Die Fans gegen die "totale Kontrolle"

Ben Barthmann
17. Oktober 201317:10
Die Südkurve ist ein großer Bestandteil der Fankultur beim FC Bayern Münchengetty
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Der FC Bayern und seine Fans: Kaum eine andere Mannschaft der Bundesliga bringt so viel Diskussionspotenzial mit wie die Münchner, wenn es um die Fanpolitik geht. Dabei zeigte der Testlauf am 5. Spieltag, wie gut die Stimmung in der Allianz Arena sein kann.

Was ist zwischen Fans und Bayern vorgefallen?

Die Geschichte der Streitigkeiten zwischen Ultras und FC Bayern ist lang und inzwischen extrem undurchsichtig. Einen konkreten Zeitpunkt zu finden, an dem alles begann, ist schwer.

Fakt ist: Der FC Bayern stellt derzeit den kleinsten Heimstehplatzblock der Bundesliga, deswegen ist man sich so gar nicht einig in der bayrischen Landeshauptstadt. Die Fans wollen bessere Stimmung machen, beeindruckende Choreographien organisieren und mehr Stehplätze. Der Verein hat mit Geldstrafen aufgrund von Pyrotechnik zu kämpfen, muss gesetzliche Vorschriften einhalten und soll dabei trotzdem preisgünstige Plätze anbieten.

Der aktuelle Streit um die Drehkreuze vor der Kurve ist also bei weitem nicht die erste Reiberei zwischen Ultras und Verein. Besonders die Saison 2010/11 dürfte dabei in Erinnerung geblieben sein.

Man protestierte mit "Koan Neuer"-Plakaten gegen einen Transfer von Schalke Ur-Gestein Manuel Neuer, reagierte mit beleidigenden Plakaten ("Zum X-ten Mal werden wir verarscht. Hoeneß du Lügner") auf die finanzielle Hilfe für den verhassten Lokalrivalen 1860 München kritisierte den Umgang mit Torhüter Thomas Kraft während der Entlassung von Coach Louis van Gaal.

Doch in der aktuellen Diskussion geht es um etwas anderes. Vor den beiden Blöcken 112 und 113, dem Kern der Stimmung in der Allianz Arena, wurden zur Saison 2013/14 Drehkreuze installiert. Diese sollen verhindern, dass Fans, die in der Südkurve in anderen Blöcken stehen, zum Anfeuern nicht mehr in den Kern zu den Stimmungsmachern gelangen können und eine Überfüllung des Blocks zu Stande kommt. Im Zuge der ersten Empörung sprach die Fangruppe "Schickeria" von "totaler Kontrolle", der FC Bayern wolle die Fankultur zerschlagen.

Des Weiteren wurden die Auswärtsdauerkarten abgeschafft, inzwischen aber vom Verein auf Druck der Fans mit sofortiger Wirkung wieder eingeführt. Fans, die den Klub jahrelang an alle noch so abgelegenen Orte begleitet haben, hätten sich dadurch vor jedem einzelnen Auswärtsspiel um eine Karte kümmern müssen.

Derweil wurden im Kern der Südkurve 300 neue Plätze geschaffen. Diese wurden aber, nicht wie von den Stimmungsmachern erhofft, per Zufall verteilt. Jedes Mitglied des FC Bayern kann eine solche Karte erstehen. Ob in einem Fanklub oder nicht, ob stimmungsbereit oder nicht.

Seite 1: Was bisher geschah

Seite 2: Standpunkt der Ultras

Seite 3: Standpunkt des Klubs

Seite 4: Was versucht wurde

Seite 5: Was gegen Hannover passierte

Was ist der Standpunkt der Ultras?

Die Absicht der Ultras ist klar: man will Stimmung machen, die Mannschaft unterstützen und das möglichst lautstark. Dafür scheinen aber in der Allianz Arena nicht die richtigen Voraussetzungen gegeben. Als die Arena 2001 in Planung ging, erhoffte man sich die Gegebenheiten für eine der beeindrucktesten Fankurven Europas. SPOX

Doch daraus wurde nichts. Dabei ist das größte Problem nicht einmal die geringe Größe, sondern die erschwerte Organisation. Die Stimmungsmacher sind über die Arena verteilt, die Südkurve aus dem Olympiastadion wurde in der Allianz Arena in beide Kurven aufgeteilt. Auch die für Gästefans akustisch optimale Platzierung unter dem Dach tut ihr Übriges.

