Benedikt Höwedes hat sich überraschend als Linksverteidiger in der deutschen Nationalmannschaft etabliert. SPOX traf ihn im Campo Bahia zum Interview. Der Schalker Kapitän über seinen Rollenwechsel, die Vorzüge der neuen Viererkette und den Autounfall während des Trainingslagers. Außerdem erklärt er, warum ein zweites Gijon auszuschließen ist und was ihn bei den USA (Do., 18 Uhr im LIVE-TICKER) gewundert hat.
spoxSPOX: Herr Höwedes, können Sie etwas mit dem Begriff "Schande von Gijon" anfangen?
Höwedes: Ja, ich kann damit etwas anfangen.
SPOX: Sie waren damals noch gar nicht auf der Welt. Haben Sie sich davon erzählen lassen?
Höwedes: Nein, ich habe davon gelesen. Gerade heute Morgen noch.
SPOX: Dann wissen Sie ja, dass Deutschland bei der WM 1982 gegen Österreich früh in Führung ging. Ein Ergebnis, das beiden Mannschaften zum Erreichen der nächsten Runde genügte. Entsprechend "zurückhaltend" haben sie agiert.
Höwedes: Wenn Sie darauf hinauswollen, dass es eine Art Nichtangriffspakt gegen die USA geben könnte, dann kann ich nur sagen: Wir werden ganz sicher nicht versuchen, auf Unentschieden zu spielen. Wir gehen mit dem klaren Gedanken ins Spiel, gewinnen zu wollen. Dementsprechend gut werden wir uns darauf vorbereiten.
SPOX: Spielt die Tabellenkonstellation überhaupt eine Rolle in der Vorbereitung oder blenden Sie das völlig aus?
Höwedes: Die Tabellenkonstellation ist mit Sicherheit nicht schlecht für uns, aber wir gehen mit der Intention an dieses Spiel heran, drei Punkte zu holen und die Gruppe als Erster abzuschließen. Alles andere ist nicht relevant.
SPOX: Wie wichtig ist Platz eins in der Gruppe für den weiteren Turnierverlauf?
Höwedes: Zum einen wollen wir Gegnern aus dem Weg gehen, die zumindest nominell stärker sind. Zum anderen hängt von der Platzierung auch ab, ob wir in einem wärmeren oder in einem kühleren Ort spielen. Das kann, muss aber kein Vorteil sein. Wir haben auch in Salvador ein gutes Spiel gegen Portugal gemacht.
SPOX: Wie empfinden Sie die Hitze hier in Brasilien?
Höwedes: Sie ist schon extrem. Wenn man in Fortaleza aus dem klimatisierten Kabinenbereich in den Stadiongang geht, kommt erstmal eine große Welle, die einen umhaut. Aber wir haben uns unter extremen Bedingungen vorbereitet, sind etwas früher angereist, um ungefähr unter den gleichen Bedingungen zu trainieren. Auch wenn man das Klima in Fortaleza nicht mit dem hier rund ums Campo Bahia vergleichen kann, sind wir gut vorbreitet, um diese klimatischen Herausforderungen zu bestehen.
SPOX: Die USA haben in der Vorbereitung auf das Spiel einen Tag weniger Zeit zum Regenerieren und noch dazu in Manaus gespielt. Ist das ein Vorteil für die deutsche Mannschaft?
Höwedes: Die Amerikaner haben auch drei Tage Pause, das sind Champions-League-Bedingungen. Wir sind alle Profis und so gut trainiert, dass wir mit solchen Gegebenheiten klar kommen müssen. Selbst wenn es in Manaus noch wärmer gewesen sein sollte als bei uns in Fortaleza, spielt das alles keine Rolle. Die Amerikaner haben sicherlich gute Maßnahmen ergriffen, um zu regenerieren. Sie werden im Training keine hohe Belastung haben und gegen uns topfit sein.
SPOX: Das Spiel gegen die USA ist auch ein Spiel gegen Jürgen Klinsmann. Sie haben ihn selbst nicht als Trainer erlebt, gibt es trotzdem etwas, das Sie mit ihm verbinden?
Höwedes: Das Sommermärchen 2006 hat jeder vor Augen. Aber die Spieler, die unter ihm gespielt haben, haben sich wie wir als Mannschaft insgesamt weiterentwickelt. Auch er hat mit den Amerikanern eine tolle Entwicklung genommen, er hat viele Deutsch-Amerikaner wie Jermaine Jones oder Fabian Johnson eingebaut. Aber wir sollten nicht zu viel über die USA sprechen. Maßgeblich für den Ausgang des Spiels wird sein, ob wir unser Spiel durchbringen.
SPOX: Direkten Kontakt hatten sie mit Klinsmann und seiner Mannschaft vergangenes Jahr auf der USA-Reise. Haben Sie bei der 3:4-Niederlage Erkenntnisse über den amerikanischen Stil gewonnen?
Höwedes: Die USA haben unter Klinsmann deutlich an Defensivqualität gewonnen, auch wenn sie im Spiel gegen uns drei Tore kassiert haben. Es hat mich gewundert, mit welcher Ruhe sie hinten raus spielen. Wir haben auch das Spiel gegen Portugal verfolgt und gesehen, über welches Potenzial sie auch in der Offensive verfügen. Wir dürfen die USA nicht unterschätzen und fahrlässig an die Aufgabe gehen. Trotzdem sind wir auf dem Papier die bessere Mannschaft und es ist nur die Frage, ob wir das auf dem Platz auch zeigen können. Ich bin optimistisch, dass uns das gelingt.
