Zwölf Spieltage der Bundesligasaison 2011/12 sind Geschichte. Zeit für ein Zwischenfazit. Wer sind die (neuen) Stars? Wer hat positiv, wer negativ überrascht? Und sind die Bayern überhaupt zu stoppen? Sechs SPOX-Redakteure kommentieren das erste Saisondrittel.
Die positive Überraschung: Hannover 96
Wenn es stimmt, dass das verflixte zweite Jahr am schwersten ist, gehört Hannover 96 (zusammen mit Gladbach) zu den größten Überraschungen der bisherigen Saison. Viele prophezeiten den Niedersachsen einen Absturz ins Mittelmaß, auch der Verein selbst bemühte sich im Sommer redlich darum, die Erwartungen zu dämpfen.
Im Vorjahr war der Star der Trainer: Mirko Slomka hatte aus einem vermeintlich mäßig talentierten Kader eine übermäßig produktive Mannschaft geformt; sie körperlich und taktisch auf ein neues Niveau gehievt und ihr eine prägnante Handschrift verpasst. Hannovers Umschaltspiel war State oft the Art, die graue Maus hatte plötzlich ein unverwechselbares spielerisches Merkmal.
Die taktischen Fortschritte sind auch in diesem Jahr nicht zu übersehen - das Pressing der 96er gehört inzwischen mit zum Besten, was die Liga gegen den Ball zu bieten hat -, noch auffälliger ist aber die individuelle Entwicklung, die etliche Spieler mittlerweile genommen haben.
Moa Abdellaoue, den Manager Jörg Schmadtke im letzten Jahr ohne Sommerpause aus dem laufenden Spielbetrieb in Norwegen holte, hat diesmal die komplette Vorbereitung absolviert. Unter den zentralen Stürmern ist der 26-Jährige derzeit der wohl stärkste Konterspieler der Bundesliga.
Jan Schlaudraff hat sich vom schlampigen Problemfall zu einem echten Führungsspieler gemausert. Er sorgt nicht nur für die besonderen - und häufig spielentscheidenden - Momente, sondern setzt vor allem mit seiner läuferischen Leistung immer wieder wichtige Signale.
Lars Stindls Selbstvertrauen scheint im Minutentakt zu wachsen, Torhüter Ron-Robert Zieler steht vor seinem Debüt in der Nationalmannschaft. Mit Sofian Chahed und Neuzugang Christian Pander haben arrivierte Stammkräfte plötzlich mächtig Konkurrenz bekommen, rechtzeitig für die Doppelbelastung ist der Kader auch in der Breite besser geworden.
Hannover kann es sich sogar leisten, den verletzungsgeplagten und formschwachen Didier Ya Konan, immerhin der herausragende Akteur der letzten Saison, auf der Bank zu lassen.
Gleichzeitig gelingt es Slomka offenbar, ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem jeder Einzelne bereit ist, sich in den Dienst des Gesamtkonzepts zu stellen und dafür immer wieder an die Leistungsgrenze zu gehen. Wer nachlässt, bekommt das auch unmissverständlich zu spüren. Wie etwa Shootingstar Zieler, den der Coach erst im Training und am Wochenende dann auch in der Öffentlichkeit deutlich kritisierte.
Dass der unprätentiöse und konstante Fußball aus Hannover auch über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen wird, zeigt nicht zuletzt Manuel Schmiedebach. Der Dauerläufer spielt schnörkellos, diszipliniert und ohne Allüren. Und wird regelmäßig von den Scouts europäischer Topklubs beobachtet.
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Die negative Überraschung: VfL Wolfsburg
Ein bekanntes Sprichwort sagt: Für Sympathie kann man sich nichts kaufen. Das gilt natürlich auch für die Bundesliga. Würde man jedoch die deutschen Fußball-Fans Symphatiepunkte vergeben lassen und daraus eine Tabelle erstellen - der VfL Wolfsburg stünde wahrscheinlich noch schlechter da als in der tatsächlichen Tabelle.
Wo im Meisterjahr 2009 noch Attribute wie "begeisternd", "leidenschaftlich", "brillant" standen, stehen heute Worte wie "ernüchternd", "blutleer" und "dilettantisch" für den VfL Pate.