Dabei sind unter den Fans, die hinter dem Tor stehen viele, die nicht so lautstark sind, bzw. nicht so lautstark unterstützen wollen. Somit ist es nicht leicht, Fangesänge anzustimmen. Viele derer, die gerne mitsingen würden, sitzen schlicht zu weit entfernt.

Nun würde man gerne eine freie Blockwahl etablieren, so wie es zu den Zeiten des Olympiastadions noch war. Denn in der Südkurve ist laut Angaben der Fangruppierungen noch genug Platz, um so manchen Fan aus den umliegenden Blöcken dort unterzubringen. Begründet wird dies auch damit, dass immer wieder Dauerkartenbesitzer nicht zu einem Spiel erscheinen und damit ihre Plätze in der Kurve einfach leer bleiben.

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Was ist der Standpunkt des FC Bayern München?

Der Standpunkt des FC Bayern ist nicht gleich so leicht ersichtlich, wie der der Fans. Den Bayern wird Kommerzialisierung vorgeworfen, man wolle aus dem Zuschauer den maximalen Gewinn erzielen. Die Stehplätze sind im Vergleich zu den Sitzplätzen deutlich billiger, der "normale" Fan bringt dem Verein mehr Gewinn. Dabei zeigen andere Vereine, wie beispielsweise Leverkusen vor kurzem, dass auch eine Erhöhung der Anzahl an Stehplätzen verwirklichbar ist. SPOX

Ein weiterer Punkt sind für den Verein empfindlichen Strafen. In der Erklärung zur Streichung der Auswärtsdauerkarte heißt es: "Leider mussten wir in der vergangen Saison [...] erneut das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen im Stadionbereich der Auswärts-Dauerkarten-Inhaber beobachten." Der FC Bayern zahlte laut Karl-Heinz Rummenigge in der Saison 2012/13 200.000 Euro in Folge von Pyrotechnik in den Fankurven des FC Bayern.

Neben den Geldstrafen haben die Münchner auch Probleme mit dem Einhalten der Sicherheitsvorschriften. Der Brandschutz stellt die Fan-Organisation vor große Aufgaben, bei Überfüllung der Südkurve durch die freie Blockwahl sind ebenfalls Sanktionen zu befürchten. Teils seien bis zu 400 Personen zu viel in der Kurve gewesen, so Rummenigge.

Trotzdem ist man in München stolz auf seine Fans. Uli Hoeneß lobte erst kürzlich jene, die mit nach Prag zum Supercup gefahren waren und dort die Anhänger des FC Chelsea deutlich übertönten. Dennoch hat man Angst in München vor dem schlechten Beispiel aus Barcelona: Das "Opernpublikum", wie es "Club Nr. 12" Sprecher Wolfgang Martin nennt, schwebt wie eine schwarze Wolke über den jüngsten Vorkommnissen in der Allianz Arena. Ein Publikum, das ohne echte Fankurve auskommt. Das will man trotz allem in München nicht sehen.

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Was hat man bisher versucht?

Trotz der zuletzt verhärteten Fronten kam es in letzter Zeit zum Dialog zwischen Ultras und Verein. Die Bayern hatten mit dem in der Fanszene heftig umstrittenen Wolfgang Salewski einen Berater in Sachen Fandialog eingestellt. Dass der ehemalige Polizeipsychologe in seiner Vita Stichworte wie "GSG9" und "Anti-Terror" stehen hat, verhinderte aber das eigentlich angepeilte Glätten der Wogen. Beide Seiten sind jedoch in den letzten Wochen offensichtlich um Kompromissversuche bemüht. Auch die aktiven Fangruppierungen befinden sich derzeit mehr denn je in einem produktiven Austausch, der erste Früchte trägt.

So hat der FC Bayern jetzt die Initiative "Jugendticket" ins Leben gerufen, die unter Münchner Jugendlichen pro Heimspiel 100 Karten für die Südkurve verteilt, des Weiteren wurde eine genaue Analyse bestehender Jahreskarten angekündigt. "Jahreskartenbesitzer, die sich vorstellen können, in einen anderen Bereich des Stadions zu wechseln, um in der Südkurve Platz für junge, stimmungsbereite Fans zu schaffen, bitten wir darum, sich bei uns zu melden", heißt es auf der Homepage des FC Bayern.