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SPOX: Vieles spricht dafür, dass Sie auch wieder auf dem Platz stehen werden. Sie gehen aktuell als Stammspieler durch, dabei galten Sie in der Öffentlichkeit im Trainingslager noch als Streichkandidat. Wie haben Sie die Entwicklung wahrgenommen?
Höwedes: Ich habe mich nicht als Streichkandidat gesehen. Dass die Medien das getan haben, lässt mich kalt, weil ich weiß, was ich kann, wie fit ich bin und was der Bundestrainer von mir hält. Natürlich ist es für mich überraschend, dass ich hier als linker Verteidiger aufgelaufen bin. Aber ich habe das Vertrauen des Bundestrainers immer zurückgezahlt, egal auf welcher Position. Und das tue ich auch in diesem Turnier.
SPOX: Mit welcher Position hätten Sie denn gerechnet?
Höwedes: Mit der Position, auf der ich in der Vergangenheit häufiger zum Einsatz gekommen bin, also rechter Verteidiger.
SPOX: Wann wurden Sie über den Rollenwechsel informiert?
Höwedes: Der Bundestrainer hat ein paar Tage vor dem Armenien-Spiel angedeutet, dass es so kommen könnte.
SPOX: Die Variante mit den vier Innenverteidigern in der Abwehrreihe wird in Deutschland nach dem Ghana-Spiel schon wieder diskutiert. Ist die Anordnung für jedes Spiel die richtige Lösung?
Höwedes: Das entscheidet der Trainer. Wenn ich auf dem Platz stehe, versuche ich meine Qualitäten bestmöglich einzubringen. Die Vorzüge liegen auf der Hand. Jeder von uns vier ist kopfballstark, schnell und zweikampfstark. Das sind wichtige Attribute, die ein Verteidiger in der letzten Reihe haben muss.
SPOX: Die Opta-Daten weisen für Sie nach zwei Spielen null Flanken, aber auch null Fouls aus. Wie ordnen Sie das ein?
Höwedes: Man kann nicht pauschal sagen, wer wenig Fouls macht ist besser als der, der ständig foult. Es geht darum, einen Angriff zu unterbinden und dann möglichst in einen Konter umzuwandeln. Die optimale Lösung ist, kein Foul zu begehen und direkt den Konter einzuleiten. Manchmal muss man aber auch Foul spielen, manchmal auch, um damit ein Zeichen zu setzen.
SPOX: Und die null Flanken?
Höwedes: Ich war vorher auch nicht dafür bekannt, mit links die großartigsten Flanken zu schlagen. Aber das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich versuche, hinten den Laden dicht zu halten und darüber hinaus, Impulse nach vorne zu geben und für Torgefahr zu sorgen. Das hat gegen Ghana vor dem Ausgleich auch ganz gut geklappt.
SPOX: Wäre Ihr Kopfball nach einer Ecke von Toni Kroos direkt reingegangen, würde vielleicht auch nicht über die Formation mit vier Verteidigern diskutiert werden. Hat Ihnen Miroslav Klose ein Tor geklaut?
Höwedes: Ich habe mir die Szene im Fernsehen angeschaut, weiß aber nicht, ob der Ball reingegangen wäre. Ich gönne Miro, dass er das Tor gemacht und den Rekord eingestellt hat. Mir war in dem Moment auch wurscht, ob ich das Tor mache oder jemand anderes. Wichtig war nur, dass wir den Ausgleich machen konnten.
SPOX: Die Standards sind mit dieser Aufstellung eine zusätzliche Stärke.
Höwedes: Diese Qualität ist in beiden Spielen zum Tragen gekommen. Gegen Portugal hat Mats das Kopfballtor gemacht und gegen Ghana konnte ich Miro einen auflegen.
SPOX: Gibt es bei Standards klarere Abläufe als in der Vergangenheit?
Höwedes: Das kann man so nicht sagen. Es gibt Absprachen, eine klare Ordnung und Laufwege. Teilweise regelt man das aber auch auf dem Platz. Man sollte sich nicht auf eine Position festlegen, sondern sich kurzfristig absprechen und für Verwirrung sorgen. Dieses Überraschungsmoment kann helfen.
SPOX: Eine persönliche Frage zum Abschluss: Sie waren im Trainingslager bei Werbeaufnahmen in einen Autounfall verwickelt, bei dem zwei Person verletzt wurden. Wie sind Sie damit umgegangen?
Höwedes: Ich informiere mich natürlich über den Gesundheitszustand der Unfallopfer und wünsche ihnen alles Gute und hoffe, dass sie sich schnellst- und bestmöglich erholen. Es war eine dramatische und unglückliche Situation, die wir alle sehr bedauern. Jeder kann sich vorstellen, dass das für mich nicht einfach war. Aber ich habe keine seelischen Schäden davongetragen und habe auch keine schlaflosten Nächte. Der Teampsychologe hat mir seine Hilfe angeboten, die ich aber nicht in Anspruch genommen habe, weil ich sie nicht als nötig empfunden habe. Ich war lediglich Beifahrer und hatte keine Möglichkeit einzugreifen. Deshalb konnte ich das gut verarbeiten.
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