Dazu ist Trainer Felix Magath dabei, seinen guten Ruf in der Liga systematisch runterzuwirtschaften. Die abermalige Flut an Transfers (zwölf Neuzugänge) sorgte nicht nur in der SPOX-Redaktion für Kopfschütteln. Magath drehte das Team einmal auf links, nahm ihm damit aber auch den Rest an Identität.
Auf die Idee wären sicherlich nicht viele gekommen, mit Hasan Salihamidzic, Thomas Hitzlsperger, Alexander Hleb, Sotirios Kyrgiakos und Chris gleich fünf Spieler zu holen, die ihre besten Bundesliga-Tage eigentlich hinter sich haben. Dass die Implementierung so vieler Akteure Zeit braucht, ist auch Magath bewusst. Dennoch versucht er Leistung mit Druck einzufordern - was gründlich misslingt.
Den größten Fehler begeht Magath nämlich in der Außendarstellung. Statt seine eben erst in die Mannschaft implantierten Spieler zu schützen oder ihnen Zeit zu geben, haut der Coach regelmäßig öffentlich oben drauf und macht zumeist nur die Spieler für Niederlagen verantwortlich.
Die Halbwertszeit eines Spielers ist so arg begrenzt; Magath machte bislang deutlich, dass er keine Fehler duldet und behandelte Spieler, die Startelf betreffend, teilweise wie billige Austauschware.
Dass angesichts des in Wolfsburg herrschenden Angst-Klimas am Ende der erhoffte internationale Platz steht, wage ich arg zu bezweifeln. Wolfsburg steht momentan auf Rang 13, nur drei Punkte vor Platz 17. Das Schlimme für den VfL: Viele Fußball-Fans in Deutschland werden damit überhaupt kein Problem haben.
Seite 3: Der Aufreger: Die Schiedsrichter
Der Aufreger: Die Schiedsrichter
Eine offizielle Tabelle gibt es nicht, auch wenn man die zahlreichen Datenlieferanten schon mal damit beauftragen könnte, zu analysieren, welcher Trainer/Spieler/Sportdirektor wie oft den Schiedsrichter für das ausbleibende Erfolgserlebnis verantwortlich gemacht hat. Nachdem am letzten Wochenende auch Bundesliga-Neuling Stale Solbakken Schiedsrichter Michael Weiner einen netten Gruß hinterher schickte, dürften alle Bundesliga-Trainer einmal dran gewesen sein.
Wobei Solbakken am Samstag gar nicht so im Unrecht war und da beginnt das Problem für die Schiedsrichter: Weiner, einer der Besten unter den Bundesliga-Referees, hatte keine leichte Partie im Weserstadion zu leiten, sorgte aber gemeinsam mit seinen Assistenten für fragwürdige Entscheidungen: Die Rote Karte für Sereno? Überzogen. Der nicht gegebene Handelfmeter gegen Naldo - Fehlentscheidung. Auch Bremen wurde hier und da benachteiligt.
Frag' auch nach in Nürnberg, wo ein reguläres Tor nicht gegeben wurde oder in Stuttgart, wo Fredi Bobic mit sich kämpfen musste, längst vergessene Wutausbrüche zu unterdrücken. Wir sprechen dabei immer noch über die Fehler des aktuellen Spieltags - aus Platzgründen ersparen wir uns die zahlreichen Fehler der letzten Wochen.
Auch wenn es hierfür keine offiziellen Zahlen gibt, ist der Leistungsabfall der Schiedsrichter zu dieser Jahreszeit wohl kein Zufall: Unser Poweruser Voegi79, der die Schiedsrichter seit Jahren genau beobachtet und deren Leistungen für SPOX regelmäßig analysiert, macht sogar eine "kleine Tradition" aus, dass sich im Herbst die Fehler der Unparteiischen häufen.
Natürlich hat das nichts mit der Kälte zutun, die in Deutschland allerorten anbricht, sondern vielmehr mit der höheren Anspannung und steigenden Nervosität in der Liga. Wir kommen allmählich in die Phase, die richtungsweisend für den weiteren Verlauf der Saison wird.
Alle machen Fehler: Spieler, Trainer, aber auch Schiedsrichter, die aber unter besonderer Beobachtung stehen und nicht nur von Markus Merk, einer der wichtigsten Bundesliga-Schiedsrichter der Geschichte und seit dieser Saison TV-Experte bei "Sky". Ob es wohl auch daran liegen mag, dass manch junger Schiedsrichter einen ganz besonders bleibenden Eindruck hinterlassen will?