Im Heimspiel gegen Mainz sollen erstmals von Seiten der Fan-Gruppen auch vor den angrenzenden Blöcken 114 bis 117 der Südkurve weitere Vorsänger postiert werden, um diese besser in die Stimmung einzubinden. Dabei seien auch die "Interessen der gemäßigteren Blockbesucher zu achten", wie das Fanblog "miasanrot" ermahnt.

Karl-Heinz Rummenigge stellte sogar eine Erweiterung des Stehplatzblockes in Aussicht, sollte der FC Bayern nicht weiterhin hohe Strafsummen von Seiten der UEFA und des DFBs begleichen müssen. Die meisten erarbeiteten Vorschläge der Ultras wurden aber bisher abgelehnt. So werden beispielsweise leergebliebene Plätze in der Südkurve auch weiterhin über die gesamte Laufzeit der Partie freigehalten. Die Idee war gewesen, die Plätze nach Beginn des Spiels zu einem bestimmten Prozentsatz weiterzugeben. Dies sei allerdings laut Pressesprecher Markus Hörwick nicht möglich, da man auch abwesende Dauerkartenbesitzer zu den Zuschauern zählen würde, es würde zu einer virtuellen Überfüllung kommen.

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Was geschah beim Testlauf gegen Hannover 96?

Aufgrund der heftigen Proteste durch verschiedene Fangruppen, sowie die mediale Aufmerksamkeit durch die Unterstützung aus Dortmund hatte man sich in München dazu entschieden, den Ultras mindestens im Heimspiel gegen Hannover 96 entgegenzukommen. Eine Umfrage unter den Fans leitete einen Testlauf am Samstagnachmittag ein, bei dem das Prinzip der freien Blockwahl in der Südkurve getestet wurde.

Die Idee dahinter: Die Stehplätze hinter dem Tor sind frei zu belegen. Wer beispielsweise eine Karte für Block 109 hat, soll sich auch in Block 112 stellen können. Damit sollen sich die stimmungsbereiten Fans ballen können und somit für eine bessere Stimmung sorgen. Eine komplett freie Blockwahl wird durch die Drehkreuze verhindert, ab einer bestimmten Anzahl Personen ist es nicht mehr möglich die Kurve zu betreten - damit könnten die Sicherheitsauflagen dennoch erfüllt werden. Ein Verlassen des Blocks und eine spätere Rückkehr, wären dann allerdings nicht mehr möglich.

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Die Fans des FC Bayern zeigten sich dementsprechend stimmungsfreudig und wollten selbstverständlich ihrem Vorstand zeigen, wie gut das neue System funktionieren kann. Der "Club Nr. 12" organisierte ein "Meer aus Fahnen", die Stimmung aus der Südkurve riss das restliche Stadion oft mit.

"Wir sind sehr zufrieden, denn die ersten Ergebnisse sind mehr als ermutigend und positiv", so Uli Hoeneß nach dem Testlauf gegenüber der "SportBild". "Wir werden die Aktion nun erst mal bis Weihnachten weiterlaufen lassen. In der Winterpause wollen wir uns mit den Fangruppen zusammensetzen, um zu diskutieren, wie die Dinge weiterlaufen sollen." Auch von Fanseite gab es ermutigendes Feedback nach dem Hannover-Spiel: "Das war ein guter Anfang! Ich glaube, die Fans haben gezeigt, dass sie mit dieser Lösung gut leben können. Die Stimmung untereinander war absolut locker", so Jens Weinreich, Sprecher des "Club Nr. 12".

Insgesamt verliefen nicht nur der Testlauf, sondern auch die nachfolgenden Spiele friedlich und freundschaftlich ab. Der FC Bayern schaffte es, durch die freie Platzwahl den Stadionbesuchern entscheidend die Hand zu reichen und legte damit den Grundstein für weiteren, offenen Dialog zwischen Fans und Verein. Auch die "Schickeria" zeigt sich erfreut über die Fortschritte: "Die Südkurve ist ein wichtiger Teil des FC Bayern. Das konnte in der letzten Zeit jeder sehen. Wir sind derzeit zuversichtlich, dass wir alle zusammen weiter konstruktiv und sachlich an diesen Punkten arbeiten werden."

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