grenzen zu gehen, wenn die Grenzen in vielen Bereichen nicht bereits sehr niedrig sind. Die Bedingungen in Deutschland sind so hervorragend, dass sich der Spieler um überhaupt gar nichts mehr kümmern muss und sich aufs Wesentliche fokussieren kann. Das ist natürlich wunderbar. Doch wenn ich klinische Bedingungen schaffe, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, sie auch am Wochenende zu benötigen, um erfolgreich zu sein.
SPOX: Die bisherigen Ergebnisse führten zusammen mit dem emotionalen Spielstil dazu, dass die Anhänger wieder gerne ins Stadion gehen und Sie die Fans vor der Kurve feiern. Dafür waren Sie eigentlich nicht bekannt.
Zorniger: Ich habe auch eine Weile gebraucht, um mich dazu durchzuringen. Ein gut befreundeter Trainer hat einmal zu mir gesagt, er möchte sich wenn überhaupt erst am Saisonende feiern lassen. Ansonsten passiert das an einem Wochenende und am nächsten wird man wieder verteufelt. (lacht) Hier jedoch halte ich die Rückmeldung der Fans für maßlos ehrlich. Das Verhältnis zwischen ihnen und mir hat von Anfang einfach gepasst. Daher dachte ich mir: Dann ist es doch eigentlich auch egal, irgendwann pfeifen sie dich sowieso mal aus. Warum also nicht mit ihnen feiern, wenn sie dich in dem Moment gut finden? Mittlerweile bin ich hier schon so oft zum Fanblock zitiert worden wie in meiner gesamten Karriere nicht.
SPOX: Haben Sie schon einmal gedacht, was wohl passiert wäre, wenn Ihre ersten Spiele in Stuttgart so erfolgreich verlaufen wären wie nun bei Bröndby?
Zorniger: Wenn wir beim VfB erfolgreich gewesen wären, hätte man die schmutzigen Geschichten vielleicht einfach nur aufgehoben und sie zu einem späteren Zeitpunkt gebracht. Vor allem hätte es aber geheißen: Was für ein geiler Typ! Lässt sich von niemandem etwas sagen, steht mitten im Leben und spricht auch noch schwäbisch.
SPOX: Obwohl Sie bei RB Leipzig in drei Spielzeiten zwei Mal aufgestiegen sind, verbindet man in Deutschland Ihren Namen viel eher mit den 13 Bundesligaspielen beim VfB. Wieso erinnert man sich lieber an den Misserfolg?
Zorniger: Andersherum wäre es eben sehr altruistisch. Wahrscheinlich sind wir Menschen eben so gestrickt.
SPOX: Haben Sie in Stuttgart erstmals die Ohnmacht eines Trainers spüren müssen, eben nicht alles selbst entscheiden zu können?
Zorniger: Definitiv. Ein Trainer muss akzeptieren, nicht für 100 Prozent der Gesamtleistung zuständig zu sein. Der Aufgabenbereich im Profibereich ist mittlerweile zu umfangreich, als dass man den Ausgang seiner eigenen Leistung voraussagen könnte. A la: Wenn ich dies und jenes verändere, dann wird es dieses oder jenes Ergebnis zur Folge haben. Arbeitet man im Profibereich, muss man wissen, dass es um extrem viel Geld geht und jedermann gerne so lange wie möglich von diesen Fleischtöpfen profitieren möchte.
SPOX: Welche Gefahr beinhaltet dies?
Zorniger: Es ist mit ein Problem der großen Traditionsvereine, dass dort teilweise seit Jahrzehnten dieselben Leute arbeiten. Das ist zwar durchaus wichtig, aber zeitgleich birgt es besonders bei einem Negativlauf die Gefahr, dadurch den Sumpf nicht austrocknen zu können. Weil jeder Angst hat, irgendwann selbst Opfer dieses Austrocknens zu werden. In einem solchen Fall kann - nicht muss - das zielgerichtetes Arbeiten erschweren.
SPOX: Wie war das bei einem den Traditionsvereinen entgegen stehenden Klub wie RB Leipzig?
Zorniger: Dort wurden Dinge nach Gesprächen und Diskussionen zwischen Ralf Rangnick und mir entschieden. Ist es finanziell möglich? Macht es inhaltlich Sinn? Entscheidung - fertig. Die Entscheidungswege waren geradliniger und betrafen seltener andere Abteilungen.
SPOX: Bei Ihrer Vorstellung in Kopenhagen sagte Manager Bech, dass Sie jetzt automatisch zu den zehn bekanntesten Menschen Dänemarks gehören würden. Teilen Sie diesen Eindruck?
Zorniger: In Dänemark gibt es zwei markante Begriffe. "Hygge" meint Gemütlichkeit, "Janteloven" bedeutet, dass sich niemand über den anderen stellen soll. Das wird hier sehr gelebt. Ich werde auf der Straße zwar erkannt, aber kann mich komplett frei bewegen. Obwohl Fußball auch hier Sportart Nummer eins ist, hat er keine riesige Wertigkeit oder den sozialen Stellenwert, den er in Deutschland hat, sondern eine deutlich höhere Normalität.
SPOX: Glauben Sie Stand jetzt, dass Sie eines Tages wieder als Trainer nach Deutschland zurückkehren werden?
Zorniger: Darum geht es mir nicht. Für mich gibt es keinen bestimmten Entwicklungsschritt, den ich als großartigen Erfolg feiern würde. Es gibt nur die Frage: Wie schaffe ich es mit meiner Art und Weise, mit Menschen umzugehen, mit viel Spaß durch diesen menschenbezogenen Job zu gehen? Vielleicht stellt sich heraus, dass es für mich viel erstrebenswerter ist, in Dänemark statt in Deutschland zu arbeiten.