Es gibt keinen Merk, keinen Herbert Fandel, keinen Bernd Heynemann und auch keinen Helmut Krug mehr - kurz gesagt: Es gibt keinen Star-Schiedsrichter mehr, der in der Bundesliga alleine durch seinen Status Respekt einflößt. Hoffnungsträger gab bzw. gibt es: Über Weiner, der sich vom einst verbissenen Polizeibeamten zu einem sehr soliden und besonnenen Schiedsrichter entwickelt hat, ist gesprochen worden, aber ansonsten? Wolfgang Stark ist international ein Top-Mann, vielleicht unser bester Vertreter, aber in der Bundesliga hat er längst ein Image, das schwer zu reparieren ist.
Die größten Sorgen bereiten aber die Jüngsten, die dieses Vakuum wohl auf absehbare Zeit nicht füllen können: Ob Wingenbach, Winkmann, Zwayer oder Fritz: Ein "Wunderkind", ein echtes Vorzeigeprodukt aus dem Unterbau der Schiedsrichterei, hat sich trotz vorhandenes Potenzial nicht aufgetan. Michael Kempter war so einer, aber er hat derzeit andere Sorgen. Das gilt auch für Dr. Felix Brych, der unschön in die Schlagzeilen gerückt ist.
Mag sein, dass genannte Beispiele Einzelschicksale sind, die das Gesamtbild verzerren, aber die aktuelle Gefühlslage der Bundesliga bezüglich der Schiedsrichter ist ideales Nährfutter für eine Krise, die entstehen könnte. Wir haben sie noch nicht, aber der Ton wird rauer und die Krise, die manch andere Topligen haben, ist schneller da, als wir es glauben und hoffen.
Seite 4: Die Konstante: Die Torhüter
Die Konstante: Die Torhüter
Das muss man sich mal vorstellen: Es ist 21 Jahre her, dass Manchester United zum letzten Mal einen Stammkeeper hatte, der Engländer war. In der Saison 1990/91 stand ein gewisser Les Sealey eine Spielzeit lang als Nummer eins zwischen den Pfosten der Red Devils. Anschließend kamen die United-Torhüter aus Dänemark, Australien, Frankreich und den Niederlanden. Seit dieser Saison hütet ein Spanier den Kasten des englischen Rekordmeisters.
In der Bundesliga steht der Bayern-Keeper nochmal eine Stufe über allen anderen. Aber: Inzwischen gibt's in der Liga auch den einen oder anderen Torwart, der durchaus das Zeug zur Weltklasse hat. Und überhaupt: So viele starke Keeper wie im Moment gab's in der Bundesliga überhaupt noch nie.
Ob Weidenfeller, Wiese, Benaglio, Starke oder Rensing - sie alle verkörpern internationale Klasse. Und noch viel mehr Spaß machen die jungen Wilden der Liga, wie Kraft, Baumann, Trapp oder Zieler - und allen voran Leno und ter Stegen.
Vor allem den beiden Letztgenannten scheint nach oben keine Grenze gesetzt. Mit gerade mal 19 Jahren ist das Duo schon jetzt auf einem unglaublich hohen Niveau. Und was in Zeiten, in denen Mitspielen und eine saubere wie schnelle Spieleröffnung scheinbar die Hauptkriterien für einen guten Torhüter sind, besonders erfreulich ist: Beide sind in der Lage, auch mal einen Unhaltbaren zu halten und ihrer Mannschaft ein Spiel im Alleingang zu gewinnen.
Noch stehen Leno und ter Stegen am Anfang ihrer Karriere. Wenn man sieht, wie unglaublich sich Neuer in den letzten Jahren entwickelt hat, darf man gespannt sein, wo das Duo in ein paar Jahren ist. Vielleicht sucht dann ja auch Manchester United wieder mal einen neuen Torhüter.
Seite 5: Der Newcomer: Marco Reus
Der Newcomer: Marco Reus
Er stand schon letzte Saison im Fokus. Aber er war lange Zeit der Unvollendete. In die Nationalmannschaft wurde er einige Male berufen - zumindest auf die Bank schaffte er es nie. Er verletzte sich regelmäßig oder wurde krank.
Mit fünf Toren in der Rückrunde war er Garant für den Klassenerhalt. Sicherlich waren der existentielle Druck und das gute Gefühl, eine beinahe ausweglose Situation noch gemeistert zu haben im Nachklapp die Zutaten für einen fantastisch schnellen Reifeprozess.
Reus ist auf dem besten Weg, sich aus seinem grandiosen Talent in einen kompletten Spieler zu verwandeln. Seine Geschwindigkeit mit dem Ball am Fuß ist in der Liga kaum erreicht, die Top-Stars Franck Ribery oder Arjen Robben spielen da in derselben Liga. Reus ist vielleicht noch einen Tick dahinter - weit weg ist er davon nicht mehr.
Favres Offensivkonzept ist ausgelegt auf Reus' Schnelligkeit und hohes Risiko. Mit einem Kontakt soll der Ball im vorderen Angriffsdrittel gespielt werden. Dass der 22-Jährige dabei auch einige sehr gute Gelegenheiten ungenutzt ließ, darf seiner Unerfahrenheit geschuldet werden.
Dass Reus aber auch hier sehr schnell lernt, zeigen die letzten Spieltage. Die letzten vier Gladbacher Tore erzielte Reus alleine, was zu insgesamt sechs Punkten für die Borussia gereichte. In der derzeitigen Form und mit schon sieben Saisontoren ist Reus nicht nur die Lebensversicherung der Fohlen, sondern auch ein ernsthafter Kandidat für einen Platz im DFB-Team.
Von den vielen deutschen Talenten hat Reus in dieser Saison den größten Sprung gemacht. Auch wenn er noch nicht am Ende seiner Entwicklung steht.
Seite 6: Die Überflieger: FC Bayern München
Die Überflieger: FC Bayern München
Manchester City gewann neulich das Derby of Manchester gegen United mal eben mit 6:1 - auswärts. Eine mit aberwitzig vielen Millionen zusammengekaufte Mannschaft, die von Trainer Roberto Mancini offenbar gewinnbringend bei Laune gehalten wird. Die Citizens haben in dieser Saison so ziemlich alles weggeschossen, was sich ihnen in den Weg gestellt hat. Doch einmal waren sie chancenlos: Im Champions-League-Spiel beim FC Bayern München.
Beiratsmitglied Edmund Stoiber sagte kürzlich, dass er derzeit den besten FC Bayern der letzten 50 Jahren erlebe. Über derartige Vergleiche lässt sich kontrovers diskutieren. Fest steht aber, dass die Bayern eine bis dato außergewöhnlich gute Saison spielen, in meinen Augen die beste seit 1998/99, der ersten unter Erfolgstrainer Ottmar Hitzfeld.
Trainer Jupp Heynckes hat es binnen weniger Monate geschafft, eine Mannschaft vom van Gaalschen Schema zu befreien, das die Spieler nach einer ersten erfolgreichen Saison unter dem Niederländer nicht mehr vertragen haben. Heynckes hat Franck Ribery den Spaß am Fußball zurückgegeben; der Franzose kann sich mittlerweile sogar vorstellen, seine Karriere in München zu beenden. Holger Badstuber findet zu alter Form zurück und Toni Kroos ist endlich den Ballast des Bayern-Trikots los.
Die Neuzugänge Manuel Neuer, Jerome Boateng und Rafinha haben ihre Qualitäten bereits bewiesen, auch wenn insbesondere bei Rafinha noch Luft nach oben ist. Dass im gut strukturierten Bayern-Kader nicht jeder Spieler adäquat zu ersetzen ist, zeigten die eineinhalb Spiele ohne Bastian Schweinsteiger gegen Neapel und Augsburg.
Auf lange Sicht gesehen kann der FC Bayern in der Frühform 2011/12 aber nur erfolgreich sein. Mit Neuer, Philipp Lahm, Schweinsteiger, Ribery und Gomez verfügen die Bayern in jedem Mannschaftsteil über Spieler von absolutem Spitzenformat und haben mit Arjen Robben einen der besten Flügelspieler der Welt noch in der Hinterhand.
Und gegen Manchester City haben die Bayern in der Champions League bewiesen, dass mit ihnen zu rechnen ist, wenn im Mai 2012 die großen Titel vergeben werden.
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